Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft www.gew.de Benachteiligte Jungen vs. übermächtige Frauen? Zur Debatte über geschlechtsbezogene Benachteiligungen.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Grundbegriffe der Pädagogik: Bildung, Sozialisation, Erziehung
Advertisements

Von Christoph Drobnitza und Andreas Lenzen
Typisch Mädchen – typisch Junge?
Schöne schlanke Welt???.
Lebenslanges Lernen Aufnahme von Lern- und Bildungsprozessen gemäß Interesse und Bedarf.
Schulgesetz § 1 (1) Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung,
Drei gute Gründe eine Berufsausbildung zu haben
Albert Schweitzer Realschule Böblingen
Geschlechtsspezifische Sozialisation in der Grundschule
"Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss" – Über (schulische) Erziehung Referenten: Björn Anton: Andy Caspar Michael.
Evelyn Naucke Jessica Vogts
Definition Allgemeines, Historisches
Behinderung und Männlichkeit
Entstehung von Süchten und Drogenmissbrauch durch Modell-Lernen
Entwicklung der Bildungschancen von Migrantenkindern in Deutschland
Qualitätsentwicklung zwischen Benachteiligtenförderung und Professionalisierung - Statement - Prof. Dr. Irmhild Kettschau.
Besondere Begabungen in der Grundschule
Täter und Opfer Elternakademie
Armutskonferenz 7. Juni Waldau Theater Präsentation der Workshop-Ergebnisse Workshop 4: Armut und Bildung.
Akzeptierende Jugendarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen
Internet für Alle – zwischen Euphorie und Ignoranz
Phänomen und Pädagogische Projekte
Professionelles Lehrerhandeln
Die Situation junger Migranten/Migrantinnen am Arbeitsmarkt
IGLU Grundschulstudie.
Institut für Freiraumentwicklung Universität Hannover Dr. Annette Harth IF Gebrauchswert und Nutzungsfreundlichkeit – Gender-Kriterien für öffentliche.
„Männlich“, „weiblich“……: Geschlechterrollen in Bilderbüchern
Lebensgefühl und Wertorientierungen bei Jugendlichen in Deutschland Ergebnisse der Shell Jugendstudien 2002, 2006, 2010 Dr. Thomas Gensicke Senior.
Transkulturalität Transkulturalität bezeichnet Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Kulturen. Der Begriff drückt aus 1.) Es gibt Unterschiede zwischen.
‚Früh gefördert – gut gestartet‘
Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg
Liebe Bambini-Eltern, 2010 – 2011 wir möchten Ihnen zunächst dafür danken, dass Sie uns Ihr Kind (Mädchen oder Junge) anvertrauen. Wir versprechen Ihnen,
Forschungsfragen -Welche Vorstellung verbindet die breite Bevölkerung mit dem Wort Bildung? -Was gehört nach Meinung der Bevölkerung zur Bildung? -Wozu.
Science und Gender Hat die Wissenschaft ein Geschlecht?
Medien-sozialisation SHELL-Studie
„Frauen in Führungspositionen in Einrichtungen der Altenhilfe“
Frauenkarrieren zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Gender Mainstreaming in JOBSTARTER JOBSTARTER-Workshop in Nürnberg, März 2011 Annette Land, Christa Oberth.
Institute for advanced Studies | Stumpergasse 56 | A-1060 Wien | Tel: | | | Geschlechtsspezifische Unterschiede.
Elternwerkstatt 4. Abend
Kompetenzentwicklung in schwierigen Zeiten: Wie man Jugendlichen dabei helfen kann, die eigene Biografie zu gestalten Perspektive Berufsabschluss, Offenbach.
Betriebliche Gestaltungsfelder
Genderorientierte Berufsorientierung – ohne Eltern geht das nicht!
Dialog der Generationen: Notwendigkeit und Chance (Impulsreferat auf dem Aktionstag des Projektbüros Dialog der Generationen am in Berlin) Prof.
Pädagogische Fachkräfte im Spannungsfeld der Wertekonflikte
Charles Hohmann, Dr. phil., Institut Montana Zugerberg
Evangelia-Margareta Samara Schulrätin für Deutsch als Fremdsprache
Zur ökonomischen Situation der Frauen in Österreich Gudrun Biffl
Soziale Medien und berufliche Orientierung Thesen aus dem Projekt „Learn2Teach by social web“ Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen.
Soziale Arbeit an Schulen im Landkreis Bad Kreuznach
Allgemeine Bildungsziele versus Funktionen der Schule
Projekt FeuerZeichen.
Sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura
Die Heterogenität.
Immer mehr Menschen verlieren die Verbindung zu den irdischen Elementen. Feuer Wasser Erde Luft.
DICKE DEUTSCHE.
Grundkompetenzen im Erwachsenenalter Zentrale Ergebnisse aus PIAAC
Bildung auf einen Blick 2015
Neuer Lehrplan Volksschule Thurgau. 2 Unser Ziel − unser Auftrag  eigenständige, verantwortungs- volle Persönlichkeiten  gelingender Übertritt in die.
Prof. Dr. Andreas Voss, Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg Präsentation am Freitag, 27. März 2009, TU Dortmund, Fakultät Erziehungswissenschaft.
Sprachen lernen und erwerben: erste Begriffe und Unterscheidungen Dörthe Uphoff FLM 0640 – Februar.
Analyse des Phänomens Weiterbildungs- abstinenz in Wien anhand der Auswertung des Adult Education Survey 2007 Präsentation der Ergebnisse der Studie „Weiterbildungs-
Dyskalkulie Rechenschwäche. Was ist das? Schwierigkeiten: Bei dem Verstehen von Rechenaufgaben Bei dem Umgang mit Zahlen Bei dem Einsatz von Rechentechniken.
Klausurtagung der Stadtteilschulen Jesteburg, 21./ Rückblick und Standortbestimmung „Vergewisserung zu den Zielen der Stadtteilschule“ Mathias.
Klasse Klassenzufriedenheit Strukturmerkmale (Schultyp, Anteil Knaben, Anteil plagender Kinder) Eltern Einstellungen (Erwartungen,Attribution) Verhalten.
Basel Lu Decurtins Bilder: koordination-maennerinkitas.de.
Identifying the effects of gendered language on economic behavior
Problemen der modernen Jugend.
 Präsentation transkript:

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Benachteiligte Jungen vs. übermächtige Frauen? Zur Debatte über geschlechtsbezogene Benachteiligungen in Bildungsinstitutionen Präsentation zur Studie „Bildung von Geschlecht: Zur Diskussion um Jungenbenachteiligung und Feminisierung in deutschen Bildungsinstitutionen“ von Thomas Viola Rieske im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung Präsentiert von Anne Jenter, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands am 4./5. März 2011 in der Sitzung des Hauptvorstandes der GEW

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Einführung Diskussion über Jungen als Bildungsverlierer Jungen mit schlechteren und späteren Schulabschlüssen als Mädchen Mädchen mit Vorsprüngen in Lesekompetenzen Jungen erhalten seltener eine Gymnasial-empfehlung als Mädchen mit den gleichen kognitiven Kompetenzen Jungen sind häufiger von Maßregelungen betroffen

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Einführung Feminisierung der Bildungsinstitutionen Hoher Frauenanteil in Kindertagesstätten und Schulen Pädagoginnen orientieren sich an weiblichen Interessen und Verhaltensweisen Mangel an männlichen Vorbildern für Jungen in Kindertagesstätten und Schulen

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Gliederung I. Probleme der These von der Jungenbenachteiligung II. Probleme der These von der Feminisierung von Bildung III. Mögliche Gründe für Bildungsmisserfolge von Jungen und die Debatte darüber

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Problem: Vereinfachung der Daten – Schulab-gänger nach Geschlecht u. Staatsangehörigkeit

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.1.a. Problem: Vereinfachung der Daten – Leseleistungsvorsprünge und Schulform

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.1.b. Problem: Vereinfachung der Daten – Studien-beteiligung nach Geschlecht und sozialer Herkunft Quelle: 18. Sozialerhebung des Studentenwerks

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.1.c. Problem: Vereinfachung der Daten - Zusammenfassung  Die Jungen sind gegenüber den Mädchen im allgemeinen nicht benachteiligt.  Die Unterschiede bei Schulabschlüssen, Kompetenzen und beim Hochschulzugang sind innerhalb der Geschlechtergruppen größer als zwischen ihnen.  Bei der Lesekompetenz fällt der Vorsprung der Mädchen vor den Jungen innerhalb gleicher Schulformen geringer aus.  Jungen und Mädchen haben unterschiedliche Bildungschancen in Abhängigkeit von sozialer Lage, Bildungshintergrund ihrer Eltern, Migrationsgeschichte und natio-ethno- kultureller Zugehörigkeit und Religiosität.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.2. Problem: Die Debatte über Jungen als Bildungsverlierer fokusiert auf Abschlüsse als Kriterium für Benachteiligung Bildung beinhaltet mehr als den Erwerb formaler Abschlüsse –Selbstvertrauen, bestimmte Aufgaben lösen zu können –Interessen an bestimmten Themengebieten und Arbeitsfeldern –Ansprüche an sich und andere (und an Entlohnung) –Durchsetzungsvermögen, Konfliktstrategien –Erfahrungen von Anerkennung/Diskriminierung aufgrund von Rassismus, Norm der Zweigeschlechtlichkeit, sozialer Ungleichheit und Armut Nicht alle diese Aspekte sind leicht beobachtbar, manche Effekte zeigen sich erst in einer langfristigen Perspektive

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.3. Problem: Mangelnde Umsetzung von Bildungserfolgen in berufliche Karrieren bei Frauen – Geringere Studienübergangsquoten bei Frauen als bei Männern

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Frauen sind nach Abschluss einer Berufsausbildung häufiger prekär beschäftigt und arbeiten unter schlechteren Bedingungen Frauen verdienen weiterhin 23% weniger Entgelt als Männer. Die Teilzeitbeschäftigtenquote von Frauen ist mehr als sechs mal höher als bei Männern.  Frage an PädagogInnen: Werden diese Geschlechterunter-schiede auf dem Arbeitsmarkt bereits durch Bildungsprozesse jenseits des Erwerbs von Abschlüssen angelegt? I.3. Problem: Mangelnde Umsetzung von Bildungserfolgen in berufliche Karrieren bei Frauen – Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft I.Zwischenfazit zur Jungenbenachteiligung  Die These von den Jungen als neue Bildungsverlierer ist nicht haltbar  Vielmehr produziert und legitimiert Geschlecht im komplexen Zusammenspiel mit anderen Faktoren die unterschiedliche Zuweisung von beruflichen Laufbahnen, Tätigkeitsfeldern, formellen und informellen Bildungsabschlüssen  Mädchen wie Jungen sind durch die gesellschaftliche Zuweisungen von einengenden Geschlechterstereotypen in ihrer Entwicklung behindert  Logik „If one group wins, the other loses“ ist falsch und behindert einen genaueren Blick auf die Probleme

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.1. Problem: Feminisierung als inadäquate Beschreibung der Geschlechterverhältnisse in Bildungseinrichtungen Frauenanteil am höchsten in den Bildungsbereichen mit der geringsten Anerkennung und dem niedrigsten Entgelt

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.1. Frauenanteil bei (Besoldungs-/Entgelt- )Gruppen (Lehrkräfte) BEAMTE UND BEAMTINNENANGESTELLTE Besoldung sgruppe Anzahl ( ) Frauenanteil in % Entgelt- gruppe Anzahl ( ) Frauenanteil in % Höherer Dienst A A E A E A E Gehobener Dienst A 16 L – A 13 L A 13 S A E A E

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.1. Frauenanteil bei den Schulleitungen  In Berlin sind –knapp zwei Drittel aller Funktionsstellen an Grundschulen mit Frauen besetzt, aber nur 58 Prozent der obersten Schulleitungspositionen. –An Haupt- und Realschulen sieht es ähnlich aus, allerdings auf einem niedrigeren Niveau. –An Gymnasien sind nur 29 Prozent der Schulleitungen und 39 Prozent der Stellvertretungen von Frauen besetzt.  In Baden-Württemberg sind –zwei Fünftel der Funktionsstellen an Grund- und Hauptschulen aber lediglich ein Drittel der Schulleitungsstellen von Frauen besetzt. –An Realschulen beträgt die Relation 26 zu 19 Prozent, –an Gymnasien 19 zu 12 Prozent. 15

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.1. Problem: Feminisierung als inadäquate Beschreibung der Geschlechterverhältnisse in Bildungseinrichtungen Frauen wesentlich häufiger teilzeitbeschäftigt als Männer

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.1. Problem: Feminisierung als inadäquate Beschreibung der Geschlechterverhältnisse in Bildungseinrichtungen - Zusammenfassung Frauenanteil am höchsten in den Bereichen mit der geringsten Anerkennung und niedrigsten Entgelten Frauen in Funktionsstellen und bei der Herausgabe von Schulbüchern meist unterrepräsentiert Frauen wesentlich häufiger teilzeitbeschäftigt als Männer  Je mehr es um die Vermittlung von fachlichem Wissen geht und je privilegierter und älter die Kinder/Jugendlichen, desto eher werden sie von Männern unterrichtet.  Vergeschlechtlichte Arbeitsteilung

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.2. Problem: Feminisierung als inadäquate Beschreibung von pädagogischer Kultur Es existiert kein umfassendes Wissen über die Vergeschlechtlichung der bundesdeutschen pädagogischen Kultur in Spielmöglichkeiten, Unterrichtsgestaltung, emotionaler Zuwendung, Sanktionierung, pädagogischen Materialien In Schulbüchern lernen Kinder und Jugendliche häufig eine Welt erwachsener heterosexueller Männer und Frauen kennen, in der Frauen seltener arbeiten und Männer häufiger in Konkurrenzsituationen sind Jungen wie Mädchen erfahren bestimmte Verhaltens- und Leistungserwartungen sowie Anerkennungs-/Diskriminierungs-strukturen, die sie in traditionelle Geschlechterrollen drängen

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.3. Problem: Die These „Mangel an Rollenvorbilder“ ist durch keine systematische Forschung bestätigt Zusammenhang zwischen Männeranteil unter Lehrkräften und Bildungserfolgen von Jungen nicht belegt Auch Mädchen werden durch Weiblichkeitskonstruktionen eingeschränkt und können von einer vielfältigen LehrerInnenschaft profitieren! Zusammenarbeit von Männern und Frauen ohne Genderkompetenz führt zu traditioneller Arbeitsverteilung  Welche Modelle wollen wir als PädagogInnen Kindern und Jugendlichen bieten?

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II.4. Problem: Orientierung auf „jungentypische“ Interessen birgt die Gefahr in sich Männlichkeit unreflektiert zu retraditionalisieren Die Idee von jungentypischen Interessen kann zur „Versämtlichung“ von Jungen (und Mädchen) führen und geschlechtsspezifische Einengungen festschreiben, statt ihnen Erweiterungsmöglichkeiten zu bieten. Manche vermeintlich jungentypische Interessen teilen auch Mädchen und umgekehrt (z.B. Abenteuerliteratur, Gruppenarbeit). Widerspruch: Vorwurf des Zuviels an Disziplinierung von Jungen durch Frauen (Lehrerinnen, Erzieherinnen), jedoch soll es mehr Männer geben, weil Jungen diesen eher folgen würden. Durch die These „Jungen sind so“ besteht Gefahr, Jungen nicht genügend auf die Anforderungen der gegebenen Welt vorzubereiten.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft II. Zwischenfazit zur Feminisierungsthese  Feminisierung beschreibt die gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse in den Bildungsinstitutionen unzureichend  Die Feminisierungsthese ist eine pauschalisierende Schuldzuweisung gegen Frauen/Feministinnen

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft III. Mögliche Gründe für Bildungsmisserfolge - nicht nur von Jungen  Bei Jungen kann die Orientierung an Männlichkeitskonstruktionen der Autonomie, Stärke, natürlicher Begabung, Übergeordnetheit zu Widersprüchen mit schulischen Anforderungen wie des Anpassens, Hilfesuchens, der Akzeptanz von Regeln, der Fleißarbeit führen.  Bei Mädchen kann die Orientierung an Fleiß, „Lernen müssen“ und dem Selbstkonzept der Abhängigkeit, Schwäche, dazu führen, schulische Regeln überzuerfüllen und trotz des formalen schulischen Erfolgs von der Schule mit wenig Kompetenzen wie Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen abzugehen.