Die Silbe: phonologische und phonetische Aspekte

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 Präsentation transkript:

Die Silbe: phonologische und phonetische Aspekte Jonathan Harrington

1. Sonoritätsprinzip 2. Die interne Struktur der Silbe (Onset/Reim Aufteilung) 3. Phonotaktische Beschränkungen 4. Phonetische Aspekte 5. Silbenaufteilung in mehrsilbigen Wörtern

1. Sonoritätsprinzip Silben in den Sprachen der Welt tendieren dazu, dem Sonoritätsprinzip zu folgen: Phoneme am Rande einer Silbe sind am wenigsten vokalisch…

1. Das Sonoritätsprinzip Oralplosiv Am wenigsten vokalisch Verengter Vokaltrakt Niedrige akustische Energie Frikativ Nasal Liquid /l r/ Gleitlaut /w j/ Offener Vokaltrakt Hohe akustische Energie Vokal Am meisten vokalisch

1.Sonoritätsprinzip (fortgesetetzt) schlecht = /ʃlɛçt/ folgt dem Sonoritätsprinzip Sonorität hoch ʃ l ɛ ç t niedrig In Sprachen der Welt wäre zB initial /fla/ (folgt dem S-Prinzip) wahrscheinlicher als initial /lfa/ usw.

1. Sonoritätsprinzip (fortgesetetzt) Wozu ist das S-Prinzip nützlich? Vielleicht damit Hörer Silben zählen können (um dadurch den Zugang zum mentalen Lexikon zu erleichtern) Wenn ein Sprecher ein einsilbiges Wort vermitteln will, dann wird diese Zahl (1) eher durch die Reihenfolge links übertragen... p l a high sonority low Hörer werden eher eine Silbe wahrnehmen Jedoch zwei Silben hier

2. Interne Struktur der Silbe Eine Silbe wird in vielen Sprachen aus einem Onset und Reim zusammengesetzt. Reim (R): der Teil der Silbe, der sich reimen lässt Onset (O): die davorkommenden Konsonanten (Fakultativ) Coda (C): Die Konsonanten im Reim (Fakultativ) Schlecht: ʃ l ɛ ç t Onset = / ʃ l/ O R Reim = / ɛ ç t / Coda = / ç t / ʃ l ɛ ç t

Beweise für den Reim diachron VK (aber kaum KV) wird diachron oft zu V: Latein /ka:nus/ < kasnus ('grau') Alt Englisch /fi:f/ < Teutonisch /fʏmf/ (fünf) synchron oft eine deutlichere Überlappung zwischen V und K im Reim. zB. wird /a/ eher in /am/ als in /ma/ wegen /m/ nasalisiert (siehe Krakow, 1999, Journal of Phonetics)

Beweise für den Reim: Zungenbrecher Ein guter Zungenbrecher: wenn die Konsonanten im Onset und Reim aus unterschiedlichen Mustern gestaltet werden ‘Unique New York’ = /ju: ni:k n(j)u: j:k/ j u: n i: k n u: j o: k O R S U nique New York Onset-K j n = ABBA Muster Reim-K - k = ABAB Muster

Phonetische Beweise für den Reim Der Reim als Zeit-Einheit (kompensatorische Kürzung): Je mehr Ks im Reim, um so kürzer der V < bedeutet: V ist kürzer in liebst < liebt < lieb Jedoch kaum V-Dauer-Unterschiede bei einer Erhöhung der Ks im Onset (also /au/ in ‘Schlau’ und ‘lau’ haben fast dieselbe Dauer)

3. Phonotaktische Beschränkungen = Beschränkungen auf die erlaubte Reihenfolge von Phonemen in einer Silbe z.B. ist /m/ der einzige Nasalkonsonant, der silbenfinal vor /p/ erscheinen darf (‘Lampe’); /np/ oder /ŋp/ kommen nicht vor. gibt es nur einen Konsonant, /ʃ/ der vor /pr/ erscheinen darf (‘Sprache’) .

3. Phonotaktische Beschränkungen folgen allgemeinen Prinzipien, zB Sonorität In vielen Sprachen der Welt haben zwei aufeinanderfolgende Ks im Onset meistens nicht dieselbe Artikulationsselle /dl/ seltener als /dr/; /pw/ seltener als /pl/

3. Phonotaktische Beschränkungen sind jedoch auch deutlich sprachbedingt Legale Konsonanten am Anfang einer Silbe /kn/ /tw/ /vr/ /zb/ Deutsch Kneipe - Wrack Englisch twice - Französisch vrai - toi Italienisch sbagliare -

3. Phonotaktische Beschränkungen: Zwei Sorten von nicht-vorhandenen Silben Zufällige (akzidentelle) Lücken Sind zwar phonotaktisch legal, aber bilden kein Wort zB /ʃtrɛmt/ ist in Deutsch eine akzidentelle Lücke: /ʃtr/ ist legal (‘streng’), /mt/ ist legal (‘Hemd’) Unerlaubte Silben Stoßen gegen eine phonotaktische Beschränkung zB /twet/ ist in Deutsch (aber nicht in Englisch) illegal, weil keine Wörter (daher Silben) in Deutsch mit /tw/ beginnen.

3. Onset-Reim Aufteilung und phonotaktische Beschränkungen. 1. Mehrere phonotaktische Beschränkungen: Im Onset Im Reim 2. Kaum Beschränkungen, die den Onset und Reim überbrücken 1 und 2. sind zusätzliche Argumente, weshalb der Onset u. Reim voneinander unabhängig und miteinander frei kombiniert werden können, um Silben zu bilden. (Also ein zusätzliches Argument für die Onset-Reim Aufteilung).

4. Phonetische Merkmale der Silbe In vielen Sprachen der Welt sind Coda-Konsonanten weniger ‘stabil’ im Vergleich zu Onset-Konsonanten – sie neigen eher dazu, lenisiert, vokalisiert, getilgt, assimiliert, und neutralisiert zu werden

Lenisierung Silbenfinale Ks werden oft lenisiert die Erzeugung von einem Konsonanten mit größerer Öffnung (Plosiv ® Frikativ ® Approximant) Vokalisierung silbenfinaler /l/ in Englisch. 'milk' = [mɪʊk] Konsonant ® Vokal silbenfinaler /ʁ/ in Deutsch: ‘Haar’ meistens /ha:ɐ/ Silbenfinale Tilgung Lastwagen -> Las(t)wagen

Beispiel von silbenfinaler Lenisierung

Assimilation Die Flut kam ® die Flu[tk] kam Die Artikulationsstelle von silbenfinalen alveolaren wird oft zur Artikulationsstelle des danachkommenden Konsonanten assimiliert: Neutralisierung Viele phonemische Kontraste werden silbenfinal aufgehoben z.B., Auslautverhärtung in deutsch: 'Rat'/'Rad‘ = /ʁat/)

5. Silbenaufteilung Das Maximal-Onset-Prinzip (MOP) wird oft verwendet, um mehrsilbige Wörter in Silben aufzuteilen. MOP In mehrsilbigen Wörtern werden alle phonotaktisch legalen Konsonanten (= Konsonanten, die ein Wort/eine Silbe beginnen dürfen), mit einem folgenden Vokal assoziiert.

Silbenaufteilung durch MOP Das Wort ‘extrem’ hat offensichtlich zwei Silben Wie wird das Wort in Silben aufgeteit? = Wo kommt die Silbengrenze in /kstr/ von /ekstre:m/ vor?. Ist /kstr/ legal? (= kann /kstr/ ein Wort beginnen?). Nein /str/ ? Auch nicht. /tr/ ? Ja. (‘Traum’) Daher /ɛks . tre:m/ ­ Silbengrenze

Phonetische Begründung dafür? /ɛks . tre:m/ Das ließe sich phonetisch begründen, wenn es wirklich der Fall ist, dass /t/ in diesem Wort aspiriert wird (denn /t/ wird nur dann aspiriert, wenn es silbeninitial ist...)

Silben- und Morphemgrenzen in Deutsch In fast allen Fällen ist der Bereich der Silbenaufteilung das Morphem (= Silben in deutsch können Morphemgrenzen nicht überbrücken) UR Landarzt = /land + artst Syllabifizierung innerhalb von Morphemen /land . artst /lan. dartst/ (wegen MOP) Syllabifizierung ohne Morphemgrenzen zu berücksichtigen [landartst] Silbenfinale Auslautv. lant . artst V-initiale Glottalisierung lant . ʔartst [lantʔartst] Phonetisch

Silbifizierung und Morphemgrenzen Ausnahme: wenn eine Derivationssuffix mit einem Vokal beginnt, dann werden Konsonanten laut MOP mit der Suffix syllabifiziert /açt+ʊŋ / Achtung Kindisch UR /kɪnd+ɪʃ/ Syllabifizierung innerhalb von Morphemgrenzen /kɪnd. ɪʃ/ /açt. ʊŋ/ kɪn.dɪʃ MOP aç.tʊŋ Auslautv. kɪnt.ɪʃ ʔaçt.ʔʊŋ [ʔaçtʔʊŋ] [kɪntʔɪʃ] kɪnt.ʔɪʃ Aspiration aç.thʊŋ Glottalisierung ʔaç.thʊŋ [ʔaçthʊŋ] [kɪndɪʃ]