Institut für Slawistik PS „Zur Synchronie des B/K/S“ (Was ist Bosnisch/Bosniakisch, Kroatisch und Serbisch?) Leiter: Branko Tošović Das Bosnische Bosanski-bošnjački jezik Nina Fink 21. November 2006
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra 11./12. Jh.: Bosnien tritt als eigenständiger Staat unter Ban Kulin auf 1322: die Landschaften kommen unter die Herrschaft von Ban Stjepan II. Kotromanić 1378: die Landschaften kommen unter die Herrschaft von König Tvrtko I.
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra zu diesen Landschaften zählt später auch Hercegowina der Name bedeutet „Land des Herceg“ und wird zum ersten Mal 1454 erwähnt seit 1463 versteht man unter Bosnien „Bosnien“ und die Hercegowina und den Sandžak Novi Pazar als Einheiten des ehemaligen Bosnien
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra die Bedeutung „bosnische Sprache“ bezieht sich auf ein breiteres Gebiet und zwar auf die Sprache des islamisierten Volkes auf die alteingesessene Bevölkerung auf jene mit slavischer Abstammung, sprich Bosniaken mit neuštokavischen Standard
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra Bemerkungen zur Bedeutung des Namens „Bosna“ (Bosnien) der Etymologe Petar Skok führt an, dass der Name des Flusses Bosna seit dem 17.Jh. in schriftlichen Quellen belegt sei der Name des Landes ist seit dem 10. Jh. schriftlich belegt
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra die Bezeichnung der Einwohner ist ebenfalls schriftlich belegt im 14. Jh. Bošnjanin, Bošnjak/Bosniake im 15.Jh, dann auch Bosanac/Bosnier ebenso: Bošnjani, Bošnjaci/Bosniaken, Bosanci/Bosnier (als Namen des Volkes und Ortes) Bošjakuša, Bošnjakinja/Bosniakin, Bosanka/Bosnierin (als weibliche Ethnika)
Gestern – heute – morgen juče(r) – danas – šutra auch Adjektive sind schriftlich belegt bošnjanski, bošnjački/bosniakisch, bosanski/bosnisch 13.Jh.: verschiedene Begriffe mit der Bezeichnung bosanski/bosnisch treten auf Waffen, Handtücher, Teppiche und Schmuck aus bosnischer Herstellung
Die Geschichte des Bosnischen die Bosniaken nennen ihre Muttersprache seit jeher Bosnisch/bosanski auch ihre Nachbarn nannten diese Sprache so, wovon eine Fülle von literarischen Werken und Dokumente zeugen
Die Geschichte des Bosnischen ein paar Zeugnisse Ende des 15.Jh. bis Anfang des 20. Jh. erschaffen die Bosniaken ihre literarischen Werke in orientalischen Sprachen viele Schriftsteller haben seit dem 17. Jh. den Namen der bosnischen Sprache gebraucht der kroatische Dichter Andrija Kačić Miošić betonte stark den štokavischen Dialekt
Die Geschichte des Bosnischen ein paar Zeugnisse die erste Grammatik von Frano Vuletić für Mittelschulen in Bosnien wurde 1880 gedruckt hatte mehrere Ausgaben war bis 1911 in Gebrauch trägt den Namen „Gramatika srpsko-hrvatskoga jezika“/„Grammatik der serbokroatischen Sprache“
Die Geschichte des Bosnischen ein paar Zeugnisse das erste gedruckte „Türkisch-bosnische Wörterbuch“/„Tursko-bosanski rječnik“ von Ahmed Kulender 1.1.1879: „Bosnische Sprache“, dann „Bosnische Landessprache“ wird offiziell gebraucht 16.2.1879: auch „Serbokroatische Sprache“ wird verwendet
Die Verbreitung der Sprachbezeichnung „Bosnisch“ die Leute, die im Sandžak wohnen, fühlen sich als bosnisch und nennen ihre Sprache auch bosnisch sie unterscheiden sich von ihren Nachbarn, in ethnischer (Albaner und Türken) und konfessioneller (Christen) Hinsicht
Die Verbreitung der Sprachbezeichnung „Bosnisch“ der Name der bosnischen Sprache ist eine durch Jahrhunderte belegte und gewachsene Tradition, die auch die bosnische Staatlichkeit aufweist existierte schon in der vorosmanischen Periode bezieht sich in der osmanischen Periode auf alle 3 konfessionellen Gruppen (Muslime, Katholiken und Orthodoxe)
Die historische Ausgliederung des Bosnischen In der slawischen Urheimat bildeten sich die ethnisch – sprachlichen Großgemeinschaften heraus die südslawische die westslawische die ostslawische
Die historische Ausgliederung des Bosnischen auf den Balkan gab es eine innere Binnengliederung und zwar einen östlichen Teil einen westlichen Teil und daraus ergab sich dann eine ost-südslawische Ursprache eine west-südslawische Ursprache
Die historische Ausgliederung des Bosnischen aus der west-südslawischen Ursprache entwickelten sich drei Mundarten das Štokavische das Kajkavische das Čakavische
Die historische Ausgliederung des Bosnischen 15. Jh.: die Ausgliederung des westlichen Štokavischen ist beendet es liegen 4 Sprachtypen vor der westbosnische der ostbosnische der westhumische der osthumische
Die historische Ausgliederung des Bosnischen schon damals existierte eine globale sprachliche Schichtung der Šćakavismus im Norden der Štokavismus im Süden der Ikavismus im Westen der Ijekavismus im Osten
Die historische Ausgliederung des Bosnischen seit der 2. Hälfte des 15.Jh. nehmen die Wanderungen Richtung Norden und Nordwesten zu das Mundarten Relief auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas ändert sich die Bosniaken im Sandžak gehören dem sog. „Zeta-Südsandžak-Typus“/„zetsko-južnosandžački govor“ an, der gemischt ijekavisch-ekavisch ist
Die historische Ausgliederung des Bosnischen der moderne standardsprachliche Ausdruck der bosniakischen Bevölkerung liegt auf einer westštokavischen Mundart – Basis 19. Jh.: die progressive ostherzegowinische ijekavische štokavische Mundart wurde als Standardsprache angenommen
Die geographische Aufgliederung des Bosnischen die territoriale Aufgliederung wird von vielen Faktoren beeinflusst → Kommunikationsisolierung in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro werden besondere kommunikative Gemeinschaften dargestellt
Die geographische Aufgliederung des Bosnischen die Ursachen für die Entstehung der Spezifika sind unterschiedlich es gibt also mehr als 90% unmarkierte Isoglossen, die an keine staatlichen oder ethnischen Einheiten gebunden sind die national markierten Isoglossen sind nicht zahlreich und stellen kein Hindernis für die Kommunikation dar
Die geographische Aufgliederung des Bosnischen die Bosniaken, Kroaten, Serben und Montenegriner habe eine gemeinsame, aber keine einheitliche Sprache die Unterschiede beziehen sich hauptsächlich auf religiöse Besonderheiten, die ihre Wurzeln in der politischen und kulturellen Situation im Mittelalter haben
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische in den letzten 100 Jahren mussten die Bosniaken ihre Erinnerung an die Sprache weitgehend verdrängen sie müssen Wörterbücher lesen ohne bosniakische Wörter sie müssen Programme ausarbeiten ohne bosniakische Autoren
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische man kann keine Sprachpolitik betreiben, wenn der Name der Bosniaken kaum erwähnt wird die Bosniaken wurden innerhalb einer Konzeption der serbo-kroatischen/kroato-serbischen Sprache erzogen schuld waren sie selbst, denn sie ignorierten sich selbst, wichen ihrer Sprache aus und verdrängten sie
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische die Sprachpolitik trug dazu bei, dass der Namen der bosnischen Sprache aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurde nur die Sprachpolitik im Interesse des Volkes kann den Namen der Sprache wieder in ein öffentliches Bewusstsein zurückführen
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische aktuelle Periode → Zeit der stürmischen Wandlungen und Veränderungen über Nacht nimmt die Form eine fremde Variante an man greift aber wieder auf alte Formen zurück, die schon immer zur bosnischen Sprache gehören und tief in ihr verwurzelt sind
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische phonetische, lexikalische und syntaktische Dubletten so (nicht sol) – Salz jučer (nicht juče) – gestern slavenski (nicht slovenski) – slowenisch
Die Bedeutung der Sprachpolitik für das Bosnische Infinitiv statt „da + Präsens“ želim vidjeti, nicht: želim da vidim – ich möchte sehen Volksnamen für Monate siječanj neben januar – Jänner neue Formen bürgern sich ein, z.B. malehan – sehr klein srebren – silbern
Die Standardisierung des Bosnischen der letzte Kampf, den ein Volk kämpft, ist jener um die Standardsprache die Bosniaken kämpfen heute um ihr ethnisches und kulturelles Bestehen
Die Standardisierung des Bosnischen der größte Teil der Bosnier lebt außerhalb Bosniens viele wurden vertrieben, sie leben in einem Netz der Verdrängung ihrer nationalen Identität die im Sandžak Lebenden entfremden sich immer mehr von ihren Landsleuten
Die Standardisierung des Bosnischen 19. Jh.: Vuk Karadžić Annäherung zwischen Serben und Kroaten → gemeinsame Namensgebung dieser Sprache Kroatisch oder Serbisch/hrvatski ili srpski Serbokroatisch oder Kroatoserbisch/srpskohrvatski ili hrvatskosrpski
Die Standardisierung des Bosnischen politische Distanzierung zwischen Kroaten und Serben eine wirkliche einheitliche Sprachnorm hat sich nie durchgesetzt
Die Standardisierung des Bosnischen 70er Jahre „Priručna gramatika hrvatskog književnog jezika“ von Eugenija Barić u.a. „Hrvatski pravopis“/„Kroatische Rechtschreibung“ von Babić/Finka/Moguš 1991 „Rječnik hrvatskoga jezika“/„Wörterbuch der kroatischen Sprache“ von Vladimir Anić
Die Standardisierung des Bosnischen der Weg zu einer gemeinsamen Standardsprache der vier südslawischen Völker war lang, mühsam und unfruchtbar eine gemeinsame Norm wurde mehr oder weniger erreicht diverse Strömungen → sie betrieben die Einrichtung von besonderen nationalen Normativen
Die Standardisierung des Bosnischen die Zerlegung begann auf der kroatischen Seite, wurde jedoch von der serbischen Seite aufgenommen die Bosniaken mussten sich entweder den Kroaten oder den Serben anschließen Formel „Ein Volk – eine Sprache“/„Jedan narod – jedan jezik“ → bedient meist mehrere Nationen
Die Standardisierung des Bosnischen die kroatische und serbische Standardsprache bindet sich in ihrem Aufbau an die christliche Kultur bzw. Zivilisation die bosnische aber ist kaum von der islamischen Kultur und Zivilisation zu trennen
Die Standardisierung des Bosnischen drei Handbücher braucht man um die Spezifität einer Standardsprache auszudrücken Rechtschreibung (orthographische Norm) beschreibendes einsprachiges Wörterbuch und Grammatik (sie beschreiben die orthoepische, lexikalische, morphologische und syntaktische Norm)
Quellennachweis Halilović, Senahid (1999): Das Bosnische. In: Hinrichs, Uwe (Hrsg.): Handbuch der Südosteuropa - Linguistik. Wiesbaden, Harrasowitz Verlag (= Slavistische Studienbücher, Neue Folge Bd. 10), 413-428.