Pflegediagnosen in der Psychiatrie Teil 1: Grundlagen

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01 Grundlagen der Psychiatrie
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Pflegediagnosen in der Psychiatrie Teil 1: Grundlagen Christoph Abderhalden Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Schweiz, Forschungsstelle Pflege und Pädagogik

Mit Diagnosen werden ähnliche Fälle/Sachverhalte zu Gruppen/Kategorien zusammengefasst und in abstrakter, einheitlicher Form beschrieben Individualität geht dabei immer verloren! Diagnosen sind Schubladen! Keine Landkarte im Massstab 1:1! Bedburg-Hau, 13.10.2004

oder, noch etwas abstrakter: Unwirksames Coping Jedes Mal, wenn wieder so ein Termin bevorsteht, bin ich schon Tage vorher fix und fertig, ich kann nicht mehr schlafen, und meistens melde ich mich dann mit einer Ausrede im letzten Moment ab, oder ich behaupte, dass ein anderer Termin verabredet war, oder versuche, den Termin zu verschieben. Ich ärgere mich dann selbst über mich und schäme mich auch, aber ich weiss mir einfach nicht anders zu helfen „Schublade“: Vermeidendes Coping (vermeidendes Problem-bewältigungsverhalten) oder, noch etwas abstrakter: Unwirksames Coping Bedburg-Hau, 13.10.2004

Diagnosen sind Beurteilungen, zusammenfassende komprimierte Beschreibungen irgendeines Phänomens, (in der Regel) formuliert durch Fachleute Psychologische, medizinische, pflegerische Diagnosen, Haardiagnose beim Frisör, VW-Diagnostic Centers usw.! Professionelle Arbeit (professionelle Pflege) unterscheidet sich von Laien-Arbeit dadurch, dass sie systematisch erfolgt und auf spezifisches Fachwissen abgestützt ist Diagnostizieren (dh etwas beurteilen, Probleme erkennen und benennen) ist ein zentrales Merkmal von professioneller Arbeit! Bedburg-Hau, 13.10.2004

Die verschiedenen Diagnosen ergänzen sich Fachleute verschiedener Disziplinen sehen die Welt durch ihre fachspezifische Brille, sie diagnostizieren aus ihrer spezifischen Perspektive unterschiedliche Dinge Die verschiedenen Diagnosen ergänzen sich Bedburg-Hau, 13.10.2004

Verschiedene Diagnosen Zusammenge- fasst in sozialar-beiterischer Diagnose Erst alle Beurteilungen/Diagnosen zusammen bilden eine adäquate, umfassende Darstellung des Falles! SozialarbeiterIn Zusammen-gefasst in medizinischer Diagnose Sicht der Sozialarbeit Zusammenge-fasst in Pflege-diagnosen Sicht der Medizin Sicht der Pflege Arzt/Ärztin Pflegeperson PatientIn Bedburg-Hau, 13.10.2004

Worauf achtet, was diagnostiziert die Pflege? Nursing is the diagnosis and treatment of human responses to actual or potential health problems (American Nurses Association) Pflege ist die Diagnose und Behandlung menschlicher Reaktionen* auf vorhandene oder potentielle Gesundheits- probleme/ Lebensprozesse.   * Reaktionen = u.a. Krankheitsfolgen und –begleiterscheinungen: Funktionsstörungen, Beeinträchtigungen im Alltagsleben, Coping, Umgang mit Therapien; Umgang mit gesundheitlichen Risiken etc Bedburg-Hau, 13.10.2004

Gesundheit (WHO-ICF) Körperliche und geistig-seelische Verfassung (Störung/Krankheit) Körperfunktionen (Schädigungen) Aktivitäten (A-Einschränkungen) Partizipation (P-Einschränkungen) Wie wirkt sich die Verfassung/Krankheit aus … auf alltägliche Funktionen ? … auf das Wohlbefinden, das Selbstkonzept, … die Partizipation am gesellschaftlichen Leben ? Wie geht der Patient/die PatientIn um mit Risiken, Vulnerabilität, Symptomen, mit der Therapie? Umwelt- faktoren Persönliche Faktoren Bedburg-Hau, 13.10.2004

Krankheitsfolgen, funktioneller Gesundheitszustand, individuelle Bewältigung, Reaktion auf Krankheit, etc. sind wesentlich für die Lebensqualität und nicht zuletzt für Aufwand und Kosten! Darin liegt die gesundheitspolitische und gesundheitsökonomische Bedeutung der Pflege! Bedburg-Hau, 13.10.2004

Muster des funktionellen Gesundheitsverhaltens Wahrnehmung und Umgang mit der eigenen Gesundheit Ernährung und Stoffwechsel Ausscheidung Aktivität und Bewegung Schlaf und Ruhe Kognition und Perzeption Selbstwahrnehmung und Selbstkonzept Rollen und Beziehungen Sexualität und Reproduktion Bewältigungsverhalten und Stresstoleranz Werte und Überzeugungen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Medizinische und Pflege-Diagnosen Medizinische und pflegerische Diagnosen ergänzen sich: Medizinische Diagnosen beschreiben in einer Kurzform die Gesundheitsprobleme/ Krankheiten selbst, Pflegediagnosen beschreiben in einer Kurzform die individuellen Folgen/ Begleiterscheinungen der Krankheiten/Behandlungen und die Reaktionen der Betroffenen auf Risiken, Vulnerabilität, Krankheit, Behandlung Bedburg-Hau, 13.10.2004

Beispiel SozialarbeiterIn Sicht der Sozialarbeit Sicht der Sicht der Freizeitgestaltung? Kontakte und Freundschaften? Umgang mit Stigma von Krankheit/psychiatrischer Behandlung? Rolle als Frau im Alltagsleben? Nahrungs- und Flüssigkeitseinnahme? Zurechtkommen mit Therapieprogramm, -empfehlungen? Vertretung eigener Interessen in Alltagssituationen? Anorexie; Psychodynamik; Familiendynamik SozialarbeiterIn Sicht der Sozialarbeit Sicht der Medizin Sicht der Pflege Arzt/Ärztin Pflegeperson PatientIn Bedburg-Hau, 13.10.2004

Interdisziplinärer Prozess Arbeitslosigkeit Schizophrenie SozialarbeiterIn Angst, wieder in die Klinik zu müssen Arzt/Ärztin Pflegeperson PatientIn Bedburg-Hau, 13.10.2004

Gleiche medizinische Diagnose – unterschiedliche Pflegediagnosen Patient A, 37 Jahre Patient B, 45 Jahre Psychiatrische Diagnose: Schizophrenie Psychiatrische Diagnose: Schizophrenie Pflegediagnosen: Gefahr von Mangelernährung Vereinsamungsgefahr Einschlafstörung Risiko für Gewalttätigkeit Nichteinhalten von Be-handlungsempfehlungen Pflegediagnosen: Überernährung Erschöpfung Fehlende Fähigkeit, sich durchsetzen zu können Sehr gute Compliance bezüglich Neuroleptikatherapie Bedburg-Hau, 13.10.2004

Überschneidung der Fachbereiche Krankheit Symptom, Manifestation Folge, Coping Cerebrale Schädigung Merkfähigkeitsschwäche Soziale Isolation Sucht Vermindertes Selbstwertgefühl Risiko für Gewalttätigkeit Chronische Psychose Vergiftungs-wahn Mangel-ernährung Medizin Pflege Bedburg-Hau, 13.10.2004

Typische PDx in bestimmten Settings, bei bestimmten Krankheiten Bestimmte Pflegediagnosen kommen häufig / typischerweise vor bei bestimmten medizinischen Diagnosen > Townsend-Buch! Bestimmte Pflegediagnosen kommen häufig / typischerweise vor in bestimmten Settings Beispiel: Studie in 11 psychiatrischen Akutstationen in der Schweiz und in Österreich; 330 konsekutiv entlassene PatientInnen, insgesamt 635 Pflegediagnosen (Median 2, MW 2.4 Dx pro Patientin) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Häufigste Pflegediagnosen (Akutstationen) NANDA-Diagnosen N % % kum. Copingprobleme 65 10% Beeinträchtigte Denkprozesse 50 8% 18% Selbstversorgungsdefizite 49 26% Schlafstörungen 45 7% 33% Angst/Furcht 35 6% 38% Störung des Selbstwertgefühls 32 5% 43% Compliance-Probleme 31 48% Veränderter Selbstschutz/ Hautschädigung 29 53% Beeinträchtigte soziale Interaktion 25 4% 57% Suizidalität 23 60% Bedburg-Hau, 13.10.2004

Drei Bedeutungen von „Pflegediagnose“ Allgemein: Kurzbeschreibung eines pflegerisch relevanten Aspektes des Gesundheitsverhaltens oder Gesundheitszustandes von Patientinnen Theoretisch-konzeptuelle Bedeutung Klinisch-praktische Bedeutung Einheit / Baustein des pflegerischen Fachwissens (diagnostische Kategorie, Konzept, Mikrotheorie, Praxistheorie, ...) Zweiter Schritt des Pflege-prozesses; sprachlicher Ausdruck einer klinischen Beurteilung konkreter PatientInnen Was in Handbüchern, in Lehr-büchern, in Listen beschrieben ist Was in der Dokumentation einzelner PatientInnen festgehalten ist Bedburg-Hau, 13.10.2004

Diagnosen als Mikro- / Praxistheorien Ziel: Allgemeine Beschreibung des Fachgebiets z.B. Theorien über Verlust, Stress, Bewältigung, Angst Konzeptuelle Modelle z.B. Orem, King, ... Middle Range Theories z.B. Vermeidendes Coping, Gewaltrisiko Pflegediagnosen als Mikrotheorien Praxistheorien Ziel: Direkte Umsetzung in die Praxis Bedburg-Hau, 13.10.2004

Theoretisch geklärte/beschriebene Pflegediagnosen.. ... sind pflegerisches Fachwissen, das konkret, praxisnah, direkt anwendbar ist ... sind wichtig für Theorieentwicklung: Pflegediagnosen = Begriffe/Konzepte = Bausteine für Theorien ... sind Wissenseinheiten für Ausbildung ... sind Themen für Forschung (Klärung, Wirksamkeit von Interventionen, etc.) ... alle Pflegediagnosen zusammen beschreiben, welche Aspekte der Gesundheit der Gegenstand des pflegerischen Interesses sind = Beschreibung der Disziplin! Bedburg-Hau, 13.10.2004

Theoretisches Wissen und Praxis Theoretischer Hintergrund: Modelle, Theorien, Konzepte Wissen/Fähigkeiten zu einzelnen Pflegeproblemen (Assessment, Diagnose, Intervention, Evaluation) Anwendungsebene: Pflegeprozess Assessment - Diagnose - Intervention - Evaluation Wissen/Fähigkeiten zur Beziehungsgestaltung (z.B. Phasen, Rollen, Interaktion, Kommunikation) Theoretischer Hintergrund: Modelle, Theorien, Konzepte Bedburg-Hau, 13.10.2004

Form der Pflegediagnosen Trend: Einheitlich, wie ICD-10 für medizinische Diagnosen, nach eigenen Klassifikationssystemen Breiter Konsens: In einheitlicher Struktur (PES-Format) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Klassifikationssysteme (Bsp.) NANDA (North American Nursing Diagnosis Association) Nordamerikanische Pflegediagnosenvereinigung ICNP (International Classification for Nursing Practice) Internationale Klassifikation für die Pflegepraxis ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit ; WHO, interdisziplinär Bedburg-Hau, 13.10.2004

Klassifikationssysteme * Pflegeprozess Diagnose Intervention Ergebnis NANDA NIC NOC (RAI) (RAI) ICF ICF ICNP ICNP ICNP (ZEFP) Leistungserfassung: PRN LEP Bedburg-Hau, 13.10.2004

NANDA Vereinigung, die seit 1973 tätig ist (formale Gründung 1982) Ca 170 Pflegediagnosen akzeptiert für klinischen Gebrauch und Überprüfung Hierarchische Klassifikation (Haupteinteilung nach Domänen, Klassen etc.) Das zur Zeit weltweit meistgebrauchte System, viele Lehrbücher ± alle deutschsprachigen Bücher über PDx enthalten die NANDA-Diagnosen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Kognition/Perzeption Aufmerksamkeit Abb. 7 Aufbau NANDA-Klassifikation Kognition/Perzeption Aufmerksamkeit Orientierung Gefühl/ Empfindung Wissensdefizit Akute Verwirrtheit Wahrnehm‘g/Erkennen Domäne Klassen Diagnosen Chron. Verwirrtheit Gedächtnis GestörteDenkprozesse Aufbau der NANDA-Klassifikation am Beispiel „Kognition / Perzeption“ Bedburg-Hau, 13.10.2004

Was definiert die NANDA? Diagnosen-Name (Label) Einordnung in die Klassifikation, Code Definition Bestimmende Merkmale oder Risikofaktoren Beeinflussende Faktoren (KEINE Pflege-Interventionen!) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Die Klassifikation ist unvollständig Viele Diagnosen sind erst in Bearbeitung Die Klassifikation wird alle 2 Jahre geändert Die wenigsten Diagnosen sind wissenschaftlich gut erforscht Viele Diagnosen sind umstritten! Bedburg-Hau, 13.10.2004

PES-Format (ev. PE-Format) Problem E Einflussfaktoren; (etiology); Ursachen S Symptom Bedburg-Hau, 13.10.2004

PES-Format bei Risikodiagnosen Problem RF Risikofaktoren Bedburg-Hau, 13.10.2004

Einflussfaktoren, Ursachen P-Teil: Problem Störung des Selbstwertgefühls in Zusammenhang mit Wahrnehmung der entstellenden Verbrennungsnarben: zeigt sich durch Selbstabwertende Aussagen der Patientin, Vermeiden von Kontakten S-Teil: Symptome E-Teil: Einflussfaktoren, Ursachen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Einflussfaktoren, Ursachen P-Teil: Problem Ungenügende Ernährung in Zusammenhang mit Ablehnung des Klinikessens, spürt Denkstörung nach Einnahme der Mahlzeiten: zeigt sich durch Gewichtsverlust 5 kg/2 Wochen S-Teil: Symptome E-Teil: Einflussfaktoren, Ursachen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Empfehlungen zum E-Teil Ursachen/Einflussfaktoren sollten beeinflussbar sein Ursachen/Einflussfaktoren sollten durch Pflege beeinflussbar sein E-Teil soll den Ansatzpunkt für die Pflege-interventionen darstellen E-Teil sollte primär KEINE medizinische Diagnose sein Bedburg-Hau, 13.10.2004

(anstelle von Ursachen) P-Teil: Problem Gefahr einer Hautschädigung (Beinstumpf li) RF: Wissensdefizit über Stumpfpflege,und Handhabung der Prothese, Rötungen, Blasenbildung, Juckreiz RF: Risikofaktoren (anstelle von Ursachen) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Pflegediagnosen in der Psychiatrie Teil 2: Umsetzung in die Praxis Christoph Abderhalden Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Schweiz, Forschungsstelle Pflege und Pädagogik

Pflegediagnosen und Pflegeprozess Pflegediagnosen fassen das Ergebnis des pflegerischen Assessments (der pflegerischen Situationseinschätzung) zusammen Alle Pflegediagnosen einer Patientin/ eines Patienten zusammen beschreiben die Gründe, aus denen sie/er Pflege benötigt Bedburg-Hau, 13.10.2004

Sorgfältiger diagnostischer Prozess! Integration in den Pflegeprozess Integration in den interdisziplinären Behandlungsprozess Integration in den Arbeitsalltag Integration in die Zusammenarbeit mit den PatientInnen Sinnvolle Auswahl der Diagnosen Prioritätensetzung Präzisierung der Diagnosen, informatives PES-Format Bedburg-Hau, 13.10.2004

Diagnostischer Prozess PatientIn kennenlernen (Assessment: Beobachtung, Gespräch, Tests, Checklisten …) Informationen zu Themen-/Problemkreisen gruppieren, zusammenfassen In Diagnosenliste aus Klassifikation möglicherweise zutreffende Diagnosen suchen: (Diagnostische Hypothesen, Differentialdiagnose) Hypothesen bestätigen/ausschliessen (stimmen die Merkmale?) Im PES-Format ausformulieren Bedburg-Hau, 13.10.2004

Fragen im diagnostischen-Prozess Zusammenfassen oder differenzieren? Möglichst wenige umfassende Diagnosen oder mehrere detaillierte Diagnosen? Wie stark ausgeprägt muss eine Reaktion sein, damit sie als Diagnose erfasst wird? Wie lange muss ein Zustand/ein Verhalten vorhanden sein, bis er als Diagnose gestellt wird? Bedburg-Hau, 13.10.2004

Nach welchen Kriterien werden positive Diagnosen festgehalten? Was tun mit Vermutungen bezüglich Diagnose oder Einflussfaktoren/Ursachen? Was tun bei unterschiedlicher Wahrnehmung / Einschätzung durch PatientInnen und Pflegende? Bedburg-Hau, 13.10.2004

Ressourcen? Positive Diagnosen? NANDA Wellness-Diagnosen Verwenden PES-Format mit Ressourcen ergänzen: PESR NANDA-Diagnosen positiv formulieren Selbstpflegedefizit  Adäquate Selbstpflege Vermindertes Selbstwertgefühl  Positives Selbstwertgefühl Wissensdefizit  Sehr gute Kenntnisse über ..  Besondere Klassifikation von „Ressourcen-diagnosen“  (z.B. nach Salutogenesemodell) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Integration in den Pflegeprozess Struktur der Assessmentinstrumente nach Klassifikationssystem ausrichten Zweistufiges Assessment: Allgemeines „Screening“, vertieftes Assessment für bestimmte Diagnosen Institutionsspezifische oder –angepasste Listen mit Interventionen für Diagnosen Ziele, Pläne, Berichte mit Bezug zu den Pflegediagnosen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Integration in den interdisziplinären Behandlungsprozess Bedburg-Hau, 13.10.2004

Interdisziplinärer Prozess Medizin Pflege Andere ,z.B. Physio, Ergo, .. Untersuchung Ärztliche Untersuchung Pflegerische Untersuchung Andere Untersuchung Diagnose Med. Diagnose(n) Pflegediagnose(n) Andere Diagnose Gemeinsame, interdisziplinäre Gesamtbeurteilung Gemeinsame, interdisziplinäre Ziele/Planung Ziel + Plan Therapieplan Pflegeplan Anderer Plan Intervention Med. Therapie Pflegeintervention Medizin Evaluation Kontrolle Evaluation Evaluation Gemeinsame, interdisziplinäre Standortbestimmung Bedburg-Hau, 13.10.2004

Integration in den Arbeitsalltag Übergabe Berichte Fallbesprechungen / -vorstellungen Visiten Verlegungsberichte Bedburg-Hau, 13.10.2004

Integration in die Zusammenarbeit mit den PatientInnen Die PatientInnen über die Pflegediagnostik informieren Wir formulieren hier für alle Patienten die Hauptprobleme, an denen wir arbeiten, wir nennen das die Pflegediagnosen Diagnosen möglichst schon während einem Assessment-gespräch stellen Nach dem, was Sie mir jetzt erzählt haben, denke ich, dass es Sinn macht, dazu eine Pflegediagnose zu stellen. Ich würde dieses Problem folgendermassen zusammen-fassen: …. Bedburg-Hau, 13.10.2004

Diagnosen mitteilen Nach unserem Gespräch gestern bin ich die Notizen noch mal durchgegangen und habe versucht, Ihre Probleme in zwei Pflegediagnosen zusammenzufassen. Diese Diagnosen möchte icvh heute gerne mit Ihnen anschauen Ich möchte Sie noch informieren, welche Pflegedia-gnosen wie für Sie gestellt haben. Wir wissen, dass Sie mit diesen Formulierungen wahrscheinlich nicht einverstanden sind, aber es ist uns wichtig, dass Sie informiert sind Bedburg-Hau, 13.10.2004

Diagnosebezogen planen und evaluieren Diagnosen mit PatientInnen validieren Ich habe Ihre aktuelle Situation in drei Pflegediagnosen zusammengefasst. Können Sie diese Diagnosen mal anschauen? Mich interessiert, ob Sie die Formulierungen nachvollziehen können, und ob Sie finden, dass Ihre Situation damit gut beschrieben ist, oder ob Sie finden, dass das nicht passt, oder ob etwas Wichtiges fehlt. Kopien der Planung (inkl. Diagnosen) Diagnosehandbücher für PatientInnen zugänglich machen (analog Medikamenteninfos) Bedburg-Hau, 13.10.2004

X Prioritätensetzung Wichtig Weniger wichtig Dringend Weniger dringend Bedburg-Hau, 13.10.2004

Aktive / inaktive Diagnosen? Bedburg-Hau, 13.10.2004

Prioritäten? Mögliche Kriterien Hat das Problem einen Einfluss auf den aktuellen Gesundheitszustand? Nein = keine PDx Kümmert sich bereits jemand anderes darum? Ja = keine PDx oder inaktive PDx. Ist das Problem innerhalb der voraussichtlichen Hospitalisationsdauer überhaupt beeinflussbar? Nein = keine PDx oder inaktive PDx Gibt es Risiken, wenn das Problem nicht gelöst wird (Handlungsbedarf?)? Nein = Keine oder inaktive PDx Möchte der Patient/die Patientin das Problem während dieser Hospitalisation angehen? Nein = Keine oder inaktive PDx Sinnvolle Auswahl der Diagnosen Bedburg-Hau, 13.10.2004

Sinnvolle Auswahl der Diagnosen Möglichst konkrete, alltagsnahe und pflegespezifische Diagnosen wählen! Vorsicht mit: Gestörte Denkprozesse, Wahrnehmungs-störung etc. Statt: Gestörte Denkprozesse (Vergiftungswahn) > Gefahr einer Mangelernährung; Angst, Furcht, beeinträchtigte Interaktion # Misstrauen/Beschuldigungen Möglichst Diagnosen wählen, die für PatientInnen akzeptabel sind! Möglichst Diagnosen wählen, die gut beeinflussbar sind Bedburg-Hau, 13.10.2004

Präzisierung der Diagnosen, gutes PES-Format „Buchformulierungen“ auf den Fall konkretisieren! a.d. „Unangemessener Einsatz von Abwehrmechanismen“ Schweregrad angeben Schwer, leicht, überwältigend, Grad I, Stufe IV (NANDA!) Akutheit, etc. Akut, chronisch, gelegentlich, … Diagnosen präzisieren! z.B. Copingdiagnosen! Coping WOMIT? Womit geht ein Patient nicht gut um? Was am Coping ist problematisch? Warum geht er so um mit dem Problem? Bedburg-Hau, 13.10.2004

Beispiele Unwirksames Coping (Konflikte) i.Z.m. fehlender Fähigkeit, eigene Interessen zu vertreten: zieht sich sofort zurück, fühlt sich ungerecht behandelt, sagt nicht, wenn sie nicht einverstanden ist, fühlt sich oft „überfahren“ (Ziel z.B.: Sagt, wenn sie mit etwas nicht einverstanden ist, äussert direkt ihre Gefühle und Bedürfnisse) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Unwirksames Coping (Einschränkungen) i. Z. m Unwirksames Coping (Einschränkungen) i.Z.m. fehlender Frustrationstoleranz: Reagiert regelmässig mit kleinen Sachbeschädigungen, wenn ihm etwas verwehrt wird (Ziel z.B.: Lernt, seine Frustration verbal auszudrücken, keine Sachbeschädigungen) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Unwirksames Coping (Belastungen) i. Z. m Unwirksames Coping (Belastungen) i.Z.m. schwachem Selbstvertrauen, Ungeduld, „Alles-oder-Nichts-Denken“: Resigniert rasch, wenn sie einige Dinge aufs mal erledigen sollte, „das schaffe ich ja doch nie“, zieht sich dann zurück, hat Kopfweh, erscheint nicht zu abgemachten Terminen (Ziel z.B.: Lernt, Aufgaben zu sortieren, der Reihe nach anzupacken, Teilerfolge anzuerkennen; sagt, wenn ihr etwas zu viel ist, meldet sich ab, wenn sie Termine nicht einhalten kann) Bedburg-Hau, 13.10.2004

Unterstützende Massnahmen Mustersammlung Liste mit stationsspezifischen zusätzlichen Diagnosen (z.B. Beeinträchtigtes Wohlbefinden durch...) Pflegerische Fallvorstellungen: Jemand stellt PatientIn mit Pflegediagnosen vor, dann Diskussion Konsequentes Monitoring! Anpassung der Dokumentation: Standardisierte Routinediagnosen, Vordrucke Bedburg-Hau, 13.10.2004