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Vorlesung Sommersemester 2017:

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Präsentation zum Thema: "Vorlesung Sommersemester 2017:"—  Präsentation transkript:

1 Vorlesung Sommersemester 2017:
Geschichte der deutschen Literatur II: Goethezeit. Goethe und der Sturm und Drang, Fortsetzung

2 Erste Begegnung Lavaters mit Goethe 1774
„Bist‘s?“ „Bin‘s!“

3 „Sturm und Drang“ als intellektuelle, v. a. literarische (Jugend-)
Zwischensumme „Sturm und Drang“ als intellektuelle, v. a. literarische (Jugend-) Bewegung vom Ende der 1760er bis zur Mitte der 1780er Jahre, als radikalisierte Aufklärung, oft in entschiedener Wendung gegen die „Witz-Kultur“ der gleichzeitigen Spätaufklärung, ihre Diskurse und Institutionen (Universitäten und Wissenschaftsbetrieb, Kirchen, Zeitschriften, Buchmarkt), die das Projekt der „Mündigkeit“ als gottgewollter „Natur“ des Menschen fortsetzt, es über den „Gebrauch der Vernunft“ hinaus in den Bereich der (nun aufgewerteten) Affekte ausdehnt, Entdeckung und Proklamation der Individualität vorantreibt (von Personen („Genie“) und von Kulturen („Volks“-Kulturen) und in der „Genie“-Ästhetik artikuliert, in betonter Subjektivierung und Affektivierung des Ausdrucks, mit potentiell politischen Implikationen und Folgen. Goethe als (unfreiwilliger) Prophet, Protagonist – und Kritiker.

4 Goethe und Herder in Straßburg (und Sessenheim), 1770/71:
Von deutscher Baukunst 1772 Goethe und Herder in Straßburg (und Sessenheim), 1770/71: Poesie als Natursprache aller Menschen, „Volkslieder“ (Sah ein Knab) Shakespeare Ossian Von deutscher Art und Kunst

5 Goethe, Prometheus (Hymne und Dramenfragment) / Ganymed (1772/74)
Anthony Earl of Shaftesbury: A Letter concerning Enthusiasm (ins Deutsche übersetzt von Goethes Freund Johann Heinrich Merck) „Nature is […] the universal One.“„The poet is a second maker, a just Prometheus under Jove.“

6 Seht den Felsenquell Freudehell Wie ein Sternenblick
Seht den Felsenquell Freudehell Wie ein Sternenblick! Über Wolken Nährten seine Jugend Gute Geister Zwischen Klippen im Gebüsch. Jünglingsfrisch Tanzt er aus der Wolke Auf die Marmorfelsen nieder Jauchzet wieder Nach dem Himmel Durch die Gipfelgänge Jagt er bunten Kieseln nach, Und mit frühem Führertritt Reißt er seine Bruderquellen Mit sich fort. Johann Wolfgang Goethe Mahomets Gesang (1772/73)

7 Drunten werden in dem Tal Unter seinem Fußtritt Blumen Und die Wiese Lebt von seinem Hauch.
Doch ihn hält kein Schattental Keine Blumen Die ihm seine Knie umschlingen Ihm mit Liebesaugen schmeicheln Nach der Ebne dringt sein Lauf Schlangewandelnd. Bäche schmiegen Sich gesellig an Nun tritt er In die Ebne silberprangend Und die Ebne prangt mit ihm Und die Flüsse von der Ebne Und die Bäche von Gebürgen Jauchzen ihm und rufen: Bruder!

8 Bruder nimm die Brüder mit Mit zu deinem Alten Vater Zu dem ewgen Ozean Der mit ausgespannten Armen Unser wartet Die sich ach vergebens öffnen Seine Sehnenden zu fassen Denn uns frißt in öder Wüste Gierger Sand Die Sonne droben Saugt an unserm Blut Ein Hügel Hemmet uns zum Teiche! Bruder! Nimm die Brüder von der Ebne Nimm die Brüder von Gebürgen Mit zu deinem Vater mit. →

9 Kommt ihr alle! – Und nun schwillt er Herrlicher, ein ganz Geschlechte Trägt den Fürsten hoch empor Und im rollenden Triumphe Gibt er Ländern Namen, Städte Werden unter seinem Fuß Unaufhaltsam rauscht er über Läßt der Türme Flammengipfel Marmorhäuser eine Schöpfung Seiner Fülle hinter sich. Zedernhäuser trägt der Atlas Auf den Riesenschultern, sausend Wehen über seinem Haupte Tausend Segel auf zum Himmel Seine Macht und Herrlichkeit.

10 Und so trägt er seine Brüder Seine Schätze seine Kinder Dem erwartenden Erzeuger Freudebrausend an das Herz. Zuerst veröffentlicht im Göttinger Musenalmanach 1774 als Gesang.

11 Fluss und Ozean / Himmel Genie und Natur
Drei Themen-Kreise: Mahomet und Allah Fluss und Ozean / Himmel Genie und Natur Nähe und Distanz zu Goethes großen Sturm-und-Drang-Hymnen – und zu Fausts Rede vom Wassersturz Gang des Dialogs: der Fluss von der Quelle zur Mündung die Verse von ungeregelten zu gleichmäßig-vierhebigen Trochäen der Weg des Propheten von Mekka nach Medina – als angedeuteter Entwicklungsgang der Weg des Schreibers selbst durch den Sturm und Drang und darüber hinaus

12 Der junge Goethe studiert gleich nach dem
Pietismus den Islam Erste Koran-Studien 1771/72, nach der deut- schen Übersetzung Die türkische Bibel des Frankfurters David Friedrich Megerlin (dem „elenden Machwerk“) und Ludovico Marracios arabisch-lateinischer Ausgabe (1698/1721). Gleichzeitig Studien zu Mohammeds Leben nach Jean Gagnier, La vie de Mahomet (1732). Herbst 1772 – Frühjahr 1773 Ausarbeitung von Teilen eines Mahomet Dramas, spätestens Sommer 1774 Abbruch des Projekts. Im selben Jahr der Gesang im Göttinger Musenalmanach. 1789 Aufnahme des Gesangs in die Schriften, u. d. T. Mahomets Gesang. 1814 erinnernder Bericht über das Drama am Ende des 14. Buchs von Dichtung und Wahrheit.

13 Aus Dichtung und Wahrheit, 14. Buch:
Nach der Rheinreise mit Lavater und Basedow …wurde der Gedanke rege, daß freilich der vorzügliche Mensch das Göttliche, was in ihm ist, auch außer sich verbreiten möchte. Dann aber trifft er auf die rohe Welt, und um auf sie zu wirken, muß er sich ihr gleichstellen; hierdurch aber vergibt er jenen hohen Vorzügen gar sehr, und am Ende begibt er sich ihrer gänzlich. Das Himmlische, Ewige wird in den Körper irdischer Absichten eingesenkt und zu vergänglichen Schicksalen mit fortgerissen. … Weil ich nun aber alle Betrachtungen dieser Art bis aufs Äußerste verfolgte und über meine enge Erfahrung hinaus nach ähnlichen Fällen in der Geschichte mich umsah, so ent-wickelte sich bei mir der Vorsatz, an dem Leben Mahomets, den ich nie als einen Betrüger hatte ansehn können, jene von mir in der Wirklichkeit so lebhaft angeschauten Wege, die anstatt zum Heil, vielmehr zum Verderben führen, dramatisch darzustellen. Ich hatte kurz vorher das Leben des orientalischen Propheten mit großem Interesse gelesen und studiert, und war daher, als der Gedanke mir aufging, ziemlich vor-bereitet.

14 Das Ganze näherte sich mehr der regelmäßigen Form, zu der ich mich schon wieder hinneigte, ob ich mich gleich der dem Theater einmal errungenen Freiheit, mit Zeit und Ort nach Belieben schalten zu dürfen, mäßig bediente. Das Stück fing mit einer Hymne an, welche Mahomet allein unter dem heiteren Nachthimmel anstimmt. Erst verehrt er die unendlichen Gestirne als eben so viele Götter; dann steigt der freundliche Stern Gad (unser Jupiter) hervor, und nun wird diesem, als dem König der Gestirne, ausschließliche Verehrung gewidmet. Nicht lange, so bewegt sich der Mond herauf und gewinnt Aug‘ und Herz des Anbetenden, der sodann, durch die hervortretende Sonne herrlich erquickt und gestärkt, zu neuem Preise aufgerufen wird. Aber dieser Wechsel, wie erfreulich er auch sein mag, ist dennoch beunruhigend, das Gemüt empfindet, daß es sich nochmals überbieten muß; →

15 es erhebt sich zu Gott, dem Einzigen, Ewigen, Unbegrenzten, dem alle diese begrenzten herr-lichen Wesen ihr Dasein zu verdanken haben. Diese Hymne hatte ich mit viel Liebe gedichtet; sie ist verloren gegangen, würde sich aber zum Zweck einer Kantate wohl wieder herstellen lassen und sich dem Musiker durch die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks empfehlen. Man müßte sich aber, wie es auch damals schon die Absicht war, den Anführer einer Karawane mit seiner Familie und dem ganzen Stamme denken, und so würde für die Abwechselung der Stimmen und die Macht der Chöre wohl gesorgt sein.

16 Mahomet Feld. Gestirnter Himmel
Mahomet (allein) Teilen kann ich euch nicht dieser Seele Gefühl. Fühlen kann ich euch nicht allen ganzes Gefühl. Wer, wer wendet dem Flehen sein Ohr? Dem bittenden Auge den Blick. Sieh er blinket herauf Gad der freundliche Stern [d. i. der Jupiter]. Sei mein Herr du! Mein Gott. Gnädig winkt er mir zu! Bleib! Bleib! Wendst du dein Auge weg. Wie? liebt ich ihn, der sich verbirgt? Sey gesegnet o Mond! Führer du des Gestirns. Sei mein Herr du mein Gott! Du beleuchtest den Weg. Laß! Laß! Nicht in der Finsternis! Mich! Irren mit irrendem Volk. Sonn dir glühenden weiht sich das glühende Herz. Sei mein Herr du mein Gott! Leit allsehende mich. Steigst auch du hinab herrliche! Tief hüllet mich Finsternis ein. Hebe liebendes Herz dem Erschaffenden dich! Sei mein Herr du! mein Gott! Du allliebender du! Der die Sonne den Mond und die Stern schuf, Erde und Himmel und mich.

17 Koran, 6. Sure, 74-79: Als Abraham zu seinem Vater Azar sprach: „Nimmst du Standbilder dir zu Göttern? Siehe, dich und dein Volk sehe ich in klarem Irrtum!“ So zeigten wir Abraham die Herrschaft über die Himmel und die Erde, damit er zu den Überzeugten [= den Gläubigen] gehöre. Als die Nacht über ihn hereinbrach, sah er einen Stern und sprach: „Das ist mein Herr!“ Als er aber unterging, da sprach er: „Ich liebe nicht die Untergehenden!“ Als er den Mond aufgehen sah, da sprach er: „Das ist mein Herr!“ Als er aber unterging, da sprach er: „Wenn mich mein Herr nicht leitet, gehöre ich zu den Menschen, die vom Wege abirren.“ Und als er die Sonne aufgehen sah, da sprach er: „Das ist mein Herr, denn das ist größer!“ Als sie aber unterging, da sprach er: „Mein Volk, ich habe nichts zu schaffen mit dem, was ihr beigesellt. Siehe, ich wende mich, als wahrer Gläubiger, Dem zu, der die Himmel und die Erde erschaffen hat. Und ich bin keiner von den Beigesellern [= Götzendienern].“

18 Halima (seine Pflege Mutter zu ihm) Mahomet.
Mahomet Halima. O daß sie mich in diesen glückseligen Empfindungen stören muß. Was willst du mit mir Halima. [Vgl. Faust / Wagner!] Halima Ängstige mich nicht lieber Sohn, ich suche dich von Sonnen Untergang. Setze deine zarte Jugend nicht den Gefahren der Nacht aus. Mahomet Der Tag ist über dem Gottlosen verflucht wie die Nacht. Das Laster zieht das Unglück an sich, wie die Kröte den Gift, wenn Tugend unter eben dem Himmel gleich einem heilsamen Amulett die gesundeste Atmosphäre um uns erhält. Halima So allein auf dem Felde, das keine Nacht für Räubern sicher ist. Mahomet Ich war nicht allein. Der Herr, mein Gott hat sich freundlichst zu mir genaht. Halima Sahst du ihn. Mahomet Siehst du ihn nicht? an jeder stillen Quelle, unter jedem Blühen-den Baum begegnet er mir in der Wärme seiner Liebe. Wie dank ich ihm er hat meine Brust geöffnet, die harte Hülle meines Herzens weggenom-men, daß ich sein Nahen empfinden kann.

19 Halima Du träumst! Könnte deine Brust eröffnet worden sein, und du leben.
Mahomet Ich will für dich zu meinem Herren flehen daß du mich ver-stehen lernst. Halima Wer ist dein Gott Hobal oder Al Fatas. Mahomet Armes, unglückliches Volk das zum Steine [der noch heidni-schen Kaaba] ruft ich liebe dich, und zum Ton [dem töneren Götzenbild] sei du mein Beschützer. Haben sie ein Ohr fürs Gebet, haben sie einen Arm zur Hülfe. Halima Der in dem Stein wohnt, der um den Ton schwebt vernimmt mich, seine Macht ist groß. Mahomet Wie groß kann sie sein? es stehn dreihundert neben ihm [in Mekka], jedem raucht ein flehender Altar. Wenn ihr wider eure Nachbarn betet, und eure Nachbarn wider euch, müssen nicht eure Götter wie kleine Fürsten deren Grenzen verwirrt sind, mit unauflöslicher Zwie-tracht sich wechselsweise die Wege versperren. Halima Hat dein Gott denn keine Gesellen. Mahomet Wenn er sie hätte könnt er Gott sein.

20 Halima Wo ist seine Wohnung?
Mahomet Überall. Halima Das ist nirgends. Hast du Arme den ausgebreiteten zu fassen. Mahomet Stärkere brennendere als diese, die für deine Liebe dir danken. Noch nicht lange daß mir ihr Gebrauch verstattet ist. Halima, mir war‘s wie dem Kinde das ihr in enge Windlen schränkt, ich fühlte in dunkler Einwickelung Arme und Füße, doch es lag nicht an mir mich zu befreien. Erlöse du mein Herr, das Menschengeschlecht von seinen Banden, ihre innerste Empfindung sehnt sich nach dir. Halima (vor sich) Er ist sehr verändert. Seine Natur ist umgekehrt, sein Verstand hat gelitten. Es ist besser ich bring ihn seinen Verwandten jetzo zurück, als daß ich die Verantwortung schlimmer Folgen auf mich lade. Goethe in „Dichtung und Wahrheit“, 1814: Nachdem sich also Mahomet selbst bekehrt, teilt er diese Gefühle und Gesinnungen den Seinigen mit; seine Frau [Fatema] und Ali [sein Schwiegersohn] fallen ihm unbedingt zu. Im zweiten Akt versucht er selbst, heftiger aber Ali, diesen Glauben in dem Stamme weiter auszubreiten. Hier zeigt sich Bestimmung und Widersetzlichkeit, nach Verschiedenheit der Charaktere.

21 Der Zwist beginnt, der Streit wird gewaltsam, und Mahomet muß ent-fliehn. Im dritten Akt bezwingt er seine Gegner, macht seine Religion zur öffentlichen, reinigt die Kaaba von den Götzenbildern; weil aber doch nicht alles durch Kraft zu tun ist, so muß er auch zur List seine Zuflucht nehmen. Das Irdische wächst und breitet sich aus, das Göttliche tritt zurück und wird getrübt. Im vierten Akt verfolgt Mahomet seine Eroberungen, die Lehre wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkbaren Mittel müssen benutzt werden; es fehlt nicht an Grausamkeiten. Eine Frau, deren Mann er hat hinrichten lassen, vergiftet ihn. Im fünften [Akt] fühlt er sich vergiftet. Seine große Fassung, die Wiederkehr zu sich selbst, zum höheren Sinne, machen ihn der Bewunderung würdig. Er reinigt seine Lehre, befestigt sein Reich und stirbt. ... Alles, was das Genie durch Charakter und Geist über die Menschen vermag, sollte dargestellt werden, und wie es dabei gewinnt und verliert. Mehrere einzuschaltende Gesänge wurden vorläufig gedichtet: von denen ist allein noch übrig, was überschrieben Mahomets Gesang unter meinen Gedichten steht. Im Stücke sollte Ali, zu Ehren seines Meisters, auf dem höchsten Punkte des Gelingens diesen Gesang vortragen, kurz vor der Umwendung, die durch das Gift geschieht.

22 Ali: Seht den Felsenquell Freudehell, Wie ein Sternenblick!
Fatema: Über Wolken Nährten seine Jugend Gute Geister, Zwischen Klippen Im Gebüsch. Ali: Jünglingsfrisch Tanzt er aus der Wolke Auf die Marmorfelsen nieder, Jauchzet wieder Nach dem Himmel. Fatema: Durch die Gipfelgänge Jagt er bunten Kieseln nach. Ali: Und mit festem Führertritt Reißt er seine Brüderquellen Mit sich fort. [Usf.] Goethe contra Voltaire (Mahomet, 1741)

23 Goethe in Wetzlar, 1772 Wetzlar

24 Ein Leipziger Studienfreund in Wetzlar: Carl Wilhelm Jerusalem
(1747 – Freitod am 29./ mit Kestners Pistole, Lessings Emilia auf dem Tisch) Philosophische Aufsätze von Karl Wilhelm Jerusalem, hg. von G. E. Lessing (gegen Goethe!), Braunschweig 1776.

25 Werther, erste Fassung 1774, die Werther-mode
Werther, erste Fassung 1774, die Werther-mode. Überarbeitete zweite Fassung 1775: Jeder Jüngling sehnt sich, so zu lieben, Jedes Mädchen, so geliebt zu sein; Ach, der heiligste von unsern Trieben, Warum quillt aus ihm die grimme Pein? Du beweinst, du liebst ihn, liebe Seele, Rettest sein Gedächtnis von der Schmach; Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle: Sei ein Mann, und folge mir nicht nach.

26 Werthers prätendierte Freiheit; sein Selbstbild als prometheisches Genie – und als neuer Ganymed im Einklang mit der göttlichen All-Natur: „Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt! [Ein solcher Mensch] bildet dann auch seine Welt aus sich selbst.“ ästhetisch: „Natur“ vs. „Regeln“ politisch: „Genie“ vs. „Gesellschaft“ (die als Klassengesellschaft erfahren und, vorrevolutionär, kritisiert wird) „Natur“ und „Liebe“ – wie im Mailied (Maifest)

27 Welt-Kollaps und Ich-Verlust:
„Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt! versus: „Wie ausgetrocknet meine Sinne werden; nicht einen Augenblick der Fülle des Herzens, nicht eine selige Stunde! nichts! nichts! Ich stehe wie vor einem Raritätenkasten und sehe die Männchen und Gäulchen [Pferdchen] vor mir herumrücken und frage mich oft, ob es nicht optischer Betrug ist. Ich spiele mit, vielmehr, ich werde gespielt wie eine Marionette“. Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621)

28

29 Samuel Richardson, Pamela (1740)
J. F. Gellert, Das Leben der schwedischen Gräfin von G*** (1747/48) Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771)

30 „Die Lage an einem Hügel ist sehr interessant, und wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorf herausgeht, übersieht man auf einmal das ganze Tal … und dahin lass‘ ich mein Tischchen aus dem Wirtshause bringen und meinen Stuhl, trinke meinen Kaffee da, und lese meinen Homer.“

31 „Klopstock!”

32 aus Klopstocks Die Frühlingsfeier (1764)
[…] Seht ihr den Zeugen des Nahen den zückenden Strahl? Hört ihr Jehovas Donner? Hört ihr ihn? Hört ihr ihn, Den erschütternden Donner des Herrn? [...] Ach! schon rauscht, schon rauscht Himmel, und Erde vom gnädigen Regen! Nun ist, wie dürstete sie! die Erd‘ erquickt, Und der Himmel der Segensfüll‘ entlastet! Siehe, nun kömmt Jehova nicht mehr im Wetter, In stillem, sanftem Säuseln Kömmt Jehova, Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens!

33 Werther als Übersetzer und Vorleser: der Text vor dem schicksalhaften Kuss
(Ossians Fingal, hier das Titelkupfer der Erstausgabe – zwischen Inspiration und schöpferischer Phantasie)

34 “Such, Fingal, were thy word, but thy words I hear no more
“Such, Fingal, were thy word, but thy words I hear no more. Sightless I sit by the tomb.” “... but gods are not necessary when the poet has genius.” Macpherson

35 James Macpherson ( ) Ich versichere, dass ich niemals übersetzen würde, was ich nicht auch selber gedichtet haben könnte. … Die meine Aufrichtig-keit bezweifelten, haben meinem Genie ein Kompliment gemacht. Michael Denis (Barde Sined) Der Übersetzer glaubt noch Ossians Echtheit, obwohl er sich … freuen müsste, wenn dieses Jahrhundert einen solchen Genius hervorge-bracht hätte. Johann Gottfried Herder: Über Ossian und die Lieder alter Völker. (1773)

36 Keltisches, Englisches: Cath-Loda. A Poem
Duth-maruno, arm of death! Cormmaglas, of iron shields! Struthmor, dweller of battle’s wing! Cormar, whose ships bound on seas, careless as the course of a meteor, on dark streaming clouds! Arise, around me, children of heroes, in a land unknown. Let each look on his shield, like Trenmor, the ruler of battles. “Come down”, said the king, “thou dweller between the harps. Thou shalt roll this stream away, or dwell with me in earth.” Around him they rose in wrath. – No words came forth: they seized theirs spears. Each soul is rolled into itself. – At length the sudden clang is waked, on all their echoing shields. – Each took his hill, by night; at intervals, they darkly stood. … – Broad over them rose the moon.

37 Werther: Stern der dämmernden Nacht, schön funkelst du in Westen, hebst dein strahlend Haupt aus deiner Wolke, wandelst stattlich deinen Hügel hin. Wonach blickst du auf die Heide? Die stürmen-den Winde haben sich gelegt; von ferne kommt des Gießbachs Murmeln; rauschende Wellen spielen am Felsen ferne; das Gesumme der Abendfliegen schwärmet übers Feld. … Erscheine, du herrliches Licht von Ossians Seele! Und es erscheint in seiner Kraft. Ich sehe meine geschiedenen Freunde, sie sammeln sich auf Lora, wie in den Tagen, die vorüber sind. – Fingal kommt wie eine feuchte Nebelsäule; um ihn sind seine Helden, und, siehe! … Da trat Minona hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeschlagenem Blick und tränenvollem Auge, schwer floß ihr Haar im unsteten Winde, der von dem Hügel herstieß – düster ward‘s in der Seele der Helden, als sie die liebliche Stimme erhob; … aber ringsum zog sich die Nacht.

38 …vgl. Goethes Willkommen und Abschied, 2. Strophe: Der Mond von seinem Wolkenhügel, Schien kläglich aus dem Duft hervor; Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer – Doch tausendfacher war mein Mut; Mein Geist war ein verzehrend Feuer, Mein ganzes Herz zerfloss in Glut.

39 Suizid nach literarischer Vorlage:
„Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. … Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. … Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufgeschlagen.“

40 30. November: „Vater. den ich nicht kenne
30. November: „Vater! den ich nicht kenne! Vater, der sonst meine Seele ganz füllte und nun sein Angesicht von mir gewendet hat! rufe mich zu dir! schweige nicht länger!“ Jesu Gebet im Garten Gethsemane. 21. Dezember zu Lotte: „Es ist nicht Verzweiflung, es ist Gewißheit, [...] daß ich mich opfere für dich.“ 22. Dezember: „Ich gehe voran! Zu mei-nem Vater, zu deinem Vater. Dem will ichs klagen, und er wird mich trösten bis du kommst...“ Jesu Abschiedsreden an seine Jünger. Am letzten Abend läßt sich Werther Brot und Wein bringen: Das letzte Abendmahl – aber nun ganz allein. Werthers (Johannes-) Passion

41 Werthers letzte Aufzeichnungen, an Wilhelm:
„Liebe Mutter, verzeiht mir! Tröste sie Wilhelm!“ Jesus am Kreuz, zu dem Jünger Johannes und Maria: „Sohn, siehe, deine Mutter! Mutter, siehe, dein Sohn!“ Letzte Aufzeichnungen, an Lotte: „Ich schaudere nicht, den kalten schrecklichen Kelch zu fassen, aus dem ich den Taumel des Todes trinken soll! Du reichtest ihn mir und ich zage nicht.“ Nochmals Gethsemane. Letzte Worte des „Herausgebers“: „Kein Geistlicher hat ihn begleitet.“ Werthers (Johannes-) Passion

42 Werther: Leben und Sterben eines „Originalgenies“ –
in Texten Werther schreibt Briefe wie bei Richardson und Bekenntnisse wie die Pietisten, erlebt die Natur wie Homer, fühlt sich als Genie wie bei Shaftesbury, liebt mit Klopstock, leidet mit Macphersons Ossian, begeht Selbstmord nach Lessing und wird begraben nach dem Johannes-Evangelium.


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