Die Idee der spanischen Nation und ihre Konkurrentinnen im 19. und 20. Jahrhundert Vorlesung Sommersemester 2003 Eva Feenstra.

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 Präsentation transkript:

Die Idee der spanischen Nation und ihre Konkurrentinnen im 19. und 20. Jahrhundert Vorlesung Sommersemester 2003 Eva Feenstra

Die Idee der Nation in Europa zweite Hälfte des 18. Jh. Aufschwung der Macht des Bürgertums enge Verknüpfung mit der Idee der Volkssouveränität (Voltaire, Rousseau,...) moderner Faktor der Staatslegitimation zuerst Nationalismus – dann Nation

Definitionen von „Nation“ - Typen Erfindung der Romantiker? – Produkt eines historischen Augenblicks? Hans Kohn: zwei Haupttypen = bürgerl. rev. Umsturzkonzept / 18. Jh oder 19. Jh. / romant. Kulturnationalismus „französischer“ vs. „deutscher“ Nationsbegriff politischer vs. kultureller Nationalismus „liberal“ vs. „organisch“ Subjekt = Individuum vs. Kollektiv

Ernest Renan: „Qu‘est-ce qu‘une nation?“ (1882) Affäre Dreyfus (1890er) Emile Zola: J‘accuse der „Intellektuelle“ als politisch handelndes Individuum 1898 – Verlust der span. Überseekolonien span. Intellektuelle und die nationale Frage

Josef Stalin: „Die Nation ist eine stabile historisch gewachsene Gesellschaft mit gemeinsamer Sprache, Territorium, Ökonomie und Mentalität, die sich als Kulturgemeinschaft manifestiert.“ Positivismus: „Messbare“ Merkmale für nationale Zugehörigkeit: Sprache Kultur (Volkstum, Traditionen,...) kollektive Psychologien: „Mentalität“ „Rasse“,...

Philosophische, politische, historische Grundlagen des nationalen Denkens Verwendung der Volkssprache im Protestantismus  Sprach- und Kultur- nationalismus in der dt. Romantik Buchdruck  „imagined community“ (Benedict Anderson) Kapitalismus  Produktionsnetz / Gemeinschaft Patriotismus in der Aufklärung Kampf der europ. Monarchien um die Vorherrschaft Nationale Stereotypen der Staat als politische Einheit

Wachsen eines Geschichtsbewußtseins im 16. und 17. Jh. als Voraussetzung für kollektive Erinnerung: um 1600 erscheint das berühmte Werk Historia General de España von Juan de Mariana Ansätze eines kollektiven Sprachbewußtseins (Juan de Valdés, Diálogo de la lengua, 1535) Krise der Monarchie führt zu Trauer um das Vaterland – Patriotismus (Quevedo, Gracián)  „arbitristas“ (Bs.: Sancho de Moncada, 1619: Restauración política de España)

Stereotypen in der Aufklärung: Völkertafel (1720er, er)

Stereotypen in der Aufklärung Montesquieu (Lettres persanes, 1721), Voltaire, Masson de Morvilliers,...  Bild des Spaniers / „leyenda negra“  patriotische Verteidigung des Spaniertums als Vorläufer eines National- bewußtseins Konstruktion eines Selbstbildes (José Cadalso, Cartas marruecas, 1774)

Enciclopédie méthodique, 1782 (Masson) – vernichtendes Spanienbild  Ministerpräsident Floridablanca gibt eine Gegendarstellung in Auftrag: Juan Pablo Forner, Oración apologética por la España y su mérito literario

Reiseberichte - Mode der Aufklärung: Antonio Ponz, Viaje de España, (20 Bände, 1772 – 1794) Theater der Aufklärung als Denkschule für republikanische und nationale Ideen Sociedades de Amigos del País (Verbreitung des patriotischen Aufbauwillens über das gesamte Staatsterritorium): 1765, Real Sociedad Bascongada de Amigos del País

Entwicklung der Staatsidee um 1500: Nicolo Macchiavelli (Machtaus- übung innerhalb eines Territoriums als Wert an sich), Francesco Guicciardini (Staatsräson), Thomas Morus (Utopia) Machtmonopol des Monarchen (ersetzt die alte Ordnung der 3 Stände) – Absolutismus Spanien: Reyes Católicos

Souveränität = Grundlage d. Staatsidee Jean Bodin, 16. Jh.: Sieg des Staates über die Stände  barockes Theater, z.B. Lope de Vega Thomas Hobbes, 17. Jh.: Überlegenheit des Staates als Garantie für friedliches Zusammen- leben (Leviathan, Gesellschaftsvertrag)  Ludwig XIV (1643 – 1715)  Felipe V, , Enkel Ludwigs XIV, erster span. Bourbonenkönig (Zentralismus, Idee des homogenen, allgegenwärtigen und allmächtigen Staates)

Bolingbroke, The Idea of a Patriot King Montesquieu, De l‘esprit des lois Gleichgewicht, innere Harmonie der Gesellschaften  Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative) als Garant für die Harmonie  der Staat (vorher konkret, personifiziert in der Souveränität des absoluten Monarchen) wird zum abstrakten Gebilde (Netz von Gesetzen u. Institutionen) Rousseau, Volonté générale: d. abstrakte Staat wird lebendig durch die Idee der Souveränität der einzelnen Individuen = Republik (Basis für bürgerl. Revolution) 18. Jahrhundert Aufgeklärter Absolutismus

„España“ oder „las Españas“? Die Iberische Halbinsel 1479:

España – las Españas Territoriale Einheit Castilla + Aragón (RRCC + Carlos I = Karl V) keine administrative Einheit: Sonderrechte (fueros) der Königreiche Aragón, Navarra, Valencia,... bleiben erhalten Versuche der Vereinheitlichung (Zentralismus) um 1640 führen zu Aufständen in den og. Reichen („rebelión de los segadores“ in Katalonien, Unabhängigkeit Portugals,...)

Aragón + Valencia auf habsburgischer Seite (Zusage, die „fueros“ zu erhalten) Sieg der Bourbonen: 11. September 1714 Niederlage der Stadt Barcelona („Diada de Catalunya“) 1716 Decretos de la Nueva Planta, Abschaffung der „fueros“ von Cataluña, Valencia und Aragón, die nun keine Königreiche mehr sind, sondern Provinzen. Ausnahme der Zentralisierung: Navarra u. die baskischen Provinzen behalten die „fueros“ Ausnahme des Staatszugriffes: „señoríos“ Spanischer Erbfolgekrieg (1700 – 1714)

Der nationale Zündfunke: Guerra de la Independencia (Unabhängigkeitskrieg: 1808 – 1814) Dos de Mayo: Aufstand des Volkes gegen José Bonaparte Goya

Brutalität d. frz. Besatzer Los Fusilamientos del 3 de mayo Fco. de Goya

Francisco de Goya: El coloso Geeinte Gewalt eines Volkes gegen eine militärische Besatzung entfesselt ungeahnte Kräfte – im Guten wie im Schlechten. Die Frage ist, wie dieses Ungetüm in der Zukunft gezügelt werden soll.

Vergleiche: - amerikan. u. frz. Nationalbewegung eindeutig auf Abschaffung der Standesprivilegien, Gleichheit und Souveränität d. Bürger aus - europ. Nationalbewegungen zu Beginn d. 19.Jh = Widerstand gegen die napoleonischen Weltherrschaftsansprüche Lt. Hans Kohn (politischer vs. Kulturnationalis- mus – je nach Entstehung vor oder nach 1800)  Wie ist das nun mit Spanien?

Mischung von Beweggründen: Liberale (bürgerliche) Motive Widerstand gegen Fremdherrschaft Absolutistische = antiliberale Positionen Drei verschiedene Beweggründe, die ausreichen, einen Bürgerkrieg zu führen, aber nicht, um eine gemeinsame Zukunft, einen Staat, eine Nation aufzubauen.

Widerstand gegen Napoleon: Geburtsstunde der Nationalismen in Europa 1806 Niederlage Preussens  1808 Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation“; 1810 „Turnerschaft“ Turnvater Jahn 1812 Feldzug gegen Rußland  „Großer Vaterländischer Krieg“ Gründung eines italien. Staates u. Neapel unter napoleon. Herrschaft  erste Anzeichen eines italien. Nationalgefühls

Erzherzog Johann, 17. Mai 1808 „Hier muß die Nation, die Masse kämpfen, alle für einen, einer für alle; leicht wird es sein, sie zu stimmen... Stehet die Nation, so ist Österreich unbesiegbar... Einen schwankenden Staat, in gewöhnlichen Mitteln seine Zuflucht nehmend, greift ein habsüchtiger Eroberer an. Hier liegt der Sporn, um alles aufzubieten, was nur immer möglich ist, um seine Kräfte auf das Höchste zu spannen und, indem man die Sache des Staates zur Sache der Nation macht, neue Hilfsmittel hervorzubringen.“

Der spanische Unabhängigkeitkrieg = der erste nationalistische Krieg in Europa Modellfunktion für viele andere nationale Bewegungen und Kriege = Spanien kommt in „Mode“

d. liberale spanische Bürgertum sieht im Widerstand gegen Napoleon die Chance, die nationale Souveränität zu bekräftigen, in doppeltem Sinne: Frei von der Fremdherrschaft Frei von der Herrschaft der alten Feudalstrukturen, frei von Klerus, Aristokratie und Krone (gleich wie in Frankreich)

Gleichzeitig gibt es in Spanien einen ges. Sektor der „Afrancesados“; sie verfolgen ähnliche Ziele mit anderen Mitteln: Frei von den alten Feudalstrukturen durch die Kopie des französischen Systems Das ist nur durch die starke Hand der napoleonischen Herrschaft in Spanien durchsetzbar

Reaktionäre Tradition in Spanien 1789 Frz. Revolution Absolutistische u. klerikale Kreise wollen in Spanien um jeden Preis verhindern, daß revol. Gedankengut nach Spanien eindringt Totale Abschottung Schüren des Hasses gegen Frankreich (gottlos, usw.) 1795 (sehr populärer) Krieg gegen Frankreich

Cortes de Cádiz (mehrheitl.) liberale Strömung will in territorial- staatl. Hinsicht eine einheitliche und egalitäre Staatsverwaltung Stimmen für die Wiederherstellung alter Feudalrechte in best. Regionen („fueros“) v.a. unter sog. „Traditionalisten“ „Foralismo“ – diese Haltung findet sich später teilweise in Bewegungen wie dem „Carlismo“ und den kleinen Nationalismen (Baskenland, Katalonien) wieder

Constitución de Cádiz, 1812 Prinzip der Gleichheit zwischen allen Regionen setzt sich durch (bürgerl. liberal, frz. Vorbild) Aufteilung in 19 historische Regionen Positive Aufnahme (auch in bask. Provinzen u. Navarra, obwohl – oder weil - dadurch die „fueros“ verlorengingen)

Liberale unzufrieden mit d. 19 historischen Reg.  Territoriale Neuordnung homogen verwaltete Provinzen (zentralist. Prinzip) 1814 Restauration der Monarchie unter Fernando VII  Auflösung der liberalen Territorialordnung 1833 unter Regentin María Cristina neue Provinzeinteilung, die bis heute eine gewisse Wirksamkeit hat (Javier de Burgos)