Auswirkungen des Föderalismus II: Wahlsystem Proseminar Parlamentsforschung Daniel Schwarz IPW, Universität Bern HS 2009 Stephi Anliker, Samuel Kullmann.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
DSS für Wahlverfahren 1.
Advertisements

BAU 2011 Europas Bauwirtschaft nach der Krise – wie geht es weiter?
Spektrale Analysen in EMU-R: eine Einführung
Deutsche augenoptische Industrie 2008/2009: Aktueller Wirtschafts- und Trendüberblick Josef May Geschäftsführer Silhouette Deutschland Vorstandsvorsitzender.
Länder Europas.
Das schöne Europa!.
Leistungsbezüge-Ordnung der Universität Bremen
Leistungsbezüge-Ordnung der Universität Bremen
Wie kann ich die Bundespolitik und damit die Bundesgesetze beeinflussen? Wahl zum Bundestag
Eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) – was ist das?
Algorithmentheorie 04 –Hashing
Von der Verfassung zum Reformvertrag (Vertrag von Lissabon)
Tutorium
Australien Wahlrecht Mehrheitswahlrecht
Verfassungsorgane + Bundestag + Bundesrat + Bundesregierung
Alle Zweitstimmen werden zunächst zusammengezählt. So kann man u. a
Daten auswerten Boxplots
Daten- und Persönlichkeitsschutz u. a
Rolf Schenker, Statistik Stadt Zürich
Ein Thema aus der Kartenkunde: Generalisieren
© Graf von Westphalen 2009 Das neue Bürgerschafts- und Bezirksversammlungswahlrecht Rechtsanwalt PD Dr. Christian Winterhoff.
Kommunalwahl in Hessen
Analyse der Bundestagswahl
Kennwerte und Boxplots
STATISIK LV Nr.: 1375 SS März 2005.
Wie wird der Deutsche Bundestag gewählt?
Eine Blondine spielt bei „Wer wird Millionär„ mit
Wahlen 2011 Aktueller Unterricht mit SF Fragen und Antworten
1 Rückblick Nationalratswahlen 2003 Referat im Lions Club Spiez 4. Dezember 2003 Kompetenzzentrum für Public Management, Universität Bern Andreas Ladner.
Finnland Info Separationsrate CH im kantonalen und im europäischen Vergleich 1 Finnland Info 348, Schweiz mit höchsten Separationsraten in.
Eine Blondine spielt bei mit
BFSV Pauschale: Erhöhung durch Änderung der Berechnung Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz Conférence suisse des offices de la formation professionnelle.
Personalratswahlen 2014 Gymnasien
Information über Neuerungen, die Vorbereitung und die Durchführung
Informationen zur Stimmenvergabe
Zusammengestellt von Mag. Raimund Hermann
Demokratiedefizit in Europa
MINDREADER Ein magisch - interaktives Erlebnis mit ENZO PAOLO
Volksabstimmung vom 9. Juni
die Deutschland begrenzen
Schulung am 23.Januar 2008 im Bürgerhaus Hausen
Stadtratswahl am 7. Juni 2009 Wie werden Stimmen zu Sitzen? Hinweise zum Berechnungsverfahren.
Herzlich Willkommen - Bienvenue Thomas Mattig Direktor
Wohnbevölkerung: religiöse Zugehörigkeit
Gliederung Demografische Entwicklung
Abstimmung WAG 7. März 2010 Kick-off-Veranstaltung im Restaurant Bären, Zug Montag, 4. Januar 2010.
1. Die Europawahl 2. Befugnisse des EU-Parlaments 3. Zusammensetzung nach Ländern und Parteien.
Informationen zur Sitzverteilung
Schnittpunkt von zwei Geraden
Lokalparteien und ihre Exekutivmandatsträgerinnen Regula Bernhard, Silvia Marti.
Kantonsratswahlen Februar 2005
Wahlverfahren Der Wählerwille 52% 41% 5% 2%. Wahlverfahren Der Wählerwille.
Bundeskanzlei BK Sektion Politische Rechte Mehrwert von Vote électronique in der Schweiz Salzburg, 22. Februar 2007.
BE: Kantonale Wahlen 28. März Regierungsräte 160 Grossräte.
Eine Blondine spielt bei „Wer wird Millionär „ mit.
Herzlich willkommen! besser gemeinsam lernen.
Eine Blondine spielt bei mit Günther Jauch fragt : „Sie haben Euro, Sie haben keinen Joker mehr… aber wenn Sie auf die folgende Frage die richtige.
2.3. EU-Haushalt Buch S. 33.
Ihr Stimmzettel sieht z.B. so aus:
1. Rechtlicher Hintergrund: - Gesetz Nr. CCIII vom Jahre 2011 über die Wahl der Parlamentsabgeordneten (im Weiteren: Vjt.) - Gesetz Nr. XXXVI vom Jahre.
Herzlich Willkommen zum Bürgerinformationsabend des SPD Ortsvereins Erlensee zur Kommunalwahl 2016.
Wie wird der Deutsche Bundestag gewählt?
Das politische System Österreichs Quelle: Bernauer T. et al.: Einführung in die Politikwissenschaft, Nomos, Baden-Baden,
Kommunal- und Europawahlen 2014 Praktische Fallbeispiele Sitzzuteilungsverfahren Sainte-Laguë / Schepers Divisorverfahren mit Standardrundung (iteratives.
Klick die richtige Schaltfläche an!
Bundestagswahlen.
Beispiel 6: Listenwahl - Kandidaten von dieser Liste streichen
Länder Europas.
mit dem richtigen Dreisatz
Deutscher Bundestag Wahlsystem
 Präsentation transkript:

Auswirkungen des Föderalismus II: Wahlsystem Proseminar Parlamentsforschung Daniel Schwarz IPW, Universität Bern HS 2009 Stephi Anliker, Samuel Kullmann 22. Oktober 2009

Föderalismus… Ein kleiner Franzose, ein kleiner Deutscher und ein kleiner Schweizer fragen sich, woher die Kinder kommen. Der kleine Franzose meint, dass Erotik etwas damit zu tun haben müsse. Der kleine Deutsche weiss aus irgendwie sicherer Quelle, dass die Kinder vom Storch gebracht werden. Der kleine Schweizer ist um eine Antwort verlegen: Woher die Kinder kommen, weiss ich nicht so genau. Aber wahrscheinlich ist das bei uns von Kanton zu Kanton verschieden.

Föderalismus: 26 Wahlkreise

Size of constituencies matter! Seit langem hat die Forschung davon Abstand genommen, die Wahlverfahren lediglich zwischen Verhältniswahl und Mehrheitswahl zu unterscheiden (vgl. Duverger 1951). Führende Wahlsystem- Forscher nennen die Wahlkreisgrösse als entscheidendes Merkmal von Wahlsystemen (Taagepera/Shugart ff.). - Bochsler, Daniel Biproportionale Wahlverfahren für den Schweizer Nationalrat. Universität Genf

Künstliche Quoren (Hürden) Künstliche Hürden in ausgewählten Europäischen Ländern: LandHürdeENPP Polen:7%2,95 Deutschland:5%3,30 Norwegen:4%4,36 Spanien:3%2,73 Dänemark:2%4,92 Niederlanden:0,67%4,81 Belgien:0%9,05 Schweiz:0%4,97 (ENPP = effective number of parties in parliament)

Natürliche Hürden in der CH

Auswirkung auf ENPP (Effective Number of Parties in Parliament)

Auswirkung auf Anzahl Parteien im Parlament

Auswirkung auf Anzahl antretende Parteien/Gruppierungen

Erfolgswert einer Stimme Der Erfolgswert einer Stimme an eine bestimmte Partei wird definiert als: Prozentualer Anteil an Sitzen im Parlament dividiert durch Wähleranteil.

Erfolgswert einer Stimme (NRW 07) ParteiEWParteiEW CSP125,0%Grüne104,2% SP110,3%FDP98,1% SVP107,3%LEGA83,3% GLP107,1%PdA71,4% CVP106,9%EVP41,7% LPS105,3%EDU38,5% Nationale Grosspartei (Regionale) Kleinpartei mit kantonaler Hochburg Nationale Kleinpartei

3 Effekte, die zu Verzerrungen führen DHondtsche Wahlformel Wahlsystemhürden (mechanischer Effekt) Strategisch-psychologischer Effekt (Vgl. Bochsler ff.)

Zwischenfazit Das heutige Wahlsystem hat mehrheitsbeschaffenden Charakter (vgl. Bochsler 2005 S. 2). Der Wählerwillen wird mittelstark verzerrt abgebildet. Nationale Grossparteien und Kleinparteien mit kt. Hochburgen werden gegenüber nationalen Kleinparteien stark bevorzugt. In mittleren und kleinen Kantonen ist der Parteienwettbewerb massiv eingeschränkt (bis zur Stillen Wahl in Nidwalden!)

Das Bundesgericht BGE 129 I 185 S. 200: Insbesondere soll schliesslich allen Stimmen bei der Zählung nicht nur derselbe Wert und dieselbe Stimmkraft, sondern auch derselbe Erfolg zukommen (Erfolgswert- gleichheit). Alle Stimmen sollen in gleicher Weise zum Wahlergebnis beitragen, und möglichst alle Stimmen sind bei der Mandats- verteilung zu berücksichtigen. Die Zahl der gewichtslosen Stimmen ist auf ein Minimum zu begrenzen.

Aber: Keine Verfassungsgerichtsbarkeit auf eidgenössischer Ebene! Deshalb schränken die verschiedenen BGE nur kantonale Wahlsysteme ein. Neu darf das natürliche Quorum in einem Wahlkreis eines Kantons noch max. 10% betragen! Ausnahmen bei historischen, föderalistischen, kulturellen, sprachlichen, ethnischen oder religiösen Gründen möglich (vgl. BGE 129 I 185 S. 194).

Die Reaktion der Kantone ZH, AG und SH übernahmen auf Grund dieser Überlegungen und Vorgaben ein biproportionales Wahlverfahren. Dieses ist bekannt als Neues Zürcher Zuteilungsverfahren oder Doppelter Pukelsheim, benannt nach Friedrich Pukelsheim, einem Stochastikprofessor.

Doppelter Pukelsheim Kurz und einfach erklärt (Bsp. NR-Wahlen): Statt strategische Listenverbindung unter verschiedenen Parteien eines Kantons, neu LV unter sämtlichen Kantonalsektionen einer Partei. Nationales Parteiergebnis entscheidet über Sitzanteil im NR Durch einen Algorithmus wird danach die genaue Sitzzahl in den kantonalen Wahlkreisen bestimmmt. Es findet ein Stimmentransfer statt. (Anwendung erst seit dem Computerzeitalter möglich.) Standardmässige Rundung nach Sainte-Laguë.

Doppelter Pukelsheim Lang und kompliziert erklärt: Die Stimmen einer Listengruppe werden auf nationalem Niveau summiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass infolge unterschiedlicher Anzahl Sitze pro Wahlkreis die Anzahl Linien auf dem Wahlzettel von Kanton zu Kanton variieren. Deshalb müssen die abgegebenen Stimmen durch die Anzahl zu vergebender Sitze geteilt werden, um eine Wählerzahl pro Partei zu berechnen. Anschliessend werden diese zu einer nationalen Wählerzahl summiert. Dies erfolgt entsprechend der Berechnung der nationalen Parteienstärke (Seitz et al. 2003: 14). Anschliessend wird national die Oberzuteilung für diese Listengruppe berechnet. Jeder Kanton erhält diejenige Anzahl Sitze, die ihm aufgrund seiner Wohnbevölkerung zusteht. Die Verteilung der Sitze auf die kantonalen Listen (Unterzuteilung) erfolgt aufgrund zweier Divisoren. Ausgangspunkt für die Unterzuteilung ist die Parteistimmenzahl der einzelne Liste. Für jede Listengruppe wird ein Listengruppen-Divisor, für jeden Wahlkreis ein Wahlkreis-Divisor bestimmt; die Parteistimmenzahl wird durch beide jeweiligen Divisoren geteilt und das Ergebnis (Anzahl Sitze, gemäss dem Sainte-Laguë-Proporzverfahren) standardmässig gerundet (Werte über 0,5 werden aufgerundet, unter 0,5 werden abgerundet). Die Divisoren werden in einem iterativen Verfahren so bestimmt, dass sowohl die Listen- gruppen kantonsweit auf die ihnen zustehende Sitzzahl kommen als auch dass in jedem Wahlkreis genau die richtige (gemäss Bevölke- rungszahl zugemessene) Anzahl Sitze vergeben wird. Es gibt genau eine Sitzverteilung, die durch doppelte Divison der Parteien- stimmenzahl berechnet werden kann und welche die Bedingungen erfüllt (Pukelsheim/Schuhmacher 2004: 515). Die Berechnung kann mit einem Programm vorgenommen werden, das auf der Homepage der Universität Augsburg heruntergeladen werden kann [ ]. (Bochsler 2005 S. 7)

Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum: Bisher0-Modell Pukelsheim ParteiSitze Veränderung SVP SP FDP30 (exkl. NW) 32+2 CVP Grüne2019 LPS440

Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum: Bisher0-Modell Pukelsheim ParteiSitze Veränderung EVP25+3 EDU13+2 GLP330 CSP110 Lega110 PdA110

Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum: Bisher0-Modell Pukelsheim ParteiSitze Veränderung SD01+1 Sol.01+1 Bürgerliche129 0 Linke EVP/GLP58+3

Modellrechnung NRW 2007 Dies würde zu 9 Netto-Sitzverschiebungen führen. ENPP erhöht sich auf 5,38 (+0,41) Das neue natürliche Quorum würde sich nach der folgenden Formel rechnen: Q = 1/(2M L), vorher: Q = 1/(M+1) M = Anzahl Mandate L = Anzahl Listen, die zur Wahl antreten Dies entspricht einem landesweiten Quorum von ca. 0,27% für einen garantierten Sitze.

Prognosen NRW mit DP Falls bei den Nationalratswahlen der doppelte Pukelsheim angewandt würde (ohne Hürde) prognostiziere ich folgende Änderungen: Listen von Jungparteien machen mindestens 20 Sitze (Durchschnittsalter im NR sinkt deutlich). Mehr Frauenlisten führen zu einem höheren Frauenanteil Mehr Parteien treten an und schaffen den Einzug in den NR Es gibt mehr Fraktionen Der Parteienwettbewerb wird in allen Kantonen etwa gleich stark (mindestens 10 Parteien treten in jedem Kanton an). Die Wahlbeteiligung steigt Klarere nationale Strukturierung mancher Parteien (vgl. Bochsler 2005 S. 31)