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Heinrich-Böll-Stiftung: Frankfurt, den

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Präsentation zum Thema: "Heinrich-Böll-Stiftung: Frankfurt, den"—  Präsentation transkript:

1 Heinrich-Böll-Stiftung: Frankfurt, den 28.8.2017
Die soziale Dimension der Europäischen Union - Zwischen Anspruch und Wirklichkeit Walter Hanesch Hochschule Darmstadt Heinrich-Böll-Stiftung: Frankfurt, den

2 Übersicht Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Von der Lissabon Strategie zur Europa 2020 Strategie Europäische Steuerung: Das Europäische Semester Die Europäische Säule sozialer Rechte Problemstellungen der Harmonierung der Sozialpolitik in der EU Beispiel1: Europäische Arbeitslosenversicherung Beispiel 2: Europäische Mindestsicherung Ausblick: Die Zukunft der sozialen Dimension

3 Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften war von Anfang an ein ökonomisches Projekt zur Förderung der Wirtschaft der Mitgliedsstaaten durch Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums. Dabei waren wie Mitgliedstaaten mehrheitlich der Auffassung, dass sich die prinzipiell von ihnen angestrebte Verbesserung und Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch das Wirken des Gemeinsamen Marktes ergeben werde. Die Europäische Sozialpolitik war eng auf den Faktor Arbeit bezogen: Im Mittelpunkt stand das sog. Freizügigkeitsrecht, das - in Ergänzung zum freien grenzüberschreitenden Waren- und Kapitalverkehr - den freien Verkehr von Arbeitskräften sichern soll. Allerdings ist dieser Bereich stärker vom EUGH als von den politischen Gremien der EU vorangetrieben worden. Generell war und ist die Sozialpolitik in der EU bestimmt durch das Primat der nationalen Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Erst seit den 1990er Jahren ist im Zuge der EU-Gründung die vertragliche Basis der Europäischen Sozialpolitik verändert und ihr Kompetenzbereich schrittweise erweitert worden (Maastrichter Vertrag von 1992, Amsterdamer Vertrag von 1997, Vertrag von Nizza 2001 und Lissabon 2007).

4 Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Gemäß dem derzeit geltenden Vertrag über die Arbeitsweise der EU verfolgen die EU und die Mitgliedsstaaten eine Reihe von gemeinsamen sozialpolitischen Zielen (§151 AEVG):  die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Zur Verwirklichung dieser Ziele unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten - unter Berücksichtigung der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten.

5 Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Zur Verwirklichung der genannten Ziele können in bestimmten Bereichen heute bereits „schrittweise anzuwendende Mindestvorschriften“ mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden: Die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der ArbeitnehmerInnen; Die Arbeitsbedingungen; Die Unterrichtung und Anhörung der ArbeitnehmerInnen; Die berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen; Die Chancengleichheit von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz. In einigen anderen Bereichen ist nach wie vor die Einstimmigkeiterforderlich, was Entscheidungen erschwert: Die soziale Sicherheit und der soziale Schutz der ArbeitnehmerInnen, Der Schutz von AN bei Beendigung des Arbeitsvertrages, Die Vertretung und kollektive Wahrnehmung der AN-Interessen (einschließlich der Mitbestimmung) Die Beschäftigungsbedingungen von Drittstaatsangehörigen. Von einer gemeinschaftlichen EU-Sozialregulierung ausgenommen sind bis heute 4 Bereiche: Das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht. Auch zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und zur Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes darf die EU keine Rechtsvorschriften erlassen.

6 Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Ergänzt werden diese Politikfelder durch die Europäischen Strukturfonds Diese bilden einen Mechanismus der Mittelumverteilung innerhalb der EU von begrenztem Umfang (gegenwärtig ein Drittel des EU-Etats). Sie stellen ein weiteres Instrumentarium dar, mit dem eine Angleichung der Lebensbedingungen innerhalb der EU gefördert werden soll. Dabei werden mit dem Europäischen Sozialfonds insbes. Maßnahmen zur Förderung des Humankapitals und zur sozialen Eingliederung gefördert. Die wichtigste Grenze der EU-Sozialpolitik bilden die unterschiedlichen nationalen Sicherungssysteme: Mit der Verabschiedung von Mindeststandards kann lediglich eine gemeinsame Untergrenze eingezogen werden, um die Gefahr von Sozialdumping zu vermeiden. Zudem darf die finanzielle Stabilität der Mitgliedsstaaten nicht gefährdet werden. Schwerpunkt der Europäischen Sozialpolitik bleibt die Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten durch den Austausch von Informationen und Erfahrungen im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung (OMK).

7 Sozialpolitik in den Europäischen Verträgen
Die OMK Soziales beinhaltet ein freiwilliges Verfahren der politischen Abstimmung und der verstärkten Kooperation der Mitgliedstaaten Im Rahmen der OMK einigen sich die Mitgliedstaaten freiwillig auf gemeinsame soziale Ziele in den genannten Bereichen, messen anhand von Indikatoren, ob und wie die Ziele erreicht wurden und gehen entsprechende Berichtspflichten ein. Ergänzend zur Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik wird sie angewandt in den drei Bereichen: Sozialschutz und soziale Eingliederung, Alterssicherung sowie Gesundheit und Langzeitpflege.

8 Von der Lissabon Strategie zur Europa 2020 Strategie
Mit der Proklamation der Lissabon-Strategie im Jahr 2000 wurde die Sozialpolitik als gleichberechtigter Zielbereich dieser Strategie definiert und erstmals eine sozialpolitische Agenda formuliert. Diese Agenda umfasste als Ziele die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen (europäische Beschäftigungspolitik), ein neues Gleichgewichts zwischen Flexibilität und Sicherheit in den Arbeitsbeziehungen (Flexicurity), die Bekämpfung von Ausgrenzung und Diskriminierung, die „Modernisierung des Sozialschutzes“, die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen (Gleichstellungspolitik) Da in vielen der genannten Bereiche die EU nur über wenig unmittelbare Kompetenzen verfügt, war die Umsetzung der Europäischen Sozialagenda im Wesentlichen ein Anwendungsbereich für die OMK. Am Ende des Jahrzehnts gab die Kommission in ihrer Bilanz zur Lissabon-Strategie zwar zu, dass die Ziele der Lissabon-Strategie bei weitem nicht erreicht wurden. Letztlich sei es der unerwartete Einbruch der globalen Finanz- und Wirtschafskrise 2007 – 2009 gewesen, der die erreichten Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit und Bekämpfung der Armut zunichte gemacht habe.

9 Von der Lissabon-Strategie zur Europa 2020 Strategie
Die heute geltende Strategie „Europa 2020“ der EU für Wachstum und Beschäftigung wurde beschlossen. Sie verfolgt die übergreifende Zielsetzung, bis 2020 ein intelligentes, nachhaltiges uns integratives Wirtschaftswachstum in der EU voranzutreiben: Unter integratives Wachstum ist die Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und ausgeprägtem sozialen und territorialen Zusammenhalt zu verstehen. Dazu wurden eine Reihe von Leitinitiativen formuliert und 5 Kernziele operationalisiert. Der Fortschritt in der Umsetzung wird jährlich anhand nationaler Berichte und einem Set von Indikatoren überprüft (Nationales Reformprogramm, strategische Sozialberichterstattung). EU 2020 hält weiter an der Orientierung auf »mehr Wettbewerbsfähigkeit« durch Liberalisierung und Privatisierung im EU- Binnenmarkt und die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte fest. So geht es bei der „Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten“ weiterhin um eine »Modernisierung der Arbeitsmärkte« nach dem Flexicurity-Ansatz und die „Nachhaltigkeit der Sozialmodelle“ durch weitere marktorientierte „Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme“. Die „Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut“ wurde durch eine Verwässerung des Armutsbegriffs von vornherein ausgehebelt. Was die soziale Dimension betrifft, ist heute bereits erkennbar, dass die sozialen Ziele bis 2020 nicht erreicht werden können. (Vgl. dazu: Europäische Kommission (2017), Sozialpolitisches Scoreboard Indikatoren für Kernziele: Beschreibung und Highlights, Luxemburg)

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11 Stand der Umsetzung (Beispiel Armutsziel)
Strategie „Europa 2020“: Stand der Umsetzung (Beispiel Armutsziel) Umsetzungsebenen EU-Armutsziel: Verringerung der Zahl der von „Armut und soziale Ausgrenzung“* Betroffenen um 20 Mio. Personen im Zeitraum 2008 (Ausgangsgröße) 2015 (aktueller Stand) (Veränderung absolut) 2018 (Zielgröße) (Veränderungs-bedarf absolut) Europäische Union 115,9 Mio. Pers. 118,8 Mio. Pers. (+ 2,9 Mio.) 95,9 Mio. Pers. - 22,9 Mio.) Deutschland 16,3 Mio. Pers. 16,1 Mio. Pers. (- 0,2 Mio.) (-)** Auf der Basis von 3 Indikatoren: (Einkommensarme, Personen mit erheblicher materieller Entbehrung, Personen in Haushalten mit geringer Erwerbsbeteiligung) ** Abweichende nationale Zielsetzung (Verringerung der Zahl der in Haushalten von Langzeiterwerbslosen lebenden Personen von 2008 um 20%, das entspricht etwa um Personen (LF-Konzept)) Datenquelle: Eurostat (EU-SILC)

12 Europäische Steuerung: Das Europäische Semester
Seit 2011 hat die Europäische Union einen jährlichen Zyklus der politischen Koordinierung eingerichtet, das „Europäische Semester“. In diesem Prozess werden die Anforderungen der Europa 2020 Strategie einerseits mit denen des „Stabilitäts- und Wachstumspakts“ bzw. des Fiskalpakts andererseits abgestimmt und umgesetzt. Während der “Stabilitäts- und Wachstumspakt“ die wirtschafts- und finanzpolitische Steuerung innerhalb der Eurozone umfasst, wurde der „Fiskalpakt“ als Folge der Wirtschafts- und Währungskrise im Jahr 2012 von 25 EU-Mitgliedsstaaten vereinbart: Die Staaten des Stabilitätspakts verpflichten sich, ihren Staatshaushalt auszugleichen (Höhe des jährlichen konjunkturbereinigten Haushaltsdefizits maximal 0,5% ihres BIP) und ihre Verschuldungen zu begrenzen (öffentlichen Verschuldung maximal 60 % ihres BIP). Mitgliedsstaaten, die die Regeln verletzen, können sanktioniert werden. Das Europäische Semester umfasst jährlich einen sechsmonatigen Prozess: Die EU-Mitgliedsstaaten legen jährlich neben dem NRP ein Stabilitätsprogramm (Eurozone) bzw. einKonvergenzprogramm (übrige Mitgliedsstaaten) vor. Die Kommission formuliert auf der Basis einer Analyse der wirtschafts-, haushalts-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Reformpläne der Mitgliedsstaaten länderspezifische Empfehlungen für die nächsten 12 bis 18 Monate. Länder, die die stabilitätspolitischen Kriterien verfehlen, müssen mit Sanktionen durch den Rat für Wirtschaft und Finanzen rechnen.

13 Europäische Steuerung: Das Europäische Semester
Durch die enge Koppelung von längerfristig ausgerichteter Europa 2020 Strategie und kurzfristig orientiertem Fiskalpakt haben sich die politischen Prioritäten verschoben: Die Ziele der Europa 2020 Strategie sind in den letzten Jahren immer stärker durch den Vorrang der fiskalischen Vorgaben des Stabilitätspakts überlagert worden. Die Länder, die am stärksten von der Krise betroffen wurden, wurden zu einer Austeritätspolitik in Verbindung mit marktorientierten Reformen gezwungen, die mit hohen sozialen Kosten verbunden waren/sind. Die Kürzung sozialer Leistungen hat dazu beigetragen, die soziale Lage zu verschärfen und die politische Kohäsion auf nationaler und auf EU-Ebene in Frage zu stellen. Umgekehrt werden Länder wie Deutschland nicht sanktioniert, die mit ihrem Wachstumsmodell das Gleichgewicht in der Eurozone/EU gefährden (Niedriglohnstrategie, Exportüberschüsse, Budgetüberschüsse). Als Ergebnis ist die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit heute innerhalb der EU wie auch in vielen Mitgliedsstaaten größer denn je zuvor. Aus Sicht vieler Experten ist daher das Krisenmanagement der EU selbst die größte Bedrohung für das europäische Sozialmodell.

14 Die Europäische Säule sozialer Rechte
In der Kommission und bei vielen Experten ist Überzeugung vorherrschend, dass die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die in Ansätzen realisierte Fiskalunion in der Eurozone durch eine stärkere Konvergenz der Sozialpolitik ergänzt werden muss, um die ökonomische und soziale Funktionsfähigkeit zu erhalten. Im Juli 2016 hat die EU-Kommission zu einem Konsultationsprozess zum Thema „Europäische Säule sozialer Rechte“ aufgerufen, der bis Jahresende 2016 andauerte und deren Ergebnisse im April 2017 vorgestellt wurden. Mit dieser Initiative hat die Kommission auf die anhaltende ökonomische Krise der Union und die wachsenden politischen Spannungen innerhalb der Union reagiert. Sie sollte dazu dienen, die soziale Dimension der EU zu stärken und einen Prozess zur weiteren Integration und Konsolidierung der EU einzuleiten. Mit der Säule sollen wesentlicher Grundsätze zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Wohlfahrtssysteme festgelegt werden. Die Säule baut auf dem sozialen Besitzstand der EU auf und ergänzt ihn. Die entsprechenden Grundsätze werden schwerpunktmäßig auf die Bedürfnisse und Herausforderungen des Euro-Raums ausgerichtet. Die fertige Säule soll als Bezugsrahmen für das Leistungsscreening der teilnehmenden Mitgliedstaaten im Beschäftigungs- und Sozialbereich dienen, sie soll Reformen auf nationaler Ebene vorantreiben und insbesondere als Kompass für eine erneute Konvergenz innerhalb des Euro-Raums dienen.

15 Die 20 inhaltlichen Bausteine der Pillar of Social Rights
Fertigkeiten, Bildung, lebenslanges Lernen Integrierte soziale Leistungen und Dienste Flexible und sichere Arbeitsverträge Gesundheitsversorgung und Krankenleistungen Sichere Berufsübergänge Renten und Pensionen Aktive Unterstützung der Beschäftigung Arbeitslosenleistungen Geschlechtergleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben Mindesteinkommen Chancengleichheit Menschen mit Behinderungen Beschäftigungsbedingungen Langzeitpflege Löhne und Gehälter Kinderbetreuung Arbeitsschutz Wohnraum Sozialer Dialog/Einbeziehung der Beschäftigten Zugang zu grundlegenden Leistungen der Daseinsvorsorge

16 European Commission: European Pillar of Social Rights 14. Unemployment benefits: Action to support the unemployed shall include the requirement for active job search and participation in active support combined with adequate unemployment benefits. The duration of benefits shall allow sufficient time for job search whilst preserving incentives for a quick return to employment2. 15. Minimum income: Adequate minimum income benefits shall be ensured for those who lack sufficient resources for a decent standard of living. For those of working age, these benefits shall include requirements for participation in active support to encourage labour market (re)integration.

17 Die Europäische Säule sozialer Rechte
Es werden drei Hauptbereiche unterschieden, denen 20 inhaltliche Bausteine zugeordnet sind: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang (06, rot markiert) Faire Arbeitsbedingung (04, gelb markiert) Angemessener und nachhaltiger Sozialschutz (10, grün markiert) Tatsächlich enthalten die Bausteine zur Europäischen Säule aber lediglich eine Zusammenstellung bereits bestehender sozialer Rechte und Grundsätze. Wichtige Themen wie die Flüchtlingsproblematik bleiben komplett ausgeblendet. Eine strategische Entscheidung, wie sie weiterentwickelt werden sollten, ist nicht erkennbar. Tatsächlich gibt es derzeit kein Klima für soziale Reformen in der EU. Es ist daher nicht erkennbar, wie die Initiative dazu beitragen kann, die sozio- ökonomische und politische Lage in der EU zu verbessern - zumindest solange nicht das Krisenmanagement in der EU mit thematisiert und zur Diskussion gestellt wird.

18 Die Europäische Säule sozialer Rechte
Mit der “Sozialen Säule” geht die Kommission einen riskanten Weg: Zwar gehen die Vorschläge zu den 20 Bausteinen der Social Pillar kaum über den Status quo hinaus – sie stoßen dennoch auf wenig Begeisterung bei den Mitgliedsstaaten Ländern wie Deutschland gehen die Vorschläge zu weit, da sie durch einen Ausbau des Sozialstaats ihre Weltmarktposition gefährdet sehen Die südeuropäischen Ländern sind enttäuscht, weil für sie keine neuen/verbesserten europäischen Sicherungsnetze eingeführt werden (z.B. Europäische Arbeitslosenversicherung) Oder keine veränderte Lastenverteilung für den Strukturwandel in der EU vorgesehen ist (Eurobonds etc.). Gegenüber den Bürgern in den Mitgliedsstaaten suggeriert die Kommission, die EU werde sich künftig um die Zumutungen der Globalisierung und die Folgen des sozio-ökonomischen Wandels kümmern Tatsächlich hat sie aber in der Sozialpolitik nur wenige Kompetenzen, kann das Versprechen also gar nicht einlösen Damit werden in der Zukunft neue Enttäuschungen provoziert, die die Ablehnung der EU verstärken könnten. Tatsächlich ist die Initiative schnell verpufft und die EU zur Tagesordnung zurückgekehrt: Kurzfristig haben Trump und Brexit der EU geholfen, den politischen Zusammenhalt zumindest vorübergehend zu stärken. Mittelfristig ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ungelösten Strukturprobleme zu neuen ökonomischen und politischen Krisen führen.

19 Problemstellungen der Harmonisierung der Sozialpolitik in der EU
Der geringe Stellenwert der Sozialpolitik in der EU resultiert aus mehreren Gründen: Durch die wiederholten EU-Erweiterungen ist die wirtschaftliche und soziale Lage innerhalb der EU immer heterogener geworden. Die Mitgliedsstaaten sind durch unterschiedliche Wohlfahrtsstaatsmodelle gekennzeichnet. Entsprechend variieren die sozialpolitischen Ziele, Traditionen und Institutionen/Akteure erheblich zwischen den Mitgliedsstaaten. Traditionell bildet die Sozialpolitik ein wichtiges Handlungsfeld zum politischen Machtgewinn und Machterhalt auf nationaler Ebene. Umgekehrt weisen die politischen Institutionen auf EU-Ebene ein gravierendes Demokratiedefizit auf (Doppelte Dominanz der Exekutive). Das Vertrauen der Wähler in diese Insitutionen ist eher gering. Insgesamt ist daher kaum zu erwarten, dass sich die Widerstände gegen eine Erweiterung der sozialpolitischen Kompetenzen auf EU-Ebene verringern werden. Damit wächst allerdings die Diskrepanz zwischen den Anforderungen des Binnenmarkts (EU) bzw. der Wirtschafts- und Währungsunion (Eurozone) einerseits und den beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Sozialpolitik. Die Chance für eine sozial ausgewogene Entwicklung der EU ist geringer denn je...

20 Problemstellungen der Harmonisierung der Sozialpolitik in der EU
Ausgangspunkt von Harmonisierungsstrategien: Die EU-Mitgliedsstaaten weisen eine große Heterogenität auf: Sie sind durch große Unterschiede in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und im Lebensstandard der Bevölkerung charakterisiert. Ihre sozialen Sicherungssysteme variieren im Hinblick auf Ziele und sozialkulturellen Traditionen, Umfangs und der Inhalte von Programmen sowie Institutionen und Akteure in der Sozialpolitik . Schließlich differieren die Erwartungen der Bevölkerung an „ihren“ Sozialstaat Daher gibt es kein einheitliches Europäisches Sozial(staats)modell, sondern Mitgliedsstaaten Auf unterschiedlichen sozio-ökonomischen Entwicklungsniveaus Mit mindestens vier unterschiedliche Sozialstaatsregimes und Eine Angleichung oder gar Vereinheitlichung ist daher kurz- und mittelfristig kaum möglich – selbst wenn alle Mitgliedsstaaten dies wollten! Notwendig ist vielmehr – ausgehend von gemeinsamen Zielen - ein Anpassungsprozess (Konvergenz) Der verschiedenen Sicherungsformen sowie der unterschiedlichen Schutz- und Sicherungsniveaus Die Konvergenz könnte durch eine Harmonisierung einzelner Elemente der sozialen Sicherung eingeleitet werden. Zwei solche Vorschläge möchte ich abschließend skizzieren.

21 Europäische Arbeitslosenversicherung
2014 hat der damalige Sozialkommissar Andor die Einführung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen. Das Projekt wird auch von der jetzigen Kommissarin Theissen unterstützt: Ein solches Modell könnte vorsehen, dass sich die Mitgliedsstaaten (zunächst) der Eurozone auf Mindeststandards für ihre nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme einigen, die in einem zweiten Schritt in einer europäischen Arbeitslosenversicherung eingeführt werden sollte. Jeder Mitgliedsstaat könnte mit seiner nationalen Arbeitslosenversicherung über die Mindeststandards hinausgehen, etwa indem eine höhere Lohnersatzrate oder ein längerer Transferbezug gewährt werden. Insgesamt würde die europäische Versicherung die nationalen Versicherungen teilweise oder ganz ersetzen. Die Finanzierung könnte wie bei den nationalen Systemen über die Sozialversicherungsbeiträge erfolgen, von denen ein Teil an die EU abgeführt und den Bedarfsländern zugeführt werden.  Die EU-Kommission hat bereits eine wissenschaftliche Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse vor kurzem veröffentlicht wurden (CEPS 2017). Die Wissenschaftler haben 18 Varianten untersucht und mehrere Optionen skizziert. Auch das IAB hat Modellrechnungen dazu vorgelegt (2013).

22 Europäische Arbeitslosenversicherung
Bezeichnenderweise wird die Europäische Arbeitslosenversicherung weniger als sozialpolitische Errungenschaft, sondern als Instrument der konjunkturellen Steuerung propagiert. Im Ergebnis würden Regionen im Aufschwung jene in der Rezession alimentieren und so insgesamt die konjunkturellen Einbrüche in der EU dämpfen. Sie würde antizyklisch wirken und damit zur Stabilisierung der Eurozone beitragen. Damit würde ein automatischer Transferfluss zwischen den Mitgliedsstaaten eingeführt, über den dauerhaft Mittel von den wachstums- und konjunkturpolitisch erfolgreicheren an die weniger erfolgreichen Länder fließen würden. Länder wie Deutschland würden vermutlich zu den Dauerzahlern gehören. Widerstand kommt daher vor allem von den potentiellen Geberländern wie Deutschland, das grenzüberschreitende Transfers generell ablehnt IAB: Deutschland müsste ca. 30% des Mittelbedarfs tragen). Widerstand kommt aber auch von liberalen Ökonomen, die die Gefahr betonen, dass der Abbau von struktureller Arbeitslosigkeit durch einen erlahmten Reformwillen erschwert würde – sie fordern daher eine Koppelung an eine Harmonisierung der Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt sehen die Modelle nur eine sehr kurzzeitige Absicherung auf bescheidenem Niveau vor. Der sozialpolitische Schutzeffekt würde sich also in engen Grenzen halten.

23 Europäische Mindestsicherung
Da eine Europäische Arbeitslosenversicherung nur ein kurzzeitiges Sicherungsinstrument darstellt, wird gefordert, den Bereich der Harmonisierung auf eine Europäische Mindestsicherung auszuweiten (Böll Stiftung 2012). Das Modell der Böll Stiftung einer Europäischen Mindestsicherung verfolgt das Ziel, Die bestehenden letzte Netze sozialer Sicherung in allen EU-Ländern armutsfest zu machen und zugleich eine sanfte Harmonisierung der nationalen sozialen Sicherungssysteme im Bereich der Mindestsicherung zu erreichen. Dazu sollte de Europäische Union die Mitgliedstaaten durch Erlass einer entsprechenden Richtlinie zur Einführung/Aufstockung einer (einkommensabhängigen) Mindestsicherung verpflichten, deren Leistungshöhe auf dem Niveau der landesspezifischen Armutsschwelle (60% des Nettoäquivalenzeinkommens) festzusetzen ist. Die Umsetzung und somit die genaue Ausgestaltung, insbesondere in Hinblick auf die detaillierten Anspruchsvoraussetzungen und Bedarfskriterien sowie die Verwaltungsregelungen, würde weiterhin den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Läge die Umsetzung der Mindestrichtlinie zur Gänze in der Verantwortung der Mitgliedstaaten läge, stünde auch der Finanzierungsmodus grundsätzlich zu ihrer Disposition. Je nach derzeitiger Effektivität bei der Armutsbekämpfung würde der nötige Mittelaufwand in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausfallen. Ein europäischer Weg: Durch die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie wird die Umsatzsteuer in der Europäischen Union einheitlich geregelt. Eine moderate Anhebung des Steuersatzes könnte Mittel zur Finanzierung der Mindestsicherung generieren.

24 Europäische Mindestsicherung
Die Autoren sehen viele positive Aspekte: Einkommensarmut würde vermieden und Sozialkürzungen zu Lasten der schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft würden künftig erschwert. In ökonomischen Krisen könnte die Mindestsicherung – wie die Arbeitslosenversicherung - als automatischer Konjunkturstabilisator wirken. Vor allem aber würde mit einer solchen Garantie eine dauerhafte soziale Teilhabe an der Gesellschaft ermöglich. Eine Mindestsicherung wäre somit ein wichtiger Beitrag für eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Friedens in Europa. Sie würde auch dazu beitragen, die Meinung der Bürger/innen zu Europa wieder positiver zu gestalten. Bezeichnenderweise wird ein solcher Vorschlag derzeit in der EU nicht diskutiert. Die Auswirkungen würden weit über die einer Europäischen Arbeitslosenversicherung hinausgehen. Durch das armutsfeste Leistungsniveau und die fehlende Befristung würde der Mittelbedarf sehr hoch ausfallen. Das vorgesehene Leistungsniveau würde den Widerstand der liberalen Ökonomen provozieren (Anreizwirkungen) Allerdings müssten die Leistungsbedingungen einheitlich definiert werden, um Zugangsbarrieren zu vermeiden. Auch hier wäre (für erwerbsfähige Hilfebedürftige) eine Ankoppelung an Aktivierungsprogramme und eine Harmonisierung der Arbeitsmarktpolitik erforderlich. Offen bleibt, ob und wie ein transnationaler Mittelfluss vorgesehen werden könnte/sollte.

25 Ausblick: Die Zukunft der sozialen Dimension
Im März 2017 hat die Kommission ein „Weiß­buch zur Zukunft Euro­pas“ veröffentlicht. Darin werden fünf Sze­na­rien beschrie­ben, wie sich ein geein­tes Europa der 27 Mit­glied­staa­ten bis ent­wi­ckeln könnte Die Bandbreite reicht vom „weiter wie bisher“ über „Schwerpunkt Binnenmarkt“, „wer mehr will, tut mehr“, „weniger, aber effizienter“ bis zu „viel mehr gemeinsames Handeln“. In diesem 5. Szenarium beschließen die Mitgliedsstaaten, Da weder die EU­ noch die europäischen Länder allein ausreichend für die aktuellen Herausforderungen gerüstet sind, in allen Bereichen mehr Machtbefugnisse und Ressourcen zu teilen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Diese Option würde daher einen Ausbau der Kompetenzen der EU auch in der Sozialpolitik beinhalten, auch wenn bezeichnenderweise die Sozialpolitik in den Szenarien nicht ausdrücklich thematisiert wird. Gerade in Deutschland ist diese Option auf entschiedenen Widerstand gestoßen. Tatsächlich scheint derzeit für eine solche Option keine Mehrheit zu existieren. Die Gefahr ist daher groß, dass die sozio-ökonomischen Strukturprobleme der EU ungelöst bleiben. Aber selbst wenn man sich für diese Option entscheiden würde, bleibt die Frage, welche Maßnahmen notwendig bzw. sinnvoll wären. Über prozedurale Entscheidungen allein – ohne Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Fragen – werden sich die Probleme der EU/Eurozone nicht lösen lassen.

26 EU-Kommis-sion: Die fünf Weißbuch-
Szenarien: Überblick nach Politik- bereichen

27 Ausblick: Die Zukunft der sozialen Dimension
Entscheidend für eine Stärkung der sozialen Dimension in Europa ist die Herstellung eines entsprechenden Grundkonsenses der Mitgliedsstaaten. Bis heute ist Deutschland eines der Hauptländer, die sich einer solchen Entwicklung entgegen stellen. Die wirtschafts- und finanzpolitische Dominanz Deutschlands erschwert einen sozialen Kurswechsel auf EU-Ebene. Dies gilt für eine Ausweitung der sozialen Sicherungsfunktion durch eine Europäische Regulierung. Dies gilt aber ebenso für eine Ausweitung des transnationalen Mittelausgleichs. Deutschland ist zwar Hauptrofiteur des Binnenmarkts und der Eurozone, ist aber nicht bereit, sich an den Anpassungslasten seiner europäischen Partner zu beteiligen. Damit bleibt die Gefahr, dass beim weiteren Ausbau der Eurozone die soziale Dimension weiter unterentwickelt bleibt. Auch auf EU-Ebene bleibt die Gefahr, dass ökonomische Krisenregulierungen auch künftig zu Lasten der sozialen Sicherung und auf Kosten der sozial schwächsten Gruppen stattfindet.


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