Was ist eine gelungene Übersetzung?

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 Präsentation transkript:

Was ist eine gelungene Übersetzung? Waltraud Kolb Zentrum für Translationswissenschaft / Universität Wien Bildungshaus Schloss Puchberg 8. Jänner 2009

„Eine gute Übersetzung ist …“ … Maßarbeit … das ultimative Marketing-Tool … das Ergebnis sorgfältig koordinierter Teamarbeit … mehr als nur der einfache Transfer von Textelementen … in erster Linie eine Frage des Getriebes … ein vollendetes Kunstwerk … von einem Originaltext nicht zu unterscheiden … keine Gefahr für das Original (www.google.at)

Wen interessiert die Qualität von literarischen Übersetzungen? ▲ Übersetzer/innen ▲ Lektor/innen ▲ Leser/innen ▲ Rezensent/innen ▲ Gutachter/innen ▲ Lehrende ► Translationswissenschaft ► Literaturwissenschaft ► Linguistik / Philologien

Überblick ► Aussagen von Praktikern / Beteiligten ► Definitionen von Qualität ► Perspektive der TW mit Beispielen - Zielpublikum, Funktion - Loyalität - Deformationen - Normen - Manipulation, Rewriting

Übersetzer/innen über Qualität ► Nicolas Perrot d’Ablancourt (1606-1664): „Kurzum: nicht so sehr auf das achten, was [der Autor] sagt, als vielmehr darauf, was es sich zu sagen geziemt (ce qu’il faut dire), und eher seine Absicht als seine Worte im Auge behalten.“ (P. Zima 1992)

Übersetzer/innen über Qualität ►Walter Benjamin (1923): „Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht […] Das vermag vor allem die Wörtlichkeit in der Übertragung der Syntax und gerade sie erweist das Wort, nicht den Satz als das Urelement des Übersetzers. Denn der Satz ist die Mauer vor der Sprache des Originals. Wörtlichkeit die Arkade.“ (W. Benjamin 1977)

Übersetzer/innen über Qualität ► Marcus Ingendaay (2007) „Ich bin nicht der Diener des Textes. Wenn überhaupt etwas, dann bin ich der Anwalt des Autors. Meine Aufgabe besteht darin, ihn vor dem Publikum möglichst gut aussehen zu lassen. Dazu muss man mich aber machen lassen.“ (www.literaturhaus.at)

Übersetzer/innen über Qualität ►Ilma Rakusa (2007) „Mein persönliches Übersetzercredo basiert auf größtmöglichem Respekt vor dem Originaltext, ich sehe meine diskrete Aufgabe darin, ihn optimal wiederzugeben. Vor allem darf ich seinen Ton nicht verfehlen: C´est le ton qui fait la musique. Was hat da mein eigener Personalstil zu suchen? Trifft er sich mit dem Stil des Werks, umso besser. Wenn nicht, muss ich mich zurücknehmen zugunsten des anderen.“ (www.literaturhaus.at)

Lektor/innen über Qualität ►Edward L. Burlingame (1913) “To both Mr Scribner an me the translation seemed to be in need of a good deal of revision – of ‚limbering up’ as they say in New England – for its effect is undeniably one of stiffness and literalness in a good many places […] it needs, as you have of course seen many such touches of idiomatic force and beauty.” (W. Kolb 1992)

Leser/innen über Qualität

Rezensent/innen über Qualität ► Georg Diez in Die Zeit, 22.3.07 „Das Buch [Salingers Franny und Zooey], das jetzt in der unauffälligen und nur manchmal überflüssig fünfziger−Jahre−haft klappernden Neuübersetzung von Eike Schönfeld […] erscheint, gibt den Blick frei auf diesen Schriftsteller kurz vor dem Verschwinden.“

Gutachter/innen über Qualität ► Gutachten zu einer Übersetzung aus dem Frz.: „…, dass der Übersetzer im Deutschen eine in jeder Hinsicht bessere, klarere, dynamischere Fassung vorgelegt hat, die die unübersehbaren sprachlichen Defizite des Originals nicht mehr spüren lässt.“ (P. Holzer 2008)

Gutachter/innen über Qualität ► Gutachten über eine Übersetzung aus dem Griech.: „der Text [ist] gut lesbar und verständlich, der genaue Vergleich mit dem Original [bringt] aber eine Häufigkeit glättender Übersetzungen hervor, die irritierend [ist] und die Grenzen kreativer übersetzerischer Tätigkeit überschreitet … Griechische Literatur [wird] meistens vor oder nach dem Urlaub, manchmal sogar währenddessen konsumiert, sie [darf] nicht ermüden“ (P. Holzer 2008)

Qualität … … ist immer relativ … steht in einem zeitlichen Kontext … abhängig von Perspektive der beurteilenden Person … ist abhängig von Anforderungen, Erwartungen → „Normen“

Definitionen von Qualität (Gesamtheit der) Eigenschaften von etwas, bes. eines Produkts, die den Grad seiner Eignung für den vorgesehenen (Verwendungs)zweck bestimmen, (geforderte) Beschaffenheit (C. Schäffner 2004/Handwörterbuch der dt. Sprache, 1984) ISO 9000: Gesamtheit von Merkmalen (und Merkmalswerten) einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen („stated and implied needs“)

„geforderte Beschaffenheit“: Perspektiven Autor/in Übersetzer/in Verlag (idR Auftraggeber/in) Leser/in Rezensent/in Gutachter/in Lehrende/r Wissenschaftler/in

Wissenschaftliche Perspektiven literaturwissenschaftliche Perspektive linguistische / philologische P. translationswissenschaftliche P.

Qualitätskriterien nach D. Gile Allgemeine Kriterien: inhaltliche, gedankliche Klarheit sprachliche Akzeptabilität terminologische Genauigkeit Treue dem Ausgangstext gegenüber angemessenes professionelles Verhalten (D. Gile 1995)

Qualitätskriterien nach D. Gile Spezifische Kriterien: emotionale, ästhetische Komponenten sprachliche Präsenz bestimmter Merkmale der Ausgangssprache und -kultur Präsenz der Persönlichkeit des Autors/der Autorin (D. Gile 1995)

Bsp. 1: Gottfried Keller Romeo und Julia auf dem Dorfe „ehe zehn Jahre vorüber, steckten beide von Grund aus in Schulden und standen wie die Störche auf einem Beine auf der Schwelle ihrer Besitztümer, von der jeder Lufthauch sie herunterwehte“ (1856) „in less than ten years both men were deeply in debt“ (Ü: A. Bahlmann 1914)

Bsp. 2: Chinua Achebe, Things fall apart Among the Ibo the art of conversation is regarded very highly, and proverbs are the palm-oil with which words are eaten. (1958) Die Ibo schätzen die Kunst der Wechselrede sehr hoch und nennen Sprichwörter das Palmöl, mit dem das Gespräch gewürzt wird. (Ü: R. Moering 1959) Die Kunst der Gesprächsführung steht bei den Ibo in hohem Ansehen, und Sprichwörter sind für eine Unterhaltung genauso unentbehrlich wie Palmöl für das Essen. (Ü: D. Heusler/E. Petzold 1983)

Bsp. 3: Chinua Achebe, Things fall apart As the elders said, if a child washed his hands he could eat with kings. Okonkwo had clearly washed his hands and so he ate with kings and elders. (1958) Wie die Altvorderen sagten: „Ein Kind, das seine Hände wäscht, kann mit Königen essen.“ (Ü: R. Moering 1959) Wie die Ältesten zu sagen pflegen: Jugend, die sich bewährt, wird auch vom Alter geehrt. Okonkwo hatte sich zweifellos bewährt und wurde folglich von den Alten geehrt. (Ü: D. Heusler/E. Petzold 1983)

Qualitätskriterien nach M. Ammann Funktion von Übersetzung / Original intratextuelle Kohärenz von Ü. / O. intertextuelle Kohärenz zwischen Ü. und O. → funktionalistischer Ansatz

Qualitätskriterien nach C. Nord Funktionalität + Loyalität Loyalität vs Treue Vermittlung zwischen Erwartungen der Handlungspartner Respektierung der kommunikativen Intention des Autors/der Autorin des O. → geltende „Normen“ → Berufsethik

Qualität: Absenz von „Deformationen“ (A. Berman) Zerstörung redensartlicher Wendungen Rationalisierung Klärung Längung Veredelung Verarmung Homogenisierung Zerstörung von Rhythmen Zerstörung signifikanter semantischer Netze Zerstörung von Systematismen Zerstörung / Exotisierung von Soziolekten / Dialekten Tilgung von überlagerten Sprachebenen

„Deformationen“ ? Bsp. 4: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ „Goat don‘t make sheep.“ „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Bsp. 5: „The moon ran till daylight caught up with it.“ „Wenn dem Esel zu wohl wird, geht er auf Eis.“ (Roslyn Carrington: Every Bitter Thing Sweet 2002 Ü: A. Stumpf u. G. Werbeck 2003)

„Deformationen“ ? Bsp. 6: “He looked at it meaningfully.” “Er wedelte demonstrativ mit der Hand.” Bsp. 7: „Her cigarette dangled between her lips, growing ash.“ „Die Zigarette hing ihr mit bedrohlich langer Asche schief zwischen den Lippen.“ (E. George: For the sake of Elena 1992 Ü: M. Sandberg-Ciletti 1993)

„Deformationen“ ? Bsp. 8: „wondering when the plain red curtains had been changed for that hideous print of yellow chrysanthemums and green leaves lounging on a field of what appeared to be bracken“ „[sie] verstand nicht, wieso die einfachen roten Vorhänge gegen diese häßlichen Dinger mit dem gelb-grünen Blumenmuster ausgewechselt worden waren“ (E. George: For the sake of Elena 1992 Ü: M. Sandberg-Ciletti 1993)

Bsp. 9: E. A. Poe, The Gold-Bug „De bug, Massa Will! – de goole-bug!“ cried the negro, drawing back in dismay – „what for mus‘ tote de bug way up de tree? – d-n if I do!“ (1843) „Den Käfer, Massa Will? den Goldkäfer?“ schrie der Neger, indem er voller Entsetzen zurückwich, „wowegen soll ‘ch denn den Käfer mit auf ‘n Baum raufnehm‘? Will gleich verd---t sein, wenn ‘ch das tue!“ (Ü: H. Wollschläger 1979)

Bsp. 9: E. A. Poe, The Gold-Bug „Käfer, Massa Will, goldenen Käfer“, schrie der Neger, „warum Käfer auf Baum nehmen! Verflucht, ich nicht machen!“ (Ü. anon. 1952) „De Käber, Harr Willem! – de gollne Käber!“ rief der Neger und wich mißvergnügt zurück – „wat sall ik mit den Käber up‘n Boom? – de Düwel sall mi halen, dat do ik nich!“ (Ü. B. Busse 1914)

„Normen“ nach G. Toury Normen/Soziologie: „translation of general values or ideas shared by a community – as to what is right and wrong, adequate and inadequate – into performance instructions appropriate for and applicable to particular situations, specifying what is prescribed and forbidden as well as what is tolerated and permitted in a certain behavioural dimension preliminary norms initial norms operational norms

„Normen“ nach A. Chesterman professional norms accountability norms communication norms relation norms expectancy norms

Übersetzen = Rewriting / Manipulation z.B. Theo Hermans: „From the point of view of the target literature, all translation implies a degree of manipulation of the source text for a certain purpose.“

Übersetzen = Rewriting / Manipulation z.B. Susan Bassnett: „The map-maker, the translator and the travel writer are not innocent producers of text. The works they create are part of a process of manipulation that shapes and conditions our attitudes to other cultures while purporting to be something else.“

„Ach, Luise, laß. das ist ein zu weites Feld. “ (T „Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites Feld.“ (T. Fontane, Effi Briest) www.galerie-wehr.de