Prof. Hildegard Theobald, Universität Vechta Fachtagung

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Prof. Hildegard Theobald, Universität Vechta Fachtagung Geschlechtergerechte Organisation von Pflege und Betreuung: Wohlfahrtsstaatliche Herausforderungen Prof. Hildegard Theobald, Universität Vechta Fachtagung Wohn-Pflege-Gemeinschaften in Deutschland Organisatoren: Schader Stiftung, Universität Paderborn, Stiftung Diakonie Hessen Darmstadt, 27. März 2015

Einführung Demographischer und sozialer Wandel hat in westlichen Ländern zur Einführung und Reformen von Care-Politiken geführt: - (Neu)definition von Sozialleistungen - Restrukturierung der Pflegeinfrastruktur - Formen der Versorgung Konvergenzen – Divergenzen der Politikansätze Zentrale Fragen international vergleichender Forschung: Wie wirken sich unterschiedliche Care-Politiken auf geschlechtergerechte Arrangement aus? Länderspezifik: Dimensionen geschlechtergerechter Politikansätze

Gliederung International vergleichende Wohlfahrtsstaats- Care-Forschung: Konzepte für die Analyse des Zusammenhangs von Care-Politiken und Geschlechtergerechtigkeit Zentrale Ergebnisse im internationalen Vergleich Care-Politiken – und Geschlechtergerechtigkeit: - Zusammenspiel Informelle - Formelle Pflege Transfer zur Situation von Pflege-Wohn-Gemeinschaften

Gleichheit versus Gerechtigkeit Definitionen Gleichheit versus Gerechtigkeit Die Perspektive von Geschlechtergleichheit zielt darauf ab, Männer und Frauen unabhängig vom Geschlecht die gleichen Ressourcen zu kommen zu lassen. Die Perspektive von Geschlechtergerechtigkeit will die Bedürfnisse beider Geschlechter warnehmen und mit den Ressourcen zu versorgen, die sie in einem bestimmten Bereiche benötigen.

Wohlfahrtsstaat und Geschlechtergerechtigkeit Daly (2000) Zusammenspiel von Politiken und gleichheitsrelevante Ergebnisse (Geschlecht und soziale Gleichheit) Strukturen: Politikdesign Prozesse: Konstruktion von Care-Aktivitäten entlang der Grenzlinien – privat – öffentlich Auswirkungen: Effekte auf die Situation von informell und formell Pflegenden

Strukturen: Politikdesign

Politikdesign: Pflegepolitiken Definition von Leistungen Zugänglichkeit Universell Universalismus: administratives und/oder normatives Prinzip Administratives Prinzip: Definition der Verfahren, wie Leistungen verteilt werden sollen, d.h. hier ist die Gesamtbevölkerung eingeschlossen: Keine Berücksichtigung des Einkommens bzw. der Familie Normatives Prinzip: Fokus auf die Ergebnisse der Politiken, d.h. Leistungen sollen so gestaltet sein, dass sie für die Bevölkerung insgesamt verfügbar sind und auch genützt werden, d.h. hier sollen die Leistungen auch unter unterschiedlichen Lebensbedingungen für alle verfügbar sein, bspw. durch die Organisation des Zugangs

Politikdesign: Langzeitpflegepolitiken Definition von Leistungen Umfang: Niveau und Bereich der abgesicherten Leistungen Höhe öffentlicher versus privater Kosten Pflege, Versorgung, Betreuung, Haushaltstätigkeiten etc… Form der Leistungen: Geldleistungen versus Sachleistungen

Pflegepolitiken im Vergleich Deutschland Schweden Modell – grundlegende Orientierung Aktive Subsidiarität Staat: Unterstützung familiärer Verantwortung Kommunales Versorgungsmodell Staatliche Verant-wortung, Familie (Kinder) freiwillig Charakteristika: Sozialleistungen Zugänglichkeit Niveau / Bereich Form der Leistungen Universell 12% (65+) Ausbau, Stabilität Stärker Fokus: Pflege ca. 30% private Kosten Geld- und Dienstleistungen Universell 14% (65+) Seit 1980er Jahre: Rückgang Umfassend, 5% private Kosten Dienstleistungen

Prozesse: Konstruktion von Care-Tätigkeiten

Konstruktion von Care-Tätigkeiten: Formeller Bereich Deutschland Schweden Formelle Versorgung Colombo et al (2011) Anzahl professioneller Pflegekräfte (Vollzeit-äquivalente) pro 100 Einwohner/innen 80+ Gesamt: 11 amb: 3,3 stat. 7,7 Gesamt: 33 amb: 8,6 stat. 24,4 Personal (Vollzeit-äquivalente) pro Bewohner/innen in stationärer Versorgung Akzeptanz für Eltern 24-Std. Betreuung 0,65 11% Vorhanden 1,0 1,1 (Wohngruppen) 50% Wohngruppen/Betreutes Wohnen 43% Nicht-vorhanden

Konstruktion von Care-Tätigkeiten: Informeller Bereich Deutschland Schweden Informelle Versorgung Colombo et al (2011) Unterstützung mit IADL-Tätigkeiten 50+ Davon: - 10 Std. 20 – Std. Szebehely/ Ulmanen (2012) Kinder 34,2% 56% 30% 27% (täglich) 36,2% 72% 13% 9% (täglich)

Pflegekräfte und informelle Pflege   Deutschland Schweden Hilfe bei der Haushaltsführung Täglich 24,2 13,1 Wöchentlich 29,1 37,9 Unterstützung bei der Körperpflege  Täglich 20,0 7,8 Wöchentlich 17,0 14,1 Unternehmungen und soziale Kontakte Täglich 18,8 30,0 Wöchentlich 30,4 52,0 Theobald et al 2013

Auswirkungen: Effekte

Geschlechtergerechtigkeit Deutschland Schweden Informelle Pflege Ehepartner Kinder (Erwerbsalter) Umfangreiche Versorgung Umfangreiche Versorgung - Erwerbsintegration Anstieg (F: 19%; M: 15%) Häufig Frauen (72%) 44% zu Beginn nicht erwerbstätig, Arbeitszeit-verkürzung: 34% Unterbrechung: 15% Gleichverteilung Selten Täglich F: 15% (19 Std) M: 10% (12 Std) Erwerbsintegration Arbeitszeitverkürzung: F/ M: 24% Unterbrechung: F/M: 8%

Intensität von informeller Pflege und Konsequenzen Costa/Ranci (2010): Europäischer Vergleich (EU 15) (Zeit)Intensität der familiären Pflege Konsequenzen für die Lebenssituation : - Erwerbsintegration, - Ökonomische Situation - Soziale Integration Beziehung zu Ungleichheiten: Geschlecht, soziale Schichtzugehörigkeit

Intensität und informeller Pflege Intensität der Pflege Durchschnitt: 23 Stunden pro Woche 43% der Angehörigen: niedrige Stundenzahl - 14 Stunden pro Woche 28% der Angehörigen: mittlere Stundenzahl 15- 27 Stunden pro Woche 29% der Angehörigen: hohe Stundenzahl (intensiv) 28 – Stunden pro Woche 33% der weiblichen Angehörigen 18% der männlichen Angehörigen

Erwerbsbeteiligung Angehörigenpflege und Erwerbsbeteiligung Niedrige Stundenzahl: Nahezu keinen Einfluss Häufiger: Männer/ Pflegende mit höherem Ausbildungsniveau Mittlere und intensive Versorgung: Niedrigere Erwerbsintegration Häufiger: Frauen/ Pflegende mit niedrigerem Ausbildungsniveau

Haushaltseinkommen Angehörigenpflege und Haushaltseinkommen Zwei Einflussfaktoren: Geschlecht und Intensität der Versorgung Geschlecht Männliche Angehörige: Überdurchschnittliches Einkommen Weibliche Angehörige: Entscheidend wird die Intensität der Versorgung Intensität: - Niedrige Stundenzahl: Kein negativer Einfluss Haushalt mit mittlerem oder hohen Lebensstandard - Einfluss steigt mit der Intensität der Versorgung: Mittlere Stundenzahl: 16% Rückgang Intensive Versorgung: 33% Rückgang

Soziale Integration Angehörigenpflege und soziale Integration Anstieg der Intensität der Versorgung: - Häufiger Kontakt mit den Nachbarn - Gleiche Kontakthäufigkeit mit Freunden und nicht-zusammenlebenden Verwandten Aber: - Sehr begrenzte Teilnahme an mehr formellen Zusammenhängen: Vereine etc.

Fazit (1,3) Pflegepolitiken und Geschlechtergerechtigkeit Zentrale Variable: Intensität informeller Versorgung Verteilung zwischen Männern und Frauen Auswirkungen auf Erwerbstätigkeit Haushaltseinkommen Soziale Integration

Fazit (2,3) Perspektive der Gerechtigkeit: - Intensität informeller Versorgung: Geschlecht und soziale Ungleichheit Einfluss Pflegepolitiken: - Differenzen: Nord-, Mittel,- Südeuropa

Fazit (3,3) Deutsch-schwedischer Vergleich Pflegepolitik: Umfassende, dienstleistungsorientierte öffentliche Unterstützung Führt zum Ausbau professioneller Versorgung Reduktion des zeitlichen Umfangs familiärer Versorgung Größere Gleichverteilung informeller, familiärer Pflege zwischen Männern und Frauen Umfassende ambulante Versorgung und Aufbau akzeptierter Formen gemeinschaftlicher Versorgung: Reduktion des Bedarfs an 24 Std. Betreuung

Transfer Wohn-Pflege-Gemeinschaften Geschlechtergerechte Verteilung informeller Pflege: Abhängig vom Umfang und der zeitlichen Organisation der erforderlichen informellen Pflege Annahme: Je weniger umfangreich und je besser mit der Erwerbstätigkeit zu verbinden, desto größer die Chancen einer geschlechtergerechten Verteilung Gerechte Arbeitsbedingungen formelle Versorgung: Abhängig von den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bietet dies die Möglichkeit einer größeren Übereinstimmung zwischen fairen Bedingungen für Pflegekräfte und positiv bewertete Versorgung aus der Sicht der Pflege-bedürftigen