Der carnivore Bias in den Sozialwissenschaften Oder Das Verschwinden des Fleisches und das Verschwinden der Tiere.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Miteinander für Europa 2012
Advertisements

Grundbegriffe der Pädagogik: Bildung, Sozialisation, Erziehung
Heidelberg, November 2009 Stadtteilrahmenplan Altstadt - Entwicklungskonzept und Maßnahmenvorschläge Erste Sitzung des Runden Tisches Pro Altstadt am 10.
Prof. Dr. Dietrich Hofmann
Pro-Skills-Hintergrundphilosophie
Aristoteles Kategorienlehre
David Émile Durkheim.
Vorlesung: Einführung in die Soziologie – WS 2009/10 Prof. Dr
VI. Die Sozialethik des Capabilities approach
Religionsbegriffe 1.) Unterscheidung zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre: „Sorgfältige Verehrung der Götter“ (Cicero) „Wiederverbindung des Menschen.
HCI – Tätigkeits Theorie (Activity Theory)
Vorstellungsbildung im Literaturunterricht
Vorstellungsbildung im Literaturunterricht
Bibelarbeit 1.Korinther 9,
Das Menschenbild des Marxismus
Bildung für nachhaltige Entwicklung – ein Thema für die Förderschule?
Zeitmanagement für Frauen
AWA 2007 Natur und Umwelt Natürlich Leben
Bundesfachgruppe Statistische Ämter des Bundes und der Länder.
Nachhaltigkeit und Ernährung
"Die einzelnen Problemfelder bestärken mich in meiner festen Überzeugung, dass wir multikulturellen Ideologien eine klare Absage erteilen müssen. Mit.
Baumgartner Silvia Langmann Gernot Lederer Manuela
Gliederung: 1. Werther und sein Verhältnis zur Natur
Vegetarisch essen – sind sie dafür oder dagegen?
Akademie der bildenden Künste Wien
25 Jahre Studium ab 60 an der Universität Heidelberg:
Transkulturalität Transkulturalität bezeichnet Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Kulturen. Der Begriff drückt aus 1.) Es gibt Unterschiede zwischen.
Chimären Potential und Risiko künstlich erzeugter menschlicher bzw. tierischer Chimären Barbara Brösamle.
Welt-weit – Welt-sicht Eine-Welt-Arbeit in der Kindertagesstätte 0.
Das Gesundheitsverhalten.
Das Geld in der Literatur
gesellschaftliche Gesamtarbeit
Wort des Lebens September 2010.
Meistersang.
Globalgeschichte Einführung in die VO
J. Thonhauser: Fallgeschichten als didaktisches Instrument
Normales normal machen Arbeitsplätze bei OMICRON.
Geschichte vom Frosch, der nicht wusste, dass er gekocht wurde.
COMPASSION Soziale Verantwortung lernen
UNITED NATIONS Educational, Scientific and Cultural Organization Kulturelle Vielfalt UNITED NATIONS Educational, Scientific and.
… unser Leben nach Conchita Wurst …
Religiöse Vielfalt – Bedrohung oder Chance?
Migration als Herausforderung
Religion unterrichten – aber wie ? Einführung in die Planung und
Dr. Remi Stork Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.
Fundamentalismus und Religion
Perspektive Gemeinwesen? Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
Fragen und Einwände hinsichtlich der Möglichkeit einer Schöpfungsforschung Thomas Waschke
Vorbild – Selbstbild – Autorität
religionsunterrichtliche
Vienna Conference on Consciousness Teil I "Was ist die neuronale Grundlage des Bewußtseins? Wo ist es im Gehirn?" Beitrag von Michael L. Berger (Center.
Dr. Holger Krawinkel Leiter Fachbereich Bauen, Energie, Umwelt.
Interkulturelle Kompetenz
Geschmack entsteht im eigenen Kopf
Welche Nahrung brauchen Menschen ? Nicole Spitzhofer.
Gesunden Lebensstil Ján Rystvej, 2011/2012.
Das Menschenbild der Individualpsychologie -Alfred Adler
Modulforum „Christlicher Glaube in säkularer Gesellschaft“
Mit dem Kopf des Anderen denken! Ein Vortrag von Michael Bandt.
Via Jura Von Sonceboz nach Biel Wenn ein Weg nicht mehr weiter geht, wenn es keinen Sinn mehr macht einen Umweg zu suchen.... Diese Blumen.
Das Auge des Orkans Kjell Nordstokke Versammlung 2015 Diakonia-DRAE 4. Juli 2015.
Der Himmel muss warten... Weiter per Mausklick Es war einmal ein Ehepaar. Beide im gesegneten Alter von 85 Jahren und inzwischen seit mehr als 60 Jahren.
Kann Politik ehrlich sein? D‘ Sunne schiint für alli Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Anhang 2 aus den Rahmencurricula: Beschreibung der Kompetenzen
Herzlich willkommen zum Übertrittselternabend
Philosophie am Gymnasium Schwarzenbek
Disability Mainstreaming Impuls auf der 4. Sitzung der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Leitlinien der Berliner Seniorenpolitik am Christine.
M 08 Inklusion Werte und Normen Marianne Wilhelm PH Wien.
Folie 1 Kulturelle Vielfalt: eine ethische Reflexion Peter Schaber (Universität Zürich)
 Präsentation transkript:

Der carnivore Bias in den Sozialwissenschaften Oder Das Verschwinden des Fleisches und das Verschwinden der Tiere

Vortrag an der Universität Hamburg im Rahmen der Konferenz der „Group for Society and Animal Studies“ (GSA) zum Thema „Fleisch“ Hamburg, Renate Brucker

Biologie Gesellschaft Carnivor Omnivor Herbivor Kultur der Moderne: dominante carnivore bürgerliche unterlegene vegeta- rische (Eder 1988)

Carnismus (Carnism) deskriptiv Ideologie (-ist, ism) System von Überzeugungen Konditionierung zum Essen von Fleisch Unterscheidung von „essbaren“/ nicht „essbaren“ Tieren kulturell dominant gewalttätig und ausbeuterisch (Melanie Joy: 2010) („Viandism“)

Carnismus/Vegetarismus unsichtbar unbenannt unbewusst 3 N: normal natürlich notwendig Verteidigungsstrategien: Blockieren + Deformieren Ideologie, Ausnahme benannt (Begriff alt) bewusste Überzeugungen anders unnatürlich bewusste Wahl

Vegetarismus als „Lackmustest“ für wissenschaftlichen Anspruch Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957) Widersprüche zwischen Einstellungen und Verhalten irritieren - Vermeidung durch Blockierung oder Änderung der Wahrnehmung - Aufgeben der schwächsten Ichbesetzung - „Glaubwürdigkeit“ der Quelle/Informant

3 N - „normal“ „Ja, jeder muss erkennen, dass er schon jahrelang … durch den Verzehr von Fleisch und Wurst an dieser Todeslotterie teilgenommen hat.“ (U. Beck, SZ 2000) „…sonst müssten wir uns ja sicherheits- halber alle zum Vegetariertum bekehren“ (Weinhold 1997: 414)

3 N - „natürlich“, „notwendig“ „Ernährungsopposition“, „alternative Ernährungsstile“ (Barlösius 1999: 57) Der „viel zu geringe Fleischgenuss bei den arbeitenden Klassen“ (Teuteberg 1988: 73) Akzeptanz der „modernen Protein- Mythologie“, Abwertung des „Brei- und Mus-Standard“ (Eder 1988: 250)

Blockierungen Ziel des Arbeitskreises „Kulturforschung des Essens: „… die Fähigkeit zum auch immer kommunikativen Essensgenuss zu fördern.“ (Wiedenmann 1997: 515, 2.4) „Ernährung gehört …zu den ethischen Fragen, weil für viele … Auswahl und Art ihrer Speisen … mit ihrem Konzept von einem guten Leben verknüpft sind.“ (Mühlich 2008: 95)

Hedonismus „Genussfreude und Qualitätsbewusstsein beim Essen“, „Gaumenfreuden“ (Mühlich: 5) Dezisionale Privatheit + Autonomie „… ein von moralisierenden Betrachtungen heimgesuchtes Thema“ (Ladwig in Mühlich: 13)

Zensur vegetarischer Lebensweisen oder Aussagen Gustav von Struve (DDR-Biographie, Lokalgeschichte) Amalie von Struve (Hummel-Haasis: 1982) Tolstoj Bertha von Suttner Emil Julius Gumbel und viele andere

Eliminierung von Fleisch/Tieren „Nur ein reduziertes Verständnis kann im Fleischverzicht die Substanz des Vegetarismus sehen.“ (Krabbe 1974: 48) „Fleischtabu“ = für Vegetarismus „peripher“, „keineswegs Zentrum oder Ausgangspunkt“, hätte auch „ganz anderes“ sein können (Barlösius 1997: 11), als „inhaltliche Konkretion weitgehend zufällig“ (ebd. 170), „kein Fleisch zu essen hatte … die Funktion, die vegetarische Küche unverwechselbar zu machen“ (ebd. 184)

Nicht Fleisch/Tiere sondern Religion, Natur, Ideologie „ die den ethischen Vegetarismus als eine die Weltfrömmigkeit exemplifizierende Religion charakterisiert“ (Sprondel 1986: 320) … Krabbe „Auch der vegetarische Lebensstil des 19. Jahrhunderts zentrierte sich um die Leitmotive Natürlichkeit, Entsagung und Gesundheit.“ (Barlösius 1999: 119)

Normativer Naturbegriff „Die Vegetarier betonen nachhaltig die ethische Seite ihrer Doktrin, die ein naturgemäßes Verhalten gegenüber Mensch und Tier im Sinne des Pazifismus verlangt. Es gehöre zur natürlichen Würde des Menschen, Mitgefühl mit den Tieren zu empfinden.“ (Sprondel 1986: 433). „Gesundheit“ = rational; Empathie für Tiere = irrational, „hinterweltlerisch“, instrumentell pazifistisch (Fritzen 2006: 205) Vegetarismus als „antimodern“ (Ausnahmen: Eder, Baumgartner, Grube)

Ausblenden von Informationen Empiriemangel Keine Thematisierung von Tierzucht und Schlachten Krabbe (1974: 16-26) Missstände im Bereich Wohnen – Bodenreform (70-73) „ethischer Vegetarismus.“ – ohne Empirie – erscheint willkürlich („ideologisch“) – Barlösius 1997: „Tier“ in 2 Zitaten auf 300 Seiten über Vegetarismus, Einmalige Erwähnung der Ablehnung des „Blutzolls“ durch antike Vegetarier (Barlösius 1999: 119)

Literarische Fiktion? „Es war der 3. Mai 1832 daß ich in Rous- seau‘s Emil eine Stelle aus Plutarch las, welche mit glühenden Farben schilderte, wie grausam der Mensch den Thieren gegenüber zu Werke gehe … Schon stand mein Mittagessen auf dem Tische. Ich aber faßte den Entschluß, kein Fleisch mehr zu essen.“ (Struve 1869: 4; Barlösius 1997: 49)

Motive der „Propheten“ Vegetarismus wird von vegetarischen Propheten (Struve, Baltzer) „nach ihrem doppelten Scheitern“ („materiell und ideell“) als „eine konsequente praktische Umsetzung von Wertorientierungen ausgegeben“ (ebd.: 91), um der „gescheiterten Existenz“ „nachträglich Sinn zu verleihen.“ (ebd.:49)

Motive der Anhänger „Kein Fleisch zu essen eröffnete die leicht organisierbare Chance, im Alltag die Vorstellung einer überlegenen Lebensweise zu verkünden und sich gleichzeitig öffentlich durch ein bestimmtes Handeln als Zugehöriger dieser Bewegung zu erkennen zu geben.“ (Barlösius 1997: 12) „… eine reglementierte Lebensführung …, die die persönliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Enthaltsamkeit betont“ (ebd.: 9)

Verbürgerlichung durch vegetarische Lebensweise „Damit kanalisierten sie auf der individuellen Ebene den erfolgreichen Übergang zum nächsten Lebensabschnitt. Auf der sozialen Ebene hatte sie eine entsprechende Bedeutung. Sie erschien der Anhängerschaft geeignet, ihre Verbürgerlichung zu betreiben und, nachdem dies gelungen war, versandete das Gesamtphänomen.“ (Barlösius 1997: 188

„wahre Motive“: soziale Pathologie Vegetarier benutzen als sich „sozial und ökonomisch bedroht fühlende „soziale Aufsteiger“ (Barlösius 1997: 144) den Vegetarismus gegen ihre „individuelle und soziale Verunsicherung“ (ebd.: 167), als Hilfe zu ihrer „Verbürgerlichung“ (ebd.: 188) Träger der Lebensreform sind „sozial absteigende Teilgruppen des Bürgertums“ (Raschke 1985: 142)

Vegetarismus als soziale Strategie Das „Einfache“, „Natürliche“ als Opposition „neuer Mittelschichtberufe“ gegen den „distinguierten Geschmack“ (Barlösius 1999: ) bei Frauen als durch ihren sozialen Aufstieg motivierte Suche nach einem „eigenen kulturell geachteten Lebensstil“ (ebd.: 57)

Unverständnis für ethische Motive In den Augen der Vegetarier ist der Vegetarismus „weit mehr als die nüchtern-praktische Empfehlung einer fleischlosen Diät. Vegetarier zu sein bedeutet, über eine weitreichende Weltdeutung zu verfügen, die dem schlichten Akt der Nahrungsaufnahme eine erhebliche ethische Relevanz verleiht.“ (Sprondel 1986: 321) Daher Gleichstellung von Tabak-, Alkohol- u. Fleischmeidung im ISK

Umdeutungen Mensch-Tier-Beziehungen werden zu Mensch- Mensch-Beziehungen : Der reale Schlachthof (Horkheimer 1934: 133) wird zur Metapher für „menschliches Elend“ uminterpretiert (Wiggershaus 1997: 62, zitiert nach: Mütherich 2004: 150f)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit