Medizinische Methodologie

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 Präsentation transkript:

Medizinische Methodologie Rudolf Seising Telefon: 40 400 6664 e-Mail: Rudolf.Seising@meduniwien.ac.at Medizinische Universität Wien Core Unit for Medical Statistics and Informatics Abteilung für Medizinische Experten- und Wissensbasierte Systeme

Wissenschaft Methodologie Methode Wissenschaftstheorie Wissenschaftsgeschichte Wissenschaftssoziologie Wissenschaftspsychologie Methodologie Lehre von den Methoden zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse Formuliert Handlungsanweisungen mit denen Verfahren, Erkenntnisse gewonnen werden können und welche Hilfsmittel dazu eingesetzt werden dürfen Methode Bestimmt den Weg, um ein vorgesetztes Ziel zu erreichen.

Medizinische Methodologie Medizin und Wissenschaft Logische Grundlagen (Aussagenlogik, Mengentheorie, Prädikatenlogik) Wissenschaftstheoretische Grundlagen (Deduktive und induktive Wissenschaft, Strukturalismus) Wissenschaftshistorische Grundlagen (Neopositivismus, Kritischer Rationalismus, Wissenschaftliche Revolutionen) Mathematische Grundlagen (Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik,Bedingte Wahrscheinlichkeiten) Entscheidungstheorie, Modelle, Systeme, Kybernetik, Künstliche Intelligenz, Expertensysteme, ...

Literatur: R. Gross, M. Löffler: Prinzipien der Medizin. Berlin, Heidelberg, [u. a.]: Springer-Verlag 1997, 1. korr. Nachdruck 1998.

⇒ Argumentationsgrundlage / Wissensbasis Wer etwas über die Welt aussagen will, der muss zunächst Erfahrungen über die Welt sammeln. Es gibt Regeln des logischen Zusammenhangs (logische Regeln). ⇒ Alle Erkenntnisse beruhen in irgendeiner Form auf empirischem Wissen bzw. auf Erfahrung oder lassen sich durch Regeln der formalen Wissenschaften, der Logik oder der Mathematik herleiten.

Was ist Wissenschaft ? Die Wissenschaft ist zu komplex, um sie durch einfache Begriffe erklären zu können. Wie verwenden wir den Begriff „Wissenschaft“ ? Wir verwenden den Begriff „Wissenschaft“, ohne über eine eindeutige Begriffsbestimmung zu verfügen ! Was alles verstehen wir unter Wissenschaft ? Wissenschaft ist dort, wo diejenigen, die als Wissenschaftler angesehen werden, nach wissenschaftlich anerkannten Kriterien forschend arbeiten.

Wissenschaft und Medizin Ist die Medizin eine Wissenschaft ? Nein ! Ja ! so genannte nicht-wissenschaftliche Methoden ? basiert auf Grundlagenwissen-schaften „wissenschaftlich fundiert“ Medizin ist ärztliche Tätigkeit. als Handlung anders zu beurteilen, als das Wissen vom Menschen

Iatrophilosophie , Mario Bunge, 1980 Ist die medizinische Praxis überwiegend ... ... rational ? ... empirisch ? ... intuitiv ? ... oder eine Kombination der drei Möglichkeiten ? Ist die Medizin ... ... oder ein Zweig der Technologie ? ... eine Wissenschaft ? ... oder vielmehr eine Mischung aus Technologie und Aberglauben ? Wie verhalten sich die Mediziner: wie Weise oder wie Scharlatane, wie Techniker oder Kaufleute ?

Zweige der Iatrophilosophie Mario Bunge 1980 Iatrologik Erforschung der logischen Probleme der Medizin Iatrosemantik Erforschung der semantischen Probleme der Medizin Iatrognoseologie Erforschung der Probleme des medizinischen Wissens Iatromethodologie Erforschung der methodologischen Probleme der medizinischen Praxis Iatroontologie Erforschung der ontologischen Begriffe oder Hypothesen, die den medizinischen Lehren und Praktiken innewohnen Iatroaxiologie Erforschung der medizinischen Werte Iatroethik Erforschung der moralischen Probleme, die die medizinischen Forschung und Praxis aufwerfen. Iatropraxeologie Erforschung der allgemeinen Probleme, die die individuelle medizinische Praxis und die Steuerung der öffentlichen Gesundheit aufwirft.

Der Begriff der Krankheit Mario Bunge 1980 Krankheit als ein Wesen, das auf irgendeine Weise in den Organismus eindringt, der es transportiert (sein Träger ist) und es auf andere Organismen übertragen (weiterreichen) kann Es gibt nicht Krankheiten sondern Kranke!

Systematische Auffassung der Krankheit Bunge 1980 Krankheit ist kein Wesen. Krankheit ist kein Ding. Krankheit ist Zustand (besser: eine Menge von Zuständen) eines Wesens, eines Organismus irgendeiner Spezies. Der neue Zustand (oder die Menge von Zuständen) wird charakterisiert durch bestimmte (anormale) Werte bestimmter Eigenschaften, wie z. B. des Gewichts, der Temperatur, der Konzentration von Koch’schen Bazillen etc. Der Spezialist für Tuberkulose weiß, dass diese Werte anormal sind, d. h. dass sie außerhalb bestimmter tolerierbarer Bereiche liegen

Systematische Auffassung der Krankheit Bunge 1980 Beispiel: System a (Atom, Körper, Virus, Bakterium, Alge, menschliches Wesen, Gemeinschaft) a besitzt eine Anzahl n von Eigenschaften. Pi sei die i-te Eigenschaft von a. i {1, ..., n} Fi sei eine Funktion, die die Eigenschaft Pi adäquat repräsentiert. Fall Menschliches Wesen: Fi kann z. B. sein: die Funktion, deren Werte die Konzentration von Glukose im Blut misst, oder die Werte der Intensität der Schallwellen, die das Trommelfell im Ohr erreichen.

Systematische Auffassung der Krankheit Bunge 1980 Im einfachsten Fall Fi ist eine Funktion mit zwei Argumenten: Systeme (z. B. Menschen) und Zeit. Fi ist eine reelle Funktion oder sie nimmt als Werte m-tupel reeller Werte an. Fall Organismen der menschlichen Spezies: Fi : H T  Rm H repräsentiert die Menschheit, T die Menge der Augenblicke der Zeit R die reelle Zahlengerade Der Wert der i-ten Eigenschaft Pi für das Individuum a im Augenblick t ist Fi (a, t) = fi wobei gilt: fi R, oder fi Rm.

Systematische Auffassung der Krankheit Bunge 1980 Gruppieren der n Funktionen (die die n Eigenschaften repräsentieren) zu einem geordneten n-tupel: F = < F1, F2, F3, ..., Fn > Der Wert von F für das Individuum a zum Zeitpunkt t heißt der Zustand von a in t. Im Zeitverlauf kann sich der Zustand ändern. Der Zustand eines Systems kann durch einen Punkt im Raum (Zustandsraum) repräsentiert werden. Die Koordinaten dieses Punktes sind die Komponenten des Vektors F. s = F (a, t) ist der Punkt, der den Zustand von a zur Zeit t repräsentiert. Dieser Punkt kann sich im Zustandsraum von a bewegen. Dieser besteht aus der Menge aller möglichen Werte von F für a, also der Menge der Werte F(a, t). Der Zustandsraum des Systems (z. B. des Patienten) a ist die Menge S(a) = {F(a, t) | t T}.

Systematische Auffassung der Krankheit Bunge 1980 Normale Zustände F2 Nomologische Zustände (gesetzmäßig mögliche) S(a) SL(a) F(a,t‘) F(a,t) F1

Ist die Medizin eine Wissenschaft ? „Man kann die Medizin einigermaßen zutreffend als Wissenschaft vom menschlichen Organismus als einer bio-psycho-sozialen Einheit, seinen Krankheiten und deren Erkennung und Behandlung kennzeichnen. Aus dieser Kennzeichnung ergibt sich, welches die Grundkonzepte der Medizin sind, nämlich die des Organismus, des somatischen, psycho-somatischen und sozio-(psycho-) somatischen Zusammenhangs, der Krankheit, der Diagnose und Diagnostik, Prognose und Prognostik und der Behandlung und Therapeutik im weitesten Sinne (Diätetik, Therapie, Prävention, Rehabilitation). Alle genannten Grundbegriffe beinhalten zugleich typische medizintheoretische Probleme, die ihre genaue Bedeutung und Abgrenzung, ihre theoretischen und praktischen Implikationen und ihre korrekte Formulierung und Rekonstruktion betreffen. Eine Klärung dieser medizin-theoretischen Problematik ist gleichbedeutend mit der Klarlegung der spezifischen Wissenschaftsstruktur er Medizin, ihrer oben sogenannten „Eigenstruktur“. Damit ergeben sich dien Hauptgebiete der Medizintheorie.“ (Peter Hucklenbroich: Wissenschaftstheorie als Theorie der Medizin, 1992.)

Was tun Mediziner ? Meta-Indikationen Arzt gibt Behandlung: Zuhören, Vorsorge, Beratung, Begleitung, Zuwendung, Trost. Patient hat Handlungsbedarf Patient hat Abklärungsbedarf Arzt klärt ab, ob überhaupt ein behandlungsbe-dürftiger oder behandlungsfä-higer Krank-heitszustand vorliegt.

Initiale Informationen Was tun Mediziner ? Meta-Indikation Ja Nein Initiale Informationen Wie? - Mitteilungen, Wahrnehmungen, Beobachtungen, Schilderungen von Beschwerden Was? - Geschlecht, Alter, Größe, Allgemeinzustand Wo? - Sprechstunde, Hausbesuch, telefonische Konsultation

(„Ärztliche Wissensbasis“) Was tun Mediziner ? Sofortbehandlung Initiale Informationen „Ärztliches Begriffsraster“ Diagnostik Medizinisches Wissen Kenntnis medizinischer Symptome und wie diese subjektiv wahrgenommen werden („Ärztliche Wissensbasis“)

Die diagnostisch-therapeutische Schleife 1. Gewinnung von Informationen über den Patienten 2. Entscheidung über indizierte diagnostische und therapeutische Maßnahmen 2.1. Bildung der aktuellen differentialdiagnostischen Alternative 2. 2 Auswahl der geeignetsten diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahme 3. Ausführung der Massnahme(n) Gewinnung von Informationen über den Patienten 4. Falls Abbruchkriterium erfüllt, Ende – sonst weiter mit 1.