Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

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 Präsentation transkript:

Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie Vorlesung 3 4.5 Textklassifikation 4.6 Textsortenanalyse - Textsorten und Dimensionen ihrer Beschreibung 4.6.1 Situativität 4.6.2 Funktionalität: Textfunktion, Bereichsfunktion, Bewirkungsfunktion 4.6.3 Thematizität: Verfahrens- und Strukturierungstypen 4.6.4 Formulierungsadäquatheit Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie 4.5 Textklassifikation Dominante erforderlich: einheitliches Kriterium Hierarchisches Vorgehen Handlungsrollen Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Dominante: Kommunikationsbereich/soziales System Soziales System Textsorte Interaktionssystem Liebe Liebesbrief Interaktionssystem Familie Privatbrief, Dankbrief, Küchenzettel Interaktionssystem Seminar Seminarprotokoll Organisationssystem Schule Stundenplan Funktional ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem Massenmedien: Bericht, Meldung, Kommentar, Horoskop Religion : Heilige Schrift Politik: Parteiprogramm Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Kommunikationsbereich (textlinguistisch üblicher Begriff) Der Terminus ›Kommunikationsbereich‹ meint bestimmte gesellschaftliche Bereiche, für die jeweils spezifische Handlungs- und Bewertungsnormen konstitutiv sind. Kommunikationsbereiche stellen situativ und sozial definierte ›Ensembles‹ von Textsorten dar. Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Genauerer Begriff statt Kommunikationsbereich: Soziales System System = Begriff der Systemtheorie, der die Differenz von Innen (Spezifik des Systems) und Außen (Umwelt eines Systems) meint. Soziale Systeme operieren, indem sie kommunizieren Arten sozialer Systeme: Interaktionssystem, Organisationssystem, funktional ausdifferenzierte Teilsysteme einer Gesellschaft Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie Hierarchie Systematische Kategorie Textsortenlinguistik Klasse Textklasse: Medientexte Ordnung Textordnung: Journalistische Texte a) Kernbereich b) Nicht-Kernbereich Familie Textfamilie: a) Meinungstexte b) Anzeigentexte Gattung Textsorte: a) Kommentar b) Heiratsanzeige, Bekanntschaftsanzeige Art Textsortenvariante: a) Kurzkommentar b) Agentur-Heiratsanzeige   Systematik Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie Textklasse Textklasse meint das Vorkommen einer Menge von Texten in einem abgegrenzten, durch situativ-funktionale und soziale Merkmale definierten kommunikativen Bereich/sozialen System, in dem sich Textsorten ausdifferenzieren. Textsorten sind nicht nur durch den Kommunikationsbereich/das soziale System determiniert, sie konstituieren ihn gleichfalls. (Vgl. Gansel/Jürgens 2007, Kap. 3) Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Textsorten und Handlungsrollen Beispiel System „Literatur“ 1. Handlungsrolle: Produktion Textsorten: Lesung, Interview, Essay, Private Homepage des Autors/der Autorin 2. Handlungsrolle: Distribution Textsorten: Pressemitteilung, Klappentext, Vertrag, Vorvertrag 3. Handlungsrolle: Rezeption/Verarbeitung Textsorten: Professionelle Rezension, wissenschaftliche Rezension, Rezension von Normallesern z.B. in amazon.de, wissenschaftlicher Artikel, Fan-Homepage Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Erste Definition Textsorten Textsorten stehen in einem engen Zusammenhang zu sozialen Systemen, in denen sie spezifische Leistungen übernehmen. Textsorten konstituieren soziale Systeme und differenzieren sich unter den strukturellen Bedingungen des Systems aus, sie bilden innerhalb des Systems konventionalisierte, institutionalisierte Anschlusskommu-nikationen und sie sichern die strukturelle Kopplung zu anderen sozialen oder psychischen Systemen. Als Resultate kommunikativer und sozialer Handlungen sind Textsorten an bestimmte soziale Handlungsrollen gebunden. Textsorten lassen sich von einer Dominante – dem sozialen System/Kommunikationsbereich – her hierarchisch klassifizieren. (Gansel/Jürgens 22007: 80) Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

4.6 Textsorten und Dimensionen ihrer Beschreibung Zweite Definition: Textsorten konstituieren sich durch ein prototypisches Aufeinander-Bezogen-Sein kontextueller und struktureller Merkmale. Sie bilden den Rahmen für prototypische, auf Konventionen der Sprachteilhaber beruhende sprachliche Muster mit charakteristischen funktionalen, medial-situativen und thematischen Merkmalen sowie einer diesen Merkmalen entsprechenden formalen Struktur. (Gansel/Jürgens 22007: 92) Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

4.6.1 Situativität – kontextuelle Merkmale Soziales System (!) Handlungen und Handlungsrollen im System, soziale Beziehungen Medialität Leistung der Textsorte (!) Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie 4.6.2 Funktionalität: Textfunktion, Bereichsfunktion, Bewirkungsfunktion Textlinguistik diskutiert den „Funktionsbegriff“ als externes und/oder internes Merkmal von Texten, deshalb sollen Funktionen differenziert werden: Textfunktion: Ziel-Mittel-Relation, Indikatoren im Text Z. B. Imperative – Appell, performative Verben (taufen) - Deklaration Bereichsfunktion: systemerhaltende Funktion und Leistung für andere Systeme Z. B. System der Massenmedien: Informationsfunktion, Kontrollfunktion, Unterhaltung realisiert durch Berichte, „weiche“ Nachrichten Bewirkungsfunktion: rezipientenorientiert, durchaus konventionalisiert Z. B. Pressehoroskope – Information, Ratschlag, Kontakt (Katja Furthmann 2006: 185); Ratgebungstexte – Entlastung Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

4.6.3 Thematizität: inhaltliche und äußere Struktur Verfahrenstypen zur Entfaltung eines Themas Komplexe Strategiemuster - global: Narration, Deskription, Explikation, Argumentation Strukturierungstypen: Abschnitte, Kapitel; Initialteil, Textkern, Finalteil; inhaltliche und formale Sequenzierung Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

4.6.4 Formulierungsadäquatheit – besondere sprachliche Mittel/Stil Prototypische Formulierungen in Textsorten Z. B.: Konjunktiv I in Nachrichtentexten Abschluss einer Präsentation/eines Vortrags: Danke für die Aufmerksamkeit! Wetterbericht: Vormittags wolkig bis bedeckt Wiss. Hausarbeit: Im Folgenden wird sich mit dem Problem x auseinandergesetzt ... Kochrezept: Gurken und Zwiebeln in Streifen schneiden ... Stellenangebot: Wir suchen ... Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie

Analyse: Textbeispiel 1 Bello im Fadenkreuz (Detlef Granzow) Für die einen gibt es gar keine Kampfhunde, für die anderen ist jeder Vierbeiner über Dackelmaß eine „blutrünstige Bestie“. Die Innenminister waren sich schon bewusst, dass sie ein emotional belastetes Terrain betreten würden bei ihrem Versuch, Regelungen zum Schutz der Bürger vor „großen“ Hunden zu finden. Und deswegen haben sie besser nichts Konkretes entschieden. Kein Verbot besonders zum Kampf gezüchteter Rassen, keine Handelsbeschränkungen bei diesen Tieren. Nach den lautstarken Wortmeldungen der letzten Tage - die reichlich populistisch klangen - haben die Hüter der Ordnung den „Schwanz eingezogen“: Es wird auch zukünftig kein einheitliches Vorgehen gegen Kampfhunde geben, allenfalls Richtlinien haben die Ressortchefs mitbekommen. Dabei ist eine Erkenntnis der Minister-Riege unbestritten richtig: Das Problem läuft am oberen Ende der Leine. Ob es aber gelingen kann, jener Spezies von Mensch, die das Tier als Statussymbol und Einschüchterungsinstrument benutzt, mit einem Hundeführerschein oder höherer Steuer beizukommen, darf bezweifelt werden. Dies gelingt ja heute auch nicht bei Haltern anderer Rassen - die nicht eindeutig den Kampfhunden zugeordnet werden. Wer kontrolliert denn, ob ein Tier artgerecht gehalten wird, genügend Zuwendung von seinem Herrchen erfährt? Zum „scharfen Biss“ können viele Rassen „erzogen“ werden. Leider sieht man es den Tieren nicht an. Natürlich kann man Unfälle mit Hunden nicht gänzlich ausschließen, aber ein wenig mehr Konsequenz wäre angeraten. Unter dem Segel der Tierliebe reisen eben auch zahlreiche Vollidioten, die mit ihrem Hund schon beim Gassi-Gehen überfordert sind. Da es schwer sein dürfte, in absehbarer Zeit wirksame einheitliche Schutzbestimmungen vorzulegen, die Unfälle mit Vierbeinern verhindern, bleibt wohl zuallererst Vorsicht der beste Ratgeber. Wer mit Hunden nicht kann, sollte respektvoll Abstand halten. Schließlich beißt auch der Inbegriff des kinderlieben treuen Gefährten - Kommissar Rex - gelegentlich mal zu. Im Film zwar nur die Bösen. Bei Bello in der Nachbarschaft muss das nicht so sein. Prof. Dr. Christina Gansel Institut für Deutsche Philologie