Arbeitslosigkeit und Sucht 5 zentrale Befunde der Forschung

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Fachtagung Arbeit schafft Perspektiven
Advertisements

Peter Hess-Basis-Klangmassage als Methode der Stressverarbeitung und
dgdg Grundsicherung für Arbeitssuchende – Licht und Schatten
Vorlesung: 1 Betriebliche Informationssysteme 2003 Prof. Dr. G. Hellberg Studiengang Informatik FHDW Vorlesung: Betriebliche Informationssysteme Teil3.
Altern und soziale Ungleichheit
Die Versorgung bei psychischen Erkrankungen aus Sicht der Ersatzkassen
Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie
Modelle und Methoden der Linearen und Nichtlinearen Optimierung (Ausgewählte Methoden und Fallstudien) U N I V E R S I T Ä T H A M B U R G November 2011.
„Netzwerk Medizin und Geschlecht“ an der Medizinischen Hochschule Hannover Projektleitung: Dr. phil. Bärbel Miemietz Projektkoordination: Larissa Burruano,
1 JIM-Studie 2010 Jugend, Information, (Multi-)Media Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) Landeszentrale für Medien und Kommunikation.
Eingliederungsleistungen nach dem SGB II
Internet facts 2006-III Graphiken zum Berichtsband AGOF e.V. März 2007.
Internet facts 2008-II Graphiken zu dem Berichtsband AGOF e.V. September 2008.
Internet facts 2006-II Graphiken zu dem Berichtsband AGOF e.V. November 2006.
Vorlesung: 1 Betriebliche Informationssysteme 2003 Prof. Dr. G. Hellberg Studiengang Informatik FHDW Vorlesung: Betriebliche Informationssysteme Teil2.
Entstehung von Süchten und Drogenmissbrauch durch Modell-Lernen
Der Spendenmarkt in Deutschland
Condrobs-Leitungsveranstaltung
Prof. Dr. Bernhard Wasmayr VWL 2. Semester
Informationsveranstaltung am in der BBS Papenburg
AWA 2007 Natur und Umwelt Natürlich Leben
1. 2 Schreibprojekt Zeitung 3 Überblick 1. Vorstellung ComputerLernWerkstatt 2. Schreibprojekt: Zeitung 2.1 Konzeption des Kurses 2.2 Projektverlauf.
Arbeitsmarktreformen
20:00.
Aus dem Blickwinkel niederschwelliger Suchthilfe
IHK I August 2008I Folie: 1 Der Mittlere Niederrhein im Regionenvergleich.
Birgitt Ehrl Geschäftsführerin ARGE Regensburg Stadt
"Künstler helfen Obdachlosen" - SKM Augsburg
Männerbilder im Wandel
Dr. Julia Brennecke Heiner Brülle
Leistungsbeschreibung Brückenplanung RVS RVS
Dokumentation der Umfrage
QS- Dekubitusprophylaxe Klinikstatistik 2007 BAQ
Where Europe does business Lück, JDZB | Seite © GfW NRW 252 a.
Anerkannt! Tagung Graz, Anerkennung und Gesellschaft August Gächter.
1 7. Mai 2013Mag. a Karin Ortner Arbeiten und Studieren Bericht zur sozialen Lage der Studierenden 2011 (Quelle: IHS, Martin Unger)
„Frauen in Führungspositionen in Einrichtungen der Altenhilfe“
Jugend- und Drogenberatungsstelle Magdeburg
Fach-Ausschuss Suchtselbsthilfe (FAS-NRW)
Ertragsteuern, 5. Auflage Christiana Djanani, Gernot Brähler, Christian Lösel, Andreas Krenzin © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2012.
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen als Chance für die ganze Familie Bundesverband e.V, Mai 2007 Anna Hoffmann-Krupatz An der stationären Vorsorge-
„Nicht geliebt aber viel genutzt
Großer Altersunterschied bei Paaren fällt nicht auf!
MINDREADER Ein magisch - interaktives Erlebnis mit ENZO PAOLO
Bevölkerungsentwicklung und –struktur der Stadt Bozen
Allgemeine Ausgangssituation: Berlin-Brandenburg
Ausgangssituation am Arbeitsmarkt
Das EQUAL-Projekt der AWO „Hilfen für arbeitslose Jugendliche“
Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt
Herzlich Willkommen in der Oldenburger Jugendwerkstatt
1 Frühintervention in Europa FreD goes net FreD Modellprojekt 2000 – 2002 in Deutschland: 15 Standorte in 8 Bundesländern Verbreitungs- phase ab 2003 in.
Zur ökonomischen Situation der Frauen in Österreich Gudrun Biffl
Männer Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern Trends und Vergleiche
Januar 2006 KommunaleArbeitsmarktstatistik Januar 2006.
3. Fachtagung im Projekt Pflegebegleiter am 24. November in Bad Honnef Projekt Pflegebegleiter 3. Fachtagung Ein Projekt fasst Fuß KURZVERSION DER PRÄSENTATION.
Kommunalverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland - Unterschiede, Ursachen, Handlungsbedarf - Erfahrungsaustausch "Finanzpolitik" des Deutschen.
Ein Aktivierungsprojekt der Drogenberatung e.V. Bielefeld
Arbeitsmarktreformen
Regionales Übergangsmanagement in der Stadt Offenbach am Main Amt für Arbeitsförderung, Statistik, Integration.
Datum:17. Dezember 2014 Thema:IFRS Update zum Jahresende – die Neuerungen im Überblick Referent:Eberhard Grötzner, EMA ® Anlass:12. Arbeitskreis Internationale.
LeNeOS LernNetz Oderland - Spree Lernende Regionen Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert durch: Projektträger: Industrie- und Handelskammer.
1 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest KIM-Studie 2014 Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) Landeszentrale für Medien und Kommunikation.
Monatsbericht Ausgleichsenergiemarkt Gas – November
1 Die Bedeutung der ambulanten Hilfen für Eltern mit Suchtproblemen im Spiegel der Statistik 20. September 2013, Deutscher Suchtkongress, Bonn Nicola Alcaide,
Alkoholismus– Zahlen und Fakten. Alkoholabhängige nahmen 1999 drei Viertel aller stationären Entwöhnungstherapien und fast 90% aller ambulant erbrachten.
Genuss und Lebensqualität im Alter
Arbeitsintegration und Abstinenz Eine empirische Bilanz für die Suchtrehabilitation Prof. Dr. Dieter Henkel Fachhochschule Frankfurt a.M. University.
Alkoholabhängigkeit im Kontext von Arbeitslosigkeit Zur Bedeutung der Arbeitslosigkeit in suchtepidemiologischer Hinsicht und in der Suchtbehandlung Prof.
 Präsentation transkript:

Arbeitslosigkeit und Sucht 5 zentrale Befunde der Forschung Prof. Dr. Dieter Henkel Institut für Suchtforschung (ISFF) der Fachhochschule Frankfurt am Main University of Applied Sciences email: prof.dieter.henkel@t-online.de Sigmaringen 24. Juni 2010

1. Befund Unter Arbeitslosen sind Suchtprobleme deutlich stärker verbreitet als unter Erwerbstätigen (höhere Suchtprävalenzen)

Prävalenz von Suchtproblemen bei Arbeitslosen in Relation zu Erwerbstätigen OR Odds Ratio (adj. für Alter, Geschlecht) bedeuten, dass die Prävalenz der Arbeitslosen um das x-Fache höher ist als bei den Erwerbstätigen Autoren / Land Missbrauch/Abhängigkeit DSM III / IV / ICD 10 OR Rose 2003 / Deutschland Alkohol, Drogen oder Medikamente 1.8 Jacobi et al. 2004 / Deutschland Alkohol oder Drogen 2.0 Bijl et al. 1998 / Niederlande 2.7 Hall et al. 1999 / Australien 2.1 Andrews et al. 2001 / Australien 2.3 Taylor et al. 2004 / Australien NSDUH-Report 2006 / USA 2.5 Finch et al. 2003 / USA 4.6 Thundal et al. 1999 / Schweden Alkohol 2.9 Pirkola et al. 2005 / Finnland 2.8 Meltzer et al. 2002 / Großbritannien Drogen 3.8

Prävalenzraten (%) der Arbeitslosen (A) und Erwerbstätigen (E) in Deutschland (repräsentative Studien) Autoren Suchtproblem A E Rose, Jacobi 2006 Alkoholabhängigkeit ICD 10 Männer 8.9 6.3 Alkoholabhängigkeit ICD 10 Frauen 1.8 1.5 Pockrandt et al. 2007 Riskanter Alkoholkonsum (AUDIT) 25.6 Henkel 2000 Konsum psychoaktiver Medikamente >2-mal/Woche Männer 10.9 4.8 Konsum psychoaktiver Medikamente >2-mal/Woche Frauen 15.4 10.3 Sozioökonomisches Panel 2006 Tabakrauchen Männer 46-72 37 Tabakrauchen Frauen 43-59 33

Tabakrauchquoten nach Erwerbsstatus, Arbeitslosigkeitsdauer und Geschlecht in Deutschland Sozio-ökonomisches Panel 2006

erhöhte Prävalenz der Arbeitslosen Hauptgründe für erhöhte Suchtprävalenzen der Arbeitslosen Selektive Effekte a) Suchtprobleme erhöhen das Risiko, arbeitslos zu werden b) Suchtprobleme erhöhen das Risiko, arbeitslos zu bleiben c) Arbeitslose stammen häufiger als Erwerbstätige aus den unteren Bildungs- und Qualifikationsschichten, die hohe Suchtprävalenzen aufweisen Kausale Effekte Arbeitslosigkeit begünstigt die Entwicklung von Suchtproblemen Beide Haupteffekte nachgewiesen Forschungsreview Henkel 2008 selektive Effekte erhöhte Prävalenz der Arbeitslosen kausale Effekte

2. Befund (kausale Effekte) In Relation zur Erwerbstätigkeit gehen von (länger anhaltender) Arbeitslosigkeit höhere Risiken für die Herausbildung bzw. Verschlimmerung von Suchtproblemen aus Nachweis erfordert Längsschnittstudien, die Veränderungen in der Suchtproblematik beim Übergang von der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit messen

Beispiel einer Längsschnittstudie zum Nachweis kausaler Effekte der Arbeitslosigkeit Catalano et al. 1993 (USA) Basis war eine aus dem Epidemiologic Catchment Area Projekt (ECA) gezogene repräsentative Stichprobe von Erwerbstätigen (N=3.987), die keine alkoholbezogenen Störungen (DSM-III) hatten (1. Messzeitpunkt). 12 Monate später (2. Messzeitpunkt) war die Inzidenz alkoholbezogener Störungen bei den arbeitslos Gewordenen um das 6-Fache höher als bei den erwerbstätig Gebliebenen. Diese Differenz zeigte sich nach statistischer Kontrolle von zahlreichen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen im Alter, Geschlecht, sozioökonomischen Status, Familienstand usw., so dass ein relativ eigenständiger Effekte der Arbeitslosigkeit auf die Entwicklung der Suchtprobleme nachgewiesen werden konnte.

39 prospektive Längsschnittstudien 16 davon erfüllen methodische Mindeststandards Sie belegen alle kausale Effekte der Arbeitslosigkeit Forschungsstand Henkel 2008 Autoren/Land Untersuchte Probleme Peck, Plant 1986 / Schottland Konsum illegaler Drogen Jugendliche Power, Estaugh 1990 / UK Heavy drinking Martikainen 1990 / Finnland Alkoholbedingte Sterblichkeit ICD 9 Dooley et al. 1992 / USA Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit DSM III Catalano et al. 1993 / USA Hammer 1992 / Norwegen Cannabiskonsum Janlert, Hammarström 1992 / Schweden Riskanter Alkoholkonsum Hammarström, Janlert 1994 / Schweden Einstieg in Tabakrauchen Montgomery et al. 1998 / UK Tabakrauchen, Heavy drinking Christofferson 2000 / Dänemark Alkohol-/Drogenmissbrauch DSM III Fergusson et al. 2001 / Neuseeland Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit DSM IV Drogenmissbrauch/-abhängigkeit DSM IV Kivimäki et al. 2003 / Finnland Alkoholbedingte Sterblichkeit ICD 10 Tabakbedingte Sterblichkeit ICD 10 Dooley, Prause 2004 / USA Unger et al. 2004 / USA Falba et al. 2005 / USA Tabakrauchen (Menge/Frequenz) Kuhn et al. 2006 / Österreich Konsum psychoaktiver Medikamente

Plausibel werden die kausalen Effekte vor dem Hintergrund der gut dokumentierten psychosozialen Folgen von länger anhaltender Arbeitslosigkeit Minderung des Selbstwertgefühls Depressivität reduzierte soziale Wertschätzung Verlust sozialer Kontakte und Unterstützung Verlust der Lebensperspektive, Zukunftsängste Abnahme der Lebenszufriedenheit Zunahme familiärer Konflikte finanzieller Stress Zerfall von Zeitstrukturen, Monotoniestress erschwerte Bewältigung jugendtypischer Entwicklungsaufgaben infolge der verlängerten Abhängigkeit von den Eltern, z.B. Erwachsenwerden, Gewinnung von Autonomie und Festigung der Identität

Aber überwiegend Konstanz im Konsumverhalten Die allermeisten Arbeitslosen verändern ihren Alkohol- und Tabakkonsum nicht, jedenfalls nicht wesentlich, auch nicht im Zuge länger anhaltender Arbeitslosigkeit Es bestehen zumindest bei den Erwachsenen häufig so fest gefügte Trink- und Rauchgewohnheiten, dass selbst der Verlust der Arbeit als kritisches Lebensereignis darauf keinen substantiellen Einfluss nimmt

Risikogruppen noch wenig untersucht Langzeitarbeitslose > Kurzzeitarbeitslose Männer > Frauen Jugendliche Jungen > Mädchen

Gesamt- bzw. Saldo-Effekt der Massenarbeitslosigkeit auf die Suchtproblematik ist unklar Arbeitslose Zunahme von Suchtproblemen durch negative psychosoziale Effekte der Arbeitslosigkeit Abnahme von Suchtproblemen durch Einschränkungen des Konsums infolge der Minderungen des Einkommens Abnahme von Suchtproblemen durch Wegfall des arbeitsgebundenen Konsums Abnahme von Suchtproblemen / Rückgänge geselliger Trinkanlässe infolge von arbeitslosigkeitsbedingter sozialer Isolierung Erwerbstätige Zunahme von Suchtproblemen durch negative psychosoziale Effekte infolge der Angst vor Arbeitslosigkeit (Puls, Mümken 2008) Abnahme von Suchtproblemen / Einschränkungen des Konsums aus Angst vor Arbeitslosigkeit (disziplinierende Wirkung der Entlassungsangst)

Alkohol Gesamtgesellschaftlich betrachtet: Keine allgemeine Erhöhung des Alkoholkonsums im Zuge der Massenarbeitslosigkeit

Arbeitslosenquote (AQ) und Alkohol-Pro-Kopf-Konsum (APK) in Deutschland von 1950 bis 2005 BA-Arbeitsmarktstatistik; Meyer, John: Jahrbuch Sucht 2007

Rückgang des Pro-Kopf-Konsums seit 1980 = Folge der Massenarbeitslosigkeit? lassen die Daten völlig offen, denn der Grund kann auch liegen in Alterung der Bevölkerung Zunahme der Migration nach Deutschland (Alkoholkonsum bei Migranten/innen deutlich geringer als bei Deutschen), gestiegenes Gesundheitsbewusstsein in Teilen der Bevölkerung (Fitnesswelle), Verdrängung des Alkohols durch Mineralwasser und Fruchtsäfte (erheblicher Konsumanstieg seit 1980)

3. Befund Der Anteil der Arbeitslosen unter den Suchtbehandelten hat im Zuge der Massenarbeitslosigkeit seit 1975 überproportional stark zugenommen

Arbeitslosenquote (%) der Alkoholabhängigen in stationärer Suchtbehandlung (gesetzliche Rentenversicherung) und allgemeine Arbeitslosenquote (%) 1975 bis 2005 Henkel 2008

Arbeitslosenquoten (%) im ambulanten und stationären Bereich der Suchtkrankenhilfe nach Hauptdiagnose und Geschlecht Deutsche Suchthilfestatistik 2005 (IFT 2006) ICD 10 Hauptdiagnose Störungen durch… Männer Frauen Ambulante Einrichtungen (N=595) Alkohol 28.1 20.9 Sedativa/Hypnotika 39.8 21.5 Opiate 52.6 52.5 Cannabis 26.4 23.1 Kokain 37.6 38.9 Stimulantien 29.5 28.7 Stationäre Einrichtungen (N=124) 39.5 31.0 35.3 62.2 58.4 47.9 43.9 46.2 56.3 45.2

Arbeitslosenquoten (%) im ambulanten und stationären Bereich der Suchthilfe nach Arbeitslosengeld I und II alle Suchtdiagnosen zusammengefasst Deutsche Suchthilfestatistik 2008 Bereich ALG I ALG II ALG I + II ambulante Einrichtungen N=567 5.9 36.9 42.8 stationäre Einrichtungen N=130 10.5 38.8 49.3

Gilt für beide Hauptzielbereiche: Mit dem Anstieg der Arbeitslosenquote hat die Effektivität der Suchthilfe/Suchtbehandlung nicht Schritt halten können Gilt für beide Hauptzielbereiche: Risiko mindern im Substanzgebrauch bis hin zur Überwindung der Suchtproblematik i.S. von dauerhafter Abstinenz Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben von der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit bis hin zur Integration in erwerbstätige Beschäftigung

4. Befund In Relation zur Erwerbstätigkeit reduziert die Arbeitslosigkeit deutlich die Chancen, Suchtprobleme wieder zu überwinden

Nachgewiesen bei Tabakabhängigen (Falba et al. 2005) Opiatabhängigen (Brewer, Catalano et al. 1998) Alkoholabhängigen (Henkel et al. 2004, 2005)

Alkoholabhängige: Rückfallquoten (%) der Arbeitslosen (N=181) und Erwerbstätigen (N=314) 6 Monate nach stationärer Suchtrehabilitation Henkel et al. 2004

5. Befund Die Integration in erwerbstätige Beschäftigung möglichst noch während, zumindest aber unmittelbar nach Beendigung der Betreuung/Behandlung (Nahtlosigkeitsprinzip) ist ein starker rückfallprotektiver Faktor, gelingt aber nur in Ausnahmefällen

Reintegrationsquote (%) der bei Aufnahme arbeitslosen Suchtkranken am Ende der Betreuung/Behandlung im ambulanten und stationären Bereich nach Geschlecht und Bezieher/inn/en von Arbeitslosengeld I und II Deutsche Suchthilfestatistik 2008 mittlere Betreuungsdauer ambulant rd. 8 Monate stationär rd. 3 Monate Bereich Reintegrationsquote Männer Frauen ALG I / ambulanter Bereich 15.6 15.9 ALG I / stationärer Bereich 6.2 2.1 ALG II / ambulanter Bereich 5.2 3.7 ALG II / stationärer Bereich 2.9 1.1

Allgemein restriktive Arbeitsmarktlage und Gründe Allgemein restriktive Arbeitsmarktlage und häufig gravierende Arbeitsmarkthandicaps der suchtkranken Arbeitslosen, z.B. Alkoholabhängige Altersmittel 50 Jahre 70% kein Hauptschulabschluss 50% über 12 Monate arbeitslos, 30% über 2 Jahre häufige, schwere und frühe Rückfälle der Arbeitslosen strukturelle/konzeptionelle Defizite in den Einrichtungen der Suchthilfe/Suchtbehandlung und den Institutionen der Arbeitsintegration nach SGB II und III: Arbeitsagenturen, Jobcenter

Was tun? Suchtkranke Arbeitslose benötigen eine zwischen den Institutionen der Suchthilfe und der Arbeitsintegration systematisch vernetzte Betreuung Erstmals im SGB II (§16a) seit 1.1.2005 als Möglichkeit rechtlich verankert: Liegt ein Suchtproblem als Vermittlungshemmnis vor, kann eine Suchtberatung als eine weitere soziale Leistung zur Eingliederung ins Erwerbsleben durchgeführt werden, um so das letztendliche Ziel des SGB II, die Integration in Existenz sichernde Arbeit, besser zu erreichen. Dabei sollen die SGB II-Stellen (ARGEn, Jobcenter…) mit der Suchthilfe kooperieren (§17 SGB II). Wie gut ist der Stand der praktischen Umsetzung?

Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben - bundesweite Erhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit Henke, Henkel, Nägele, Pagels, Wagner 2009, 2010 Laufzeit November 2008 bis August 2009 1) Standardisierte online-Befragung aller SGB II-Stellen (GSS) Realisierte Stichprobe: 323 d.h. 74% aller 429 SGB II-Stellen 2) Standardisierte online-Befragung von Suchtberatungsstellen zur Akzeptanz und Bewertung der GSS-Praxis Nur SB-Stellen, die von den GSS als Kooperationspartner genannt wurden Rücklauf auswertbarer Fragebögen: 59% (N=80) 3) Expert/inn/en-Workshop (Grundsicherung, Suchthilfe, Arbeitsmarktpolitik) für Interpretation und Diskussion ausgewählter Ergebnisse

Umsetzungsstand „guter Praxis“ in % der GSS SGB II-Sucht-Forschungsprojekt 2009 ▪ Betreuungsrelation im Bereich Betreuung/Vermittlung Zielrelation 1:75 für U25 erreicht Zielrelation 1:150 für Ü25 erreicht 8 11 ▪ Fachkonzept „SGB II-Sucht“ mit verbindlichen Vorgaben, Qualitätsstandards usw. ▪ Personelle Zuständigkeit für SGB II-Sucht-Angelegenheiten ▪ Bedarfsschätzung an Suchtberatung nach §16a SGB II durchgeführt ▪ Verfügbarkeit von Suchtberatungsangeboten vor Ort ausreichend nicht ausreichend 20 49 69 14 ▪ Suchtspezifische Qualifizierung der Fachkräfte: noch gar nicht bzw. noch nicht ausreichend geschult ▪ Supervision/kollegiale Beratung für Fachkräfte, die Suchtkranke betreuen 84 47 ▪ Geregelte Kooperationspraxis mit der Suchthilfe ▪ Einbeziehung der Suchthilfe bei der inhaltlichen Gestaltung der Eingliederungsvereinbarung (§ 15 SGB II) 45 51

Integration Suchtkranker in den 1 Integration Suchtkranker in den 1. Arbeitsmarkt gelingt so gut wie nicht Einschätzungen der SGB II-Stellen, %-Zustimmungen SGB II-Sucht-Forschungsprojekt/BMG 2009 Gelingt aufgrund der Suchterkrankung nur in Ausnahmefällen 86 Gelingt nicht weniger häufig als bei Kunden/innen ohne Suchterkrankung 3 Gelingt dann häufiger, wenn der (potenzielle) Arbeitgeber nichts von der Suchterkrankung weiß 15 Gelingt dann häufiger, wenn die SB-Stelle dem (potenziellen) Arbeitgeber gegenüber weitere Unterstützung des Klienten/der Klientin zusichert 17 Gelingt häufiger unter sonstigen Bedingungen 11

Weitere Probleme (außer der Sucht), die die Erwerbsintegration Suchtkranker „oft“ erschweren aus Sicht der SGB II-Fachkräfte SGB II-Sucht-Forschungsprojekt 2009 Problem % der SGB II-Stellen Probleme im Bereich Bildung/Qualifikation/Brüche in Erwerbsbiographie 88.7 Ver-/Überschuldung 74.2 Unwirtschaftliches Verhalten 67.8 Probleme im Bereich sozialer Beziehungen 64.8 Nichtbeherrschen von Alltagsroutinen 63.9 Gesundheitliche Beeinträchtigungen 58.9 Psychische Belastungen (z.B. Angstzustände) 47.7 Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden 42.1 Wohnprobleme 35.4 Strafrechtliche Probleme (z.B. mit Bewährungsauflagen) 26,3 Häusliche Gewalt 10.0

Beschäftigungs- / Qualifizierungsmaßnahmen Wie viele (%) der SGB II-Stellen bieten welche Maßnahmen? SGB II-Sucht-Forschungsprojekt 2009 1) Spezielle Maßnahmen für Suchtkranke u.a. für Jugendliche unter 25 Jahren 30% substituierte Drogenabhängige 21% Frauen 6% 42 2) Nicht speziell nur für Suchtkranke, aber deren Bedürfnisse berücksichtigend 53 Es werden weder 1) noch 2) angeboten 26 Problem: Insgesamt werden den Suchtkranken fast nur Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung („1-Euro- Jobs“) nach § 16d SGB II angeboten

Schnittstelle GSS / Suchtrehabilitation SGB II-Sucht-Forschungsprojekt 2009 Weitergabe von Informationen über arbeitsbezogene Maßnahmen (z.B. Profiling, Stand der Integrationsplanung) → 12% der GSS geben solche Infos an die Einrichtungen der Suchtrehabilitation ← 23% der GSS erhalten solche Infos von den Einrichtungen der Suchtrehabilitation in der Regel 93% der GSS bewerten diese Informationen als hilfreich für die eigene (weitere) Planung arbeitsbezogener Maßnahmen Nahtloser Anschluss der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen an die Suchtrehabilitation gelingt 37% der GSS meistens 41% manchmal

Entwicklung 2005-2008 Klienten/innen der ambulanten Suchthilfe, die nach § 16a SGB II in eine Suchtberatung vermittelt wurden Quelle: Landesstellen für Suchtfragen 2009 Sachsen: 2005: N=417; 2006: N=959; 2007: N=1449; 2008: N=1810

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Henkel, D, Zemlin, U (Hrsg Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Henkel, D, Zemlin, U (Hrsg.) Arbeitslosigkeit und Sucht. Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Frankfurt a.M., 2008, 2. Aufl. 2009