Kummer-Kasten oder Fenster zur Welt? Fernsehen in der BRD

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 Präsentation transkript:

Kummer-Kasten oder Fenster zur Welt? Fernsehen in der BRD Sitzung vom 28.11.2006 Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Gegenstand und Ziel der Sitzung Darstellung der frühen Fernsehgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland  Kenntnis des sozio-historischen Hintergrunds Darstellung der Fernsehangstdebatte in den 50er/60er Jahren  Identifikation zentraler Argumente und Thesen Darstellung einer zeitgenössischen Überprüfung der Violenzhypothese  Bewusstsein für zentrale Problematik der Wirkungsforschung Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Die frühe Entwicklung des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Die Anfänge zur Stunde Null 1945: Rundfunk unter der Kontrolle der Alliierten Deutschen wurde die „Tätigkeit oder der Betrieb (...) von Rundfunk- und Fernsehstationen und Rundfunkeinrichtungen“ zunächst untersagt (Gesetz 191). sukzessive Gründung von Sendeanstalten durch die jeweilige Besatzungsmacht (erste Station: NWDR 1946 in Hamburg) schrittweiser Rückzug der Alliierten/Übergabe der Sendeanstalten an Deutsche bis 1949 abgeschlossen ab 1955 offiziell Rundfunkhoheit bei den deutschen Regierungen Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Rundfunk in ‚Trizonesien‘ Rundfunkentwicklung in den drei Besatzungszonen der späteren BRD: Britische Zone: zentralistisches Modell  Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) Amerikanische Zone: Föderalistisches Modell  Bayerischer Rundfunk (BR), Hessischer Rundfunk (HR), Radio Bremen (RB), Süddeutscher Rundfunk (SDR) Französische Zone: Zentralistisches Modell  Südwestfunk (SWF) (im Saarland: Radio Saarbrücken) Gemeinsamkeit: öffentlich-rechtliche Strukturen Staatsferne Pluralismus Bildungsauftrag Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Die Gründung der ARD 5. Juni 1950: ‚Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands‘ Gründungsmitglieder: NWDR, BR, HR, RB, SDR, SWF 1953: Gründung und Beitritt des Senders Freies Berlin (SFB) 1955: Spaltung des NWDR in NDR und WDR 1957: nach Wiedereingliederung des Saarlandes Beitritt des Saarländischen Rundfunks (SR) ab 1952: Fernsehangebot des NWDR 1954: Start des Gemeinschaftsprogramms ‚Deutsches Fernsehen‘ unter Beteiligung aller (damaligen) ARD-Anstalten Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Das ‚Deutschland-Fernsehen‘ 1959: ‚Entwurf eines Gesetzes über den Rundfunk‘ der Adenauer-Regierung Pläne u.a. Gründung des ‚Deutschland-Fernsehens‘ öffentlich-rechtliche Anstalt mit starker Regierungsbeteiligung und in finanzieller Abhängigkeit zum Bund Bundesrat lehnt Konzept ‚aus verfassungsrechtlichen und staatspolitischen Gründen‘ ab 1960: Gründung der ‚Deutschland Fernsehen GmbH‘ (DFG) durch Bundesregierung Wirtschaftsminister als (unbeauftragter) Treuhänder der Länder Stammkapital: 23.000 DM; 12.000 DM beim Bund, je 1.000 DM bei den 11 Bundesländern Länder weisen Anteile zurück: Bund als alleiniger Gesellschafter Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Die Gründung des ZDF Klage der SPD-regierten Bundesländer gegen die DFG beim BVerfG  28. Februar1961: ‚Erstes Fernsehurteil‘ ‚Rundfunk ist Ländersache‘ Bund stellt technische Infrastruktur Betonung: kultureller Auftrag/Bildungsfunktion des Fernsehens 6. Juni 1961: Vertrag der Länder über Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) Anforderung: Programmkoordination zwischen ARD/ZDF u.a. kein Parallelangebot von Unterhaltung und politischer Bildung 1. April 1963: Sendestart des ZDF Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Die Fernsehangstdebatte der 50er/60er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Fernsehangst: „Die Lage war noch nie so ernst“ „Der ungeordnete Besuch der Filme war der erste Ausgangspunkt für pädagogische Steuerungs-bemühungen (...) 1954/55 war die Debatte um die comic books am lebhaftesten (...) Das Jahr 1958 (brachte) einen Höhepunkt der Produktion von Kriegsheftchen und Kriegsfilmen. Danach ging die Gruselfilmwelle übers Land (...) Anfang der goldenen Sechziger werden zehnmal so viele Groschenhefte verkauft als dreißig Jahre vorher (...) Alle diese Erscheinungen bedeuten wenig gegenüber dem derzeitigen absoluten Sieg des Fernsehens“ (Wasem 1964: 13, Hervorh. SK). Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Fernsehen als ‚Kulturkampf‘ Selbstverständnis der Fernsehanstalten als „televisionäre Volkshochschule“ (Brunst 2001, zit. nach Krieger 2002: 8) „Wir senden, was die Leute sehen wollen sollen.“ (NWDR-Generaldirektor Grimme, ebd.) Präferenzen des Publikums jedoch eindeutig bei Unterhaltungssendungen „Hierbei soll durchaus nicht die Enttäuschung verschwiegen werden, dass das Publikum häufig nicht den rechten Gebrauch von diesem Medium macht. In seiner großen Zahl benimmt es sich nicht fernsehgerecht.“ (ZDF-Intendant Holzamer, ebd.) Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

‚Kulturkampf‘ um das Fernsehen Bildungseliten: ‚Schuld‘ bei Fernsehproduzenten, die sich an Zuschauerinteressen orientieren  negatives Publikumsbild „Das bis zum äußersten präparierte Publikum wollte, wenn man seinem Willen sich überließe (sic!), verblendet das Schlechte“ (Adorno 1963: 57) „Die fünf Fernsehabonnenten, denen der Unterhaltungs-rummel von den Filmfestspielen in Cannes eine beleidigende Zumutung war, wiegen kulturell schwerer als die Fünfund-neunzig, die von einer Strawinsky-Symphonie abgestoßen wurden. Von diesem Werteverhältnis müßte jede Programmgestaltung Kenntnis nehmen“ (Stuckenschmidt 1963: 86; Hervorh. SK). Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

‚Kulturkampf‘ als ‚Stellungskampf‘ Bildungseliten: Angst vor Kontroll- und Bedeutungsverlust  Forderung nach ‚Erziehung‘ des Publikums „Kultur (ist) insgesamt eine Frage und ein Bestandteil der Erziehung. Man muß ja auch Kinder lehren, sich zu waschen. Um wieviel mehr Erwachsene, ihren Geist vor dem Verfall zu bewahren“ (Stuckenschmidt 1963: 85).  Forderung nach Kontrolle des Fernsehens „Nicht die plebiszitäre Mehrheit dürfte über kulturelle Phänomene, die sich an die Massen richten, entscheiden, und auch nicht die abgefeimte Weisheit von Patriarchen ... Befinden sollten allein Menschen ... die ebensoviel von Kunst verstehen wie von den sozialen Implikationen der Massenmedien“ (Adorno 1963: 57). Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Von der ‚Kultur‘ zur ‚Wirkung‘ Anfänge der Debatte: beherrscht von kulturellen Vorbehalten mit gesellschaftlicher Penetration zunehmend Fokussierung von Wirkungsfragen „Solange das Fernsehen nur wenig verbreitet war, erregte es als Novum staunendes Interesse. Als es aber breitere Schichten erfaßt hatte, stellte man plötzlich Auswirkungen auf das Leben fest“ (Riedel 1966: 1).  SK: Übergang von der ersten zur zweiten Stufe in der Medienkarriere, Fernsehen wird zum Angstmedium im Folgenden beispielhafte Darstellung: Pathologie-, Sucht-, (Miss-)bildungs- und Violenzthese Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Pathologiethese Wasem (1964: 67-68): gesundheitliche Auswirkungen des Fernsehens (Zitat einer englischen Medizinzeitschrift von 1959) Fernsehhals, Fernsehthrombose, Fernsehzucken (bei Epilektikern), Fernseharterien, Fernsehblähungen, Fernsehherzanfälle Empfehlungen zur Prävention: bequeme Kleidung einmal die Stunde durch das Zimmer laufen zusätzliche Lichtquellen Fernsehgerät nicht zu hoch anbringen Sonnenbrille tragen „vor allem während der Einnahme der Mahlzeiten nicht fernzusehen“ (68) Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Pathologie- und Suchtthese Beer (1961: 42): durch „fesselnde wilde Flut der Bildeindrücke“: „Nervenschwäche, Unausgeglichenheit, Zerstreutheit und Fahrigkeit“ (ebd.) „Die Nervosität wiederum verstärkt den Hunger nach neuen Reizen und vergrößert den Konsum an Bildern, so daß nicht selten der circulus vitiosus der Sucht einsetzt“ (ebd.) Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

(Miss-)bildungsthese Schiffer (1964: 14): „Dabei wissen diese jungen Menschen über vieles Bescheid, besser, als wir es damals taten oder vielleicht heute noch tun. (...) Dahinter steht doch die Tatsache, daß Bildung in die Breite gewalzt wird und nicht mehr in die Tiefe dringt. Wir züchten Blender.“ Beer (1961: 45): „In dem Beliefern mit fertigen, noch dazu optisch und akustisch perfektionierten Ergebnissen werden die Lernvorgänge nicht entwickelt, sondern nur das Gedächtnis mit – allerdings nachweislich oft recht dauerhaften – Erinnerungsbildern und –brocken angefüllt.“ Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

(Miss-)bildungsthese Vergleich zur Schriftkritik Platons: „Denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie (die Menschen) ihre Erinnerungen mithilfe geborgter Formen von außen heranholen, nicht von innen aus sich herausziehen; so dass sie sich vielwissend dünken werden, obwohl sie größtenteils unwissend sind, und schwierig im Umgang sein, weil sie scheinweise geworden sind statt weise“ (aus: ‚Phaidros‘, Platon, 428 – 348 v. Chr.). Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Mord und Totschlag im Fernsehen“ Artikel von Heribert Heinrichs (Pädagoge) in ‚Eltern‘ (1971) (zit. Nach Kommer 1979: 131 ff.) Erstellung einer Gewaltszenenstatistik (13. bis 19.2.1971) 416 „Gewaltverbrechen“, u.a. 103 Tote, 52 Schlägereien, 27 Schießereien, 26 Einzelschüsse (vgl. Kinodebatte) Folge: Welle öffentlicher Empörung „Aggressiv durch einen Western“ (Hamburger Morgenpost, 9.3.1971) „Gewalt steckt an wie Cholera“ (Stuttgarter Nachrichten, 9.8.1971) „Wie das Fernsehen die Brutalität fördert“ (Funkuhr, 4.9.1971) „Der Mord, der am Bildschirm vorgespielt wird“ (Fernsehwoche, 2.10.1971) Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Mord und Totschlag im Fernsehen“ Sozialwissenschaftler: Kritik an Heinrichs‘ Violenzthese  Erwiderung in der NZZ (25.3.1972): „Wir haben, um dem Phänomen der Brutalität etwas stärker auf die Spur zu kommen, gezählt. Zählen und Messen sind wissenschaftliche Methoden. “ Gegen den Vorwurf der Undifferenziertheit: Gewalttätige Szenen in Nachrichtensendungen wurden „nicht als Programmbelastung registriert“, auch nicht „Gewalt und Brutalität in wesenhaft künstlerischen Produktionen (...) Wir haben also nur jene Untaten registriert, die als Unterhaltungs-effekt, als Primitivimpuls, als Spannungsmoment und Stimulans benutzt werden.“  Verdächtig: (nur) Unterhaltung und Populärkulturelles, vgl. Buch- Kino- und Comicangstdebatte Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke „Das Mördersyndrom“ „Unser Fernsehprogramm erzeugt in den von mir angesprochenen Teilen besonders beim jungen Zuschauer Verbrechensbereitschaft: das Mördersyndrom“ (Heinrichs in der NZZ vom 25.3.1972, zit. Nach Kommer 1979: 141).  unbelegte These i.S.d. S-R-Modells „Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Unbekümmertheit nicht nur Journalisten, sondern auch Pädagogen (...) zu den Zusammenhängen zwischen den Massenmedien und der zunehmenden Kriminalität (...) Stellung nehmen. Erstaunlich ist dabei vor allem die Sicherheit, mit der hier Kausalzusammen-hänge so apodiktisch behauptet werden, als handle es sich um längst gesicherte Forschungsergebnisse“ (Maletzke, Vorwort zu Halloran/Brown/Chaney 1972). Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Britische Studie von 1970 (Deutsch: 1972) Frage: Sind zwischen Medienumgang und Kriminalität Jugendlicher Korrelationen feststellbar? einschränkender Hinweis: „Selbst wenn wir eine starke Korrelation zwischen der Kriminalität und bestimmten Formen des Verhaltens zu den Medien (...) vorfinden, sagt uns das nicht über die (...) ursächlichen Reihenfolgen“ (65) drei ‚Reihenfolgen‘ denkbar: Medienverhalten wird durch Kriminalität verursacht Kriminalität wird durch Medienverhalten verursacht Medienverhalten und Kriminalität werden durch andere Faktoren verursacht Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Forschungsdesign Befragung von 663 Jugendlichen (10-20 Jahre) ‚Bewährungssample‘ (BS) (n = 334) ‚Kontrollsample‘ (KS) (n = 144) ‚Mittelschichtssample‘ (n = 185) Methoden persönliche Fragebogeninterviews Sammlung von Hintergrundinformationen (standardisiert) durch Bewährungshelfer, Schulleiter etc. Anlage: explorativ Hypothesengenerierung statt Hypothesenprüfung Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) demografischer Vergleich der Samples in BS und KS mehr Kinder aus Arbeiterfamilien, in MS Eltern (Väter) häufiger Angestellte, z.T. in Leitungspositionen insgesamt in MS höherer sozio-ökonomischer Status In BS und KS gleiche Intelligenzleistungen (Ausnahme: Mädchen in BS  höheres Alter), in MS signifikant höhere Intelligenzleistungen BS: schlechtere schulische Leistungen als Intelligenzleistungen erwarten ließen BS: häufiger nicht-intakte Familien (Arbeitslosigkeit des Vaters, Abwesenheit/Krankheit der Eltern) BS: deutlich größere Geschwisterzahl Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Fernsehverhalten der Befragten keine herausragende Bedeutung des Fernsehens für eines der Samples feststellbar Jungen des MS und Mädchen des BS wurden von den Eltern im Fernsehverhalten am stärksten reguliert Einfluss des Vaters auf Programmentscheidung im BS niedriger BS: häufiger Fernsehnutzung zusammen mit anderen Personen (Familienmitgliedern) BS: Jungen seltener Fernsehnutzung zusammen mit Freundinnen Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Zeitaufwand für Fernsehnutzung der Befragten keine Unterschiede zwischen BS und KS hinsichtlich der Stundenzahl; MS: geringere Fernsehnutzung Mädchen aller Samples sahen weniger fern als Jungen Bevorzugte Fernsehformate ‚erregende Formate‘: größte Beliebtheit in BS, niedrigste in MS (bei Mädchen durchweg weniger beliebt als bei Jungen) Entspannung als Nutzungsmotiv: geringste Zustimmung in BS, größte in MS Bevorzugte Fernsehhelden BS: hohe Bedeutung durchsetzungsfähiger (aggressiver) Helden Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Bedeutung informativer Sendungen Befragte mit höherer Intelligenz äußerten häufiger ‚Wissenserwerb‘ als Nutzungsmotiv/nannten entsprechende bevorzugte Formate Jungen BS: trotz gleicher Intelligenzleistungen wie KS deutlich niedrigere Zustimmung zu ‚Fernsehen als Wissenserwerb‘/entsprechenden Formaten Jungen BS: deutlich niedrigstes Interesse für Schulfernsehen Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Fernsehen als Gesprächsstoff BS: seltener Gespräche über das Fernsehen (Eltern, Geschwister, Freunde) als in KS und MS Widerspruch zu den Möglichkeiten, Gespräche über das Fernsehen zu führen (s.o.) Zusammenhang mit Schwierigkeiten der BS-Jungen im Umgang mit Freundinnen ‚Restringierter Code‘ bei BS-Jungen bei Fragen zur Einschätzung des Fernsehens  Offenbar geringere Fähigkeiten (geringere Bereitschaft?), über Fernsehangebote zu reflektieren Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Fazit keine Unterschiede im Ausmaß der Fernsehnutzung zwischen den Samples Fernsehnutzungsmuster des BS unterscheidet sich von dem des KS/MS (vor allem bei Jungen) signifikante Präferenz ‚erregender‘ Formate weniger Gespräche über Fernsehen geringere Fähigkeit, ihre Reaktionen über das Gesehene zu artikulieren Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Interpretation der Ergebnisse: Fernsehverhalten zerrüttete häusliche Verhältnisse führten zu geringem ‚kognitiven Training‘/sozialen Fähigkeiten in BS durch Abwesenheit der Väter bes. Jungen betroffen eingeschränkte Zukunftschancen führten zur Abwendung von gesellschaftlichen Normen (Schule, Bildungsfernsehen) BS-Jungen: Präferenz ‚starker‘ Helden als Suche nach Ersatz-Identifikationsfigur BS-Jungen: Präferenz ‚erregender‘ Formate als Suche nach unmittelbarer Belohnung „Die Hauptcharakteristika des Fernsehverhaltens der Straftäter müssen (...) mit ihrem allgemeinen sozialen Hintergrund erklärt werden“ (161) Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

„Fernsehen und Kriminalität“ (Halloran/Brown/Chaney) Interpretation der Ergebnisse: Fernsehen und Kriminalität korrelative Ergebnisse erlauben weder Bestätigung noch Falsifikation eines Kausalzusammenhangs Ergebnisse verweisen darauf, dass sowohl Unterschiede im Fernsehnutzungsverhalten als auch im Sozialverhalten ( Kriminalität) mit dem sozialen Hintergrund zusammenhängen Fernsehen (hier: Präferenz ‚erregender‘ Formate) könnte Verstärkerfunktion gehabt haben bei Jugendlichen anderer Disposition jedoch wirkungslos! Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Fazit Fernsehangstdebatte als ‚Kulturkampf‘ (vgl. Buch-, Kino-, Comicangstdebatte) Violenzthese im Sinne eines Kausalzusammenhangs nicht belegbar offenbar komplexe Wechselwirkungen, die bei gleichen Nutzungsgewohnheiten über unterschiedlichen Umgang zu unterschiedlichen Reaktionen führen Vergleich mit Studie ‚Television in the Lives of our Children‘ (USA) „For some children under some conditions, some television is harmful. For other children under the same conditions, or for the same children under other conditions, it may be beneficial. For most children under most conditions, television is probably neither harmful nor particularly beneficial“ (Schramm, Lyle & Parker, 1961: 13). Es gibt keine einfachen Aussagen über Medienwirkungen – präzise Aussagen sind überkomplex, simple Aussagen sind unpräzise resp. falsch. Problem der Vermittelbarkeit als zentrales Problem der Wirkungsforschung – inbesondere in Bezug auf Angstmedien! Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Verwendete Literatur Adorno, Theodor W. (1963): Kann das Publikum wollen? In: Katz, Anne Rose (Hrsg.): Vierzehn Mutmaßungen über das Fernsehen, München: dtv, S. 55-60. Beer, Ulrich (19612): Geheime Miterzieher der Jugend, Düsseldorf: Rau. Halloran, James D./Brown, Roger L./Chaney, David C. (1972): Fernsehen und Kriminalität, Berlin: Spiess. Kommer, Helmut (1979): Früher Film und späte Folgen. Zur Geschichte der Film- und Fernseherziehung, Berlin: Basis. Krieger, Jörn (2002): Die Popularisierung des Fernsehens. Vom Elite-Medium zum Schauplatz des Normalbürgers, Norderstedt: Books on Demand GmbH. Riedel, Karl Veit (1966): Jugend und Fernsehen. Untersuchungen und Überlegungen zur Jugendeignung von Fernsehprogrammen, Neuwied a.R.: Luchterhand. Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Verwendete Literatur Schiffer, Karl-Wilhelm (1964): Film, Funk, Fernsehen und Illustrierte – Gefahr oder Chance? In: Berresheim, Heinrich/Hoersch, Herbert (Hrsg.): Die pädagogische Chance der technischen Medien. Film, Funk und Fernsehen im Dienste der Schule, Erwachsenenbildung und Seelsorge, Düsseldorf: Patmos, S. 9-21. Schramm, Wilbur/Lyle, Jack/Parker, Edwin B. (1961): Television in the Lives of Our Children, Stanford: Stanford University Press. Stuckenschmidt, Hans-Heinz (1963): Lenkt das Fernsehen von Kunstmusik ab und zu Unterhaltungsmusik hin? In: Katz, Anne Rose (Hrsg.): Vierzehn Mutmaßungen über das Fernsehen, München: dtv, S. 83-88. Stuiber, Heinz-Werner (1998): Medien in Deutschland, Bd. 2: Rundfunk, 1. Teil, Konstanz: UVK. Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke