Gesundheitliche Belastungen in der IT-Branche

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 Präsentation transkript:

Gesundheitliche Belastungen in der IT-Branche IG Metall-Tagung des ITK-Arbeitskreises Rhein-Main Frankfurt, 27.05.2008 Dr. Anja Gerlmaier Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg/Essen

Neue Formen der Wissensarbeit: Ein Handlungsfeld der Prävention? - Wissensarbeit galt in den Arbeitswissenschaften lange Zeit als Paradebeispiel „guter“ Arbeit: geringe physikalische Belastung, hohe Lernanreize, geringer Grad an monotonen Tätigkeitsanteilen, viel Autonomie Berufsgruppen mit hohem Anteil geistig-schöpferischer Arbeit weisen vergleichsweise geringe Fehlzeiten und Frühverrentungsraten aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit auf „ …je schwieriger, anspruchsvoller und qualifizierter ein Beruf oder eine Position ist, umso eher findet man ihn an der oberen Altersgrenze und umso eher liegt die tätigkeitsbedingte Altersgrenze sogar über der gesetzlichen Altersgrenze“ (Behrens 2001)

Neue Formen der Wissensarbeit: Die Schattenseiten der „guten“ Arbeit Mitarbeiter in IT-Projekten sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen in hohem Maße Stress- und Burnout gefährdet - Jeder Dritte weist Symptome des „Ausgebrannt-Seins“ auf - 40% fühlen sich „immer“, weitere 48% „manchmal“ nach der Arbeit erschöpft 24% haben weder am Wochenende noch nach stressreichen Arbeitsphasen die Möglichkeit, sich zu erholen ähnliche Befundlagen +++ (Quelle: Gerlmaier/Latniak, 2007)

Neue Formen der Wissensarbeit: Die Schattenseiten der „guten“ Arbeit

Entstehungsgründe von Burnout und Stress bei wissensintensiven Tätigkeiten Anforderungscharakteristika von Projektarbeit  Arbeitsaufgaben sind unstrukturiert, wenig routinisiert, Lösungs- wege sind oftmals nicht bekannt (‚Problem’ statt Arbeitsaufgabe) temporäre, problembezogene Kooperation in den Gruppen Mitarbeiter sind häufig für mehrere Projekte oder Aufträge gleichzeitig zuständig (Mehrstellenarbeit) über formale Weisungsstrukturen hinausgehende Abhängigkeits- verhältnisse durch erweiterte Kooperationsbeziehungen zu Kunden und anderen Schnittstellen (‚Grenzgänger’-problematik) Individuelle Dispositionen und Einstellungen bei den Mitarbeitern Mitarbeiter sind häufig hoch leistungsorientiert und eher bereit, über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen, um ein Ziel zu erreichen

Ursachen von Stress/Burnout bei Wissensarbeit: Widersprüchliche Arbeitsanforderungen als Erklärungsansatz Handlungsvorausetzungen Bewältigungsformen Output Anforde- rungen Ausführungs- bedingungen Aneignungs- Arbeitsbe- zogene Ziele/ Ergebnisse Subjekt- bezogene Normen/ Wert- vorstellungen Subjektbezogene Bedingungen des sozialen Kontextes Psychische Belastungen - Zusatzaufwand - Unterbrechungen - Zeitdruck - Konflikte Be- schränkung von Hand- lungsmög-lichkeiten - Kompetenzgewinn - Zufriedenheit - Wohlbefinden Bewältigung der Belastungen - Ärger Befindensbeeinträchtigungen - chronische Erschöpfung - Rückzug - Unzufriedenheit - reduziertes Selbstwertgefühl - reduzierte Freizeitaktivität - Konflikte mit dem Partner Nutzung Problemlösung Erfolgserlebnis Selbstwirksam- keitserfahrung (Gerlmaier/Latniak, 2007, 136, erweitert)

Ursachen von Stress/Burnout: Beispiele für Dilemmata in der IT-Arbeit Widersprüchliche Ziele/Ergebniserwartungen Mehrstellenarbeit in verschiedenen Projekten Aufgaben/Ziele ändern sich während der Erstellung des Produktes, trotz Mehraufwand müssen Zeit-/Budgetvorgaben eingehalten werden Kunden besitzen Weisungsrechte, die Anforderungen wider- sprechen jedoch dem geforderten Arbeitsergebnis Widersprüche zwischen Anforderungen und Ausführungsbedingungen Fehlende Entscheidungen auf der Management- oder Kundenebene Fehlende Informationen oder Beistellungen auf der Kundenseite Unvereinbarkeit von Anforderungen und übergeordneten Werten und Motiven Es wird ein überdurchschnittliches Engagement gefordert, dem steht jedoch keine immaterielle bzw. materielle Gegenleistung gegenüber (Gratifikationskrise) Um Zeit oder Kosten zu sparen, sollen Qualitätsprüfungen eingeschränkt werden

Verbreitung psychischer Belastungsformen: ein Vergleich Quelle: BauA, 2006, eigene Berechnungen)

Handlungsvoraussetzungen und –barrieren im Präventionsprozess individuell organisational Leistungskultur Supportsystem Gestaltungseinfluss Gesundheitsverhalten/ Bewältigungsstrategien Gefahren-/Gestaltungswissen

Gesundheitsverhalten: IT-Fachleute (N=104)

Bewältigungsverhalten in Stresssituationen: IT-Fachleute (N =104)

Erlebter Stress und Bewältigungsverhalten: IT Fachleute (N=104) Stress begünstigt dysfunktionales Bewältigungsverhalten  Teufelskreis setzt ein

Zusammenhang von Stress und Gestaltungseinfluss: IT-Fachleute (N=104)  Hochgestresste erleben weniger Gestaltungseinfluss

Zusammenhang von Gestaltungseinfluss und Hierarchie (IT-Fachleute: N =104)  Der Gestaltungseinfluss nimmt mit der Hierarchieebene zu

Zusammenhang von Hierarchie und Stress: IT-Fachleute (N=104)  Der erlebte Stress nimmt mit der Hierarchiestufe ab

Folgerungen Wissensarbeiter verfügen oft nicht über ausreichenden Gestaltungseinfluss, um ihre Arbeitssituation substanziell zu verbessern Leistungsverausgabende Arbeitskulturen/ entgeltabhängige Zielvorgaben erschweren Präventionsverhalten auf allen Ebenen Maßlose“ Arbeitsanforderungen aus der Organisation werden u.a. deshalb individuell auskompensiert, weil klare Regeln zur Leistungsbegrenzung fehlen  Verhaltensorientierte Prävention begünstigt unter diesen Leistungsvoraussetzungen eine dauerhafte Rollenüberforderung und Resignation

Nachhaltige Prävention erfordert integrative Maßnahmen Präventionsmanagement bei neuen Formen der Wissensarbeit – Ansatzpunkte und Gestaltungswege Subjekt Organisation Sensibilisierung für Stressfolgen und –ursachen Aufbau individuellen Gestaltungswissens auf Basis von Gefährdungsermittlungen Aufzeigen von Grenzen der ind. Verantwortung „Rückkehr“ von Regeln als Haltegriffe + Kontrolle der Einhaltung z.B. Umgang mit Bereitschaftsdiensten Nachhaltige Prävention erfordert integrative Maßnahmen Reflexion der bestehenden Arbeitskultur Entwicklung von Gestaltungsideen zur Veränderung implizierter Normen und Umsetzung im Kollektiv (z.B. Wiedereinführung von gemeinsamen Teepausen) Belastung als Bestandteil von Routinekommunikation verankern (z.B. „Bauchschmerzrunden“ in Teammeetings)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!