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Universität Greifswald

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Präsentation zum Thema: "Universität Greifswald"—  Präsentation transkript:

1 Universität Greifswald
Die strafrechtliche Sanktionspraxis sowie rechtliche, rechtstatsächliche und programmatische Entwicklungen einer sozialen Strafrechtspflege in Deutschland Prof. Dr. Frieder Dünkel Universität Greifswald 2008

2 Inhalt Der Begriff „Soziale Strafrechtspflege“ und seine Geschichte
Gegenstandsbereiche: staatliche und freie Straffälligenhilfe Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungs- und Straffälligenhilfe im strafrechtlichen Sanktionensystem Quantitative Entwicklung der Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe 4.1 Bewährungs- und Geldstrafen im Bereich kurzer Sanktionen 4.2 Die Sanktionspraxis bzgl. der Dauer und Aussetzung von Freiheitsstrafen in Deutschland 4.3 Die Entwicklung der Bewährungshilfe/FA 4.4 Zur Effizienz der Bewährungshilfe 5. Die Entwicklung der Sozialen Dienste der Justiz: Neue Aufgaben, neue Strukturen 5.1 Debatten der 1970er und 1980er Jahre 5.2 Die „schleichende“ Revolution in den 1990er Jahren 5.3 Aktuelle Entwicklungen im 21. Jahrhundert

3 6. Organisatorische und programmatische Entwicklungen (Beispiele):
Einheitlicher Sozialer Dienst (Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht) Vernetzung mit dem Strafvollzug, Übergangsmanagement Berufliche Integration 7. Wege und Irrwege: Privatisierung der BewHi? 8. Neue Aufgabenfelder und Methodische Ansätze Täter-Opfer-Ausgleich Gemeinnützige Arbeit Probanden mit negativer Prognose und Risikoprobanden Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe etc. Rechtliche Probleme der Straf- und Strafrestaussetzung Probleme der Prognose: „Verantwortbare Risiken“ Das Mittelfeldproblem und normative Konsequenzen

4 10.1 Risk assessment und die Folgen
10.2 Differenzierte Betreuungs- und Kontrollintensität in Bewährungshilfe und Führungsaufsicht Aktuelle Reformfragen bzgl. des strafrechtlichen Sanktionensystems, insbesondere zur Strafaussetzung zur Bewährung und Führungsaufsicht Ausblick: Desiderate der Reform Rechtliche Regelung des Vollzugs ambulanter Sanktionen BewHi-Gesetz?

5 1. Der Begriff „Soziale Strafrechtspflege“ und seine Geschichte
Baden-Württemberg in den 1970er Jahren: Aus Gefangenenfürsorgevereinen werden Bezirksvereine für soziale Strafrechtspflege „Anlaufstellen“ für Strafentlassene Export in den 1980er Jahren nach Niedersachsen, z. T. NRW Kontext: „Große Strafrechtsreform“ Strafrechtsreformgesetze 1969, 1975 Ausweitung der Strafaussetzung zur Bewährung Einführung der Gerichtshilfe

6 2. Gegenstandsbereiche: staatliche und freie Straffälligenhilfe
Soziale Strafrechtspflege Staatliche und freie Straffälligenhilfe Traditionelle verfahrens- und sanktionsrechtliche Verankerung. Ermittlungsverfahren (vgl. § 160 Abs. 3 StPO): Gerichtshilfe als Ermittlungs- und Haftentscheidungshilfe (gesetzlich stärker verankert im Jugendstrafrecht, vgl. §§ 38, 72a JGG) Beteiligung u. U. auch bei Einstellungen nach § 153a StPO Hauptverfahren: Gerichtshilfe, bei Bewährungswiderruf u. U. Bewährungshilfe

7 Gegenstandsbereiche: staatliche und freie Straffälligenhilfe (2)
Nach dem Urteil (Vollstreckungsverfahren): Bewährungshilfe bei Strafaussetzung Gerichtshilfe bei Geldstrafenvollstreckung und Ersatzfreiheitsstrafenvermeidung , vgl. § 453d StPO, Art. 293 EGStGB und Landesrecht

8 3. Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungs- und
3. Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungs- und Straffälligenhilfe im strafrechtlichen Sanktionensystem

9

10 4. Quantitative Entwicklung der Strafaus-
4. Quantitative Entwicklung der Strafaus- setzung zur Bewährung und Bewährungshilfe Seit 1882 ist die Freiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe rückläufig. Lag der Anteil der FS in den 80er Jahren des 19. Jh. noch bei nahezu 80%, so ging dieser bis 1910 auf 50% zurück, im Verlauf der Weimarer Zeit sank er weiter bis auf ca. 30%, stieg im Nationalsozialismus auf 40% an, und lag in den 1950er und 1960er Jahren konstant bei ca. 20%. Wesentliche Veränderungen brachte das 1. StRG von 1969, durch das die kurze Freiheitsstrafe (vgl. § 47 StGB) zugunsten der Geldstrafe zurückgedrängt wurde. Der Anteil vollstreckter Freiheitsstrafen an den gerichtlichen Verurteilungen liegt seither konstant bei 6%.

11 Quantitative Bedeutung einzelner Sanktionen im Überblick (2)
Die 1953 eingeführte Strafaussetzung zur Bewährung macht ca. 14% der gerichtlichen Sanktionen aus, die Geldstrafe mit ca. 80% ist zur bedeutendsten Sanktion geworden. Die unbedingte Freiheitsstrafe betrifft damit nur ca. 6% der Verurteilten Berücksichtigt man noch die Tatsache, dass inzwischen mehr als 50% aller anklagefähigen Verfahren im Wege der Diversion (Einstellung wegen Geringfügigkeit gem. §§ 153 ff. StPO) erledigt werden, so liegt der Anteil vollstreckter Freiheitsstrafen an allen informell und formell erledigten Verfahren lediglich noch bei 3%. Freiheitsstrafe ist damit tatsächlich zur „ultima ratio“ geworden! (vgl. Heinz

12 Entwicklung der Sanktionspraxis im allgemeinen Strafrecht, 1882-2006

13 Quelle: Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 2005, www.bmj.bund.de

14 Quelle: Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 2005, www.bmj.bund.de

15 Quelle: Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 2005, www.bmj.bund.de
92% aller verhängten Freiheitsstrafen liegen im Bereich bis zu 2 Jahren! Quelle: Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 2005,

16 4.1 Bewährungs- und Geldstrafen im Bereich kurzer Sanktionen
Reformpolitische Zielsetzung 1969/75 war die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe von unter 6 Monaten In welchem Bereich hat die Geldstrafe die kurze FS tatsächlich ersetzt?

17 Quelle: Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 4. Aufl. 2005, S. 33. (

18 1,9% 5,6% 92,5% 20,3% 74,8% 4,9% 27,2% 71,4% 1,5% FS ohne Bewährung
Die Bedeutung von Bewährungs- und Geldstrafen im Bereich kurzer und mittlerer Sanktionen bis zu einem Jahr FS/360 TS bzw. bis zu 2 Jahren/> 360 TS – 2006 FS ohne Bewährung FS mit Bewährung Geldstrafe FS/GS bis einschließlich 6 Monate/-180 TS 1,9% 5,6% 92,5% FS/GS > 6 Mona-te bis zu einem Jahr/ TS 20,3% 74,8% 4,9% FS/GS > 1 Jahr bis zu 2 Jahre/> 360 TS 27,2% 71,4% 1,5% Quelle: Strafverfolgungsstatistik, alte Bundesländer, 2006, eigene Berechnungen.

19 Ergebnis Die Geldstrafe, obwohl grundsätzlich für den Bereich von bis zu einem Jahr als Alternative gedacht, hat sich lediglich bei Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten, vermutlich sogar nur bis zu drei Monaten als vorrangige Alternative durchgesetzt. Nur 5% aller GS betreffen den Bereich von mehr als 90 bis zu 180 Tagessätzen, Nur 0,5% den Bereich von mehr als 180 Tagessätzen! Die Bewährungsstrafe hat sich dagegen im Bereich von 6 Mon. bis zu 2 Jahren als Hauptsanktion durchgesetzt

20 4. 2. Die Sanktionspraxis bzgl. der Dauer
4.2 Die Sanktionspraxis bzgl. der Dauer und Aussetzung von Freiheitsstrafen in Deutschland Insgesamt hat sich die Sanktionspraxis bzgl. Freiheitsstrafe (FS) in den letzten 30 Jahren tief greifend verändert: Der Anteil von zur Bewährung ausgesetzter FS an allen verhängten Freiheitsstrafen ist von 62% auf 70% gestiegen. Der Anteil von Strafaussetzungen bezogen auf die grund-sätzlich aussetzungsfähigen FS – 1 Jahr (§ 56 I StGB) betrug %.

21 Sanktionspraxis bzgl. der Dauer und Aussetzung von Freiheitsstrafen (2)
Der Anteil von Strafaussetzungen der nur bei Vorliegen „besonderer Umstände“ aussetzungsfähigen FS von > 1 – 2 Jahren lag 2006 bei 72% (1975 noch lediglich bei 10%!). Hinsichtlich der Dauer der FS ist ein Rückgang der FS unter 6 Monaten und ein Anstieg der FS von > 1 – 2 Jahren zu beobachten. Auch im Bereich zeitiger FS von > 2 – 10 Jahren gibt es einen deutlichen Zuwachs. Das bedeutet aber nicht, dass die Richter immer strenger werden!

22 Sanktionspraxis bzgl. der Dauer und Aussetzung von Freiheitsstrafen (3)
Die deliktsspezifische Analyse zeigt vielmehr, dass es nur in bestimmten Deliktsbereichen Verschärfungen der Strafzumessungspraxis gegeben hat, z.B.: BtM-Delikte (Zunahme von FSen > 2-5 J. bei insgesamt abnehmenden Anteilen von FSen, s. u.), Sexual- und gefährliche Körperverletzungsdelikte. Diese sind z.T. durch den Gesetzgeber gewollt, wie z.B. die Verschärfungen bei den Sexualdelikten und bei der gefährli-chen Körperverletzung durch die Reformgesetze von 1998. Bei der gefährlichen KV wird seit 1998 weniger zu GS, dafür mehr zu FS verurteilt (der Anteil hat sich von knapp 39% auf 75% praktisch verdoppelt!), jedoch ist der Austausch zwischen GS und FS vor allem zugunsten von Bewährungsstrafen erfolgt.

23 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte nach der Straflänge
Alle Delikte Jahr Verur­teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B. % Sp. 10 2 – 3 J. % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J. % Sp. 3 10 – 15 J. % Sp. 3 le-bens­lang % Sp. 3 1975 94.018 16,6 61,6 50,2 73,8 37,9 62,8 7,7 10,1 gesamt 3,5 gesamt 0,7 0,07 1980 17,5 65.7 48,0 79,3 39,1 66,9 8,0 18,3 2,4 1,5 0,8 0,11 0,05 1985 18,6 66,3 44,0 80,1 40,3 68,5 9,7 35,7 2,9 1,9 1,0 0,14 0,08 1990 16,7 68,0 45,8 77,8 37,8 70,5 10,8 54,1 2,8 0,06 1995 16,9 69,6 39,8 79,4 39,5 74,7 13,6 62,5 3,4 1,1 0,15 0,09 2000 19,6 67,5 37,1 75,2 41,1 74,0 14,3 64,8 3,7 2,5 0,16 2004 19,4 70,6 35,0 76,8 41,6 78,4 15,6 71,1 2,7 1,2 0,13 2006 19,3 69,8 33,5 41,8 78,7 16,4 72,4 3,9 1,3 0,12

24 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte nach der Straflänge
Alle Delikte Jahr Verur­teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B. % Sp. 10 1975 94.018 16,6 61,6 50,2 73,8 37,9 62,8 7,7 10,1 1980 17,5 65.7 48,0 79,3 39,1 66,9 8,0 18,3 1990 16,7 68,0 45,8 77,8 37,8 70,5 10,8 54,1 2000 19,6 67,5 37,1 75,2 41,1 74,0 14,3 64,8 2004 19,4 70,6 35,0 76,8 41,6 78,4 15,6 71,1 2006 19,3 69,8 33,5 74,7 41,8 78,7 16,4 72,4

25 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte (Männer) nach der Straflänge
Gefährliche Körperverletzung Jahr Ver-ur­ teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B. % Sp. 10 2 – 3 J. % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J. % Sp. 3 10 – 15 J. % Sp. 3 le-bens­lang % Sp. 3 1975 7.085 2.090 29,5 62,3 37,9 72,3 49,9 68,0 8,8 10,4 gesamt 3,1 gesamt 0,3 0,0 1980 8.467 2.720 32,1 67,3 33,0 82,1 52,9 72,7 17,3 2,7 1,0 0,07 1985 8.593 3.099 36,1 66,3 80,9 54,3 71,1 12,4 31,5 0,9 0,2 1990 8.157 2.844 34,9 68,3 28,3 79,8 56,9 73,3 12,3 46,2 2,9 1,3 1995 9.384 3.616 38,5 73,5 26,2 86,9 53,1 79,1 15,3 57,4 3,7 1,5 2000 10.139 7.176 70,8 78,0 10,8 89,2 69,2 86,5 14,7 60,2 3,3 1,6 0,3 2001 10.047 7.483 74,5 78,2 11,0 88,4 68,7 86,3 15,4 60,1 2,6 1,9 0,4 0,01 2003 11.045 8.370 75,8 79,9 10,0 89,7 70,2 87,5 15,1 64,0 1,7 2004 12.699 9.467 74,6 82,9 9,2 93,6 71,5 90,2 14,9 2006 12.985 9.782 75,3 82,6 8,3 87,7 71,7 76,3 67,7 2,8

26 Sanktionspraxis bei Raubdelikten
Bei Raubdelikten hat sich – teilweise durch die Reform von 1998 begünstigt – dagegen eine Milderung der Sanktionspraxis ergeben: Vermehrte Strafaussetzungen zur Bewährung (28%  45%, bei FSen von 1-2 J.: 10%  64%!), Weniger Freiheitsstrafen von mehr als 5 Jahren D. h. knapp die Hälfte aller Raubdelinquenten ist zum Klientel der Bewährungshilfe geworden!

27 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte (Männer) nach der Straflänge
Raubdelikte Jahr Ver-ur-teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B. % Sp. 10 2 – 3 J. % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J. % Sp. 3 10 – 15 J. % Sp. 3 Le-bens­lang % Sp. 3 1975 2.220 2.111 95,1 27,5 3,4 67,6 30,3 74,4 27,3 9,7 gesamt 29,3 gesamt 9,8 0,0 1980 2.362 2.255 95,5 28,7 2,2 85,7 29,4 79,4 24,7 14,0 16,5 13,2 13,0 1,1 0,00 1985 3.338 3.211 96,2 31,9 2,0 67,7 27,7 80,1 33,4 14,9 15,4 14,1 1,0 0,06 1990 2.927 2.768 94,8 38,7 2,5 84,3 76,5 28,8 53,9 16,3 13,9 10,2 0,9 1995 3.953 3.760 41,3 1,5 84,2 25,6 80,6 31,8 61,1 16,1 13,5 10,7 0,8 2000 3.878 3.650 94,1 40,5 82,7 25,2 75,6 33,2 59,2 14,4 8,7 1,3 0,05 2001 3.582 3.392 94,7 72,1 78,0 32,7 59,4 9,2 2003 4.334 4.078 42,7 1,7 75,4 24,0 78,6 34,1 62,8 13,7 8,6 0,12 2004 4.611 4.333 94,0 45,6 83,9 25,9 81,1 34,7 66,0 13,4 0,7 2006 3.965 3.748 94,5 44,9 1,9 84,5 24,4 81,6 36,2 64,4 13,3 14,2 9,1 0,08

28 Sanktionspraxis bei Betäubungsmitteldelikten
Bei Btm-Delikten hat sich die Sanktionspraxis vermutlich nicht wesentlich verschärft, wenngleich kurze FSen (- 1 J.) abgenommen und mittlere FSen – 3 J. zugenommen haben. Denn: Der Anteil von Freiheitsstrafen ist rückläufig (68%  41%) und der Anteil ausgesetzter Freiheitsstrafen hat zugenommen (54%  62%). Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es sich nicht um eine Milderung der Sanktionspraxis handelt, sondern vermehrt Bagatell- oder weniger schwere Delikte entdeckt und verfolgt werden. Die Aussetzungsquote bei FSen von 1-2 Jahren ist von 27% auf 80% gestiegen! Insgesamt werden 2 von 3 FSen wegen BtM-Delikten zur Bewäh-rung ausgesetzt, d. h. Drogentäter sind überwiegend zum Klientel der Bewährungshilfe geworden.

29 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte nach der Straflänge Betäubungsmitteldelikte (Verstöße gegen das BtMG)
Jahr Verur­teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B. % Sp. 10 2 – 3 J. % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J. % Sp. 3 10 – 15 J. % Sp. 3 le-bens­lang % Sp. 3 1980 9.960 6.804 68,3 54,4 13,7 81,6 48,3 76,6 23,2 27,0 6,7 5,5 2,6 0,04 1990 17.399 8.777 50,5 60,3 20,5 76,3 38,3 75,9 25,2 61,6 8,6 5,6 1,6 0,2 1995 25.748 13.582 52,8 62,0 20,4 77,2 35,2 66,8 25,1 68,8 8,4 5,3 2,0 2000 34.354 16.773 48,8 61,0 71,3 33,6 77,1 28,2 72,8 9,6 6,0 2,1 2001 34.508 16.133 46,8 60,2 20,0 71,7 32,6 76,5 26,5 70,0 5,8 2,2 2003 35.952 16.378 45,5 61,4 20,2 69,3 30,4 79,4 76,9 9,7 2,5 0,1 2004 38.959 17.070 43,8 63,7 20,3 70,4 30,6 80,0 9,5 6,5 2,4 2006 43.063 17.546 40,8 62,3 69,1 28,5 82,4 31,0 79,9 9,9 7,6 -

30 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte nach der Straflänge
Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§§ 177 I, 178 I a.F., 177 n. F. StGB) Jahr Verur­teilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M., % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J., % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B., % Sp. 8 1 – 2 J. % Sp. 3 1 – 2 J. m. B.; % Sp. 10 2 – 3 J. % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J. % Sp. 3 10 – 15 J. % Sp. 3 1980 1.308 1.279 97,8 39,0 2,2 89,3 38,2 87,5 22,4 16,4 19,3 13,3 4,4 0,3 1990 1.229 1.191 96,9 45,8 1,9 72,7 28,1 88,7 29,8 65,6 16,6 17,6 5,7 2000 1.472 1.467 99,7 49,8 0,5 71,4 17,9 89,4 38,7 86,4 15,2 18,2 9,0 0,6 2001 1.297 1.285 99,1 50,7 83,3 18,4 89,5 39,8 85,0 16,7 7,5 2003 1.658 1.639 98,9 53,2 0,7 95,9 92,4 40,1 13,9 9,9 2004 1.556 1.551 54,7 100 19,4 93,4 90,9 17,0 2006 1.428 1.413 53,7 1,1 62,5 95,3 41,3 90,1 15,1 15,8 9,3

31 Sanktionspraxis bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung und sexuellem Kindesmissbrauch
Die Sanktionspraxis setzt in beiden Deliktsbereichen ganz überwiegend auf die Strafaussetzung zur Bewährung (54% bzw. 82% Aussetzungen 2006) Bei der Vergewaltigung haben längere Freiheitsstrafen (> 3 J.) zwar zugenommen, bei Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren werden jedoch mehr als 90% zur Bewährung ausgesetzt! Letzteres gilt auch für den Kindesmissbrauch. Allein in den alten Bundesländern werden damit jährlich nahezu 800 wegen Vergewaltigung und ca wegen Kin-desmissbrauchs Verurteilte zum Klientel der Bewährungs-hilfe (ca. 650 bzw. weniger als 200 bzw. gelangen in den Strafvollzug!) Die Bewährungshilfe hat gelernt, auch in diesem Bereich erfolgreich zu arbeiten

32 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte nach der Straflänge
Sexueller Missbrauch von Kindern (§§ 176 I-III, V a.F., 176 I-III n. F. StGB) Jahr Ver-urteilte insg. FS abs. FS % Sp. 2 StrzB % Sp. 3 FS – 6 M.; % Sp. 3 – 6 M. m. B. % Sp. 6 6 M. – 1 J.; % Sp. 3 6 M. – 1 J., m. B.; % Sp. 8 1 – 2 J.; % Sp. 3 1 – 2 J. m. B.; % Sp. 10 2 – 3 J.; % Sp. 3 3 – 5 J. % Sp. 3 5 – 10 J.; % Sp. 3 10 – 15 J.; % Sp. 3 1980 1.515 1.128 74,5 71,1 8,1 89,0 58,5 86,8 21,0 24,1 7,9 3,8 0,7 0,00 1990 1.391 1.048 75,3 69,7 89,2 47,0 85,6 29,5 75,7 7,8 6,7 1,0 0,10 2000 1.644 1.360 82,7 62,6 5,4 86,5 36,9 90,0 29,4 84,0 8,0 5,6 2,5 0,07 2001 1.485 1.071 72,1 74,3 7,0 85,3 45,4 90,1 33,3 82,4 6,8 5,7 1,7 0,09 2003 1.491 1.099 73,6 77,5 90,7 93,0 31,9 86,9 1,6 2004 1.519 1.160 76,4 79,6 2,8 93,8 47,2 95,4 33,4 86,6 6,3 6,6 1,4 2006 1.244 1.102 88,6 82,3 4,1 93,3 49,4 96,5 34,4 89,7 5,0 Quelle: Strafverfolgungsstatistik Erläuterungen zu den Tabellen: FS = Freiheitsstrafe; Sp. = Spalte; StrzB = Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB); M. = Monate; J. = Jahr(e).

33 4.3 Die Entwicklung der Bewährungshilfe bzw. Führungsaufsicht
Die offizielle Bewährungshilfestatistik weist lediglich die Bewährungsunterstellungen nach §§ 56, 57 StGB, 21, 27, 88 JGG aus! Bzgl. der FA muss auf Sonderauswertungen der einzelnen Bundesländer zurückgegriffen werden! Seit Mitte der 1990er Jahre werden die Personalstellen der Bewährungshilfe Bewährungshilfestatistik nicht mehr ausgewiesenen. Fallbelastungszahlen (Probanden pro Bewährungshelfer) sind daher nicht mehr berechenbar!

34 Fallbelastung der Bewährungshilfe
Problem! Angesichts der vor allem in den neuen Bundesländer erfolgten Zusammenlegung von Bewährungshilfe und Gerichtshilfe und weiteren Aufgabenstellungen (Organisation der Gemeinnützigen Arbeit anstatt Ersatzfreiheitsstrafe, Täter-Opfer-Ausgleich etc.) ist ein Vergleich der Berechnung der Fallbelastung kaum möglich. Die ost- und norddeutschen Länder haben sich auf den sog. „Magdeburger Schlüssel“ geeinigt:

35 Fallbelastung der Bewährungshilfe (2)
4 Gerichtshilfefälle werden einem Bewährungshilfe-/Führungsaufsichtsfall gleichgesetzt (4 : 1), Zwei Täter-Opfer-Ausgleichsfälle werden einem Bewährungshilfe-/Führungsaufsichtsfall gleichgesetzt (2 : 1) Ein unter Federführung des Hessischen JM erarbeiteter Vergleich bezieht lediglich die Bewährungsunterstellungen ein und ist daher unvollständig.

36

37 Tatsächliche Fallbelastung
Berechnet man die Fallbelastung nach dem Magdeburger Schlüssel ergibt sich z.B. für Mecklenburg-Vorpommern zum Folgendes: 94,3 Fälle (anstatt 87,8 ausschl. für BewHi/FA) Die Belastung in den LG-Bezirken schwankt zwischen 81,5 in Schwerin und 112,0 in Neubrandenburg! In Sachsen-Anhalt betrug die Fallbelastung (anstatt der von Hessen berechneten 87) Die Fallbelastung stieg in S.-A. inzwischen (2006) auf 95!

38 Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg
Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bewährungshilfestatistik 2006, S. 10.

39 Unterstellungen unter Bewährungsaufsicht in Mecklenburg-Vorpommern
: : Zuwachs: + 60% Unterstellte Personen: : : Zuwachs: + 53%

40

41 Perspektiven in Mecklenburg-Vorpommern
Ein risikodifferenziertes Fallmanagement, wie es in Mecklenburg-Vorpommern geplant ist, macht nur Sinn, wenn 1. die Fallbelastung bzgl. „Normal-Probanden“ so gestaltet werden kann, dass eine glaubwürdige Hilfestellung und Kontrolle gewährleistet werden kann und 2. die Fallbelastung bzgl. Risikoprobanden so gering ist, dass tatsächlich eine höhere Betreuungsintensität (ein- bis mehrmals wöchentlich) ermöglicht wird.

42 Perspektiven in Mecklenburg-Vorpommern (2)
2007/08 wurden bzw. werden 16 neue Stellen besetzt. D. h. die durchschnittliche Fallbelastung könnte von 94,3 auf ca. 70 sinken. Bei einer risikodifferenzierten Verteilung der Proban-den wäre es möglich, einige Bewährungshelfer mit einer Fallbelastung von ca. 40, andere mit unverändert ca. 90 Probanden vorzusehen. Ist das ausreichend, um eine wirkungsvolle Wieder-eingliederungsarbeit zu leisten? Zumindest könnte man es versuchen und evaluieren!

43 Zunahme der Führungsaufsicht
Auch hier ist die Datenlage lückenhaft, aber Einzel-erhebungen zeigen, dass die FA in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Beispiel Niedersachsen:

44 Veränderungen des Anteils Führungsaufsicht : Bewährungshilfe
Ferner zeigt sich, dass der Anteil der FA an den Unterstellungen insge-samt stark zunimmt: Beispiel Brandenburg  In Schleswig-Holstein stieg der Anteil von FA-Fällen an allen Unterstellungen von 7,4% auf 9,2% (absolut von 361 auf 616) Unter-stellun-gen insg. Davon FA % 1995 3.787 71 1,9 2000 5.580 210 3,8 2007 5.723 474 8,3

45 4.4. Zur Effizienz der Bewährungshilfe

46 Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg
Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bewährungshilfestatistik 2006, S. 10.

47

48 Bewährung mit Straferlass: 68,9% Widerruf: 31,1%
Erlass und Widerruf bei Bewährungshilfeprobanden nach StGB in Mecklenburg-Vorpommern, 2006 Bewährung mit Straferlass: 68,9% Widerruf: ,1% Fazit: Die Bewährungs- und Widerrufsquoten in Mecklenburg-Vorpommern entsprechen im Erwachsenenbereich exakt dem Bundesdurchschnitt, sind aber im Bereich des Jugendstrafrechts erhöht!

49 Die „Erfolgsgeschichte“ der Strafaussetzung und Bewährungshilfe 1963-90

50 Anteil der bereits früher verurteilten und/oder unter Bewährungsaufsicht gestellten Probanden, alte Bundesländer, 1963 1970 1975 1980 1985 1990 59% 72% 76% 78% 81% 85%

51 Bewährungserfolg 1963 und 1990 nach unterschiedlichen Probandengruppen der Bewährungshilfe
Pb ohne frühere Verurteilung 1963 70% 1990 84% Differenz + 14% Bereits früher verurteilt 45% 69% + 24% Darunter: bereits früher unter Bewährungsaufsicht 39% 65% + 26% Alle Verfahren 55% 71% + 16%

52 5. Die Entwicklung der Sozialen Dienste der
5. Die Entwicklung der Sozialen Dienste der Justiz: Neue Aufgaben, neue Strukturen 5.1 Debatten der 1970er und 1980er Jahre Durchgehende Betreuung und einheitlicher Sozialer Dienst als Leitidee Rechtsvergleichung und Impulse aus dem Ausland (Dünkel 1984; 1986) Umsetzungsversuche: Schleswig-Holstein, Bremen Widerstände und Scheitern

53 5.2 Die „schleichende Revolution“ in den 1990er Jahren
Die neuen Bundesländer als „Motor“ einer pragmatischen Reform Einheitlicher Sozialer Dienst bzgl. Gerichts- und Bewährungshilfe (Mecklenburg-Vorpommern, InStar u. a.) Integration der Führungsaufsicht Besonderheiten: Täter-Opfer-Ausgleich als vierte Säule (Brandenburg)

54 5.3 Aktuelle Entwicklungen im 21. Jahrhundert
Theoretische Reflexionen im Kontext des „New public management“ Wiederentdeckung der Programmatik der 1970er/1980er Jahre „Good practices“ Modellprojekte Vom Modell in die Fläche

55 6. Organisatorische und programmatische Entwicklungen (Beispiele):
Einheitlicher Sozialer Dienst (Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht) Vernetzung mit dem Strafvollzug, Übergangsmanagement  Mecklenburg-Vorpommern Berufliche Integration (MABiS.net, ArJuS etc.)

56 7. Wege und Irrwege: Privatisierung der Bewährungshilfe?
Ursachen der Privatisierungsdebatte Kostensenkung durch Privatisierung? Qualitätsverbesserung durch Privatisierung? Kritisch: Privatisierung ist nicht notwendigerweise billiger bzw. besser! (vgl. Hünfeld/Hessen) Positiv: das Beispiel Neustart (BW) hat der staatlichen Reform „Beine gemacht“

57 8. Neue Aufgabenfelder und methodische Ansätze der Sozialen Dienste
Täter-Opfer-Ausgleich Gemeinnützige Arbeit Vermehrt Verurteilte mit dezidiert negativer Prognose (Vollverbüßer) Arbeit mit Gewalt- und Sexualtätern Risikoprobanden aufgrund sich verschlechternder Lebenslagen Einzelunterstellung vs. Fallverteilung durch die Dienststelle Spezialisierungen Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe Qualitätssicherung und Qualifizierung der Mitarbeiter

58 9. Rechtliche Probleme der Straf- und Strafrestaussetzung
Voraussetzungen der §§ 56 StGB, 21 JGG Voraussetzungen der §§ 57, 57a StGB, 88 JGG

59 10. Probleme der Prognose „Verantwortbare Risiken“
„Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit“ Vom Unsinn gesetzgeberischer „Sicherheits-(Wahn)vostellungen: § 67d II StGB, § 454 II StPO: Ausschluss weiterer Straftaten! Risikominimierung und das Problem der „falsch Positiven“ (s. u.) Das Mittelfeldproblem

60 Rückfallkategorien nach F. Meyer
Urteilsprognose Gruppe Belastungsfaktoren N Rückfallquote I 0-2 60 13 = 22 % II 3-6 86 50 = 58 % III > 6 26 26 = 100 % Entlassungsprognose 56 11 = 20 % 48 = 56 % 30 30 = 100 %

61

62 Das Mittelfeldproblem
In weiten Bereichen hilft eine Prognosestellung auch mit den modernen klinisch-statistischen Methoden nicht viel weiter, weil Risiko- und (potentielle) protektive Faktoren sich in etwa die Waage halten. Schon in den „klassischen“ Untersuchungen zur statistischen Prognose machte das sog. Mittelfeld mindestens die Hälfte der Probanden aus! Konsequenzen? Abschaffung der Prognose? Gestaltung der Hilfe- und Kontrollmaßnahmen zur Senkung des Risikos. Gesetzlicher Anwendungsfall: § 56d StGB  Unterstellung unter Bewährungsaufsicht, „wenn dies angezeigt ist, um ihn von Straftaten abzuhalten“

63 Normative Konsequenzen des Mittelfeldproblems: „in dubio pro libertate“
Wenn es in weiten Bereichen empirisch keine eindeutigen Möglichkeiten einer relativ abgesicherten Prognose gibt, müssen die Konsequenzen „normativ“ festgelegt werden. Entweder: „Im Zweifel für Freiheitsentzug“ oder: „in dubio pro libertate“ Wie könnte eine normativ vertretbare Lösung aussehen? (vgl. Dünkel, Nomos-Kommentar-StGB zu § 57) Nur bei Vorliegen konkreter Tatsachen, die eine erhebliche Rückfallwahrscheinlichkeit indizieren, unterbleibt die Strafaussetzung.

64 Gesetzesvorschlag zu § 57 StGB
Gesetzesvorschlag für § 57 StGB könnte demnach wie folgt lauten: Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, 2. nicht aufgrund konkreter Tatsachen Umstände vorliegen, die erhebliche weitere Straftaten erwarten lassen und 3. der Verurteilte einwilligt. Schon nach Verbüßung der Hälfte, mindestens 6 Monaten, setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus, wenn 1. der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt oder 2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen, und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dünkel, Nomos-Kommentar-StGB, 2005, § 57 Rn. 134.

65 10.1 Risk assessment und die Folgen
Die negative Eigendynamik von Prognosen Überschätzung der Falsch „Positiven“ Zu geringe Betreuungsintensität sowohl der Risikoprobanden wie der „Normalprobanden“, s. das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern unter 4.3

66 Zur Gefährlichkeit von Gefährlichkeitsprognosen
Irrtum bei Gefährlichkeitsprognosen gefährlich ungefährlich objektiv 10 90 in der Beurteilung 9 + 9 1 + 81 Fehlerquote falsch Positive: 9 : 9 = 50% falsch Negative: 1 : 81 = 1,2% Voraussetzungen des Modells: Basiswahrscheinlichkeit zukünftiger Gefährlichkeit = 10%; Treffsicherheit der Prognose: 90%

67 Zur Gefährlichkeit von Gefährlichkeitsprognosen (2)
Irrtum bei Gefährlichkeitsprognosen gefährlich ungefährlich objektiv 10 90 in der Beurteilung 8 + 18 2 + 72 Fehlerquote falsch Positive: 8 : 18 = 69% falsch Negative: 2 : 72 = 2,7% Voraussetzungen des Modells: Basiswahrscheinlichkeit zukünftiger Gefährlichkeit = 10%; Treffsicherheit der Prognose: 80%

68 10. 2. Differenzierte Betreuungs- und. Kontrollintensität
10.2 Differenzierte Betreuungs- und Kontrollintensität in Bewährungshilfe und Führungsaufsicht

69 11. Aktuelle Reformfragen bzgl
11. Aktuelle Reformfragen bzgl. des strafrechtlichen Sanktionensystems, insbesondere zur Strafaussetzung zur Bewährung und Führungsaufsicht Das deutsche strafrechtliche Sanktionensystem ist außerordentlich „arm“ und bedarf der weitergehenden Ausdifferenzierung, um dem spezialpräventiven Anliegen gerecht zu werden. Es fehlen insbesondere die im Ausland als „intermediate sanctions“ bekannten Sanktionen zwischen der Geldstrafe und der Freiheitsstrafe, z.B. Freiheitsbeschränkungsstrafen, vor allem aber auch differenzierende Formen der Bewährungshilfe (z.B. für bestimmte Risikogruppen).

70 Reformvorschläge in den 1990er Jahren
Vorschläge des AE-Wiedergutmachung 1992 „Wiedergutmachung als Dritte Spur“ Vorschläge im Gutachten Schöch und Beschlüsse des 59. Deutschen Juristentags 1992. Aufwertung der Verwarnung mit Strafvorbehalt Vorschläge Dünkel/Spieß BewHi 1992: 5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionierung

71 Vorschläge zur Neugestaltung des Sanktionensystems bei Dünkel/Spieß 1992
5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionen. 1. Stufe: Täter-Opfer-Ausgleich bzw. Schadenswiedergutmachung 2. Stufe: Vorrang informeller, insbesondere eingriffsschwacher, vor formellen Reaktionen. 3. Stufe: Vorrang „einfacher“ ambulanter Sanktionen auf gericht-licher Ebene wie Wiedergutmachung, Gemeinnützige Ar-beit, die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB als eigenständige Bewährungsstrafe), das Fahrverbot (einheitliche Sanktion von einem Monat bis maximal einem Jahr Dauer) und die Geldstrafe.

72 5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionen (2)
Die Sanktionen auf dieser Stufe betreffen den Bereich der Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bzw. der Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen. Die Bewährungshilfe im Rahmen der Verwarnung wird auf maximal ein Jahr begrenzt, die vorbehaltene Geldstrafe (als Ersatzstrafe) auf 60 Tagessätze, die Wiedergutmachung auf das der strafrechtlichen Schuld angemessene Maß und Gemeinnützige Arbeit auf 240 Stunden.

73 5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionen (3)
Eine Begrenzung von Alternativen im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs ist - wie die Entwicklungen im Ausland, aber auch Erfahrungen im Inland belegen - geboten. Dementsprechend haben die Vereinten Nationen 1990 (sog. Tokyo-Rules) und der Europarat 1992 Mindeststandards für Alternativen zur Freiheitsstrafe entwickelt, die sich diesem Problem widmen. Aktuell: European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions and Measures, 2008.

74 5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionen (4)
Strafaussetzung zur Bewährung ohne oder mit Bewäh-rungsaufsicht, gegebenenfalls in Verbindung mit bestimmten Auflagen oder Weisungen) und ausgestaltet als Verurteilung zur Bewährung, allerdings nach wie vor mit der Androhung von Freiheitsstrafe (von bis zu zwei Jahren) verknüpft. Auf dieser Stufe kann entsprechend unterschiedlicher Risikogruppen nach unterschiedlichem Betreuungs- und Kontrollaufwand differenziert werden („intensivierte Bewährungshilfe“, d. h. Stufe 4a und 4b)

75 5-Stufenmodell strafrechtlicher Sanktionen (5)
Freiheitsstrafe ohne Bewährung als ultima ratio in Verbindung mit deutlich gesenkten oberen Strafrahmen bei Eigentums- und Vermögens-delikten und der Abschaffung bzw. Herabsetzung von Mindeststrafen, insbesondere bei Raub, schwerem Raub, BtM-Delikten etc.

76 Reformfragen bzgl. der Strafaussetzung zur Bewährung und bedingten Entlassung
Loslösung der Strafrestaussetzung von prognostischen Erwägungen? Regelaussetzung nach zwei Dritteln der Strafe, es sei denn konkrete Anhaltspunkte für weitere Strafen liegen vor (vgl. England, Niederlande); (kontraproduktive Tendenzen der richterlichen Strafzumessung sind u. U. zu befürchten!). Abstufungen der Möglichkeiten einer bedingten Entlas-sung nach Delikts- und Täterkriterien (Erst-, Wieder-holungstäter, Gewalttäter etc.)? Nein, wegen faktischer „Doppelbestrafung“!

77 Reformfragen zur Strafaussetzung (2)
Reformvorschläge: Erweiterung der Strafrestaussetzung: Halbstrafenentlassung, Good-time-Regelungen (Verkürzung der Haftzeit für arbeitende Gefangene, vgl. das Gesetz zur Gefangenen-entlohnung vom in Deutschland*, oder für besonderes Wohlverhalten). * pro Jahr Arbeit des Gefangenen werden entweder 6 Tage Urlaub zusätzlich gewährt oder die Entlassung entsprechend vorverlegt, vgl. § 43 VI-IX StVollzG. JStVollzG-Berlin 2008: Ausweitung auf 12 Tage!

78 Reformfragen zur Strafaussetzung (3)
Aussetzung von FS von mehr als 2 bis zu 3 Jahren? Reformüberlegungen mit Blick auf das Ausland: Teilweise Aussetzung einer längeren FS (z. B. bis 3 Jahre) nach österreichischem Vorbild (vgl. § 43a öStGB). Bei ungünstiger Prog-nose wird ein Teil der Strafe (ein Drittel) für vollstreckbar erklärt, der Rest unmittelbar zur Bewährung ausgesetzt. Faktisch ähnelt dies einer bedingten Strafrestaussetzung. Notwendiges Korrektiv einer Erweiterung der Aussetzungsmöglichkeiten auch bei längeren FSen wäre die Einführung des Teilwiderrufs. Schon jetzt kommen bei der Aussetzung mehrerer FSen nebeneinander im Falle des Widerrufs u. U. ganz erhebliche Strafzeiten zusammen, so dass der Teilwiderruf in jedem Fall als eine kriminalpolitisch sinnvolle und notwendige Option erscheint (z. B. Widerruf nur der Hälfte ausgesetzter Fsen).

79 Exkurs: Reformüberlegungen zur Einführung der Gemeinnützigen Arbeit als selbständiger Sanktion oder als Ersatzsanktion in Deutschland und rechtsvergleichende Aspekte Rechtsvergleichung: in zahlreichen europäischen Ländern existiert die gemeinnützige Arbeit als selbständige Strafe, zumeist begrenzt auf maximal 240 Std. (z. B. Dänemark, England/Wales, Frankreich, Niederlande, Schweden), teilweise aber auch mehr, vgl. i. e. Morgenstern 2002, S. 460 ff. Vereinzelt existiert die gemeinnützige Arbeit auch als Ersatz-strafe zur Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen oder zur Abwen-dung von Ersatzfreiheitsstrafen (Schweiz, Deutschland).

80 Entwürfe des Bundesjustizministeriums vom Juni 2003 bzw. 2004 (vgl
Entwürfe des Bundesjustizministeriums vom Juni 2003 bzw (vgl. hierzu Dünkel NK 4/2003) Einführung der Gemeinnützigen Arbeit als Ersatzstrafe bei nicht ausgesetzten Freiheitsstrafen von unter 6 Monaten bei Erstverbüßern. Einführung der Gemeinnützigen Arbeit als primäre Ersatzstrafe bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe bei gleichzeitiger Änderung des Umrechnungsmaßstabs (1 Tagesatz = 3 Std. Gemeinnützige Arbeit). Erweiterung der Verwarnung mit Strafvorbehalt (auch für Vorverurteilte; Lockerung der „Besonderen-Umstän-de“-Klausel einerseits, andererseits regelmäßige Ver-knüpfung mit Auflagen oder Weisungen, vgl. § 59a II StGB-E);

81 Entwurf des BMJ 2004 (2) Arbeitsauflagen im Rahmen der Verwarnung mit Strafvorbehalt. Erweiterung des Fahrverbots als Hauptsanktion auf bis zu 6 Monate und als Regelsanktion bei Verkehrsstraf-taten bzw. sog. Zusammenhangstaten. Verbesserung der Berücksichtigung von Opferinteres-sen durch Sicherung des Vorrangs von Wiedergut-machungsansprüchen vor der Vollstreckung von Geld-strafen und die Abwendung der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen, wenn durch ihre Vollstreckung die Entschädigung des Opfers gefährdet würde.

82 12. Ausblick: Desiderate der Reformvorschläge
Absicherung der Infrastruktur und Qualitätsverbesserung/-sicherung bei der Bewährungs- und Straffälligenhilfe; Intensivierung ambulanter Betreuung und Aufsicht bei Risikogruppen (hierzu die gesetzliche Reform der Führungsaufsicht vom 18. April 2007), vor allem verbesserte Nachsorge (Forensische Ambulanzen) Bislang: mangelnde Implementation Zu hohe Fallbelastung setzt einer Differenzierung nach Risikoeinschätzungen (risk assessment) Grenzen

83 Desiderate der Reformvorschläge
Gesetzliche Regelung zur inhaltlichen Ausgestaltung ambulanter Sanktionen und zur Gestaltung der sozialen Dienste der Justiz (vgl. BResG-E 1986) Gegensteuerung zur zu beobachtenden Ausweitung langer Freiheitsstrafen (Jung/Müller-Dietz 1994), einschließlich der Sicherungsverwahrung

84 Impulse internationaler (europäischer) Standards und Empfehlungen
Die European Prison Rules 2006 Rule 107.1: „Strafgefangene sollen frühzeitig vor einer Entlassung durch Verfahrensweisen und spezielle Programme unterstützt werden, die ihnen die Überleitung vom Gefängnis in ein straffreies Leben in der Gesellschaft ermöglichen.“ Rule 107.4: „Die Gefängnisbehörden arbeiten eng mit Nachentlassungseinrichtungen zusammen, insbesonde-re im Hinblick auf die familiäre und berufliche Integration.“ Rule 107.5: Repräsentanten der Bewährungshilfe etc. erhalten uneingeschränkten Zugang zur Anstalt, um die Entlassung mit vorzubereiten und die Nachbetreu-ung zu planen.

85 Impulse internationaler (europäischer) Standards und Empfehlungen (2)
Die European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions or Measures, 2008 Rule 15: Es wird ein multi-disziplinärer und vernetzter Ansatz hervorgehoben, der die Wiedereingliederung durch eine möglichst durchgehende und kontinuierliche Betreuung ermöglicht (principles of community involvement and continuous care) Dieses Prinzip der durchgehenden Betreuung und der Vernetzung von stationären und ambulanten Sanktionen wird an verschiedenen Stellen der Empfehlungen wiederholt:

86 Impulse internationaler (europäischer) Standards und Empfehlungen (3)
Rule 43: Möglichst durchgehende Betreuung bei ambulanten Maßnahmen, auch bei Wohnsitzwechsel. Rule 99.1 bzgl. der Verlegung in eine andere Anstalt Rule 102.1: Bei Strafgefangenen sollen die Nachbetreu-ungsorganisationen von Anbeginn des Vollzugs an in-volviert und eine enge Zusammenarbeit konstituiert werden (Kommentar: mindestens 6 Mon. vor der Entl.) In U-Haft spielt die durchgehende Betreuung eine besondere Rolle. Jugendliche sind hier besonders verletzbar und deshalb zu schützen.

87 Impulse internationaler (europäischer) Standards und Empfehlungen (4)
Bemerkenswerte Reformimpulse können den Empfehlungen für „Juvenile Offenders“ im Hinblick auf das Personal entnommen werden. Eine umfassende Personalpolitik sollte Fragen der Personalauswahl, der Aus- und Weiterbildung, der Verantwortlichkeiten und Arbeitsbedingungen in einem förmlichen Dokument regeln (VV) (Rule 127.1). Personal sollte auf permanenter Basis eingestellt werden, so dass eine dauerhafte Betreuung der Jugendlichen gewährleistet werden kann.

88 Impulse internationaler (europäischer) Standards und Empfehlungen (5)
Um eine effektive Kooperation des Personals bzgl. ambulanter und stationärer Sanktionen zu fördern, sollten Bedienstete beider Bereiche im jeweils anderen Bereich ausgebildet und (zumindest zeitweise) praktisch tätig werden (soweit nicht ohnehin vernetzte Zuständigkeiten gegeben sind).

89 Ausblick Gesetzesreformen auf Bundesebene sind derzeit unwahrscheinlich Daher sind die Spielräume für eine „Strafrechtsreform von unten“ zu nutzen, Insbesondere bei der effizienteren Gestaltung der Sozialen Dienste der Justiz im Sinne der durchgehenden Betreuung und einer nach Risikolagen zu differenzierenden Betreuungs- und Kontrollintensität Verbesserung der Infrastruktur der staatlichen und freien Straffälligenhilfe

90 Ausblick (2) Die Entwicklung des Strafrechts und der Sozialen Dienste der Justiz ist im vergangenen Jahrzehnt stark in Richtung vermehrter Kontrolle ausgebaut worden (vgl. die Reform der FA). Die zu begrüßende Orientierung an evidenzbasierten („evidence based“) Strategien der Täterbehandlung und der Differenzierung nach Risikogruppen sollte nicht lediglich als Grundlage intensivierter Kontrolle, sondern zum Anlass für intensivierte Hilfeangebote genommen werden. Das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle (mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Vorrang auf dem Hilfeaspekt) ist damit aktueller denn je!

91 Vielen Dank!  Zu weiteren Informationen: Prof. Dr. Frieder Dünkel
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie Domstr. 20, D Greifswald Tel.: 0049-(0)


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