Die Optimalitätstheorie Verletzbare Regeln in Straßenverkehr und Syntax (Schmidt J., Starikova E.)

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 Präsentation transkript:

die Optimalitätstheorie Verletzbare Regeln in Straßenverkehr und Syntax (Schmidt J., Starikova E.)

Inhalt: Einführung Ziel Straßenverkehrsordnung Syntax

Einführung Traditionelle generative Grammatik (oder nach Müller Standard-Grammatiken) unterscheidet zwischen grammatikalischen und ungrammatikalischen Konstruktionen. Alle Prinzipien der Grammatik müssen erfüllt werden. Wenn ein einziges Prinzip verletzt wird, entsteht Ungrammatikalität. Es gibt einen anderen Typ von generativen Theorien, in denen Prinzipien verletzt werden dürfen, ohne dass Ungrammatikalität entsteht: die Optimalitätstheorie

Einführung Beide Theorien sind generativ, beide gehen davon aus, dass es eine zugrunde liegende Struktur und eine abgeleitete Struktur gibt. In den traditionellen generativen Grammatiken: Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur In der Optimalitätstheorie werden diese Strukturen so beschrieben: Input – das zugrunde liegende Sprachmaterial, Output (Oberflächenstruktur) wird aus dem Input abgeleitet.

Einführung In allen Sprachen gibt es dieselben Einschränkungen, die aber unterschiedlich gewichtet sind. Sie gelten alle, aber nicht in dem selben Maß Es gibt eine gewisse Gewichtung dieser Einschränkungen Dieselbe Einschränkung ist z.B. im Russischen höher gewichtet als im Deutschen Im Russischen darf diese Einschränkung daher nicht verletzt werden, im Deutschen schon

Ziel Im Folgenden wird versucht, die Optimalitätstheorie auf der Basis eines bekannten nicht-sprachlichen Regelsystems, der Straßenverkehrsordnung (StVO), vorzustellen.

Straßenverkehrsordnung Die Aufgabe der StVO: u.a. Situationen, in denen zwei oder mehr Verkehrsteilnehmer an einer Kreuzung gleichzeitig ankommen, zu regeln: d.h. einem Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt erlauben

Straßenverkehrsordnung Die Ausgangssituationen – Input Strategien zur Auflösung der vorgegebenen Situation – Output Zwischen den Outputs besteht ein Wettbewerb Derjenige Output, der aus dem Wettbewerb als Gewinner hervorgeht – optimaler Output alle nicht optimalen Outputs sind Verstöße gegen die StVO

Straßenverkehrsordnung Vorfahrtsregeln 1. V(ERKEHRS)-POL(IZIST): Die Zeichen der Polizeibeamten gehen allen anderen Anordnungen vor 2. BL(AULICHT)-EIN(SATZHORN) Fahrzeuge des Rettungsdienstes und der Polizei (blaues Blinklicht + Einsatzhorn) Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen 3. L(ICHT)-ZEI(CHEN) Ampel: Grün – Gelb – Rot 4. V(ERKEHRS)-ZEI(CHEN) (A) Verkehrszeichen auf einem Fahrzeug ist Folge zu leisten. 5. V(ERKEHRS)-ZEI(CHEN) (B) Ortsfesten Verkehrszeichen ist Folge zu leisten 6. S(TRASSE) V(OR) F(ELDWEG) Fahrzeuge, die aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen: haben keine Vorfahrt. 7. R(ECHTS) V(OR) L(INKS) An Kreuzungen ohne Ampel gilt: Rechts vor Links

Straßenverkehrsordnung 1.Regelkonflikt: Input: A : Verkehrsteilnehmer A kommt von links auf einer Straße mit Vorfahrtsschild B : Verkehrsteilnehmer B kommt von rechts auf einer Straße mit Vorfahrt-Gewähren-Schild

Straßenverkehrsordnung 2. Regelkonflikt: Input: A : Verkehrsteilnehmer A kommt von links auf einer Straße mit Vorfahrtsschild, + die Ampel ist rot B : Verkehrsteilnehmer B kommt von rechts auf einer Straße mit Vorfahrt-Gewähren-Schild, + die Ampel ist grün

Straßenverkehrsordnung 3. Regelkonflikt: Input: A : Verkehrsteilnehmer A kommt von links auf einer Straße mit Vorfahrtsschild, + die Ampel ist rot, + hat blaues Blinklicht zusammen mit einem Einsatzhorn B : Verkehrsteilnehmer B kommt von rechts auf einer Straße mit Vorfahrt-Gewähren-Schild, + die Ampel ist grün

Straßenverkehrsordnung 4. Regelkonflikt: Input: A : Verkehrsteilnehmer A kommt von links auf einer Straße mit Vorfahrtsschild, + die Ampel ist rot B : Verkehrsteilnehmer B kommt von rechts auf einer Straße mit Vorfahrt-Gewähren-Schild, + die Ampel ist grün + : Ein Verkehrspolizist steht auf der Kreuzung, und der signalisiert freie Fahrt für A und Halt für B.

Syntax Die Optimalitätstheorie funktioniert in der Syntax im Prinzip genauso wie im Straßenverkehr. Syntaktischer Input : alle bedeutungstragenden Wörter, die im Satz verwendet werden sollen. Die Bedeutung, die der Satz haben soll, ist vorgegeben. Syntaktischer Output : mögliche, durch die primitive Grammatik, den sog. Generator, auf der Basis des Inputs erzeugte Sätze. Gemäß den verletzbaren und gewichteten Regeln wird dann aus den vom Generator erzeugten konkurrierenden Outputs der optimale, einzig grammatische Satz ermittelt.

Syntax Regelkonflikte in der Fragesatzbildung Regelkonflikt 1: Input: ein Satz mit der Ergänzungsfrage: er,wem.... Fragesatz-Regel: Ein W-Element in Ergänzungsfragen muss am Satzanfang stehen (laut der Feldlehre – im Vorfeld). Ich frage mich, wem er das Buch gegeben hat. Mittelfeld-Regel: Komplemente des Verbs müssen im Mittelfeld stehen. Ich frage mich, dass er wem das Buch gegeben hat.

Syntax Die empirische Evidenz sagt uns, dass die F-REGEL höher geordnet und die M-REGEL somit zugunsten der F-REGEL verletzbar ist, denn es heißt: Ich frage mich, wem er das Buch gegeben hat. und nicht: *Ich frage mich, dass er wem das Buch gegeben hat. Diesen Wettbewerb illustriert die Tabelle:

Syntax Standardgrammatiken kennen nur unverletzbare, aber keine gewichteten Regeln. Standardgrammatiken würden diesen Fall folgendermaßen erklären: M-Regel darf nicht gelten Ausnahme (M-Regel gilt nicht für W-Elemente) Chomskysche Tradition: die beiden Regeln gelten, aber nicht auf der gleichen Ebene. (die F-REGEL gilt dann z.B. auf der Oberflächenstruktur, die M-REGEL auf einer abstrakten Tiefenstruktur)

Syntax Regelkonflikt 2 : Input: ein Satz mit zwei W-Elementen: er, wem, welches Buch.... Fragesatz- Regel: fordert, dass beide W-Elemente im Vorfeld stehen. *Ich frage mich, wem welches Buch er gegeben hat. Vorfeld-Regel: Im Vorfeld darf höchstens ein Element stehen. Ich frage mich, wem er welches Buch gegeben hat.

Syntax In Standardgrammatiken muss man nun die F-Regel aufgeben oder verkomplizieren. In einer optimalitätstheoretischen Grammatik ergibt sich dieser Fall aus dem größeren Gewicht einer weiteren Regel, derzufolge im Vorfeld höchstens ein Element stehen darf.

Syntax Regelkonflikte in der Abfolge der Nominalphrasen im deutschen Mittelfeld. Pronomen-Regel: Pronominale NPs stehen im Mittelfeld vor nicht-pronominalen NPs. Maria hat es dem Fritz entzogen. Belebtheits-Regel: Belebte NPs stehen vor unbelebten NPs. Maria hat die Kinder dem Einfluss entzogen Dativ-Regel: Dativ-NPs stehen vor AKK-NPs Maria hat dem Fritz die Kinder entzogen.

Syntax Regelkonflikt 1: Input: ein Verb mit zwei Objekten, das eine ein belebtes Akkusativobjekt, das andere ein unbelebtes Dativobjekt. Kinder, Einfluss, die, dem, entzogen..... Dann kommt es zum Konflikt von Bel-Regel und Dat-Regel. Und da erstere Regel per Annahme die höher geordnete ist, wird korrekt erfasst, dass es heißt: Maria hat die Kinder dem Einfluss entzogen. Und nicht: *Maria hat dem Einfluss die Kinder entzogen. Diesen Wettbewerb illustriert die Tabelle:

Syntax Regelkonflikt 2: Input: Ein belebtes Dat-objekt und ein Pronomen als unbelebtes Akk-objekt. Es, Fritz, dem, entzogen Dann kommt es zum Konflikt von Dat-Regel und Pron-Regel. Und da die Pron-Regel per Annahme die höher geordnete ist, wird korrekt erfasst, dass es heißt: Maria hat es dem Fritz entzogen Und nicht: *Maria hat dem Fritz es entzogen

Syntax Diese Daten zeigen übrigens gut, dass es im Deutschen keine feste Grundabfolge der NP-Komplemente geben kann, weder allgemein noch verbspezifisch. Vielmehr ist die Grundabfolge variabel und jeweils Resultat der Optimierung.

Schlussfolgerung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Optimalitätstheorie wir einen anderen Typ der Grammatik haben, wo die Regeln grundsätzlich verletzbar sind.