Der Einfluss der Tabakindustrie auf führende Arbeitsmediziner 1970-2000 Der lange Weg zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz Dr. Wolfgang Hien Forschungsbüro.

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 Präsentation transkript:

Der Einfluss der Tabakindustrie auf führende Arbeitsmediziner 1970-2000 Der lange Weg zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz Dr. Wolfgang Hien Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie, Bremen kontakt@wolfgang-hien.de PD Dr. Uwe Helmert Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen uhelmert@zes.uni-bremen.de Vortrag 5. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle im Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg 6. Dezember 2007

Gliederung 1 Die Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens: Das Damoklesschwert für die Tabakindustrie 2 Der verdeckte Einfluss der Tabakindustrie auf Personen und Institutionen der deutschen Arbeitsmedizin Ein Beispiel für eine von der Tabakindustrie gelenkte Publikation 4 Passivrauchen am Arbeitsplatz 5 Schlussbemerkungen

1 Die Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens: Das Damoklesschwert für die Tabakindustrie Norbert Hirschhorn (1999) Shameful Science: Three decades of the Tobacco Industry´s Hidden Research on Smoking and Health „Die deutschen (Tabak-) Wissenschaftler wussten von Beginn an, was das wahre Schlachtfeld war, und noch immer ist, nämlich das Passivrauchen. Ihre Sorge war dabei nicht so sehr, ob Rauchen gesundheitsschädigend ist, weil sie sehr früh schon wussten, dass dies der Fall ist, sondern sie waren besessen von der Tatsache, dass ausströmende Tabakgifte aus der Zigarette die Gesundheit von Nichtrauchern beeinträchtigen. Deshalb taten sie alles, was sie konnten, um die Schädlichkeit des Passivrauchens in Frage zu stellen, zu leugnen und Tatsachen zu verdrehen“.

2 Der verdeckte Einfluss der Tabakindustrie auf Personen und Institutionen der deutschen Arbeitsmedizin Harald König vom Verband der deutschen Zigarettenindustrie (VdC) auf dem Workshops der National Manufactures Association (NMA) am 20. - 22. September 1983 in Washington „Die deutsche Zigarettenindustrie war sich der Tatsache sehr bewusst, dass sie nicht einfach für sich selbst sprechen konnte, weil sie zu sehr parteiisch war hinsichtlich der wissenschaftlichen Fragestellung der gesundheitlichen Folgen des Passivrauchens. Aber der deutschen Zigarettenindustrie ist es gelungen, unabhängige Wissenschaftler zu mobilisieren, die sich mit dem Thema Passivrauchen auseinandersetzten.

Dies war nur deshalb zu bewerkstelligen, weil es der deutsche Zigarettenindustrie schon seit langem gelungen war, eine langfristige Zusammenarbeit mit der scientific community außerhalb der Industrie aufrecht zu halten. Dieses förderte Ansehen, Vertrauen, Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit der deutschen Zigarettenindustrie. Auf dieser Basis entstand 1977 ein offener Disput zwischen der deutschen Anti-Raucher-Lobby und den angesehenen Wissenschaftlern der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin (DGfAM)). Dabei bezogen die Vertreter der DGfAM den wissenschaftlichen Standpunkt, dass die Schädlichkeit des Passivrauchens nicht erwiesen sei. Da es zu dieser Zeit alarmierende Signale aus dem Bundesministerium für Gesundheit gab, dass an einem Entwurf für ein Nichtraucherschutzgesetz gearbeitet wird, entschied sich die deutsche Zigarettenindustrie 1977 dazu, in München eine Konferenz auf einem hohem wissenschaftlichen Niveau zum Thema Passivrauchen durchzuführen.“

„Der offizielle Organisator dieser Konferenz zum Passivrauchen im Jahr 1977 in München war die Bayerische Akademie für Arbeits- und Sozialmedizin. Die aktiven Teilnehmen bestanden größtenteils aus angesehenen Medizinern und Juristen. Die Konferenz wurde von bedeutenden Personen aus dem Gesundheitsbereich einschließlich offizieller Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums besucht. Ingesamt kam die Konferenz zu der Schlussfolgerung, dass Passivrauchen keine gesundheitsabträglichen Auswirkungen auf Nichtraucher hat und deshalb keine gesetzlichen Maßnahmen zum Nichtraucherschutz erforderlich sind. Dieses Ergebnis beeindruckte das Gesundheitsministerium. Das intendierte Gesetz des Gesundheitsministeriums wurde deshalb revidiert in lediglich programmatische Ausführungen und Empfehlungen ohne jedwede gesetzliche Verpflichtungen“.

„Als das Gesundheitsministerium 1980 erneut zum Passivrauchen befragt wurde, führte der Sprecher des Ministeriums im Parlament aus, dass der aktuelle epidemiologische Forschungsstand zeige, dass Passivrauchen nicht als Risikofaktor für den Lungenkrebs angesehen werden kann. Infolge dieser eindeutigen Aussage verringerte sich auch der vorher weit größere Einfluss der Anti-Raucher-Lobby auf das Gesundheitsministerium. Die Taktik der deutschen Zigarettenindustrie mit dem Ziel, die Anti-Raucher-Lobby in Deutschland von der wissenschaftlichen Community zu isolieren und deren quasi-religiösen Fanatismus bloß zu stellen, ist damit aufgegangen. Um diese Sichtweise der deutschen Zigarettenindustrie weiter zu stärken, hat es die Zigarettenindustrie erfolgreich geschafft, angesehene medizinische Organisationen aus dem Bereich der Arbeits- und Sozialmedizin aus Deutschland und Österreich zu überreden, einen gemeinsamen Workshop zum Passivrauchen im April 1984 in Wien durchzuführen. Hoffentlich wird sich dieser Workshop als eine erfolgreiche Wiederholung der Münchner Konferenz aus dem Jahr 1977 herausstellen“.

3 Ein Beispiel für von der Tabakindustrie gelenkte Publikation Das öffentliche Gesundheitswesen: Sonderheft 2, Jahrgang 53, 1991: Passivrauchen: Aktuelle Fragen und Antworten Prof. Dr. Michael Kentner, Hildesheim „Passivrauchen führt bei gesunden Erwachsenen in der Regel nicht zu relevanten pathologischen Veränderungen der Lungenfunktion“ Prof. Dr. Gerhard Lehnert, Universität Hamburg, Zentralinstitut für Arbeitsmedizin „Es spricht mehr gegen als für einen Kausalzusammenhang zwischen Passivrauchen und Lungenkrebs“ Prof. Dr. Alfred Manz, Hamburg „Arbeitsplätze können viel gefährlicher sein als Rauchen oder Passivrauchen“ Prof. Dr. K.-M. Müller, Universität Bochum „Ein Krankheitsrisiko für Passivraucher ist pathologisch-anatomisch nicht spezifisch zu ermitteln“ Prof. Dr. Dietrich Schmähl, Heidelberg, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg: „Kein Superkanzerogen im Tabakrauch bekannt“ Prof. Dr. Jürgen von Troschke, Universität Freiburg „Die öffentliche Diskussion über das Passivrauchen wird mit unangemessener Dramatik geführt“ Prof. Dr. Karl Überla, München, „Wir wissen nicht, ob Passivrauchen Lungenkrebs hervorruft“

4 Passivrauchen am Arbeitsplatz Die arbeitsmedizinisch relevanten Gesetze und Verordnungen im Bereich Gefahrstoffe und Raumluft Arbeitsschutzgesetz (1996, auf der Basis der EU-Rahmenrichtlinie von 1989) Arbeitnehmer/innen haben ein Recht auf Schutz vor Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Erkrankungen sowie auf eine menschengerechte Arbeitsgestaltung Arbeitstättenverordnung (1975, Nichtraucherschutz eingefügt 2002; vollständig novelliert 2004) Schon 1975 wurde den Arbeitnehmer/innen eine “gesundheitlich zuträgliche Raumluft“ zugesichert Gefahrstoffverordnung (1986, vollständig novelliert 2005) Die Verordnung hebt auf die „Tätigkeit“ mit Gefahrstoffen ab; Passivrauchen bleibt im Relegungsbereich der ArbStättV

Die arbeitsmedizinisch relevanten Kommissionen im Bereich Gefahrstoffe MAK-Kommission = Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft > Einstufung der Stoffe (insbesondere: krebserzeugendes Potential) > Aufstellung Maximaler Arbeitsplatz-Konzentrationen (MAK-Werte) AGS = Ausschuss für Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales > Einstufung der Stoffe (insbesondere: krebserzeugendes Potential) und Harmonierung mit EU-Vorgaben > Aufstellung von Arbeitsplatz-Grenzwerten (AGW) sowie technischen Regeln für die Tätigkeit mit Gefahrstoffen

Die Schritte zur Regulation der Gefahrstoffe am Arbeitsplatz Industrie (Arbeitsmedizin, Toxikologie) Hochschulen und wiss. Institute (Arbeits- Medizin, Toxikologie, Epidemiologie) Industrievertreter (Chemiker, Juristen) Gewerkschaften (Hauptamtliche, Wiss.) Wissenschaftler/innen (Tox., Arbmed., Epidem.) Behörden, Berufsgenossenschaften MAK-Kommission EU AGS BMAS Einstufungen und Arbeitsplatzgrenzwerte

Wichtige Marksteine auf dem Weg zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz 1977: Fachtagung der Bayerischen Akademie für Arbeitsmedizin zum Thema „Passivrauchen am Arbeitsplatz“ unter Beteiligung von Vertretern des Bundesarbeitsministeriums Die Konferenz widerspiegelt die Mehrheitsmeinung der Arbeitmedizin, nach der zwar die Belästigung durch Passivrauchen gesehen wird, nicht jedoch eine ernste Gesundheitsgefahr (hier tat sich besonders hervor: Prof. Valentin, Erlangen) 1981: Veröffentlichung der Hirayama-Studie und Beginn der Diskussion über Passivrauchen am Arbeitsplatz in der MAK-Kommission Zwischen 1982 und 1985 gab es massive Interventionen seitens der Tabakindustrie (Prof. Adlkofer), die jedoch in der MAK-Kommission keine Mehrheit fanden

Fortsetzung: Marksteine … 1985: Die MAK-Kommission stuft Passivrauchen als „begründet krebsverdächtig“ ein (K3) Auch nach 1985 wird seitens führender Epidemiologen (insbesondere Prof. Überla und PD Dr. H. Letzel, München) und führender Arbeitsmediziner (insbes. Prof. Lehnert, Erlangen) die Kanzerogenität des Passivrauchens abgestritten (vgl. die Sondernummer „Das öffentliche Gesundheitswesen“ im Jahr 1991) Zwischen 1992 und 1998 erscheinen eine Reihe wichtiger Studien und Reviews (Bolm-Audorff; Jöckel) 1998: MAK-Kommission stuft Passivrauchen nunmehr als „eindeutig beim Menschen krebserzeugend“ ein (K1) Das Arbeitsministerium versucht eine Abstimmung mit den zugleich laufenden parlamentarischen Initiativen

Fortsetzung: Marksteine … Die Frage wird auf die Agenda des AGS gesetzt, zunächst aber nicht behandelt, auch weil man „der Politik“ nicht vorgreifen wollte 2002: Die International Agency for Research on Cancer stuft Passivrauchen als „eindeutig beim Menschen krebserzeugend“ ein (K1) 2002: AGS bestätigt die Einstufung der MAK-Kommission und untermauert sie mit weiteren epidemiologisch-methodischen Argumenten (K1) 2002: Das Bundesarbeitsministerium fügt den Nichtraucherschutz in die ArbStättV ein, freilich mit der Einschränkung: „soweit die Natur des Betriebs“ dies zulasse Im gleichen Jahr versucht die Tabakindustrie (Adlkofer) nochmals, führende Arbeitsmediziner zu überzeugen, dass diese Einstufung „grundfalsch“ sei, doch ohne Erfolg

Fortsetzung: Marksteine … Die Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuss Gaststätten (NGG) bestreitet zwar nicht die Legitimität der Einstufung, sieht aber Zigarettenrauch als zur „Natur“ der Gaststätten gehörig 2006: Erneute Gesetzes-Initiativen (Bund, Länder) und Umschwenken der NGG auf einen Nichtraucherschutz aller Beschäftigten, auch der in Gaststätten 2007: Landesgesetze, die auch den Schutz der Gaststätten-Beschäftigten sicherstellen sollen Offene Fragen sind u.a. die Novellierung der ArbStättV (Anpassung an die neue gesetzliche Lage) und die Anerkennung von Berufs­krebsen im Bereich Gaststätten (Sozialgesetz­buch VII und Berufskrankheitenverordnung) Ein weitere offene Frage ist der Arbeitsschutz bei Selbständigen (auch: bei den zur Selbständigkeit gezwungenen Beschäftigten)

Prof. Gerhard Lehnert – über viele Jahre ein führender Arbeitsmediziner in Deutschland - brachte das Problem auf den Punkt: „Ich glaube, dass man das Problem in der klassischen Weise der Prävention nicht mehr angehen kann, weil das einfach nicht mehr bezahlbar ist. Alle Maßnahmen gegen Risiken des Arbeitsplatzes oder des Lebens generell immer am schwächsten Glied ausrichten zu wollen, ist unrealistisch geworden. Ich glaube, es gibt nur noch den Weg, Risikogruppen herauszufiltern und auch den Mut zu haben, den Leuten zu sagen, dass sie ein Risiko haben, das gegenwärtig nicht auszuräumen ist.“ (Lehnert 1991, im Passivrauch-Schwerpunktheft der Zeitschrift „Das öffentliche Gesundheitswesen“). Dies war Lehnerts Auffassung auf allen Gebieten der Arbeitsmedizin, auch hinsichtlich Schwerstvergifteten durch Dioxin, Lindan, Blei, Quecksilber.

5 Schlussfolgerungen > Lobbyarbeit ist Teil des repräsentativen demokratischen Systems und ist als solche nicht zu verurteilen. Was verurteilt werden muss, sind die manipulativen Methoden der Verbiegung wissenschaftlicher Meinungsbildung und der gezielten persönlichen Einflussnahme, auch mittels unlauterer Geldzuwendungen. > Der Prozess der wissenschaftlichen Positionsfindung in der MAK-Kommission ist trotz massiver Einflussnahme der Tabakindustrie korrekt abgelaufen. Die Einstufungen 1985 und 1998 fanden zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Bewertung statt. > Was nicht funktioniert hat, war die politische Ebene des Regulierungssystems. Der Verordnungsgeber ließ sich durch die parlamentarischen Initiativen und deren Verschleppung blockieren. Insofern war der Gesetzgeber effektiv von der Tabakindustrie beeinflusst, die auf diese Weise einen wirksamen Nichtraucher-schutz um 20 Jahre verzögern konnte.

> Was ebenfalls nicht funktioniert hat, war das öffentliche Gesundheitswesen (Public Health). Das Bundesgesundheitsamt und die von ihm beeinflussten Institutionen und Medien (wie z.B. die Zeitschrift „Das öffentliche Gesundheitswesen) haben über Jahre an der Bagatellisierung des Passivrauchens mitgewirkt. > Die von potentiellen Gesundheitsgefahren betroffenen Bevölkerungsgruppen haben in der Regel keine eigenständige Lobby. Diese Aufgabe muss der öffentliche Gesundheitsdienst - in enger Kooperation mit bereichspezifischen Institutionen und Gremien, wie z.B. die MAK-Kommission übernehmen. Hier ist ein hoher Entwicklungsbedarf gegeben. Entsprechende politische Initiativen sind dringend erforderlich.