Gewalt in der Partnerschaft – Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche Ein praxisnaher Überblick über den Wissensstand Ulrike Kreyssig Berliner Interventionszentrale.

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 Präsentation transkript:

Gewalt in der Partnerschaft – Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche Ein praxisnaher Überblick über den Wissensstand Ulrike Kreyssig Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt, BIG e.V.

Gewalt in der Partnerschaft Auswirkungen auf Kinder Erziehungskompetenz der Eltern Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern, die häusliche Gewalt miterleben

Wichtige Ergebnisse der Untersuchung zu „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ (Schröttle/Müller 2004, N=10.264) 25% der Frauen haben mindestens einmal mindestens eine Form der körperlichen und/oder sexuellen Gewalt durch einen Beziehungspartner erlebt Von diesen Frauen hat ein Drittel einmalig Gewalt erlebt, ein Drittel häufiger und ein weiteres Drittel hat in einem Misshandlungsverhältnis gelebt Weshalb sprechen wir in der Regel von Gewalt der Väter gegen die Mütter?

Gesundheitliche Folgen der Gewalt (Schröttle/Müller 2004, N=10.264) 64% der betroffenen Frauen erlitten Verletzungen wie Prellungen und Hämatome bis hin zu Brüchen, Würgemalen und Kopfwunden 59 % dieser Gruppe gaben an, dass die Verletzungen gravierender als Hämatome waren Der Anteil der Frauen, die mehr als 11 gesundheitliche Beschwerden angaben, waren bei Frauen mit Gewalterlebnissen doppelt so hoch wie bei Frauen ohne Gewalterlebnisse

Ergebnisse der sekundäranalytischen Auswertung Trennung oder Scheidung erhöhen deutlich die Gefahr, körperlich und/oder sexuell misshandelt zu werden In ca. zwei Dritteln der untersuchten Fälle ist schwerste Gewalt gegen Frauen mit einem erhöhten Alkoholkonsum des Täters verbunden. Bei einem Drittel spielt Alkohol keine Rolle Frauen unter 35 Jahren werden stärker und häufiger misshandelt, wenn beide Partner sich in einer schwierigen sozialen Lage befinden (kein eigenes Einkommen; fehlende Erwerbsarbeit; fehlende Schul- oder Berufsausbildung) Frauen über 45 Jahre sind vor allem dann von Gewalt betroffen, wenn sie über eine höhere Bildung verfügen; wenn sie in Bezug auf Bildung, Beruf und Einkommen dem Partner gleichwertig oder überlegen sind N = 2143 Frauen, die in der Hauptuntersuchung angegeben haben, mindestens einen körperlichen und/oder sex. Übergriff durch einen aktuellen und/oder früheren Beziehungspartner erlebt zu haben

Fast 70% der Frauen, die von schweren Misshandlungen betroffen sind, beziehen ein eigenes Einkommen, davon ca. ein Drittel mittlere bis hohe Einkommen Mehr als 60% der betroffenen Frauen haben einen mittleren oder hohen Schulabschluss und einen qualifizierten Beruf 38% verfügen über die höchsten Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse

Nur 3% der Männer, die ihre Frau schwer misshandeln, haben weder einen Schul- noch einen Ausbildungsabschluss 52% der Täter verfügen über niedrige bis mittlere Abschlüsse und 37% über die höchsten Bildungs- und Ausbildungsgrade Die Mehrheit der Gewalt ausübenden Männer ist berufstätig und 2/3 leben mit ihren Partnerinnen in Haushalten mit mittleren oder gehobenen Einkommen

Wichtige Ergebnisse der Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ (Forschungsteam Gewalt gegen Männer 2004, N=266) 25% nannten mindestens einen Akt der Aggression – darunter leichte und schwere Formen der Gewalt – durch eine Beziehungspartnerin 5 % der Männer wurden verletzt 5 % der Männer hatten Angst vor einer Verletzung Das heißt, Gewalt durch Frauen in Partnerschaften ist deutlich weniger verletzungsträchtig Männer nennen Gewalt in der Partnerschaft ebenso häufig wie Frauen. Allerdings sind dies keine repräsentativen Daten. Die Studie spricht von Aggressionen und es zeigt die Literatur, dass genauer untersucht werden muss, wann Frauen und wann Männer Übergriffe und Angriffe als Gewalt erleben

Zwei Formen der Gewalt in Paarbeziehungen „situational couple violence“ „intimate terrorism“ Michael P. Johnson (2005) Domestic Violence: It‘s Not About Gender – Or Is It? „Gewalt als spontanes Konfliktverhalten“ und „Gewalt als systematisches Kontrollverhalten“ (Gloor/Meier) Es geht um unterschiedliche Rahmenbedingungen und Bedeutungen von Gewalt in der Beziehung. Diese Unterscheidung liegt quer zur Frage der Häufigkeit und Schwere von Gewalthandlungen.

„ situational couple violence“ – Gewalt als spontanes Konfliktverhalten Nicht eingebettet in ein Muster von Macht und Kontrolle Gewalthandlungen in einzelnen eskalierten Konflikten oder Serien von Konflikten. In der Regel keine Eskalation nach dem Modell der Gewaltspirale. Gleichverteilung nach Geschlecht (ca. 50% männliche und 50% weibliche Täter/innen

„Intimate Terrorism“ – Gewalt als systematisches Kontrollverhalten Gewalt dient der Ausübung von Kontrolle und Beherrschung in der Partnerschaft Starke Verknüpfung mit frauenfeindlichen Einstellungen der Täter Häufig – aber nicht immer – eskalierende Gewaltspirale Geschlechtsspezifische Gewalt > 80% männliche Täter

Auswirkungen auf Kinder

Um welche Kinder geht es im Folgenden?! „Die Bezeichnung Kinder misshandelter Frauen bezieht sich auf Kinder, die wiederholt ernste emotionale oder physische Gewalthandlungen gegen ihre Mutter miterlebt haben, die von einem Beziehungspartner ausgingen.“ (Jaffe, Wolfe, Wilson 1990) Diese Definition gibt den aktuellen Forschungsstand wieder.

Zeugung durch Vergewaltigung Gewalt in der Schwangerschaft Mitbetroffenheit von Kindern durch häusliche Gewalt – was kann das heißen? Zeugung durch Vergewaltigung Gewalt in der Schwangerschaft Miterleben der Gewalt gegen die Mutter Misshandlung von Mutter und Kind Im Kontext von häuslicher Gewalt Kinder, die durch die Mutter misshandelt werden

Beteiligung der Kinder am Gewaltgeschehen (1)* Die Kinder… Haben die Situation angehört 57% Haben die Situation gesehen 50% Gerieten in die Auseinandersetzung mit hinein 21% Haben versucht, mich zu verteidigen oder zu schützen 25% Haben versucht, meinen Partner zu verteidigen 2% Wurden selber körperlich angegriffen 10% Haben nichts mitbekommen 23% Weiß nicht, ob die Kinder etwas mitbekommen haben 11% *Aussagen der befragten gewaltbetroffenen Mütter (Schröttle/Müller/Glammeier, 2004)

Beteiligung der Kinder am Gewaltgeschehen (2)* Von 150 Kindern wussten 99% (148) von der Gewalt in der Elternbeziehung In 99% war die Mutter der Kinder betroffen, in einem Fall der Vater Die Mehrheit der Kinder, 92%, hatte Gewaltsituationen mit angesehen, 4% der Kinder hatte gehört, was passierte und die Mehrheit der Kinder, 77%, hatte vor der Teilnahme an den Unterstützungsangeboten bereits Gewalt am eigenen Leibe erlebt. *Seith, Corinna/Kavemann, Barbara, Unterstützungsangebote für Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt, Evaluationsstudie des Aktionsprogramms Kinder als Opfer und Zeugen häuslicher Gewalt der LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2004-2006, August 2007, Stuttgart, Arbeitspapier der LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg

Überschneidungen von Gewaltformen (Deegener 2006) Kinder und Jugendliche, die von den Eltern misshandelt werden, haben mehr als doppelt so oft Gewalt zwischen den Eltern beobachtet Kinder, die von intensivem sexuellem Missbrauch betroffen sind, haben mehr als doppelt so oft Gewalt zwischen den Eltern beobachtet Kinder, die intensiven sexuellen Missbrauch erleben, werden mehrheitlich gleichzeitig misshandelt Wenn Kinder mit Gewalt zwischen den Eltern konfrontiert werden, wächst ihr Risiko, selbst misshandelt zu werden

Mittel- und langfristige Auswirkungen Miterleben von häuslicher Gewalt =durchschnittlich schwächere Auswirkungen als körperliche Misshandlung Stärkere Effekte als das Aufwachsen in Armut oder durch eine Scheidung der Eltern Vergleichbare Belastungen wie beim Aufwachsen mit einem oder zwei alkoholkranken Elternteilen (Kindler 2002)

Folgenschwere Beeinträchtigungen Die Entwicklung von Kindern kann zunehmend und langfristig beeinträchtig werden Es tritt keine „Gewöhnung“ ein, sondern eine Sensitivierung, so dass fortgesetztes Miterleben der Gewalt schwerere Schädigungen bewirkt

Weitere Belastungsfaktoren Bei Kindern, die in der frühen Kindheit bereits wiederholt Partnergewalt miterlebt haben, wurden Forschungen zufolge Veränderungen im Stresshormonsystem und in der Selbstregulation des autonomen Nervensystems nachgewiesen (El-sheikh et al. 2001; Saltzmann et al.2005 in Kindler: 2006, S. 44). Weitere Belastungsfaktoren kommen hinzu, wenn ein Elternteil alkoholabhängig oder psychisch erkrankt ist, was im Kontext gewaltgeprägter Beziehungen häufig der Fall ist

Das Miterleben von Partnergewalt kann Kinder auf zwei „Risikopfaden“ platzieren: Lern- und Konzentrationsfähigkeit werden beeinträchtigt, das bedeutet Defizite in der kognitiven Entwicklung = Beeinträchtigung des Schulerfolgs In Beziehungen zu Gleichaltrigen, in ersten Liebesbeziehungen und späteren eig. Partnerschaften stehen weniger konstruktive Konfliktlösungsmuster zur Verfügung und es existiert eine erhöhte Bereitschaft zum Einsatz oder zum Erdulden von Gewalt = Beeinträchtigung der Lebensqualität (vgl. Kindler, 2006)

„…,weil in der Schule hatte ich immer Bauchweh und so, und jetzt habe ich eigentlich nie Bauchweh, es geht mir jetzt eigentlich ganz gut in der Schule und ich fühle mich auch besser als früher… …da musste ich mich mitten in der Stunde immer erinnern an meinen Vater und an meine Mutter, immer so. Und jetzt passe ich mehr auf. Deswegen habe ich immer nicht so gute Noten gehabt.“ (Alexandra, 8 Jahre) *Seith, Corinna/Kavemann, Barbara, Unterstützungsangebote für Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt, Evaluationsstudie des Aktionsprogramms Kinder als Opfer und Zeugen häuslicher Gewalt der LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2004-2006, August 2007, Stuttgart, Arbeitspapier der LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg

Traumatisierungen können die Folge sein, wenn - das Ereignis so bedrohlich ist, dass Kinder sich völlig ausgeliefert fühlen- die primäre Bezugsperson als ernsthaft gefährdet erlebt wird- die Bewältigungsmechanismen des Kindes keine Lösung der Situation ermöglichen- →entsteht voraussichtlich eine posttraumatische Belastungsreaktion Wird danach der Schutz der bedrohten Person nicht gewährleistet und keine notwendige Hilfe dem Kind zur Bewältigung des Erlebten angeboten → posttraumatische Belastungsstörung Vgl. Kinderschutz und Kindeswohl bei elterlicher Partnerschaftsgewalt, Eine Handlungsorientierung für Jugendämter, Saarbrücken 2008, S. 28-31

Folgen für Säuglinge und Kleinkinder Kinder, die in den ersten Lebensjahren traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt ist, können eine Bindungsstörung entwickeln Aufgrund der Bedrohung oder Verletzung einer engen Bezugsperson wird bei (Klein-)Kindern nahezu durchgehend erheblicher Stress ausgelöst und können keine innere emotionale Sicherheit und Stabilität entstehen

„Die Schläge, die meine Mama bekam, spürte ich in meinem Bauch von einem hin und her Zerren ... das machte mich traurig, und [ich] bekam Angst. Mein Bauch hatte Angst, manchmal hatte er um meine Mama Angst, manchmal sogar hatte ich um meinen Vater Angst. Dass er nicht weiß, was er tut“ (Amela 12 Jahre alt)

Töchter und Söhne erleben die Gewalttaten Sie sind in 80 - 90% der Fälle anwesend oder im Nebenraum Sie sind häufig auf sich alleine gestellt, da beide Eltern von ihren Konflikten und Problemen absorbiert sind Sie haben Sorge um die jüngeren Geschwister Sie versuchen, besonders ältere Kinder, die Gewalt zu verhindern Sie erleben existenzielle Bedrohungen: Angst, dass Vater und Mutter sterben könnten; die Mutter ohne sie weggeht, Selbstmord begeht; wenn sie sich trennt, vom Vater umgebracht wird oder dass der Vater die Mutter, die Kinder und sich selbst tötet Sie sind isoliert, haben Druck, dass Familiengeheimnis vor anderen zu wahren Sie leiden unter Loyalitätskonflikten „Er hat sie dann auf den Boden geworfen, hat sich auf sie draufgesetzt und hat sie gewürgt und so. Die Mutter ist fast blau angelaufen. Ich bin auf dem Bett gesessen und habe ganz laut geschrieen: Hör auf! Und einmal habe ich ihn sogar geschlagen mit der Hand, aber nicht zu fest, weil fester habe ich mich nicht getraut, - so mit der Hand auf den Rücken, so: Hör auf Papa!“ (Daniela, heute 14 Jahre alt)

Gefährdung kleiner Kinder: Gewalt in Ehen und Beziehungen beginnt oft nach einer Eheschließung, nachdem ein Paar eine gemeinsame Wohnung bezogen hat und während einer Schwangerschaft bzw. nach der Geburt eines Kindes (Schröttle/Müller 2004) Misshandlungen sind intensiver und häufiger, wenn Frauen schwanger sind oder kleine Kinder haben. (Schröttle/Müller 2004) In Frauenhäusern werden bei (kleinen) Kindern eine Reduzierung der körperlichen Widerstandskräfte und eine hohe Belastung durch Erkältungs- oder andere Krankheiten gesehen. (Frauenhauskoordinierung 2004) Aber: Schwangerschaft und Geburt eines Kindes können bei entsprechender Unterstützung durch externe Hilfen auch eine Chance für die Beendigung der Gewalt bedeuten

Barrieren bei der Hilfesuche der Kinder: (Seith 2006, Kavemann 2008, Kavemann/Seith im Druck) Kinder und Jugendliche sind in Sorge, dass schlecht über die Familie gedacht wird, wenn sie nach außen gehen und Hilfe suchen. Die wichtigsten Ansprechpartner sind Familienangehörige, vor allem Geschwister und Großeltern und Freunde/Freundinnen. Lehrkräfte gelten eher nicht als vertrauenswürdig, wenn sie sich nicht entsprechend präsentieren. Das Unterstützungssystem ist nicht bekannt. Für Kinder aus zugewanderten Familien bestehen spezifische Loyalitätskonflikte.

Erziehungskompetenz der Eltern

Erziehungskompetenz der Mütter trotz eigener Belastung i.d.R. weitgehend tragfähiges Fürsorge- und Erziehungsverhalten Jedoch wenig Möglichkeiten, die Belastungen der Kinder aufzufangen und negative Entwicklungsdynamiken durchbrechen Frauen mit posttraumatische Belastungsstörungen können aggressive und ungeduldige Tendenzen gegenüber ihren Kindern zeigen Aufmerksamkeit gegenüber emotionalen Bedürfnissen der Kinder ist herabgesetzt. Wird die Gewalt jedoch beendet und erfährt die Mutter entsprechende fachliche Unterstützung, kann die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit häufig wieder ausgeglichen werden

Dilemmata von Müttern Misshandelte Mütter stehen vor der schwer lösbaren Aufgabe, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen und gleichzeitig mit ihren eigenen Bedürfnissen die Interessen und die Bedürfnisse ihrer Kinder zu beachten Trennen sich die Frauen vom misshandelnden Partner, sind sie dem Vorwurf ausgesetzt, den Kindern den Vater zu entziehen Trennen sie sich nicht, setzen sie ihre Kinder weiterhin der häuslichen Gewalt aus und werden häufig als Mütter wahrgenommen, die sich nicht um den Schutz und die Bedürfnisse der Kinder kümmern. Vgl. Kinder misshandelter Mütter-Handlungsorientierungen für die Praxis, Eckpunktepapier der Expertenkommission „Kinder misshandelter Mütter“ beim Landespräventionsrat Niedersachsen, S.7/8, Landespräventionsrat Niedersachsen, Hannover 2005,

Und die Väter? Männer/Väter, die gegenüber der Partnerin Gewalt ausüben häufig wenig tolerant eher autoritären Erziehungsstil – auch orientiert an Geschlechterklischees ausgeprägte Selbstbezogenheit Wenig Bindungstoleranz vgl. Kindler,2006

Betroffene Kinder sind nicht nur Kinder misshandelter Mütter, sondern auch misshandelnder Väter Stärkere Auseinandersetzung in allen Berufsgruppen Beteiligung der Jugendämter an der Entwicklung von Konzepten für täterorientierte Interventionsstrategien Konfrontation von gewalttätigen Vätern mit ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern (und der Partnerin) Arbeit an der Erziehungsfähigkeit und -kompetenz von (gewalttätigen) Vätern

Getrennte Diskussionen und Interventionskonzepte Schutz und Unterstützung von (überwiegend) Frauen bei Gewalt in der Partnerschaft Kinderschutz und Sicherung des Kindeswohls Umsetzung der Rechte von Vätern nach Trennung und Scheidung Folge: Kinder geraten häufig zwischen alle Stühle Seith/Corinna u. Kavemann/Barbara, Unterstützungsangebote für Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt, S.10, Evaluationsstudie des Aktionsprogramms der Landesstiftung Baden-Württemberg 2004-2006, Stuttgart 2007

Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern, die häusliche Gewalt miterleben

Den Blick richten auf… Partnergewalt als erheblicher Belastungsfaktor muss stärker in Maßnahmen und Unterstützungsangebote, v.a. auch in die „Frühen Hilfen“ einbezogen werden Besondere Beachtung muss die Gruppe von Kindern finden, die mehreren Belastungsfaktoren, wie z.B. eigener Misshandlung, Alkoholkonsum eines Elternteils ausgesetzt sind Es sollte möglichst frühzeitig interveniert und die Gewalt in der Partnerschaft der Eltern beendet werden, um weiteren Beeinträchtigungen der Kinder vorzubeugen

Konkrete Anforderungen an Unterstützung Kinder brauchen nach Aufdeckung der Situation eine rasche und offensive Intervention und leicht zugängliche Unterstützungsangebote Sie brauchen die Wiederherstellung von Sicherheit und das Wissen, dass für die Sicherheit der Mutter gesorgt wird Sie müssen von Schuldgefühlen entlastet werden und Gelegenheit haben, ihre Interessen und Bedürfnisse zu äußern Sie müssen persönlich und direkt angesprochen und gehört werden Sie haben das Recht, über ihre Situation informiert zu werden

Kooperation weist den Weg aus der Gewalt Niemand alleine – keine Person und keine Institution – kann Gewalt in der Partnerschaft der Eltern ……. erkennen, schützend eingreifen, fachlich kompetent und jeweils parteilich unterstützen, altersgerechte und geschlechtsspezifische Angebote machen, Loyalitätskonflikte und Abhängigkeiten bearbeiten, entgegenstehende Interessen abklären und Lösungen finden, entgegenstehende Rechtsansprüche abklären und Lösungen finden, Wiederholung von Gewalt vorbeugen Kooperation weist den Weg aus der Gewalt

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!