Zur Instrumentalisierung von Gewalt gegen Migrantinnen

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 Präsentation transkript:

Zur Instrumentalisierung von Gewalt gegen Migrantinnen Zwangslogik? Zur Instrumentalisierung von Gewalt gegen Migrantinnen Dr. Nivedita Prasad, 23.11.2010 21 Folien MR Perspektive, denn ich komme aus der Sozialen Arbeit die ich aber als Menschenrechtsprofession betrachte – also kann ich Ihnen den Hinweis nicht ersparen

Viel öffentliches Interesse: Menschenhandel Praxiserfahrungen von Sozialarbeitenden rücken zunehmend in den Mittelpunkt, wenn es darum geht, Gewalt gegen Migrantinnen politisch zu debattieren. Hierdurch erfährt die Soziale Arbeit nicht nur Wertschätzung; es besteht gleichzeitig die Gefahr, dass ihr Wissen instrumentalisiert wird um andere politische Ziele durchzusetzen. Viel öffentliches Interesse: Menschenhandel Weibliche Genitalbeschneidung (FGM) Zwangsverheiratung Ich werde mich – auch aus aktuellen Anlass – auf Zwangsverheiratung konzentrieren

Beispiel für Instrumentalisierung: Menschenhandel: Fußball WM 2006 Vor der Fußball WM entstand das Gerücht, dass zur WM 40.000 „Zwangsprostituierte“ einreisen werden. NGOs, die Kampagnen zur WM planen, tragen zur Aufrechterhaltung des Gerüchts bei. Franco Frattini fordert schließlich, eine vorübergehende Visapflicht für Frauen aus bestimmten Ländern wiedereinzuführen! Menschenrechtliche Verstöße: Verletzung mindestens von CEDAW, AEMR, ICERD, Zivilpakt und Sozialpakt diskriminierende Maßnahmen – Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips Alle Konvention von BRD ratifiziert und damit rechtsverbindlich für die BRD Hier war es ja ein staatlicher Akteur, das folgende Beispiel stamm aber von einer NGO

Beispiel für Instrumentalisierung: Weibliche Genitalbeschneidung Die NGO „Task Force für effektive Prävention von Genitalverstümmelung“ fordert: „Afrikanischen Eltern in Deutschland generell das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen, damit ihre Töchter bis zum Erreichen der Volljährigkeit nicht in die entsprechenden Länder gebracht werden dürfen“. Menschenrechtliche Verstöße: Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips, (AEMR Art.2, Zivilpakt Art.2.1, Sozialpakt Art. 2.2,) ICERD Verletzung des Zivilpaktes Art.12.2 & Art.12.4 In diesem Fall geht es um eine Forderung einer NGO, die in dieser Form im Bundestag präsentiert worden ist. AEMR Art. 2: Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist. Zivilpakt 2.1. und Sozialpakt 2.2. andere Formulierung – aber ähnlicher Inhalt Internationales übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassistischer Diskriminierung Artikel 12.2. Zivilpakt :Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte: Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen Artikel 12.4. Zivilpakt: Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Mit diesen Forderungen war Task Force zum Glück nicht sehr erfolgreich, aber andere NGOS wie Terres des Femmes waren mit ihren Forderungen sehr erfolgreich.

Beispiel für Instrumentalisierung: Zwangsverheiratung Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes im August 2007, nach entsprechenden Forderungen aus der Praxis HeiratsmigrantInnen aus einigen Ländern müssen Deutschkenntnisse vor Einreise nachweisen Mindestalter für HeiratsmigrantInnen ist heraufgesetzt Ungleichbehandlungen zwischen Deutschen mit bzw. ohne Migrationshintergrund Inländerdiskriminierung als Folge Kollateralschaden: Inländerdiskriminierung & mögliche Gefahr der Zwangsschwangerschaften! Maßnahmen, die Betroffene von Zwangsverheiratung schützen fehlten – dies wird jetzt nachgeholt – aber wie? Inländerdiskriminierung: Ausnahmen bestehen für EU-BürgerInnen und BürgerInnen aus Australien, Israel, Japan, Kanada, Südkorea, Neusee­land und den USA. Auch „Familienangehörige aus Nicht-EU-Staaten, benötigen beim Familiennachzug zu Unionsbürgern nach Deutschland keine Sprachkenntnisse. Es entsteht hierbei de-facto eine Inländerdiskriminierung, denn Deutsche sind in diese Regelung schlechter gestellt als EU-BürgerInnen. Collateralschaden, Begriff erklären Härtefallregelung: Eine möglicherweise absurde Konsequenz könnte die – ansonsten begrüßenswerte – Härtefallregelung in diesem Zusammenhang haben. Diese ermöglicht eine frühere Einreise bei Vorliegen einer Härte. Eine solche Härte ist beispielsweise eine Schwangerschaft. Gerade die Gruppe, die es hier zu schützen gilt – potentielle Opfer von Zwangsheirat. bringt der Gesetzgeber hierdurch in eine sehr schwierige Lage. Dass nunmehr Druck oder gar Zwang auf junge Frauen entstehen könnte, sehr jung schwanger zu werden, um eine Familien­zusammenführung zu erreichen, ist vorstellbar und konterkariert jegliche schützende oder vorbeugende Absicht gegenüber einer möglichen Zwangsverheiratung. Ich behaupte, es sind MR widerige Forderungen und will verdeutlich, was ich damit meine:

Menschenrechtliche Bedenklichkeit Menschenrechtliche Verstöße: Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips, (AEMR Art.2, Zivilpakt Art.2.1, Sozialpakt Art. 2.2,) Recht auf Familie wird empfindlich berührt: AEMR Art.12 und 16.3 Zivilpakt Art.23.1 Sozialpakt Art. 10.1 AEMR Artikel 12: Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. Zivilpakt: AEMR 16.3.: Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. Zivilpakt 23.1.: Die Familie ist die natürliche Keimzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat Sozialpakt 10.1.: Vertragsstaaten erkennen an, dass die Familie als die natürliche Keimzelle der Gesellschaft größtmöglichen Schutz und Beistand genießen soll… Ich will nochmals in Erinnerung rufen, dass es hier Forderungen waren, die auch Beratungsstelle und Frauenlobbygruppen – wie TDF – gefordert haben Der aktuelle Gesetzesentwurf ist in seiner Perfidität kaum zu überbieten, denn er bietet „Zuckerbrot und Peitsche“ an.

Aktueller Gesetzesentwurf: Wiederkehrrecht für Zwangsverheiratete soll ermöglicht werden; Ehebestandzeit für HeiratsmigrantInnen soll auf 3 Jahre erhöht werden! ( § 31 Aufenthaltsgesetz) Als Begründung wird angeben, Scheinehen zu verhindern! Die Quelle dieser Behauptung ist „Wahrnehmungen aus der ausländerbehördlichen Praxis“ ! Ehebestandszeit erklären?? Quelle ist wirklich interessant, dass Juristen und Politiker Gefühle als Quel Offenbar kann man Migrantinnen nur was geben, wenn man ihnen was anderes nimmt, ich wage die These, dass es zahlenmäßig mehr Migrantinnen gibt, die unter der Ehebestandzeit zu leiden haben, als die die von ihren Eltern ins Herkunftsland verbracht wurden, um dort gegen ihren Willen vergewlatigt zu werden. ABER: Natürlich ist dieser Teil des Gesetzes wunderbar, aber ein andere natürlich nicht, Wie sollen Bundesländer da zustimmen oder ablehnen, es müssen sich vermutlich alle enthalten!! Oder???

Menschenrechtliche Sicht: Der UN Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau hat in seinem letzten Kommentar zu Deutschland u.a. gesagt: „Der Ausschuss sieht außerdem mit Sorge die unzureichenden Auswirkungen des Gewaltschutzgesetzes von 2002 auf extrem gewalttätige Täter und Wiederholungstäter und auf weniger als zwei Jahre verheiratete Migrantinnen.“ (Abschließende Bemerkungen des CEDAW Ausschuss an Deutschland vom 10.2.2009; CEDAW/C/DEU/CO/6; Abs. 41.)

Auswirkungen der Verschärfungen von 2007 Anzahl von HeiratsmigrantInnen aus Ländern wie der Türkei oder Thailand dramatisch zurückgegangen; (finanzielle) Belastungen für Migrationswillige gestiegen; fatale Folgen für Abhängigkeit vom Ehepartnern (§31 AufenthaltG. und Heiratshandel); Verlängerung der Einreiseprozedur; Einreise für Bildungsferne und Analphabeten faktisch ausgeschlossen – das Recht auf freie PartnerInwahl empfindlich betroffen; Migration von bestimmten MigrantInnen ist erfolgreich beschränkt worden! Verschiedene Bedeutung von 1 Jahr!!

Befürchtete Auswirkungen der geplanten Verschärfung Von Gewalt betroffene Heiratsmigrantinnen, die die erlebte Gewalt nicht nachweisen können; Gewalt erleben, die nicht so ohne weiteres nachweisbar ist, sich nicht trauen zu versuchen die Härtefallregelung für sich in Anspruch zu nehmen; Gewalt erleben, die „als weniger schwer“ bewertet wird, werden länger in Ehen verweilen, die ihnen schaden und das alles als Folge eines Gesetzes was Migrantinnen vor Gewalt schützen sollte???? Wie ist das möglich???

In allen Fällen: wurde das Thema Gewalt gegen Migrantinnen als Legitimation für Maßnahmen mit anderen politischen Zielen instrumentalisiert; wurden Maßnahmen verabschiedet, die im Kontext der Migrationsbeschränkung zu sehen sind; wurden keine Maßnahmen verabschiedet, die die Opfer der Taten schützen; basierten die Forderungen auf Praxiserfahrungen der (Professionellen) Sozialen Arbeit; haben die beteiligten Beratungsstellen öffentliches und mediales Interesse für ihre Themen erzeugt. Wie konnte das passieren? Am Bsp. Der Zwangsverheiratung verdeutlichen

Scheinbar naheliegende Erklärungen Statistisch höhere Vulnerabilität und überproportionale Anwesenheit von Migrantinnen in Frauenhäusern; Stefan Gaitanides weist darauf hin, “dass mit der Überrepräsentation in den ‚Endstationen’ der sozialen Arbeit – wie zum Beispiel in Frauenhäusern – eine Unterrepräsentation von Migranten vor allem in den präventiven Bereichen der sozialen Dienste einhergeht“. (Gaitanides 2007, S. 38) Defizite bei der Auswertung: ökonomische Situation Soziale Schichtzugehörigkeit Birgit Rommelspacher weist darauf hin, dass auch diese scheinbar neutralen Zahlen nicht unbedingt miteinander vergleichbar sind, „denn die soziale Situation der untersuchten türkischen Frauen unterscheidet sich erheblich von der der Vergleichsgruppe: Sie verfügen vielfach nicht über ein eigenes Einkommen, sind seltener berufstätig, haben deutlich mehr Kinder und lassen sich seltener scheiden. 19% Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss im Gegensatz zu einem Prozent der deutschen und osteuropäischen Frauen.“[1] In einer Nacherhebung wird die höhere Betroffenheit Frauen türkischer Herkunft durch verschiedene Faktoren begründet. Hierzu gehören laut Schröttle/Ansorge „ oftmals eine schwierigere soziale Lage, mangelnde Bildungs- und ökonomischen Ressourcen, eine erhöhte ökonomische Abhängigkeit und oftmals fehlenden Sprachkenntnisse.“[2] Während diese Aspekte zumindest statistisch erfassbar erscheinen, ist es nicht nachvollziehbar welche Erhebung die Autorinnen dazu bewogen haben zu behaupten, dass „traditionelle Werte und Normen, die Unterordnung von Frauen im Geschlechterverhältnis, männliches Dominanzverhalten und die Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“[3] nur bei Migrantinnen zu Gewalt beitragen! Hiermit reiht sich diese Studie leider in eine lange Tradition ein, in der Gewalt gegen Migrantinnen in konstruierten kulturellen Rahmen erklärt wird. Solche Kulturalisierungen bieten keine ernsthaften Lösungsansätze. [1] Rommelspacher 2007 S. 248 [2] Vgl. Schröttle/Ansorge 2009. S.35 [3] Vgl. Schröttle/Ansorge 2009. S.35

Gerüchte im Vorfeld Angeblich 30.000 Opfer pro Jahr in der BRD! Gaby Strassburger, weist darauf hin, „...dass diese Zahl in etwa der Gesamtzahl aller jährlich bundesweit geschlossenen Ehen türkischer MigrantInnen entspricht“! (Strassburger 2005 S. 2) Empirisches Material zum Vorkommen in der BRD gibt es nicht; eine Befragung in Berlin ergab für das Jahr 2004 ca. 300 Fälle (Vgl. Abgeordnetenhaus Berlin 2005. S. 4.) Ähnliche Zahlen gibt es für andere Großstädte oder Bundesländer Eine Relativierung der Zahlen hat es nicht gegeben, ebenso wenig wie die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Darstellung von Zwangsverheiratung als Norm in Communities, die als muslimisch konstruiert wurden. Leti Volpp: Leti Volpp[1] trägt mit einer sehr interessanten Analyse zu dieser Debatte bei. Sie hat in den USA die mediale Berichterstattung von zwei erzwungenen Ehen miteinander verglichen. In einem Fall sollte eine 15jährige weiße US-Amerikanerin aus einer Mormonenfamilie die 15te Ehefrau eines wesentlich älteren Mannes werden, während in dem zweiten Fall zwei 13- und 14jährige Mädchen irakischer Herkunft gezwungen werden sollten, ältere Männer zu heiraten. In der Berichterstattung über den Fall der irakisch-stämmigen Mädchen wurde die kulturelle Prägung des Vaters bzw. die Unvereinbarkeit „der US-amerikanischen Kultur“ mit „der irakischen Kultur“ thematisiert. Eine Einbettung der erzwungenen Ehe des mormonischen Mädchens als ein Teil US-amerikanischer Kultur hat hingegen nicht stattgefunden. Auch spielte hierbei eine mögliche Integrationsverweigerung von Seiten der Mormonen keine Rolle. Ebenso wenig schien ihr Handeln im Gegensatz zu dem der irakischen Familie eine Gefahr für die freiheitlichen Werte der USA darzustellen.

Ignoriertes Wissen Aktenanalyse Papatya-akten: Zwangsverheiratung als eine Steigerung von alltäglicher Gewalt: „Zwangsheirat findet in den von uns untersuchten Fällen fast immer in Familien statt, in denen Gewalt zum Alltag gehört und die grundlegenden Menschenrechte auf Sicherheit, körperliche Unversehrtheit und Schutz vor grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe verletzt werden.“ (Strobl/Lobermeier 2007 S. 37) Keine Differenzierung zwischen arrangierten und Zwangsehe! Keine Thematisierung von Gewalt gegen Migrantinnen durch Männer ohne Migrationshintergrund. Statt dessen kulturalisierend – aber was meine ich damit?

Kulturalisierung als Hindernis nicht nur in der Sozialen Arbeit Der Versuch, eine Verhaltensweise als kulturelle Prägung zu definieren, ist aber nicht so neutral denn: Kulturspezifische Betrachtung nur im Zusammenhang mit deviantem Verhalten des konstruierten Anderen; Ethnisierten Menschen wird jegliche Individualität abgesprochen; das Kulturalisieren von Verhalten, ist etwas, das nur MigrantInnen widerfährt und daher an sich schon als diskriminierend gewertet werden kann; Die Erkennung migrations- oder milieuspezifischer Aspekte wird erschwert. sie werden nur als „Kulturträger“ gesehen;

Kulturalisierung von Gewalt gegen Migrantinnen I Darstellung von Zwangsverheiratung als Norm in „traditionellen“ Familien; Aktenanalyse Papatya-akten: „Es darf bezweifelt werden, dass alle in der Biographiestudie beschriebenen Eltern dem traditionellen Ehrsystem ernsthaft verhaftet sind, denn der relative hohe Anteil an Geschiedenen und an getrennt lebenden Elternteilen wie auch die Suchtproblematik bei einem Teil der Eltern dürfte sich nur schwer mit einem traditionellen Ehrverständnis in Einklang bringen lassen. “ (Strobl/Lobermeier 2007 S. 41)

Kulturalisierung von Gewalt gegen Migrantinnen II Zwangsverheiratung wird und wurde häufig als ein „Verbrechen im Namen der Ehre“ bezeichnet; „Ehrenmord“ statt tödliche Gewalt gegen Migrantinnen. Außer Acht bleibt, dass diese Morde häufig im Zusammenhang mit Trennungen oder Trennungsabsichten der Frauen verübt werden; Kulturalisierung verhindert den Bezug zu andauernder Gewalt durch den (Ex-)Partner bzw. zum Themenbereich häusliche Gewalt.

Definitorische Mängel Keine Unterscheidung zwischen Zwangsehe und Zwangsverheiratung; Riano/Dahinden schlagen vor: „Die Zwangsehe bedeutet, dass eine Ehe gegen den Willen der EhepartnerInnen aufrechterhalten werden soll. Die beabsichtigte Trennung wird entweder vom Ehepartner selbst oder dessen Familie oder aber auch auf Seiten der Familie der Braut nicht akzeptiert. Für den Fall der Trennung wird mit Maßnahmen gegen das Leben der Frau/des Mannes gedroht oder physische Gewalt angewandt.“ (2010, S.37) Nun aber genug der Kritik, wie hätte es verhindert können?

Diskriminierungssensibel gedacht… Betroffene von Zwangsheirat und Zwangsehen zusammen zu denken, würde die Gruppe der Betroffenen beträchtlich vergrößern – ist das gewollt? Zwangsheirat sollte als eine Form von häuslicher Gewalt gesehen werden, alleine schon um dafür zu sorgen, dass Zwangsheirat im feministischen Diskurs mitgedacht wird. (Gangoli und Chantler S. 279) Die Konstruktion von Zwangsheirat als „Verbrechen gegen die Ehre“ birgt die Gefahr koloniale Diskurse im Geschlechterverhältnis zu nähern und eine Sonderbehandlung mit den sog. ‚Anderen’ zu rechtfertigen“. (Gangoli und Chantler S. 279) Kulturalisierung sehr üblich in der Professionellen Sozialen Arbeit. Es ist eine Frage des Ansatzes

Kulturalisierung vs. Diskriminierungssensibilität Konzentration auf Ungleichgewicht bzw. Herrschaftsverhältnisse und Exkludierungsprozesse; Realitäten werden eher migrations oder milieuspezifisch analysiert; Das aktive Verlernen angenommener Wahrheiten wird angestrebt; Keine Konzentration auf ein einziges Unterscheidungsmerkmal z.B. der ethnischen Differenz; vielmehr geht es darum verschiedene Unterscheidungsmerkmale gleichzeitig zu berücksichtigen, d.h intersektional denkend. Meine These: wäre das Thema diskriminierungssensibele Analyse im Vorfeld hätte einiges verhindern können, was hätte das aber z.B. für die ÖA bedeutet

Orientierungsrahmen Im Zweifel kann die Anwendung des „do no harm“ Prinzips nützlich sein; Überprüfung der Verhältnismäßig und Effektivität der Forderungen; Gehört es zu den Aufgaben von SozialarbeiterInnen Vorschläge zur Migrationsbeschränkung zu formulieren? Orientierung bieten z.B. die berufsethischen Prinzipien des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit; Überprüfung der Menschenrechtskonformität von Forderungen; siehe auch „Menschenrechte und Soziale Arbeit. Ein Handbuch der Sozialen Arbeit und für den Sozialarbeitsberuf.“ Vielen Dank

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2008: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Studie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Berlin Gaitinides, Stefan 2007: „’Interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste’ – Visionen und Stolpersteine“ in: Rommelspacher, Birgit & Kollack, Ingrid (Hrsg.): Interkulturelle Perspektiven für das Sozial- und Gesundheitswesen, Frankfurt/M Gangoli/Chantler 2009: „Protecting Victms of Forced Marriage: Is Age a Protective Factor?“, Fem Leg Stud, 17th October 2009, S. 279 Schröttle. Monika/Ansorge Nicole 2009:Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen - eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin. Riano, Yvonne & Dahinden, Janine 2010: Zwangsheirat:Hintergründe, Massnahmen, lokale und transnationale Dynamiken, Zürich Strassburger, Gaby 2005: Statement zum Sachverständigengespräch des Landtags Nordrhein-Westfalen zum Thema „Zwangsheirat“ am 15.2.2005 Strobl, Rainer & Lobermeier, Olaf 2007: „Zwangsverheiratung. Risikofaktoren und Ansatzpunkte zur Intervention“ in BMFSFJ & Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Zwangsverheiratung in Deutschland. Baden-Baden. Vereinte Nationen u.a: 2002: Menschenrechte und Soziale Arbeit. Ein Handbuch der Sozialen Arbeit und für den Sozialarbeitsberuf; Soziale Arbeit – Arbeitsmaterialien Heft 1 /1997 (5. Auflage)