Quantitative Lehre der Naturphänomene I. Einleitung I.1. Methoden der Physik Quantitative Lehre der Naturphänomene Physik Grundlegende Fragen: Wechselwirkung der Grundbausteine Aufbau der Welt aus Grundbausteinen Struktur der Materie Struktur der Kraftfelder Struktur von Raum und Zeit Naturgesetze
Physik Quantitative Lehre der Naturphänomene Forschungsziele: Reduktion komplizierter Phänomene auf möglichst wenige fundamentale Naturgesetze Elementarteilchenphysik Quantenfeldtheorie... Konstruktion effektiver makroskopischer Gesetze zur Beschreibung komplexer Systeme (aus typisch 1023 Bausteinen) Statistische Physik Festkörperphysik Chaos und Struktur...
Physik Quantitative Lehre der Naturphänomene Sprache: Mathematische Formeln Differential / Integralrechnung Lineare Algebra Newtonsche Mechanik Einsteinsche Relativitätstheorie Differentialgeometrie Quantenmechanik Funktionalanalysis Gruppentheorie Topologie Quantenfeldtheorie
Quantitative Lehre der Naturphänomene Physik Quantitative Lehre der Naturphänomene Wesentliche Elemente der Physik: Mathematisches Konzept, das im Prinzip eine Klasse von Naturphänomenen vollständig beschreibt Theorie Vereinfachte Beschreibung komplexer Systeme durch andere physikalische Objekte/Prozesse Modell Einzige zulässige Methode zum Test bzw. zur Falsifizierung von Theorien/Modellen Experiment
Das physikalische Experiment Präparierung „reiner“ (oft einfacher) Systeme; kontrollierte Eliminierung von Störeinflüssen ( Beispiel: Reibung ) Ermittlung charakteristischer physikalischer Größen ( Zahlen mit Maßeinheiten ) Korrektur verbleibender Störeinflüsse Quantifizierung der Messgenauigkeit ( Messfehler Praktikum ) Vergleich mit Theorie / Modell ME 1.15 Fallrohr (Freier Fall im Vakuum)
Messgeräte Objektive Experimente
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Messgeräte Objektive Experimente EM 1.02 Machsche Streifen
I.2. Physikalische Disziplinen Altertum: Pythagoras ( 572 - 492 v.Chr. ): Mathematische Methoden Aristoteles ( 384 – 322 v.Chr. ): Naturphilosophie Neuzeit (ab ca. 1500 n.Chr. ): Galilei ( 1564 - 1642 ): Einführung des Experiments Newton ( 1643 – 1727 ): Synthese Physik / Mathematik 1687: „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ Newtonsche Mechanik Blüte der Experimentalphysik: Struktur der Materie, Optik, Elektrizität, Magnetismus, Thermodynamik, statistische Physik Maxwell ( 1831 - 1879 ): Vereinheitlichte Theorie von { Elektrizität + Magnetismus + Optik }
Moderne Physik (ab ca. 1900 n.Chr. ): Relativitätstheorie ( Einstein ) Quantentheorie ( Planck, Schrödinger, Heisenberg,... ) Atomphysik ( Bohr, Sommerfeld, ... ) Kernphysik ( Rutherford, ... ) Elementarteilchenphysik ( Pauli, Dirac, Glashow, Salam, Weinberg, ... )
Unser Programm im Basisstudium: 1. Semester: Newtonsche Mechanik, Wärmelehre 2. Semester Analytische Mechanik Elektrostatik, Magnetostatik, Induktion 3. Semester Spezielle Relativitätstheorie, Elektrodynamik, Optik 4. Semester Quantenphysik, Atomphysik Aufbaustudium: Quantentheorie, Thermodynamik, statistische Physik, Physik der kondensierten Materie, Atom-, Molekül-, Kern-, Elementarteilchenphysik, Spezialgebiete...
Ausstrahlung der Physik in Nachbarwissenschaften: Chemie „Angewandte Quantenphysik“: Molekülstrukturen, chemische Bindung, Reaktionsdynamik, ... Biologie / Biophysik Strukturanalyse ( Mikroskopie, Röntgenbeugung, freie Elektronenlaser,... ) Zelluläre Transportphänomene ... Medizin Röntgentechnik, Tumorbestrahlung, PET, Kernspin- Tomographie, Synchrotronstrahlung / Angiographie, ... Astronomie, Geophysik, Meteorologie, Umweltschutz, alternative Energien, Nachrichtentechnik, Computertechnologie, neue Materialien, Elektronik, etc. etc. etc. Naturphilosophie und Ethik
I.3. Maßsysteme Physikalische Größe Zahl + (Maß)-Einheit natürlich: Wellenlänge von Spektrallinien, ... fixiert durch Naturgesetze Einheit willkürlich: Armlänge, Äquatorlänge,... fixiert durch Normale Maßsystem Menge von Grundgrößen mit Einheiten Reduzible Größen (Zurückführbar auf Basisgrößen) Grundgrößen Basisgrößen (Definition willkürlich / natürlich)
Das SI-System ( Système International d’Unités ) Grundgröße Einheit Abkürzung Länge Meter m Zeit Sekunde s Masse Kilogramm kg Temperatur Kelvin K Elektrischer Strom Ampere A Lichtstärke Candela Cd Substanzmenge Mol mol MKS-System ( Mechanik ) Zurückführbar auf MKS
Das CGS-System Grundgröße Einheit Abkürzung Länge Zentimeter cm Zeit Sekunde s Masse Gramm g Temperatur Kelvin K Elektrische Ladung Electrostatic Unit esu Lichtstärke Candela Cd Substanzmenge Mol mol Nach internationaler Vereinbarung nicht mehr gebräuchlich... Jedoch: Besonders in der Theorie beliebt (weniger Konstanten-Faktoren)
Abgeleitete Größen mathematische Kombination von Grundgrößen Dimension: Maßeinheit der abgeleiteten Größe Beispiel: Geschwindigkeit v = d ( Länge ) / d ( Zeit ) = dx / dt Dimension: Konsistenztests von Gleichungen: Haben alle Summanden die gleiche Dimension ? Haben beide Seiten der Gleichung die gleiche Dimension ?
Präfix von Dimensionen Kurzbezeichnung von Größenordnungen, z.B. Symbol Faktor Exa E 1018 Peta P 1015 Tera T 1012 Giga G 109 Mega M 106 kilo k 103 Präfix Symbol Faktor atto a 10-18 femto f 10-15 pico p 10-12 nano n 10-9 mikro μ 10-6 milli m 10-3 deci d 10-1 centi c 10-2
I.4. Definition der Grundgrößen (hier nur Zeit und Länge) Nicht exakt konstant Zeitmessung: Alte Einheiten (willkürlich): Sonnentag; Sterntag Erdrotation Moderne (natürliche) Einheit: Cäsium-Atomuhr Kernspin I = 7/2 J = 1/2 Hyperfeinaufspaltung Termschema des Cs-Valenzelektrons E 2S½ F = 4 F = 3 e- Gesamt-drehimpuls J des Elektrons Mikrowellenstrahlung, Absorption bei = 9192,631770 MHz / 10-14 EM 1.10 Geräte zur Zeitmessung EM 1.14 Sekundenpendel
Mikrowelle ( elektrisches Feld E als Funktion der Zeit ): E(t) t Periode T Definition: 1 Sekunde ist das Zeitintervall für 9192631770,0 Schwingungen der Mikrowelle bei Absorption durch den Hyperfeinstrukturübergang im Cäsium-Atom EM 1.06 Impulszählung mit dem Geiger-Müller-Zählrohr Frequenz (periodischer Vorgang) Zerfallsrate (Aktivität) (stochastischer Vorgang)
Schieblehre mit Nonius Längenmessung: Alte Einheiten (willkürlich): Normalmeter (Platin-Iridium-Stab unter definierten Umweltbedingungen) Moderne (natürliche) Einheit: mittels Lichtgeschwindigkeit Definition: 1 Meter ist die Strecke, die Licht im Vakuum in der Zeitspanne Δt = 1 / 299792485 s zurücklegt. Schieblehre mit Nonius Mikrometerschraube EM 1.11 Geräte zur Längenmessung
s r r Längenmessung Winkelmessung: Bogenmaß: φ [ rad ] = s / r 1 rad = 1 Radiant Gradmaß: 1 Grad = 1° = ( 2π / 360 ) rad 1 Minute = 1' = 1° / 60 1 Sekunde = 1'' = 1' / 60 φ r s r Kreisumfang = 2π r Vollkreis hat 2π rad bzw. 360° Kugelfläche r A r2 Ω Raumwinkel: Ω [ Sterad ] = A / r2 1 Sterad = 1 Steradiant Kugelfläche = 4π r2 Vollkugel hat 4π Sterad
Konstruktive Interferenz: Gangunterschied n·λ Extrembeispiel: Kleinste Abstände Gebeugtes Licht α Wellenlänge λ Strichgitter d Lampe Na-Dampf, Hg-Dampf,... Konstruktive Interferenz: Gangunterschied n·λ Intensitätsmaxima: EM 1.04 Gitterspektrum Messung von Strukturen der Größe ~ λ Sichtbares Licht: λ = 400 nm (blau) ... 700 nm (rot) Röntgenstrahlung: λ = ~ 10 nm ... ~ 0,01nm ( Atomdurchmesser ~ 0,1nm = 1Å )
Analogie: Teilchenstreuung bei hohen Energien Proton-Target α Elektronenstrahl vom Beschleuniger Detektor Analogie: Teilchenstreuung bei hohen Energien Quantenmechanik: Teilchen = Welle, α Streuwinkelverteilung „Beugungsbild“ des Protons Rproton 1 fm = 1 Fermi = 10-15 m HERA-Beschleuniger, DESY Hamburg: Auflösung besser als 10-18 m
Extrembeispiel: Größte Abstände in der Astrophysik Messung der jährlichen Parallaxe Sonne Erde 1'' Stern 1 pc = 1 Parsec = 1 Parallaxen-Sekunde = 3,086·1016 m = 3,26 Lichtjahre Erreichbare Winkelauflösung Abstände bis ca. 1 kpc Vgl.: Durchmesser unserer Galaxie 30 kpc
Methode der Standardkerzen Detektor mit Fläche F r d Erde Stern/Galaxie bekannter Intensität I0 (Standardkerze) Beobachtete Intensität: Kalibration von I0: Nahe Standardkerzen mit messbarem Abstand (z.B. mit Parallaxenmethode)
Einige Standardkerzen: Delta-Cepheiden: Periodisch veränderliche Sterne mit exakt bekannter Beziehung zwischen Periodenlänge und Leuchtkraft bis 4 Mpc Supernovae (z.B. Typ Ia): Sonnenexplosion Ia: Explosion eines weißen Zwergsterns mit Materie-Akkretion von einem Begleitstern bis 150 Mpc (Typ Ia-Rekord bei 3 Gpc) Elliptische Galaxien: Mittlere Helligkeit als Grobmaß bis zum „Rand“: 4 Gpc Hubbel-Methode: (nur für ferne Galaxien) Rotverschiebung ~ Fluchtgeschwindigkeit ~ Abstand Abstand = 1 Mpc pro 75 km/s Fluchtgeschwindigkeit
Messung = Messwert x Fehler σx I.5. Messgenauigkeit und Messfehler (Genaueres Praktikum) Messung = Messwert x Fehler σx Bemerkungen: Übliche Wahl: Fehler = Standardabweichung Mittelwert über unendlich viele Messungen : Vertrauensbereich Wahrscheinlichkeit für x Vertrauensbereich: Vertrauensniveau Fehlertypen: statistisch / systematisch
Vertrauensbereich zum 68,3 % - Vertrauensniveau Beispiel: Gauß-Fehler Verteilungsfunktion der Messfehler Vertrauensbereich zum 68,3 % - Vertrauensniveau 68,3 % der Messungen innerhalb ± σ 31,7 % liegen außerhalb!!!
Statistische ( bzw. zufällige ) Fehler: Auflösung der Apparatur / Skala Statistische Fluktuation ( z.B. Zerfallsrate ) Rauschen ... Messungen: x1 , x2 , ... , xn jeweils mit Fehler ± σ Mittelwert: ( Beweis: Siehe Praktikum ) Statistische Fehler sind durch Wiederholung der Messung beliebig reduzierbar
Systematische Fehler: Falscher Nullpunkt der Apparatur Fehlkalibration der Skala Unsicherheiten in Korrektur von Störeffekten ... Beispiel: Messungen: x1 + δ , ... , xn + δ mit systematischer Verschiebung δ Mittelwert: Systematische Fehler sind i.a. nicht durch Wiederholung der Messung reduzierbar