Von der Widerständigkeit der Seele

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 Präsentation transkript:

Von der Widerständigkeit der Seele Daniel Hell 8. Berliner psychiatrisch-religionswissenschaftliches Kolloquium Berlin 9.11.2016 06.10.2017

Agenda Seele und Psychiatrie im historischen Rückblick - Entseelung oder Verwissenschaftlichung des Seelischen? Zum Risiko alleiniger Objektivierung und Rationalisierung in der Psychiatrie Widerständiges seelisches Erleben („Ich ist ein anderer“) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 06.10.2017

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Seele als Symbol für das Lebendige Frühkulturen: konkretisiert als - Lebewesen (Schmetterling, Vogel) - Hauch, Atem (Atman, Nefesch, Psyche) - Organ (Blut, Herz) Antike: abstrahiert als - Sich-Selber-Bewegendes (Platon) - gestaltendes Prinzip, Form (Aristoteles) Die Seele umfasst als ein Ganzes körperliche Triebe, empfindsames Gemüt und rationaler Geist. 06.10.2017

Beziehungsdimension der Seele In der platonischen Philosophie hatte die Seele (insbesondere ihr höchster Teil, der Geist) Bezug zur Wahrheit, zu den „ewigen Ideen“. Sie war auf das Gute und Schöne gerichtet. Es galt ihr Sorge zu tragen. Philosophie wurde als Therapie der Seele verstanden. Besonders von Plotin und dann im Mittelalter wurde der Beziehungsaspekt der Seele betont. Die Seele wurde als zwischenmenschliches Bindeglied verstanden, auch als Bindeglied zwischen dem Transzedenten und dem Körper (Seele als Resonanzboden). 06.10.2017

Verlust der Seele in der Neuzeit Körper - Seele - Geist seit Descartes: res extensa res cogitans 06.10.2017

Psychiker: Psychische Störung als Erkrankung des Geistes Psychiatrische Auseinandersetzung zwischen den „Irrenärzten“ im 19. Jahrhundert Psychiker: Psychische Störung als Erkrankung des Geistes Somatiker: Psychische Störung als Erkrankung des Gehirns Der Streit drehte sich nicht vor allem darum, ob es Geist gebe oder nicht, sondern um die angenommenen Krankheitsursachen. 06.10.2017

Wilhelm Griesinger (1817 – 1869) „Geisteskrankheiten sind Hirnkrankheiten“ 06.10.2017

Entwicklungen in der Neuzeit Objektivierungstendenz: Dominanz der Perspektive der dritten Person („Aussensicht“) Rationalisierungstendenz: Versachlichung/Funktionalisierung des Seelischen 06.10.2017

Verlust des Leibes (beseelter Körper) in der Medizin 17./18. Jhdt.: Anatomie(„Körpermensch“) 19. Jhdt.: Physiologie („Maschinenmensch“) 20. Jhdt.: Molekularbiologie („Computermensch“) 22.03.2010

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Psychiatrie = Seelenheilkunde (von psyche = Seele/ iatreia = Heilkunde) Encephaliatrie = Gehirnheilkunde 06.10.2017

2. Rationalisierungstendenz: Der Selbstbegriff als Kind der Aufklärung Das „Selbst“ ist die Substantivierung des Reflexivpronomens „selbst“ (z.B. „ich liebe mich selbst“). Der Begriff beschreibt die menschliche Fähigkeit, sich zu sich selber zu verhalten. Er wurde erst in der Aufklärung gebildet. Das „Selbst“ wurde als Voraussetzung für Autonomie verstanden. Nur wer Selbstbewusstheit hat, kann sich auch selber bestimmen. Der Begriff diente dem aufklärerischen Kampf für Demokratie und gegen autoritäre Herrschaftsformen. „Aufklärung ist die Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ (Kant). 06.10.2017

Sprachspiel von Seele und Selbst Lebendig Spürbar Warm, herzlich Resonant (eingebunden) Innig Geheimnisvoll Seelenbilder Atem, Herz, Blut Vogelflug, Schmetterling Wasser, See, Atmosphäre Musik, Kunst, Gefühl Selbst Geistig Denkbar Kühl, mental Individuell (abgegrenzt) Bewusst Reflektiert Selbstbilder Kopf, Hirn, Ich (im Spiegel) 06.10.2017

Verbreitung des Selbstbegriffs in psychotherapeutischen Konzepten In der Psychoanalyse und weiteren Psychotherapien wurde im 20. Jh. v.a. die Selbstkonzeption deutscher idealistischer Philosophen als eine Art Selbstbespiegelung rezeptiert (vgl. Spiegelstadium). Nach Hegel ist das Selbst das „Bewusstsein, das auf sich selber reflektiert“. Ab Mitte des 20. JH. löst der Selbstbegriff den Seelenbegriff in der psychotherapeutischen Literatur ab. Er wird aber unterschiedlich verstanden. 06.10.2017

Versachlichung und Funktionalisierung des Seelischen in der Psychiatrie/Psychotherapie War die Seele ein Symbol für das (Er)leben, so ist das Selbst eher ein funktionelles Modell. Konnte die klassische Verhaltenstherapie die Seele (als Blackbox des Erlebens) nicht annehmen, so hat die kognitive Verhaltenstherapie mit einem Selbstkonzept keine Mühe. Der Selbstbegriff erleichterte auch der Psychoanalyse, die Trieborientierung durch Ausrichtung auf Objekt- und Selbst-repräsentationen zu ergänzen und störungsspezifischer zu arbeiten. Neuerdings wird der Selbstbegriff aber zunehmend ausgeweitet. Er erhält seelische Qualitäten und intersubjektiven Charakter (relational turn).

Autotherapie = Behandlung des Selbst Psychotherapie = Seelenbehandlung (von therapeia: pflegen, dienen, sorgen) Autotherapie = Behandlung des Selbst 06.10.2017

Agenda Seele und Psychiatrie im historischen Rückblick - Entseelung oder Verwissenschaftlichung des Seelischen? Zum Risiko alleiniger Objektivierung und Rationalisierung in der Psychiatrie Widerständiges seelisches Erleben („Ich ist ein anderer“) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 06.10.2017

Zwei Zugänge zum Menschen Perspektive der ersten Person („Innensicht“) Unmittelbarer, „privilegierter“ Zugang zum eigenen Erleben, nicht objektivierbar Perspektive der dritten Person („Aussensicht“) Überprüfbar, abbildbar, ausmessbar 06.10.2017

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Agenda Seele und Psychiatrie im historischen Rückblick - Entseelung oder Verwissenschaftlichung des Seelischen? Zum Risiko alleiniger Objektivierung und Rationalisierung in der Psychiatrie Widerständiges seelisches Erleben („Ich ist ein anderer“) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 06.10.2017

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Vorstellen, Reflektieren (Aussenperspektive) Selbsterleben (seelisch) Selbstbild (mental) Vorstellen, Reflektieren (Aussenperspektive) Selbsterleben (seelisch) Fühlen, Innewerden, Spüren (Innenperspektive) 06.10.2017

Glaube, Philosophie, Haltungen Sozialisation Gesellschaft Glaube, Philosophie, Haltungen Ausbildung Hobbys, Vorlieben Erziehung Kultur Medien Freunde Selbstbild Schule Familie Wohnen, Geschlecht Arbeit 06.10.2017

Agenda Seele und Psychiatrie im historischen Rückblick - Entseelung oder Verwissenschaftlichung des Seelischen? Zum Risiko alleiniger Objektivierung und Rationalisierung in der Psychiatrie Widerständiges seelisches Erleben („Ich ist ein anderer“) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 06.10.2017

Zusammenfassung 1 Erste Person-Perspektive und Dritte Person- Perspektive stellen verschiedene Wahrnehmungsweisen dar. Sie sind nicht austauschbar (auch wenn man holistisch oder monistisch denkt). Gerade das Gespräch mit MigrantInnen zeigt auf, wie wichtig das Verständnis für unterschiedliche, kulturell geprägte Erlebensweisen in Psychiatrie und Psychotherapie sind. Hier helfen neurobiologische Befunde kaum weiter. 06.10.2017

Seele steht für Lebendigkeit und Erleben. Zusammenfassung 2 Seele steht für Lebendigkeit und Erleben. „Das Fremdeste, was man erfahren kann, ist das Eigene, einmal von Aussen gesehen“. Max Frisch in Tagebuch 06.10.2017

Seelisches betrifft den ganzen Menschen - Zusammenfassung 3 Seelisches betrifft den ganzen Menschen - auch in seiner Beziehung zu andern. „Meine Einstellung zu ihm ist eine Einstellung zur Seele. Ich habe nicht die Einstellung, dass er eine Seele hat.“ Wittgenstein 06.10.2017

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit Daniel Hell www.daniel-hell.com 06.10.2017