Armut und Deprivation älterer Menschen: ein multidimensionaler Ansatz unter Einbezug sozialer Beziehungen Constanze Lejeune, DZA Peter Krause, DIW Berlin.

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 Präsentation transkript:

Armut und Deprivation älterer Menschen: ein multidimensionaler Ansatz unter Einbezug sozialer Beziehungen Constanze Lejeune, DZA Peter Krause, DIW Berlin Tagung Sozialkapital am 21. Juni 2014, Universität Hamburg Warum Armut im Alter? Altersarmut ist wieder verstärkt ein Thema der politischen und wissenschaftlichen Diskussion. Obwohl ältere Menschen auch heute noch unterdurchschnittlich von Armut betroffen sind (vgl. Vogel / Kühnemund 2014) ist mit einem Anstieg der Armutsgefährdung für Personen im Rentenbezug zu rechnen. Das zeigt sich vor allem daran, dass die geburtenstarken Jahrgänge (Babyboomer) erst noch in den Rentenbezug kommen und sich bei ihnen durch diskontinuierliche Erwerbsverläufe bereits jetzt ein erhöhtes Risiko zukünftiger Altersarmut abzeichnet (Simonson 2013; Simonson et al. 2012). Obwohl diese ressourcenbasierten Analysen wichtig sind, möchten wir den Blick auf Armut erweitern und weitere Dimensionen in die Analysen mit einbeziehen. Deshalb konzentrieren wir uns hier auf die sozialen Beziehungen und deren Auswirkungen auf eine multidimensionale Deprivationsmessung.

Aufbau Vortrag Theoretische Anknüpfung Operationalisierung Deskriptive Ergebnisse Multiple Deprivationsmessung Multiple Empirie Ausblick

Altersdeprivation: Soziale Beziehungen Soziale Beziehungen sind wichtig für Wohlergehen und Zufriedenheit (Tesch-Römer 2010, Petrich 2011) Mangel an sozialen Beziehungen ist Schlüsselindikator sozialer Exklusion älterer Menschen (Hills et al. 2002) Familien sind entscheidender Ort belastbarer sozialer Beziehungen (strong ties) (Allan 1999, Scharf et al 2001) Alte Menschen haben höheren Bedarf an sozialen und gesundheitlichen Hilfen (Renteneintritt, schlechtere physische Gesundheit) Risiken: geographische Distanz, wachsende Komplexität von Verwandtschaftsbeziehungen, Qualität der Beziehung (Ogg et al 2012) Demographische Veränderungen Anteil alter und hochaltriger Menschen steigt an Anteil Alleinlebender und Alleinsein steigt an (Engstler 2003) Isolation, Einsamkeit Warum sind soziale Beziehungen im Alter in Bezug auf Armut wichtig? Gerade alte und älter werdende Menschen sind auf soziale Beziehungen angewiesen, da beispielsweise durch den Renteneintritt informelle soziale Kontakte abnehmen. Die Beziehungen verändern sich, unterschiedliche Theorien finden dafür Erklärungen. Intergenerationale Solidarität: Solidarität in der Familie als asymmetrische Unterstützung, anhand verschiedener Dimensionen Sozialer Austausch: Rational choice theory Demographische Veränderungen: Mehr hochaltrige Familienmitglieder, kleinerer Anteil nachwachsender Generationen, Menschen leben länger Wandel in Lebensläufen, der Auswirkungen auf Bedeutung sozialer Beziehungen hat: Nachbarn,Freunde und Bekannte sind wichtige soziale Netzwerkpartner und ihre Relevanz wird in Zukunft ansteigen Anteil Alleinlebender Alter und Paaren ohne Kinder steigt an: Einpersonenhaushalte werden zum Regelfall im Alter (Engstler, Menning) 2/3 über 75jähriger Frauen leben alleine (DEAS Befund, 2003) Zeitbudgetstudien zeigen, dass ältere Menschen mehr Zeit alleine verbringen, sie haben weniger Sozialkontakte (Siehe auch sozioemotionale Selektivitätstheorie: Interaktionen nehmen ab, Netzwerke werden kleiner (vor allem periphäre Kontakte, enge Bezugspersonen bleiben), Lebenszufriedenheiten bleiben im Alter stabil) Soziale (kleines Netzwerk) und emotionale Isolation (Fehlen einer Vertrauensperson) Einsamkeit als subjektive Wahrnehmung, Anspruch und Wirklichkeit passen nicht zusammen; Einsamkeit ist immer negativ mit Folgen auf Sterblichkeit, Familienbeziehungen:Phase empty nest, Beziehung der Eltern verändert sich, beziehen sich wieder mehr auf sich selbst, Beziehungen zu Kindern verändern sich: Pflegebedarf durch Kinder, Geschwisterbeziehungen verändern sich Insgesamt zeigt sich, dass soziale Beziehungen oder ein Mangel an ihnen einen großen Unterschied in der Bewertung der Lebenssituation ausmachen und zudem ungleich verteilt sind. ?? Unsere Forschungsfrage: gibt es einen Zusammenhang zwischen Ressourcenarmut und „Beziehungsdeprivation“? an sozialen Beziehungen? Wie ist die Verteilung von Beziehungsdeprivation im Alter?

Theorie mehrdimensionaler Deprivation Lebenslagenansatz (Voges et al. 2003) Erweiterung des Armutskonzept Deprivation und Benachteiligung im Fokus Lebenslage als Ressource und tatsächlich erreichte Wohlfahrt (Doppelcharakter) Amartya Sen: Capability Approach (Sen 1993, 2000, Volkert 2005) „Capabilities“: Summe von Möglichkeiten „Functionings“: Güter und Aktivitäten, nötig zur individuellen Wohlfahrt Armut als Mangel an Capabilities, um gesellschaftlich gesetztes Maß an functionings zu erreichen Lebenslagenansatz in der gleichen Tradition wie der französische Exklusionsansatz: breitere Thematisierung von Armut, Deprivation und Benachteiligung, die nicht zwingend an Einkommen gekoppelt ist, werden in den Vordergrund gerückt. Ausgrenzungen vom Arbeitsmarkt, Mangel an Bildung, gesundheitliche Beeinträchtigungen und soziale Isolation lassen sich subsumieren. Es fehlt eine präzise begriffliche Definition. Im Vordergrund steht eine Kumulation von Deprivation, eine Spirale der Prekarität (paugam 1995) Lebenslagen werden als Handlungsspielräume definiert, Unterversorgung in bestimmten Bereichen als eine Einschränkung von Handlungsspielräumen. Da besteht die Verknüpfung zum Capability Approach von Sen. Capabilities werden als Summe von Möglichkeiten verstanden, über die ein Individuum verfügt, um bestimmte functionings, also Güter und Aktivitäten, die zur individuellen Wohlfahrt nötig sind, zu erreichen. Armut als Mangel an capabilities, um ein set von functionings zu erreichen, das als gesellschaftlicher Mindeststandard gelten kann. Capabilities sind empirisch quasi nicht messbar, der Deprivationsansatz bezieht sich fast ausschließlich auf functionings. Lebenslagen haben im Gegensatz dazu einen Doppelcharakter: sie sind Ressource und tatsächlich erreichte Wohlfahrt. Drei Schwierigkeiten bei der Operationalisierung von Lebenslagen: Auswahl der Dimensionen Schwellenwert der Unterversorgung Zusammenführung zu einer Gesamtbewertung

Sozialkapital: Fokus auf Netzwerke und Beziehungen Vertrauen in Institutionen Personen Normen & Werte z.B. Reziprozität Fairness Sozialkapital Netzwerkorientierte Ressourcen Familie Freunde Nachbarn Mitgliedschaften Eigene Darstellung in Anlehnung an Seifferth-Schmidt 2014

Operationalisierung 1 Datenbasis: SOEP 2001-2012, gepoolt, gewichtet Dimension Variablen Deprivationsschwelle Jahre Einkommen Monatseinkommen, real, ohne imputed rent 60 % Median 1984-2012   Vorjahreseinkommen, real, ohne imputed rent Vorjahreseinkommen, real, mit imputed rent Gesundheit Subjektive Zufriedenheit mit der Gesundheit 10 stufig (0-3) Momentane Gesundheitseinschätzung 5 stufig (schlecht 5) 1992, 1994-2012 subjektive Zufriedenheit mit der Gesundheit und Gesundheitseinschätzung 5 stufig (schlecht, eher schlecht)

Operationalisierung 2 sozkd1 Dimension Variablen Schwelle Label sozkd1 Beziehungsbewertung: Eltern, Kinder, Geschwister, Enkel keinen oder nur flüchtigen Kontakt Familiäre Netzwerke sozkd2 Kontakthäufigkeit Freunde und Verwandte seltener als 1 Mal pro Monat Kontakt Netzwerke Mithelfen bei Freunden und Verwandten seltener als 1 Mal pro Monat kein enger Freund kein Freund sozkd3 Mitgliedschaften oder Ehrenamt keine Mitgliedschaft, kein Ehrenamt Mitgliedschaf-ten sozkd4 Vertrauen in Menschen, Dinge oder Geld verleihen, Tür unversperrt lassen lehne voll ab, nie Vertrauen sozkd5 Reziprozität Eigeninteresse, nutzen aus Politikinteresse 7 (1-3) Summe ja kein Interesse Normen und Werte

Deskriptive Ergebnisse 1 Familiäre Beziehungen Netzwerke

Deskriptive Ergebnisse 2 Mitgliedschaften

: Multidimensional Poverty Measurement (MPI) [ Alkire, Sabina / Foster, James (2011a) ] The adjusted headcount ratio is given by   M0= HA=μ(g0(k)) can equivalently be expressed as the weighted average of headcount ratios for dimensions

MPI – Dual-Cutoff [ Alkire, Sabina / Foster, James (2011b) ]

Multiple Armutsmessung – Haushaltseinkommen HH-Einkommen im Monat HH-Einkommen im Vorjahr HH-Einkommen im Vorjahr + imputed Rent

Multiple Armutsmessung – Gesundheit Zufriedenheit mit Gesundheit Starke gesundheitliche Einschränkungen Gesundheitliche Beeinträchtigungen in 1+2

Sozialkapital (5) Einkommen (3) Gesundheit (3)

Fazit und Ausblick Inhaltlich Sozialkapital verändert sich über Altersgruppen Armut verändert sich über die Altersgruppen Die multiplen Risiken steigen auch an Fragen: Gewichtung der Dimension untereinander und der Indikatoren zueinander? Festlegung der Armutsschwellen? Wie bedeutsam ist Sozialkapital für das Ungleichheitswahrnehmung im Alter?

Vielen Dank!