Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und Formvorschriften Reinbek – 26. August 2014
I. Überblick zum AGG Merkmal: Behinderung Merkmal: Alter Merkmal: Geschlecht Formalien und sonstige Fragen Zusammenfassung
I. Überblick zum AGG
1. Wovor schützt das AGG? Das AGG soll Benachteiligungen beseitigen oder verhindern aus Gründen der Rasse wegen der ethnischen Herkunft der Religion der Weltanschauung …
… des Geschlechts einer Behinderung der sexuellen Identität des Alters
Schwerpunktmäßig problematisch sind in der Praxis die Merkmale wegen der ethnischen Herkunft der Religion des Geschlechts einer Behinderung des Alters
2. Wer wird durch das AGG geschützt? Arbeitnehmer Auszubildende Bewerber arbeitnehmerähnliche Personen Arbeitnehmer auch nach Ende des AV Leiharbeitnehmer
Mit Abstand größte Problemgruppe sind in der Praxis Bewerber Ein Bereich mit hoher Entscheidungsdichte ist betriebliche Altersversorgung
3. In welchen Bereichen spielt das AGG eine Rolle? Zugang zur Erwerbstätigkeit (=Einstellung) Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Berufs(aus)bildung und Weiterbildung Sozialschutz und soziale Vergünstigungen eigentlich nicht: Kündigung
AGG und Kündigungen BAG Urt. v. 06.11.2008 – 2 AZR 523/07 § 2 Abs. 4 AGG steht der Annahme der Unwirksamkeit einer Kündigung aufgrund einer Diskriminierung nicht entgegen
Diskriminierende Befristung BAG Urt. v. 06.04.2011 – 7 AZR 524/09 diskriminierende Befristung führt zur Unwirksamkeit der Befristung Angebot längerer Befristungen an jüngere Personen ist diskriminierend
4. Welche Formen der Benachteiligung verbietet das AGG? unmittelbare Benachteiligung mittelbare Benachteiligung Belästigung sexuelle Belästigung
Das Verbot gilt für Arbeitgeber Arbeitnehmer Dritte (z.B. Kunden, Geschäftspartner)
5. Wann ist eine unterschiedliche Behandlung erlaubt? § 8 AGG – allgemeiner Ausnahmetatbestand §§ 9 , 10 AGG – Ausnahmen für Religion und Weltanschauung sowie Alter
6. Wozu wird der Arbeitgeber vom AGG verpflichtet? Stellenausschreibungen unter Beachtung des AGG Schulung von Mitarbeitern und Vorgesetzen Kundgabe des AGG im Betrieb Maßnahmen gegen „Störer“
Als Maßnahmen gegen „Störer“ kommen in Betracht: Gespräch mit Betroffenen Anweisungen Umsetzungen und Versetzungen Abmahnungen Kündigungen
7. Was können Beschäftigte bei Benachteiligung unternehmen? Beschwerderecht Leistungsverweigerungsrecht (bei Belästigung bzw. sexueller Belästigung) Schadensersatz (ohne Haftungshöchstgrenze) Entschädigung (immaterieller Schaden) es besteht ein besonderes Maßregelungsverbot
8. Welche Besonderheiten bestehen in der gerichtlichen Auseinandersetzung? Darlegungs- und Beweislast für AN für unterschiedliche Behandlung (Indizien) Darlegungs- und Beweislast für AN auch für Grund in Diskriminierungskriterium (Indizien) Entlastung muss dann durch den AG erfolgen (Vollbeweis)
Darlegung von (bloß) Indizien durch AN Entlastung durch AG im Vollbeweis
Indizwirkung des § 22 AGG BAG Urt. v. 07.07.2011 – 2 AZR 396/10 Indizwirkung ausgelöst, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist Gesamtbetrachtung aller vorgetragenen Tatsachen ist vorzunehmen
II. Merkmal: Behinderung
Symptomlose HIV-Infektion als Behinderung BAG Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12 symptomlose HIV-Infektion ist wegen Stigmatisierung und Vermeidungsverhalten Behinderung Kündigung in der Wartezeit aufgrund dieses Umstandes ist (selbst bei einem chemisch-technischen Assistenten in der Pharmaherstellung) trotz § 2 Abs. 4 AGG unwirksam
Information über eine Behinderung BAG Urt. v. 26.09.2013 – 8 AZR 650/12 nur eine dem Arbeitgeber bekannte Behinderung kann Indizwirkung nach § 22 AGG auslösen Information über das bestehen einer Behinderung muss (mit GdB-Angabe) ins Bewerbungsanschreiben (es sei denn, sie ist offenkundig) falls im Lebenslauf, Hervorhebung notwendig eingestreute oder unauffällige Hinweise sind keine ordnungsgemäße Information
Krankheitsbedingte Kündigung und fehlendes BEM BAG Urt. v. 28.04.2011 – 8 AZR 515/10 krankheitsbedingte Kündigung ist grundsätzlich kein Indiz für eine Diskriminierung wegen einer Behinderung auch nicht, wenn später zurückgenommen auch nicht, wenn BEM nicht durchgeführt wurde
Unterbliebene Information der SBV BAG Urt. v. 22.08.2013 – 8 AZR 574/12 Nichtbeteiligung der SBV im Bewerbungsverfahren kann Diskriminierung indizieren Pflicht entfällt auch nicht bei eigener Stellenbewerbung der SBV (keine Befangenheit)
Unterrichtung über Ablehnungsgründe BAG Urt. v. 21.02.2013 – 8 AZR 180/12 Nichtbeteiligung der SBV im Bewerbungsverfahren kann Diskriminierung indizieren gilt nicht bei Erfüllung der Beschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 SGB IX Bewerber muss die Nicht-Erfüllung der Quote darlegen
Verletzung der Förderpflicht nach § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX BAG Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 Verletzung der Förderpflicht nach § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX indiziert Diskriminierung wegen Behinderung auf Kenntnis vom Bestehen der Behinderung kommt es nicht an
Förderpflicht gilt nur bei Schwerbehinderung BAG Urt. v. 27.01.2011 – 8 AZR 580/09 Förderpflicht aus § 81 Abs. 1 SGB IX gilt nur bei Vorliegen einer Schwerbehinderung nach SGB IX keine Erstreckung auf „einfache“ Behinderung
Hereinnahme von Vorschlägen der AA Förderpflichten nach § 81 Abs. 1 SGB IX Prüfungspflicht, ob Arbeitsplatz schwerbehindertengeeignet unter Beteiligung SBV und BR (frühzeitiger) Kontakt und Einholung von Vorschlägen durch die Agentur für Arbeit Hereinnahme von Vorschlägen der AA
Unterrichtung von SBV und BR über Vorschläge und Bewerbungen Schwerbehinderter Erörterung der Entscheidung, wenn Beschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt und SBV oder BR nicht mit Entscheidung einverstanden; Bewerber wird dabei angehört unverzügliche Unterrichtung über getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe
III. Merkmal: Alter
Stellenausschreibung „Young Professionals“ BAG Urt. v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 Stellenausschreibung allein an Berufsanfänger oder Bewerber mit geringer Berufserfahrung („bis zu …“) indiziert Altersdiskriminierung Kausalzusammenhang für Benachteiligung ist schon dann gegeben, wenn Diskriminierungsmerkmal im Motivbündel für Ablehnung enthalten ist
Staffelung des Urlaubsanspruchs nach Alter BAG Urt. v. 20.03.2012 – 9 AZR 529/10 Staffelung des Urlaubsanspruchs nach Alter ist diskriminierend (hier: TVöD) Rechtsverletzung kann rückwirkend nur durch Mehrgewährung an alle Altersgruppen beseitigt werden
Altersgrenze 60. Lebensjahr bei Piloten BAG Urt. v. 15.02.2012 – 7 AZR 904/08 Altersgrenze 60. Lebensjahr bei Verkehrsflugzeug-piloten ist diskriminierend Regelung im MTV unwirksam
Einstellungshöchstalter bei Piloten BAG Urt. v. 08.12.2010 – 7 ABR 98/09 Einstellungshöchstalter 32. Lebensjahr bei Verkehrsflugzeugpiloten ist diskriminierend
Altersgrenze 65. Lebensjahr in Tarifvertrag BAG Urt. v. 21.09.2011 – 7 AZR 134/10 Altersgrenze 65. Lebensjahr in Tarifvertrag ist nicht diskriminierend, jedenfalls für Jahrgänge, die noch keine Ergänzungsmonate bis zum 67. Lebensjahr haben
Berücksichtigung des Alters in der Sozialauswahl BAG Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 Berücksichtigung des Alters in der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist nicht diskriminierend
Berücksichtigung des Alters in Sozialplänen (Bildung von Altersgruppen) BAG Urt. v. 12.04.2011 – 1 AZR 764/09 Berücksichtigung des Alters in Sozialplänen nach § 1 Abs. 3 KSchG ist nicht zwangsläufig diskriminierend
Alter keine generelle Beschwernis BAG Urt. v. 13.10.2009 – 9 AZR 722/08 Schutz vor altersbedingten Belastungen legitimes Ziel einer Dienstvereinbarung generelle Vermutung für altersbedingte Belastungen und Leistungsminderungen zweifelhaft
IV. Merkmal: Geschlecht
Kündigung bei Schwangerschaftsproblemen BAG Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 Kündigung einer Schwangeren zur Unzeit ist geschlechterspezifische Diskriminierung eine solche Kündigung kann trotz § 2 Abs. 4 KSchG Entschädigungsansprüche begründen auch: Befristungsablauf bei gleichzeitiger Übernahme nicht-Schwangerer Mitarbeiterinnen
Kündigung in Unkenntnis einer Schwangerschaft BAG Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 742/12 Unkenntnis des Diskriminierungsmerkmals schließt Ansprüche nach dem AGG aus „überdurchschnittlich gutes Examen“
„Gläserne Decke“ für Aufstieg von Frauen BAG Urt. v. 22.07.2010 – 8 AZR 1012/18 statistischer Beweis zulässig allein Verhältnis zwischen Frauen und Männern in bestimmter Hierarchieebene bildet kein Indiz für eine Diskriminierung maßgeblich, wie viele Frauen unterhalb „gläserner Decke“ angekommen sind „überdurchschnittlich gutes Examen“
V. Formalien und sonstige Fragen
Auskunftsanspruch eines Bewerbers BAG Urt. v. 25.04.2013 – 8 AZR 287/08 ein abgelehnter Bewerber hat keinen Anspruch auf Auskunft über eingestellte Bewerber Ablehnung der Auskunft kann nur unter sehr engen Voraussetzungen Indiz für Diskriminierung sein „überdurchschnittlich gutes Examen“
Falschauskunft begründet Indizwirkung BAG Urt. v. 21.06.2012 – 8 AZR 364/11 falsche, wechselnde oder widersprüchliche Auskünfte können Indizwirkung für Diskriminierung begründen statistischer Beweis ist dem AGG zugänglich Konsequenz: eher keine Auskunftserteilung über Ablehnungsgründe und Verfahren an Bewerber (Ausnahme: § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX) „überdurchschnittlich gutes Examen“
Objektive Ungeeignetheit eines Bewerbers BAG Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 997/12 eine objektive Ungeeignetheit eines Bewerbers schließt Ansprüche nach dem AGG aus keine Popularklage nach dem AGG möglich Konsequenz: Zurückhaltung bei der Annahme einer objektiven Ungeeignetheit „überdurchschnittlich gutes Examen“
Missverhältnis zwischen Qualifikation und Anforderung BAG Urt. v. 19.08.2010 – 8 AZR 446/09 ein die Diskriminierungsvermutung ausschließendes Missverhältnis zwischen Qualifikation und Anforderungsprofil muss krass sein Konsequenz: Zurückhaltung bei der Annahme einer objektiven Ungeeignetheit „überdurchschnittlich gutes Examen“
Nachteil bei der Auswahl ist bereits entgangene Chance BAG Urt. v. 23.08.2013 – 8 AZR 285/11 Aussortieren im Rahmen einer Vorauswahl ist bereits Benachteiligung wegen entgangener Chance wird durch nachfolgende Einstellung nicht geheilt wird nicht durch Abbruch des Auswahlverfahrens geheilt (niemand eingestellt) „überdurchschnittlich gutes Examen“
Bewerbung nach Stellenbesetzung BAG Urt. v. 19.08.2010 – 8 AZR 370/09 kein Entschädigungsanspruch bei Bewerbung erst nach Stellenbesetzung Ausnahme: Verfahren war bereits diskriminierend „überdurchschnittlich gutes Examen“
Bildung von Anforderungsprofilen in Ausschreibungen BAG Urt. v. 07.04.2011 – 8 AZR 679/09 Anforderungsprofile dürfen nur Merkmale enthalten, die regulär für die Stelle gefordert werden dürfen objektiver Maßstab entscheidet keine willkürliche Festlegung Konsequenz: Ausschreibung von Stellen allein anhand objektiv nachvollziehbarer Ausschreibungsmerkmale „überdurchschnittlich gutes Examen“
Irrige Annahme eines Diskriminierungsmerkmals BAG Urt. v. 20.06.2013 – 8 AZR 482/12 auch irrige Annahme eines Diskriminierungs-merkmals kann Entschädigungsansprüche begründen Sympathie für ein Land ist keine Weltanschauung Vertragsschluss darf einzig am Diskriminierungs-merkmal gescheitert sein „überdurchschnittlich gutes Examen“
Aufforderung zur Teilnahme an einem Deutschkurs BAG Urt. v. 22.06.2011 – 8 AZR 48/10 Aufforderung zur Teilnahme an Deutschkurs dann keine Diskriminierung, wenn Sprachkenntnisse unabdingbare Voraussetzung für Tätigkeitsausübung „überdurchschnittlich gutes Examen“
Fingierte Testbewerbung LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 09.04.2014 – 3 Sa 402/13 eine fiktive Bewerbung kann gegen Gesetze verstoßen allein Altersunterschied zwischen Bewerbern bildet kein Indiz für eine Diskriminierung wegen des Alters „überdurchschnittlich gutes Examen“
VI. Zusammenfassung
Zurückhaltung bei der Annahme einer objektiven Ungeeignetheit eher keine Auskunftserteilung über Ablehnungsgründe und Verfahren an Bewerber (Ausnahme: § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX) Ausschreibung von Stellen allein anhand objektiv nachvollziehbarer Ausschreibungsmerkmale strikte Einhaltung des Verfahrens nach § 81 Abs. 1 SGB IX „überdurchschnittlich gutes Examen“