Sexuelle Autonomie, kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Spannungen in Österreich Sabine Strasser, Universität Bern.

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 Präsentation transkript:

Sexuelle Autonomie, kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Spannungen in Österreich Sabine Strasser, Universität Bern

Islamgesetz 2015  Förderung einen „österreichischen Islam“ (Sebastian Kurz, Aussenminister)  Islamgesetz aus 1911  Regelung der äusseren Rechtsverhältnisse der islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) zur Republik Österreich

Islamgesetz 2015   Seelsorge in den öffentlichen Einrichtungen und Anerkennung der Rituale, Traditionen und Feiertage   Es muss eine positive Grundeinstellung zu Gesellschaft und Staat bestehen.   Keine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland: Paragraph 11(2)

Feind/bild Islam  September 11, 2001  London bombing 2005  Charlie Hebdo 2015   Kontrolle „traditioneller Praktiken“   Kontrolle des Geschlechterverhältnis

Gewalt im Namen der Ehre

Debatten um Muslim_innen Wie bekämpfen wir Gewalt und Ignoranz „im Namen der Kultur“ einerseits und Restriktion „im Namen von Gleichheit und Freiheit“ andererseits? Schaffen wir durch gesetzliche Interventionen mehr sexuelle Autonomie oder wird diese im Gegenteil eingeschränkt? Sabine Strasser, 04/12/2010

Überblick über die Debatten Rückzug vom Multikulturalismus  1. Hintergründe für den Rückzug vom Multikulturalismus Ehre  2. „Im Namen der Ehre“: Sexualität und Geschlechterverhältnis der Anderen Gleichheit  3. „Im Namen der Gleichheit“: Kampf gegen „Ehre“ und andere kulturelle Bedrohungen AutonomieRepression   Autonomie und Repression

Ist der Multikulturalismus noch zu retten?  Das Ende des Multikulturalismus? (Will Kymlicka 2010; Christian Joppke 2003; Ruud Koopmans 2008) Kriminalität Arbeitslosenraten Räumliche Segregation  »If there is one thing the European experience teaches us, […] we cannot simply assume that what is normatively preferable from a rights-focused point of view will also be practically efficient from an outcomes point of view.« (Koopmans 2008: 30) kurzsichtig Rückzug ist Rhetorik  Vieles an der wissenschaftlichen Analyse ist kurzsichtig und vieles am politischen Rückzug ist Rhetorik (Vertovec 2010) Sabine Strasser, 04/12/2010

Rückzug vom Multikulturalismus Einer der wesentlichen Gründe für die abnehmende Bedeutung des Multikulturalismus ist die schwierige Beziehung zwischen kultureller Diversität, Geschlechtergleichheit und sexueller Autonomie. Multikulturalismus schlecht für Frauen  Ist der Multikulturalismus schlecht für Frauen und andere Minderheiten (Susan Okin 1999)? Inneren  Berichte aus dem Inneren der Parallelgesellschaften (Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali, Sabatina Jones)  Minorities within Minorities  Minorities within Minorities : sexuelle Minderheiten in ethnisch/religiösen Minderheiten (Jacob Levy 2005) Sabine Strasser, 04/12/2010

Kultureller Essentialismus und kritischer Relativismus kulturelle Essentialismus  Ein Problem des MK ist die Kultur, genauer der kulturelle Essentialismus – die Annahme von einem kulturellen Kern, den alle Angehörigen einer ethnischen Gruppe teilen  Homogenisierung und Determinismus  Homogenisierung und Determinismus : Handlungsfähigkeit trotz Kultur?   Gegen Kultur schreiben!?  Kultur nach der Krise der Repräsentation  Kultur nach der Krise der Repräsentation: historisch gewachsen, stets im Wandel, im Inneren vielstimmig, nach außen durchlässig, komplex, partikulär und positioniert. Praxis  Kultur in der Praxis: essentialistische und demotische Versionen   Kritischer Kulturrelativismus Sabine Strasser, 04/12/2010

“Im Namen der Ehre”: für sexuelle Autonomie der Anderen  Kultureller Zwang und individuelle Autonomie: eine falsche Dichotomie  Sechs Bundesministerinnen gegen Gewalt an Frauen: „Sie ist nicht zwangsläufig bestimmten Religionen zuzuordnen, wohl aber bestimmten Kulturen“ (Broschüre der BM, Konsultationen 2005)  NAHT – Network against harmful traditions, EU Ebene  Autonomie und Selbstbestimmung  Freie Frauen statt Kopftuchzwang (FPÖ) Sabine Strasser, 04/12/2010

Das Beispiel Zwangsverheiratung  Eisberge und Dunkelziffern (Orient Express, Miteinander Lernen, Peregrina), UK, A, T, EU  Steigend oder schwindend - ExpertInnenmeinungen  Arrangiert oder erzwungen – eine Frage der Autonomie?  Ursachen: Religion, Kultur, Tradition – als Essenz  Gewalt in Form einer fundamentalen Einschränkung der persönlichen sexuellen Freiheit - Maßnahmen sind gefordert Sabine Strasser, 04/12/2010

Zwangsheirat: Maßnahmen  Prävention, Intervention, Strafen  Strafrecht § 106 Abs 1 Z 3: Erhöhung der Strafen für alle an der Gewalt Beteiligten  Nichtigkeitserklärung  Offizialdelikt  Exit in eine bessere Umgebung? Die Tür im Haus der Kultur  Kampagnen und Ayse Narrationen (Medien, Schule, Alltag) Selbstbestimmung: kulturelle oder individuelle Autonomie  Ziel: Selbstbestimmung: kulturelle oder individuelle Autonomie  Ergebnis: Kontrolle von Migration und Familienzusammenführung Sabine Strasser, 04/12/2010

Transnationale Ehen  Zur Förderung der Integration und zur Vermeidung von Zwangsehen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Zusammenfu ̈ hrende und sein Ehegatte ein Mindestalter erreicht haben mu ̈ ssen, das höchstens auf 21 Jahre festgesetzt werden darf, bevor der Ehegatte dem Zusammenfu ̈ hrenden nachreisen darf.“ (Richtlinie 2003/86/EG, Artikel 4)

Eine kleine Stadt mit großen Sorgen  Kleine Stadt mit “vielen Türken”  Traditionelle “rote” Stadt mit ÖVP Bürgermeister  Zuwanderung seit 1960er Jahren  Ökonomische Transformation seit den 1990er Jahren mit zusätzlichen Spannungen seit der Krise  17% ausländische 5% türkische StaatsbürgerInnen (83 Länder)  7,5% türkische Wohnbevölkerung  von  4 Moscheen Sabine Strasser, 04/12/2010

Unbehagen in der Kleinstadt Einheimisch „ Einheimische“: Türken brauchen sich nicht assimilieren, aber ein bisschen anpassen sollen sie sich schon! Wir haben Angst! Türken „Türken“: Sie mögen uns nicht. Und je mehr wir werden wie sie, desto weniger mögen sie uns! Sabine Strasser, 04/12/2010

Fälle und Fallen von Phantasien Spurensuche Schulische Erfahrungen Polizeiliche Interventionen Familienzusammenführung Sabine Strasser, 04/12/2010

Zwangsehen und Zwangsfreiheiten Zwangsverheiratung als Diskurs Zwangsverheiratung als Praxis Zwangsverheiratung als Politik  Erhöhung des Mindestalters für Familienzusammenführung: EU Richtlinie 2003/86: Mindestalter für Familienzusammenführung darf auf 21 Jahre angehoben werden  Von der Bekämpfung von Gewalt im Namen der Ehre zur Kontrolle von Migration und im Namen der Gleichheit  Von der Förderung von Autonomie zur Assimilationsforderung Sabine Strasser, 04/12/2010

Repressive Autnomie  Christian Joppke: illiberale Massnahmen zur Durchsetzung des Liberalismus  Repressive Massnahmen zur Durchsetzung von Autonomie  Statt mehr Freiheit und Gleichheit wird so ein Beitrag zu gesellschaftlichen Spannungen geleistet

Literatur zum Thema Zwangsfreiheiten  Birgit Sauer/Sabine Strasser: Zwangsfreiheiten: Feminismus und Multikulturalität, Wien 2008, Promedia & Historische Sozialkunde Multikulturalismus queer gelesen  Sabine Strasser/Elisabeth Holzleithner, Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe im pluralen Europa, Campus August 2010 Sabine Strasser, 04/12/2010