Forensische Psychiatrie

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 Präsentation transkript:

Forensische Psychiatrie Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie Forensische Psychiatrie Dr. C. Luckhaus

Forensische Psychiatrie – Begriffsbestimmung befasst sich mit Fragen, die von Gerichten und Behörden an Psychiater gestellt werden psychiatrischer Sachverständiger, Gutachter befasst sich mit medizinischen und psychischen Problemen psychisch Kranker mit Bezug auf ihre Fähigkeiten zu rechtsrelevantem Handeln psychiatrischer Therapeut im Maßregelvollzug

Forensische Psychiatrie - Standortbestimmung Psycho-pathologie Neuro-wissenschaften Rechts-wissenschaften Kriminologie Sozial-psychiatrie Sucht-medizin Pharmako-therapie Psycho- therapie Psycho-logie Forensische Psychiatrie

Inhalt der Vorlesung Strafrechtliche Fragen Sozialrechtliche Fragen Schuldfähigkeit, Maßregeln zur Besserung und Sicherung Prognosebeurteilungen Sozialrechtliche Fragen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit Beurteilung von Unfallfolgen Zivil- und öffentlich-rechtliche Fragen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Geschäftsfähigkeit Einwilligungsfähigkeit Rechtliche Betreuung Vorsorgevollmacht

Strafrechtliche Fragen - Begutachtung der Schuldfähigkeit

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit * Psychische Störungen und Kriminalität (aus Nedopil, 2005) * Absolutes Risiko eines schizophren Kranken für Gewaltdelikt: 0,05 % Anteil schizophren Kranker an Gesamtzahl der Gewaltdelinquenten: 0,5-3%

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Strafrechtliche Schuld Normabweichendes Verhalten wird subjektiv zugerechnet, wenn von anderen in vergleichbarer innerer und äußerer Situation normgerechtes Handeln erwartet werden kann und erwartet wird. „Pragmatischer Schuldbegriff“: Willensfreiheit zu rechtsrelevantem Handeln wird dem psychisch Gesunden normativ zugeschrieben. Deterministische Theorien – „Wir tun nicht was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun“ – bleiben unberücksichtigt. (siehe z.B. Greyer C. Hirnforschung und Willensfreiheit. Frankfurt: Suhrkamp 2004)

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Schuldausschlussgründe mangelnde Reife eines Jugendlichen (§3 JGG) Notwehr (§32 StGB) entschuldigender Notstand (§35 StGB) Verbotsirrtum (§17 StGB) Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§20 StGB)

Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit §20 StGB: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Verminderte Schuldfähigkeit Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit §21 StGB: Verminderte Schuldfähigkeit Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Beurteilung der Schuldfähigkeit Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Beurteilung der Schuldfähigkeit 1. Stufe der Beurteilung: Zuordnung der psychischen Störung zu einem der 4 Eingangsmerkmale des §20 StGB 2. Stufe der Beurteilung: Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit

Eingangsmerkmale des § 20 StGB: Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Eingangsmerkmale des § 20 StGB: 1. „Krankhafte seelische Störung“ Psychische Krankheiten und Störungen, bei denen eine organische Ursache bekannt ist oder vermutet wird: exogene Psychose endogene Psychose degenerative Hirnerkrankung Durchgangssyndrome, Rauschzustände zerebrale Anfallsleiden genetisch bedingte Erkrankungen

Eingangsmerkmale des § 20 StGB: Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Eingangsmerkmale des § 20 StGB: 2. „Tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ Ausschließlich nichtkrankhafte, d.h. normal-psychologische Ausnahmezustände, wie sie bei psychisch Gesunden vorkommen können: Schlaftrunkenheit Erschöpfung, Übermüdung nichtkrankhafte Dämmerzustände hypnotische Störungen hochgradige Affekte

Eingangsmerkmale des § 20 StGB: Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Eingangsmerkmale des § 20 StGB: 3. „Schwachsinn“ Ausgeprägte Störungen der Intelligenz, die nicht auf nachweisbaren organischen Grundlagen beruhen.

Eingangsmerkmale des § 20 StGB: Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Eingangsmerkmale des § 20 StGB: 4. „Schwere andere seelische Abartigkeit“ Sammelbegriff. Seelische Störungen, die nicht den 3 anderen Merkmalen zugeordnet werden können. Symptomatische Ausprägung bzw. Einbußen sozialer Kompetenz müssen psychotischen Erkrankungen gleichen: Persönlichkeitsstörungen Neurosen Sexuelle Verhaltensabweichungen Abhängigkeitserkrankungen

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Einsichtsfähigkeit Einsichtsunfähigkeit gegeben, wenn die kognitiven Funktionen nicht ausreichen, das Unrecht eines Handelns zu erkennen. z.B.: schwere intellektuelle Einbußen psychotische Realitätsverkennungen Bei festgestellter Einsichtsunfähigkeit erübrigt sich die Prüfung der Steuerungsfähigkeit.

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Steuerungsfähigkeit Aufhebung oder Einschränkung der Steuerungsfähigkeit kann gegeben sein durch Einschränkungen der Willensbildung und des Handlungsentwurfs. z.B.: Enthemmungen Verkennungen Impulsivität Affektstörungen

Strafrecht – Begutachtung der Schuldfähigkeit Schuldunfähigkeit keine Strafverurteilung bei: Einsichtsunfähigkeit oder Einsichtsfähigkeit und Steuerungsunfähigkeit verminderte Schuldfähigkeit Strafverurteilung kann gemildert werden bei: Einsichtsfähigkeit und erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit

Strafrechtliche Fragen - Maßregeln zur Besserung und Sicherung

Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus n. §63 StGB Strafrecht – Maßregeln zur Besserung und Sicherung Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus n. §63 StGB wenn Schuldfähigkeit aufgehoben oder erheblich gemindert (§20, 21 StGB) wenn aufgrund der festgestellten Störung weitere erhebliche Delikte zu erwarten sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits - grundsatzes (§62 StGB)

Strafrecht – Maßregeln zur Besserung und Sicherung Unterbringung in einer Entziehungsanstalt n. §64 StGB Anordnung einer Suchtbehandlung nicht von aufgehobener oder geminderter Schuldfähigkeit (§§20, 21 StGB) abhängig wenn aufgrund der festgestellten Störung weitere erhebliche Delikte zu erwarten sind Anordnung möglich, wenn hinreichend konkrete Aussichten auf Erfolg der Behandlung bestehen auf 2 Jahre begrenzt

Weitere Maßregeln der Besserung und Sicherung Strafrecht Weitere Maßregeln der Besserung und Sicherung Führungsaufsicht (§ 68 StGB) Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) Berufsverbot (§ 70 StGB)

Psychiatrischer Maßregelvollzug

Psychiatrischer Maßregelvollzug in Zahlen Weniger als 1 % aller Angeklagten, etwa 8 % aller Sexualstraftäter und etwa 9 % aller Delinquenten mit Tötungsdelikten werden im psychiatrischen Maßregelvollzug untergebracht.

Psychiatrischer Maßregelvollzug in Zahlen (aus Strafvollzugsstatistik, Statistisches Bundesamt, 2009)

Psychiatrischer Maßregelvollzug in Zahlen 1023 2008 (aus Venzlaff, Foerster, 2004, und Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 – 2008)

Psychiatrischer Maßregelvollzug in Zahlen Mittlere Unterbringungsdauer in der §63 StGB-Maßregel beträgt bei großer Spannbreite derzeit ca. 6 Jahre. 5 Jahres-Katamnesestudien zeigen eine durchschnittliche Rückfallrate bzgl. schwerwiegender Delinquenz nach Entlassung aus der § 63 StGB - Maßregel von ca. 6 – 14 %. (eingeschränkte Datenlage) (Zum Vergleich: 4 J.-Rückfälligkeit (BZR-Eintrag) von entlassenen Strafgefangenen mit Bewährung ca. 45 %)

Psychiatrischer Maßregelvollzug „Maßregeln zur Besserung und Sicherung“ (§§63, 64 StGB) Unterbringungsziele: …den Patienten, soweit möglich, zu heilen oder seinen Zustand soweit zu bessern, dass er nicht mehr gefährlich ist. Die Behandlung richtet sich nach ärztlichen Gesichtspunkten, wobei dem Untergebrachten die notwendige Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil werden muss (§136 StVollzG). Therapie und Unterbringung haben auch pädagogischen Erfordernissen Rechnung zu tragen …unter größtmöglicher Annäherung an allgemeine Lebens- und Arbeitsverhältnisse… (§1 MRVG-NRW). Dauer und Umfang der Freiheitsentziehung richten sich nach dem Erfolg der Therapie (§18 MRVG-NRW).

Psychiatrischer Maßregelvollzug Behandlungsaspekte: Deliktbearbeitung: Theorie des „Sozialversagens“ im Einzelfall Psychiatrische Diagnostik und Therapie einschl. Medikamenten Kognitive Verhaltens- und Milieutherapien Arbeitstherapie, Kreativtherapien, Freizeitgestaltung, Sport Pädagogische Maßnahmen Sicherung, Lockerung künftiges soziales Umfeld, Nachsorge

Psychiatrischer Maßregelvollzug Überprüfungen des Behandlungsverlaufs: ½-jährlich zu erstellende Therapiepläne Besuchskommission der Bezirksregierung jährlich zu erstellende Stellungnahmen der Klinik an die Strafvollstreckungskammer jährliche richterliche Anhörungen des Untergebrachten alle 3 und 5 Jahre externe Prognosebegutachtungen LEGALPROGNOSE SOZIAL-PROGNOSE KRANKHEITS-PROGNOSE

Prognosefragen im Maßregelvollzug Unterbringungsvoraussetzungen (Einweisungsprognose) Sicherungsnotwendigkeit während der Unterbringung (Lockerungsprognose) Verantwortbarkeit einer bedingten Entlassung (Entlassungsprognose)

Prognosebeurteilungen im Maßregelvollzug Zu beurteilen ist i. d. R. die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit Intuitive Methode: Unsystematische, gefühlsmäßige Beurteilung des Gesamteindrucks ohne weitere Begründung (immer fehlerfrei, aber nicht ohne Irrtum) Klinische Methode berücksichtigt: der individuellen Handlungstheorie (Motivation) der Delinquenz, der Vorgeschichte (Vordelikte, Komorbidität, Soziobiographie), des aktuellen Krankheitszustands / Persönlichkeitsquerschnitts, des Behandlungsverlaufs der Perspektiven nach der Entlassung Statistische Methode

Statistische Prognoseinstrumente Strukturierte Checklisten bestehend aus Rückfall-relevanten Variablen (Items) Statische Variablen: z.B. Vordelinquenz Dynamische Variablen: z.B. psychische Krankheitssymptome Prognoseinstrumente wurden anhand empirischer Forschungsergebnisse entwickelt (z.B. Basisraten für deliktspezifische Rückfälligkeit) Unterschiedliche Operationalisierungs- und Manualisierungsgrade Unterschiedliche Zielkriterien: Gewalttätigkeit, Sexualdelikt Test-Summenscores erlauben nur kategoriale Zuordnungen bzgl. zu prognostizierender Gefährlichkeit Daher : Interpretation der Testergebnisse für den zu prognostizierenden Einzelfall immer erforderlich

HCR - 20 Historical, Clinical, and Risk Management Scales Kanadische Version: C. D. Webster, K. S. Douglas, D. Eaves, & S. D. Hart, 1997 Deutsche Übersetzungsversion: R. Müller-Isberner, D. Jöckel, S. Gonzalez Cabeza

HCR - 20 standardisiertes Untersuchungsschema zur Beurteilung der Gefährlichkeit i.S. des Gewaltrisikos (Prognoseinstrument) basiert auf Untersuchungen über Prädiktoren für Gewalttaten Anwendung bei Probanden mit gewalttätigem Verhalten in der Vorgeschichte und V.a. psychische Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung adaptierte Übersetzung der kanadischen Originalversion Beurteilung der Items erfordert die Verwendung möglichst vieler von einander unabhängiger Informationsquellen (Fremdanamnese, Aktenlage) Cave: ungeprüfte Angaben des Probanden (Dissimulation)

HCR - 20 Höchstmöglicher Score 40 Punkte 0 = nicht vorhanden Dimension 1 H-Variablen (statische Variablen, Vergangenheit) H1. Frühere Gewaltanwendung 0 1 2 H2. Geringes Alter bei 1. Gewalttat 0 1 2 H3. Instabile Beziehungen 0 1 2 H4. Probleme im Arbeitsbereich 0 1 2 H5. Substanzmißbrauch 0 1 2 H6. (gravierende) seelische Störung 0 1 2 H7. Psychopathy (PCL-Score) 0 1 2 H8. Frühe Fehlanpassung 0 1 2 H9. Persönlichkeitsstörung 0 1 2 H10. Frühe Verstöße gegen Auflagen 0 1 2 Dimension 2 C-Variablen (klinische Variablen, Gegenwart) C1. Mangel an Einsicht 0 1 2 C2. Negative Einstellung 0 1 2 C3. Aktive Symptome 0 1 2 C4. Impulsivität 0 1 2 C5. Fehender Behandlungserfolg 0 1 2 Dimension 3 R-Variablen (Risiko, Zukunft) R1. Fehlende realisierbare Pläne 0 1 2 R2. Destabilisierende Einflüsse 0 1 2 R3. Mangel an Unterstützung 0 1 2 R4. Fehlende Compliance 0 1 2 R5. Stressoren 0 1 2 0 = nicht vorhanden 1 = fraglich / teilweise vorhanden 2 = sicher vorhanden Höchstmöglicher Score 40 Punkte

HCR - 20 Dimension 1: H-Variablen (statische Variablen, Vergangenheit) Score Korrelationen H1. Frühere Gewaltanwendung 0 1 2 H2. Geringes Alter bei 1. Gewalttat 0 1 2 H3. Instabile Beziehungen 0 1 2 H4. Probleme im Arbeitsbereich 0 1 2 H5. Substanzmißbrauch 0 1 2 H6. (gravierende) seelische Störung 0 1 2 H7. Psychopathy (PCL-Score) 0 1 2 +.79 (Gewalttätigkeit) H8. Frühe Fehlanpassung 0 1 2 +.31 (Gewalttätigkeit) H9. Persönlichkeitsstörung 0 1 2 +.26 (Gewalttätigkeit) H10. Frühere Verstöße gegen Auflagen 0 1 2 +.24(Bewährungsversag) Summe____12_____/20

Psychopathy Checklist Screening Version (PCL-SV) 1 Oberflächlich (unecht, aufgesetzt, affektiert) 0 1 2 2 Grandios (großspurig) 0 1 2 3 Betrügerisch-manipulativ 0 1 2 4 Fehlen von Schuldbewusstsein und Reue 0 1 2 5 Fehlen von Empathie, Gefühlskälte 0 1 2 6 Übernimmt keine Verantwortung für eigenes Handeln 0 1 2 7 Impulsiv(er Lebensstil) 0 1 2 8 Schlechte Verhaltenssteuerung 0 1 2 9 Fehlende Lebensziele 0 1 2 10 Verantwortungslos 0 1 2 11 Antisoziales Verhalten in der Adoleszenz 0 1 2 12 Antisoziales Verhalten im Erwachsenenalter 0 1 2 Summe____10_____/24

HCR - 20 Dimension 2: C-Variablen (klinische Variablen, Gegenwart) C1. Mangel an Einsicht 0 1 2 C2. Negative Einstellung 0 1 2 C3. Aktive Symptome 0 1 2 C4. Impulsivität 0 1 2 C5. Fehlender Behandlungserfolg 0 1 2 Summe _____5____/10

Gesamtscore HCR-20:__21__/40 Dimension 3: R-Variablen (Risiko, Zukunft) R1. Fehlende realisierbare Pläne 0 1 2 R2. Destabilisierende Einflüsse 0 1 2 R3. Mangel an Unterstützung 0 1 2 R4. Fehlende Compliance 0 1 2 R5. Stressoren 0 1 2 Summe____4___/10 Gesamtscore HCR-20:__21__/40

Problem der nicht zu beantwortenden Items HCR – 20 Problem der nicht zu beantwortenden Items Problem der prognostischen Gewichtung einzelner Items Problem der Übertragbarkeit gruppenstatistisch ermittelten Rückfallwahrscheinlichkeiten auf den Einzelfall Nur kategoriale Risikodifferenzierung möglich Nicht valide für Sexualstraftäter SVR-20 Fazit: Anwendung der HCR-20 sinnvoll als Hilfsmittel in einer komplexen Fallbeurteilung

Weitere statistische Prognoseinstrumente Static - 99 SVR - 20 (für sexuelle Straftäter) Dittmann Skala Violence Risk Assessment Guide (VRAG) LSI-R (Gefängnispoulationen)

Sozialrechtliche Fragen

Sozialrecht Gutachterliche Beurteilung der Voraussetzungen für Leistungsgewährungen bei: Arbeitsunfähigkeit (AU) Behinderung Pflegebedürftigkeit Unfall Berufsunfähigkeit Erwerbsunfähigkeit Psychische Störungen sind die 4.-häufigste AU-Ursache und führen zu den längsten AU-Dauern.

Sozialrecht Gutachterliche Beurteilung der Voraussetzungen für Leistungsgewährungen Leistungsgeber: Vorsorgeeinrichtungen (GKV, GRV, GUV, GPV, Versorgungsämter) Versicherungsträger (z.B. Private Krankenversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung) Leistungsnehmer: Personen, die unfreiwillig in wirtschaftliche Not oder soziale Benachteiligung geraten sind

Sozialrecht Behinderung: „Regelwidrige Zustände“ (Krankheiten, anlagebedingte Schwächen), die die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft für voraussichtlich > 6 Monate herabsetzen im Vergleich zu lebensalter-typischem Zustand GdB, Pflegebedürftigkeit Erwerbsunfähigkeit: Leistungsfähigkeit < 3h Arbeit /Tag (alle denkbaren Berufstätigkeiten im allgemeinen Arbeitsmarkt) MdE Berufsunfähigkeit: Erwerbsfähigkeit im versicherten Beruf < 50 % im Vergleich zu einem Gesunden mit gleichwertiger Ausbildung, Kenntnis und Fähigkeit

Sozialrecht Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) : Bei psychiatrischen Erkrankungen große Spannweiten, z.B.: endogene Psychose mit Vollremission, ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten MdE 0-10% endogene Psychose chronisch produktiv oder ausgeprägtes Residuum mit schweren Störungen der sozialen Anpassung MdE 50-100% Schwere Zwangsstörung MdE 50-100% Daher: Beurteilung des individuellen Ausmaßes, der psychosozialen Funktionseinschränkungen und der voraussichtlichen Erkrankungsdauer.

Sozialrecht Unfallfolgen: Konkurrierende Kausalität: schädigungsabhängige Folge schädigungsunabhängig (Prädisposition; Vorerkrankung) Folge Prinzip der wesentlichen Bedingung (Teilursache): Entschädigung wird zuerkannt, wenn unfallunabhängige Faktoren nicht allein zu Folgezustand führen konnten - Realbedingungen vorausgesetzt.

Literatur Foerster K (Hrsg.). Venzlaff Foerster. Psychiatrische Begutachtung. Elsevier München, 4. Aufl., 2004. Jürgens, Kröger, Marschner, Winterstein. Betreuungsrecht kompakt. C.H. Beck, München, 6. Aufl., 2007. Kammeier (Hrsg.). Maßregelvollzugsrecht. De Gruyter Berlin, New York, 2. Aufl., 2002. Nedopil. Forensische Psychiatrie. Thieme Stuttgart, 3. Aufl., 2007. Schneider, Frister, Olzen. Begutachtung psychischer Störungen. Springer Heidelberg, 2006.