Haben sich radikalere Reformforderungen überholt?

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 Präsentation transkript:

Haben sich radikalere Reformforderungen überholt? Zur aktuellen Lage der Finanzmärkte und der europäischen Staatsschuldenkrise Haben sich radikalere Reformforderungen überholt? Helge Peukert@uni-erfurt.de

Das vorherrschende Narrativ: Die Krisen sind überwunden Die Krisenländer wachsen wieder Die Börsenkurse stimmen optimistisch Die (Staats)Anleihezinsen sind niedrig Höheres Eigenkapital (Basel III) Bankenunion, keine Spekulation Mutige EZB (LTRO, OMT, QE …) Aber: der schöne Schein trügt

Überblick 1. Das globale Verschuldungsproblem 2. Die europäische Konstellation 3. Reformagenda

1. Das globale Verschuldungsproblem „All crises have involved debt that, in one fashion or another, has become dangerously out of scale in relation to the underlying means of payment“ J.K. Galbraith: A short history of financial euphoria (1990) Reinigungskrise oder Superblase

Ein Kernprozess: Irrationaler Überschwang Bonanza → neue Möglichkeiten → Boom → Euphorie → Abweisung → Unbehagen → Panik → Misskredit (Depression): Leverage (Verschuldung) Geldschöpfungsprivileg der Banken!

Erkannte Krisenursache: Banken-Kreditgeldschöpfung Claudio Borio (BIZ): The financial cycle and macroeconomics … Brunnermeier/Schnabel: Bubbles and central banks, Mimeo, 2015 Cleaning or leaning (nur makroprudentielle Regulation) Tabu: Vollgeld

Worin bestand das griechische ELA-Problem? Liquiditätshilfe nationaler ZBen Giralgeld: Verbindlichkeit auf Auszah-lung von Geld 14.4 EZB-Statut: 2/3-Rats-Ablehnung Ok: Notstandsmaßnahme oder wider-rechtliche Erpressung? Hellwig vs. Sinn EZB zwangsläufiger Politakteur Mit Vollgeld wäre das nicht passiert

Superblase statt Reinigungskrise

Inländische Privatkredite als %-Satz des BIP (R & R 2013)

Warum ist Verschuldung problematisch? Grenze, dann Wachstumsbremse (?) Zinssatz > Wachstumsrate (r > g) Gläubiger: Zugriffsansprüche auf BIP Steigende Abhängigkeit vom „Kapital“ Erhöht Vermögenspolarisierung Volatilität, Fragilität } Kollaps-Risiko

Schwellen-These Schrumpfung des Finanzsektors und der Ver-schuldung wesentlich Cecchetti, S., Mohanty, M. und Zampolli, F.: The real effects of debt (BIS, WP 352, 2011)

Der Finanzsektor ist nicht geschrumpft worden

2. Die europäische Konstellation

Die Schuldenberge steigen

Viele Euro-Kernländer sind stark überschuldet

Der Teufelskreis Sparen → Nachfrage sinkt → Einkommen sinken → Zu hohe Privatverschuldung → Sparen Bei gleichzeitigem Sparen scheitert der Schuldenabbau

Lösungen der Staats- schuldenkrise Transfer-Union (inklusive ESMs) Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen Zielkonflikte und wenig wirksam Hohes Wachstum EZB: Zinsen ↓, Inflation ↑, OMT, QE Schuldenschnitte, Vermögensabgaben! + Staats- und Bankinsolvenzen

McKinsey Global Institute: Debt and (not much) deleveraging, 2015 „For the most highly indebted countries, neither growth nor austerity alone is a plausible solution. New approaches are needed … one-time taxes, for in-stance on the super rich“ Alternative: Umstellungsgewinne bei Vollgeld-Einführung

Aus der Krise herauswachsen? Eine unrealistische Strategie

ZBen gießen Öl ins Feuer: Neue Blasen

Der Ausnahmezustand: Neoliberaler Schattenstaat Vollversicherung zum Nulltarif (OMT) Heruntermanipulierte Zinsen für Staatsan-leihen (Spanien: von 7 auf 1,3%) Ultraexpansive Geldpolitik: 0-Zins, Voll-zuteilung, Einlagen-Minuszins, LTRO, SMP, QE …, Unschuldslamm Nicht legitimierter Politakteur (IR, IT) EU: 5-Pr-B.,NAfW, Fiskalausschuss Terminkalender der notenbanker

Autoritäres Ausnahmeregime Regelopportunismus, Willkür Troika: Die Gläubiger sind Schiedsrich-ter, EZB: Arbeitsmarktexperte Wettbewerbsfähigkeit! Die Löhne + Preise müssen sinken ☺ und Gespenst: Deflation☻ Bündnis: EZB, (Finanz)Großwirtschaft, Politestablishment + Vermögenden

QE und Deflation (R.C. Koo: „The escape from balance sheet recession and the QE trap“, 2014) Deflation: Problem wenn Überschuldung Bilanzrez.: wirkungslos, Wechselkurs Vermögenseffekt (DL: wenig Aktionäre) Staaten: Stabilitätsillusion (0-Zins) Blasenbildung + Kreditwachstum Prekäre Erträge (Lebensversicherer) Verdrängungseffekt (Liquiditätsillusion) Höhere Volatilität April-juni 2015 flash crashs, 10-15 bp; Okt. 2015: 550 Mrd., 10 CB, 1,6 ABS

Das QE-Paradox

Säkulare Stagnation/Savings glut: Negativer Gleichgewichtszins? Dann verhielte sich die EZB reaktiv und ausgleichend, ist aber wenig überzeugend (IT): negativer An-leihezins + 130% Staatsverschuldung? Unabhängig von möglichen Sparüber-schüssen ist die EZB Zinsmanipulator, um den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern

Ansonsten: EU-Reförmchen Provisionen bei Anlageberatung Gedeckte Leerverkäufe und CDS ok HFH: keine Mindesthaltedauer Basel III: 3%-Minimalismus Megabanken: dürfen weitermachen Keine Staateninsolvenzverordnungen Schattenbanken! (USA: 125%)

Patchwork statt Strukturre-formen: Die Folgen Dosis rauf vs. Medikamentenwechsel (No Bargeld: Interventionsspirale) Zins verliert Signalwirkung Deflation oder Regelbruch (Schulden-bremse), “Flexibilisierung“ Super-EZB: Geldpolitik, Bankenaufsicht, Finanzmarktstab., Konjunkturpolitik Expertokratie: technical issues

Bürokratische Komplizierung 1250 Neue, quantitative Modelle, Su-pervisory Board (19 Länder): 2500/Jahr, nur EZB-Direktorium entscheidet, EBA-Stresstest + interne Modelle, 160 nat. Optionen/Wahl-rechte bei EK-RL, bald alle Banken erfassen Anacredit: 25.000 Euro + 120 Daten Wissensanmaßung: SREP: 5 Typen SREP: Supervisory Review and Evaluation Process; bedeutende Bank: 30 Mrd. Aktiva, 20% BIP, 3 wichtigste des Landes

Was geschieht hier eigentlich? Eine Deutung Bündnis: EZB, (Finanz)Großwirtschaft, Politestablishment + Vermögenden Systemerhalt sichern, Kompromiss nationaler Politestablishments, „Solidarhaftung“, Regu-lierung als Wettbewerbsvorteil für Mega- und Schattenbanken, praktische Undurchsichtig-keit, Angst vor System-Zusammenbruch + Eliteninteressen, Machtinteressen der Institu-tionen (EZB, EU-Kommission), Ideologie

Ordnungspolitische Alternative (J. Kay: Other people´s money, 2015) Offenes, selbstreferentielles, komplex-es, nichtlineares, hypersensitives Sy-stem mit positiven Feedbacks Kein wissenschaftliches ´Metanarrativ´ Reformimperative: Vereinfachen, ent-schleunigen, redunzieren, realökono-misch erden, linearisieren: Simplify! Einfache Strukturreformen statt kom-pliziertes fine tuning

Reformagenda 1. Vollgeldreform 2. Regelbasierte/demokratische EZB 3. Schuldentilgungskonferenz 4. Insolvenzen und Parallelwährungen 5. Banken-Zerschlagung (100 Mrd. €) 6. Gegen-Steuern: Vermögensabgabe, EU: Mindeststeuersätze, GKKB, keine Steueroasen (LuxLeaks) …

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Hurra, es tut sich was!

Christoph Pfluger: Das nächste Geld Kritik des fraktionellen Reservesystems: Rechtsunsicherheit mangelnde Kontrolle positive Rückkoppelung Keine Nachhaltigkeit Verschuldungszwang …

Die Bankenunion (Too big to fail + analyze?) Bankenaufsicht (Stresstests) Abwicklungspläne, Testament Abwicklungsgremium + -kollegien Bail-In (8%), Bankenfonds (55 Mrd. €) Kollektive Einlagensicherung Regulierung als Wettbewerbsvorteil für Mega- und Schattenbanken

Savings Glut S } I, neoklassische Loanable Funds, Banken als Intermediäre Nichtneutralität des Geldes, Banken schaffen Depositen über Kreditvergabe ZB } i, + Signale und Ankäufe, Markt-akteure passen Portfolios an Keynes (Mises, Hayek: Bündnisfrage)

Reformagenda 1. Vollgeldreform 2. Regelbasierte/demokratische EZB 3. Schuldentilgungskonferenz 4. Insolvenzen und Parallelwährungen 5. Banken-Zerschlagung (100 Mrd. €) 6. Gegen-Steuern: Vermögensabgabe, EU: Mindeststeuersätze, GKKB, keine Steueroasen (LuxLeaks) …

Werturteile Nicht nur „notwendige Tatsachen der natürlichen Welt“, auch Ideologien + Interessen und Ethik Fairness und soziale Gerechtigkeit: Demokratisch, sozial, kulturell divers, legal (Verträge einhalten), gerecht (Haftungsprinzip) und ökologisch

Der kurzfristige Pfad Dezentrales, robustes, transparentes No-bail-out-Regime, mit automatischer Schuldenrestrukturierung, weder tech-nokratisch noch belästigend Umschuldungen: 1-60/X, Insolvenzen Parallelwährungen Sicherung nationaler Standards über Marktzugangsverbote

EZB-TINA? Bankeninsolvenzen: 1%-Vorschlag Ewiger EZB-Schuldenaufkauf bis 60% ohne Zinsen (+ Staateninsolvenzverord-nung + Steuern + Finanzmarktrefor-men) 1 Bio. € an Bürger: 3400 € pro Nase „Produktive Flüchtlingsgeldkreditschöpfung“