Einführung in das Altitalienische V

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Einführung in das Altitalienische V Die ältesten Texte 15.11.2010

Die Inschrift der Commodilla-Katakombe Der an den Rand eines Freskos geritzte Kurztext, der 1904 in der Commodilla-Katakombe entdeckt wurde, lautet non dicere ille secrita a bboce

Inschrift der Comodilla-Katakombe Gesamtaussich t und Ausschnitt

Sprachliche Analyse Der verneinende Imperativ non + Infinitiv, den das klassische Latein nicht benutzte, ist charakteristisch für das Italienische sowie für sämtliche italienischen Dialekte. In dem Syntagma ille secrita fungiert ille als regulärer Artikel. Der Plural ehemaliger lateinischer Neutra auf -a (vgl. Sg. secretum – Pl. secreta) war in den Dialekten des Mittelalters weit verbreitet und ist bei einigen Wörtern selbst im modernen Italienischen noch anzutreffen (z.B. i fondamenti vs. le fondamenta < lat. Pl. fundamenta).

Sprachliche Analyse Beim Syntagma a bboce stoßen wir auf zwei Besonderheiten des gesprochenen Dialektes von Rom, die auch anderen Mundarten nicht fremd sind. Zum einen wird die phonosyntaktische Verdoppelung in der Graphie wiedergegeben zum anderen der Betazismus (lat. ad vocem > a bboce).

Die Inschrift von San Clemente (Rom, 11. Jahrhundert) Ausschnitt aus dem Fresko (heutiger Zustand)

Die Inschrift von San Clemente Die Inschrift wird in der italienischen Fachliteratur häufig als fumetto in volgare (volkssprachlicher Comic) bezeichnet, wobei die Zuordnung der Redetexte zu den einzelnen Figuren immer wieder diskutiert worden ist. Es handelt sich bei der Inschrift um ein Zeugnis konzeptioneller Mündlichkeit im Italoromanischen des Hochmittelalters.

Die Inschrift von San Clemente Ausschnitt aus dem Fresko

Die Inschrift von San Clemente Der inhaltliche Bezug der Inschrift Darstellung einer Episode aus dem Leben des Heiligen Clemens. Es sind drei Sklaven zu erkennen, die mit Mühe eine Säule vor zwei Bögen ziehen. Der Mann auf der linken Seite hebt sie mit Hilfe eines Balkens an, während die anderen beiden an einem Seil ziehen. Sie erhalten Anweisungen von ihrem Herrn auf der rechten Bildseite.

Die Inschrift von San Clemente Der inhaltliche Bezug der Inschrift Der Patrizier Sisinius hatte Befehl erteilt, den der Zauberei angeklagten Clemens (dritter Bischof von Rom in der Nachfolge Petri) zu fesseln und in den Kerker zu stecken. Durch ein Wunder glaubten der Patrizier und seine Sklaven in der Säule Clemens selbst zu erkennen. Ihnen sind die volkssprachlichen Aussagen in den Mund gelegt, während der (unsichtbare) Heilige Clemens ihnen (oberhalb der Säule in den beiden Rundbögen) auf Latein antwortet.

Die Inschrift von San Clemente Zuordnung der Sprechtexte * * GOSMARI,

Der Text der Inschrift Sisinius (volgare) Clemens (Latein) Fili dele pute, traite. Gosmari, Albertel traite. Falite dereto co lo palo, Carvoncelle __________________ Figli di puttana, tirate! Gosmario e Albertello, tirate! Fagli da dietro col palo Duritiam cordis vestri… saxa traere meruistis ________________ Per la durezza del vostro cuore... avete meritato di trascinare sassi

Sprachliche Analyse In der Graphie dominiert die lateinische Schreibtradition. Volkssprachliches [] (vgl. it. figlio) wird durch einfaches li wiedergegeben (fili). Das Substantiv puta ‘Hure’ zeigt gegenüber der volkstümlichen Aussprache lediglich einfaches t (vgl. it. puttana). Der Imperativ falite (it. *fagliti) setzt sich aus fa (< fac) + li (< illi) + te zusammen, wobei die phonosyntaktische Verdoppelung nicht in der Graphie angezeigt wird.

Sprachliche Analyse Die Präposition dereto geht auf lat. de + retro unter Ausfall des zweiten [-r-] zurück. Die Form traite kann wohl auf vlat. *tragĭte (tragere statt klat. trahere) zurückgeführt werden. Vor palatalen Vokalen hat sich [g] zu [j] entwickelt. Bei dem Eigennamen Carvoncelle (das Endungs-e ist offensichtlich ein lateinischer Vokativ) zeigt sich die Abschwächung des Nexus [-rb-] zu [-rv-].

Ritmo bellunese Spätes 12. Jahrhundert

Ritmo bellunese Lateinischer Rahmentext Chronik Im Ritmo bellunese wird der Sieg Bellunos über Treviso in den Jahren 1193 und 1196 gerühmt. Der italoromanische Text ist in einen lateinischen Rahmentext eingefügt. Lateinischer Rahmentext Venetischer Volgare-Text Chronik Lateinischer Rahmentext

Ritmo bellunese De Castel d’Ard avì li n(ost)ri bona part, Item eodem anno castrum Landredi ceperunt, ibi vero plures homines interfecerunt et .XXVI. inter milites et pedites atque arcatores secum in vinculis duxerunt et totum castrum combusserunt et funditus destruxerunt. De Castel d’Ard avì li n(ost)ri bona part, I lo getà tutto intro lo flumo d’Ard, E sex cavaler de Tarvis li plui fer Co(n) se duse li cavaler.   Praeterea domum <sancti> Bauce vi occupaverunt et eam destruxerunt et .XVIII. latrones inde secum duxerunt.

Ritmo bellunese Altitaloromanisch Modernes Italienisch Di Castel d’Ardo ebbero i nostri buon partito. / Essi lo fecero rovinar tutto dentro il fiume Ardo. / E sei cavalieri di Treviso, i più fieri, /Con sé condussero i nostri cavalieri. De Castel d’Ard avì li n(ost)ri bona part, I lo getà tutto intro lo flumo d’Ard, E sex cavaler de Tarvis li plui fer Co(n) se duse li cavaler.

Ritmo bellunese Die Form av geht auf vlat.*habit < habuit (vgl. it. ebbe) zurück. Die Verwendung der Singularform zum Ausdruck des Plurals ist in norditalienischen Dialekten keine Seltenheit. Ebenfalls als Passato remoto ist getà zu interpretieren (vgl. it. gettarono). Das Graphem <g> steht hier für die stimmhafte Affrikate [dz].

Ritmo bellunese Charakteristisch für Norditalien ist die Degeminierung von Doppelkonsonanten (tt > t). Eine latinisierende Graphie liegt bei intro vor, ebenso bei sex. Die lat. Nexus [fl-] und [pl-] haben sich erhalten (lat. flumen > flumo; lat. plus > plui). Die Form duse geht auf das lat. Perfekt duxit zurück.

Fließender Übergang zwischen Latein und Volgare Beisp. aus der Toskana und Ligurien

Testimonianze di Travale (1158) Sicht auf Travale

Testimonianze di Travale Zahlreiche Schreiber, die nur über oberflächliche Lateinkenntnisse verfügten, ließen in ihren Schriften die Grenzen zwischen Latein und volgare verschwimmen. Dieses Phänomen beobachten wir beispielsweise bei den Testimonianze di Travale, die 1158 in der südlichen Toskana entstanden sind. Der Rechtsstreit um den Besitz einiger landwirtschaftlicher Anwesen in der Maremma (d.h. im Süden der heutigen Provinz Grosseto) spielte sich zwischen dem Grafen Ranieri Pannocchieschi (genannt Pannocchia) von Travale und seinem Bruder Galgano ab, dem Bischof von Volterra.

Testimonianze di Travale Der Graf beanspruchte den Besitz für Travale und Fosini, der Bischof für Gerfalco. Es kam zu einem ersten Vermittlungsversuch durch den Bischof von Grosseto, der eine Gruppe von Adeligen und Geistlichen beauftragte, eine Einigung zu finden, die allerdings nicht zustande kam. Auch ein zweiter Schlichtungsversuch fand nicht die Zustimmung Pannocchias, der zugunsten seines Bruders auf einige landwirtschaftliche Anwesen hätte verzichten müssen. Testimonianze di Travale

Testimonianze di Travale Die Schlichter luden den Grafen schließlich ein, um in Anwesenheit des Richters Balduino von sechs rechtschaffenen und gesetzestreuen Männern (sex bonos homines et legales) aus Travale die Zugehörigkeit des umstrittenen Besitzes zu Travale bestätigen zu lassen. Der Text enthält lediglich die Aussagen der Zeugen zugunsten der Ansprüche des Grafen. Der Ausgang des Prozesses und die übrigen Zeugenaussagen sind uns leider nicht überliefert.

Testimonianze di Travale (1158) Auszug aus dem Text

Testimonianze di Travale Der Hauptunterschied zu den Placiti campani besteht vor allem darin, dass die Zeugenaussage hier nicht auf das Nachsprechen einer vorgegebenen Schwurformel festgelegt ist. Die Aussagen der sechs Zeugen werden im Protokolltext höchst unterschiedlich wiedergegeben. Ein Teil wird vom Protokollführer in indirekter Rede auf Latein festgehalten, ein anderer als wörtliche Zitate auf Toskanisch. Alles, was sich bei den Zeugenaussagen von Capua als gewiss darstellt, drückt im Falle von Travale Unsicherheit und Ungewissheit aus.

Testimonianze di Travale Keiner der Zeugen gibt an, die Besitzverhältnisse aus eigenem Wissen zu kennen, jeder verweist mehr oder weniger entschuldigend darauf hin, dass die eigenen Kenntnisse jeweils auf Äußerungen Dritter beruhen und fügt einige Anekdoten hinzu. Die Zugehörigkeit der Gehöfte wird im Gegensatz zu den Streitfällen in Kampanien nicht durch Urkunden oder beglaubigte Besitzzeiträume bewiesen, sondern mit Hilfe eines Nachweises über wirtschaftliche Verflechtungen anhand konkreter Beispiele, wobei es jedoch zu Abschweifungen in Einzelheiten kommt, die jeden Zusammenhang mit dem Prozessgegenstand vermissen lassen.

Testimonianze di Travale ... Quorum primo Berardinus quondam Tebaldi testatur de curte de Travale esse sicut: territorium mascie de Castagneto tenet de antiquo, quod primo habuit Andreas Starna qui Nappio vocabatur; de mascia Montanina dicit quod est de curte de Travale antiquum, scilicet eius quod Martinus Cavalieri tenuit. Viventi quondam filius, qui Henrigulus vocatur, dicit quod audivit dicere Berardinum predictum quod isti de Casa Magii, hii sunt li Nappari, fuerunt de la curte di Travale, ut ipse audivit dicere; de la Montanina dicit: Io de presi pane e vino p(er) li maccioni a Travale; de illa que est da Casa Magii dicit quod perdonatum fuit. […]

Testimonianze di Travale (1158) “[…] Pogkino, qui Petrus dicitur, dicit quod ipse stetit cum Gkisolfolo Africanu et ab eo audivit quod Casa Magii erat de la curte de Travale et fecit ibi servitium, non quod ipse viderit vel sciat; et ab eodem Gkisolfolo audivit quod Malfredus fecit la guaita a Travale. Sero ascendit murum et dixit: Guaita, guaita male; non mangiai ma mezo pane. Et ob id remissum fuit sibi servitium, et amplius no(n) tornò mai a far guaita, ut ab aliis audivit, quia veritatem inde nescit.”

Testimonianze di Travale Der Einfluss der Volkssprache manifestiert sich beispielsweise in Form von Zitaten in direkter Rede („...dicit: Io de presi pane e vino...“; „...dixit: Guaita, guaita male...“). Die Partikel de (< lat. inde) entspricht ne im modernen Italienischen (vgl. nde in den südlichen Dialekten). Das Substantiv maccione ‘Maurer’ lebt im Italienischen in der Form massone ‘Freimaurer’ weiter (vgl. auch frz. maçon).

Testimonianze di Travale Der Germanismus guaita (< fränk. *wahta, vgl. dt. Wacht), der im Italienischen nicht überlebt hat, ist in zahlreichen mittellateinischen sowie in altkatalanischen Texten belegt. Auch außerhalb der volkssprachlichen Zitate kommt das volgare an vielen Stellen zum Vorschein, z.B. in Form von latinisierten Toskanismen wie certetham (vgl. it. certezza < vlat. *certitiam vs. klat. Akk. certitudinem), durch die Einstreuung toskanischer Syntagmen (de la curte di; la guaita) sowie durch die Übertragung italoromanischer Satzbaumuster auf das Lateinische (dicit quod nach dem Vorbild von dice che statt der lateinischen ACI-Konstruktion).

Die Dichiarazione di Paxia Testament aus Ligurien

Die Dichiarazione di Paxia In no(m)i(n)e Domini. Ei Paxia, uxor Ioh(ann)es, manifesto ante co(n)sules p(er) s(an)c(t)i D(e)i eva(n)gelii in bona fide. Qua(n)do ego adux(i) viro m(e)o da Ianua, costà sol. iiii. dr. .i. In sepellir viro m(e)o dispexi sol. .v. m(inus) dr. .i. In septime dispexi d. .xx.viiii. [...]  

Die Dichiarazione di Paxia Es folgt eine Aufzählung von Alltagsgegenständen, bei der weitgehend auf volkstümliche Bezeichnungen zurückgegriffen wird:   (Et) ei Paxia habeo de viro m(e)o colcera una (et) unum oreger (et) carpite due (et) unu(m) ma(n)tello d’Araça cu(m) une pellis d’agnello (et) une altre pelle d’agnello (et) gonnelle .iiii., una de bruneta (et) una vergada (et) due albaxie, (et) unum cop(er)tor vetulo (et) capa una (et) sacho(n) .i. (et) paria .ii. de brague (et) unu(m) camixoto (et) unu(m) sacho (et) paria duo de çoculi [...]

Die Dichiarazione di Paxia Eine Hauptschwierigkeit beim Übergang von der lateinischen Schriftlichkeit zur volkssprachlichen bestand darin, dass das lateinische Alphabet für viele inzwischen entstandenen Laute keine geeigneten Schriftzeichen besaß. In der Dichiarazione di Paxia finden wir u.a. folgende Lösungen:

Die Dichiarazione di Paxia Der stimmhafte Frikativ [] wird durch <x> wiedergegeben: dispexi, albaxie, camixoto, pixon etc.. Die stimmhafte Affrikate [d] wird vor velaren Vokalen durch <i>, vor palatalen durch <g> repräsentiert: seia, toaia, oreger. Sowohl die stimmlose Affrikate [ts] als auch die stimmhafte Variante [dz] wird vor velaren Vokalen durch <ç-> wiedergegeben (çoculi), während <c> vor palatalen Vokalen für [ts] stehen kann: colcera, calce, lence.

Die Dichiarazione di Paxia Zu den sprechsprachlichen Besonderheiten, die in der Graphie wiedergegeben werden, gehören u.a. der Wegfall der Endvokale: sepellir, oreger, copertor, sachon, barril, bolentin, crivel, pairol, seder, oral, peiten, tridor, vermeion etc.; die Sonorisierung von intervokalischem [-t-]: vergada, buada, scudelle, galleda, tridor, encantado, stada etc.,

Die Dichiarazione di Paxia die Affrizierung von lat. [kl-] zu [d]: vlat. *AURICULARIUM > oreger; vlat. *SICLA (< lat. SITULAM) > seia etc.; die Entstehung des Frikativs [] aus dem vlat. Nexus [-sj-]: lat. PENSIONEM > pixon; die Entwicklung von vlat. [-rj-] zu [-jr-] (Metathese): lat. PARIOLUM > pairol, vlat. TONSORIAS > tesoire sowie das Passato remoto der dritten Person Singular auf -à (costà; vgl. it. costò).

Die Dichiarazione di Paxia Auf die Wiedergabe einiger phonetischer Merkmale verzichtet der Text hingegen, so z.B. auf die Sonorisierung von intervokalischem [-p-] (sepellir, copertor) und [-t-] (bruneta, carpite). Phonographematische und lexikalische Inkonsequenz sind für Texte jener Epoche sehr typisch.

Kurztexte Vor 1200

Kurztexte aus der Toskana Im späten 12. Jahrhundert hat der Bildhauer Biduino in Pisa folgende Grabinschrift angefertigt, in der Volkssprache und Latein gleichermaßen präsent sind:   Homo ke vai per via, prega Deo dell’anima mia. Sì como tu se’ ego fui, sicus ego sum tu dei essere. Der kurze Text befindet sich auf dem Grab eines gewissen Giratto, der im Oktober 1176 verstarb. Die korrekte Form müsste sicut lauten.

Kurztexte aus der Toskana Auch hier macht sich der Einfluss der lateinischen Schreibtradition deutlich bemerkbar (homo mit etymologisierendem h; Deo statt Dio, ego sum statt io sono etc.). Interessant ist ferner die Verwendung von k- (ke statt che), das in mittelalterlichen Texten allerdings keine Seltenheit ist.

Kurztexte aus der Toskana Einige italoromanische Kurztexte stellen Ergänzungen zu lateinischen Schriftstücken dar, so etwa die so genannte Postilla amiatana aus dem Jahre 1078, die der Notar Rainerio einem Vertrag angefügt hat, in dem die Eheleute Miciarello und Gualdrada erklärt haben, dass sie all ihre Güter der Abtei San Salvatore in Montamiata vermachen wollen. Der Text lautet:   ista car(tula) est de caput coctu ille adiuvet de ill rebottu q(ui) mal co(n)siliu li mise in corpu

Kurztexte aus der Toskana Eine eindeutige Interpretation ist aufgrund syntaktischer und lexikalischer Unklarheiten nicht möglich. Castellani (21976, 108) schließt sich der Interpretation Migliorinis an: „...io spiegherei pressappoco in questo modo: Questa carta è di Capocotto (probabilmente da intendere come ‘Testadura’) e gli dia aiuto contro il Maligno, che un mal consiglio gli mise in corpo”.

Kurztexte aus der Toskana Hinsichtlich der sprachlichen Eigenheiten fällt die Bewahrung von auslautendem [-u] auf (coctu, rebottu, consiliu, corpu). Als lexikalische oder phonographematische Latinismen identifizieren wir caput (statt *capu), est (statt è), adiuvet sowie coctu (statt *cottu).

Genuesische Textpassagen bei provenzalischen Minnesängern Raimbaut de Vaqueiras

Genuesische Textpassagen bei provenzalischen Minnesängern Der provenzalische Minnedichter Raimbaut de Vaqueiras hat in seine Gedichte auch einige italoromanische Strophen eingebaut. In einem zweisprachigen Dialog zwischen einem südfranzösischen Troubadour und einer genuesischen Dame, der wohl vor 1194 entstanden ist, stößt vor allem die genuesische Antwort (Vers 15-28) auf Interesse, die mit Hilfe der provenzalischen Orthographie wiedergegeben wird.

Genuesische Textpassagen bei provenzalischen Minnesängern Domna, tant vos ai preada, si us plaz, q’amar me voillaz, q’eu sui vostr’endormenjaz, car es pros et enseignada e toz bos prez autrez autreiaz; per qe’m plai vostr’amistaz. Car es en toz faiz cortesa, s’es mos cors en vos fermaz plus q’en nulla Genoesa, per q’er merces si m’amaz; e pois serai meilz pagaz qe s’era mia.ill ciutaz, ab l’aver q’es ajostaz, dels Genoes.

Genuesische Textpassagen bei provenzalischen Minnesängern Genuesische Passage mit moderner italienischer Übersetzung

Genuesische Textpassagen bei provenzalischen Minnesängern Zu den typischen Merkmalen des Genuesischen, die in dem Text in Vorschein treten, gehören die Affrizierung des lat. Nexus [pl-] zu [ts] (chu < lat. plus) (= [tʃy]) sowie der Ausfall von intervokalischem [-t-] beim Partizip Perfekt (malaurao, esclavao). Bis auch genuesische Dichter auf Genuesisch schrieben, sollte allerdings noch ein Jahrhundert vergehen.