Strahlenwirkung im niedrigen Dosisbereich: Was wir wissen, was wir nicht wissen Wolfgang-Ulrich Müller Institut für Medizinische Strahlenbiologie Universitätsklinikum Essen
Strahlenrisiken Schwerpunkte: Zelltod und Tumorentstehung
Stochastische und deterministische Effekte Vermutlich keine Schwellendosis Schwellendosis; beachten: Einblendung der Hinweise auf Schwellendosis 100 mSv Schwellendosis mit Sicherheit vorhanden
Ausmaß des strahleninduzierten pränatalen Tumorrisikos Signifikante Erhöhung ab 10 mGy! Verdoppelung des Risikos durch 30 mGy! Aber: Eine Verdoppelung des Risikos bedeutet, dass statt 5 Fällen pro 100.000 Kindern pro Jahr 10 Fälle auftreten.
Beobachtete Todesfälle Strahleninduzierte Todesfälle Strahleninduzierte Todesfälle durch solide Tumoren und Leukämien in Hiroshima und Nagasaki (1950-2000) Beobachtete Todesfälle Erwartete Todesfälle Strahleninduzierte Todesfälle Solide Tumoren 10.127 (von 86.611) 9.647 479 Leukämien 296 (von 86.955) 203 93 Summe 572 Durchschnittliche Dosis: ca. 200 mSv (Quelle: Preston et al., Rad.Res. 162 (2004) 377)
Zunahme der Tumortodesfälle durch locker ionisierende Strahlung 10% pro Gy UNSCEAR: Grund: DDREF = 2 (Dosis-Dosisleistungs-Reduktionsfaktor) 5% pro Gy ICRP:
Extrapolation in den niedrigen Dosisbereich Adaptive response Anzahl benötigter Mutationen Apoptose Bystander Effekt Genetische Prädisposition Genomische Instabilität Immunabwehr Reparatur Reparatursysteme inaktiv?
Treffer pro Zelle Hohe Dosis Niedrige Dosis X X X X X X X X X X X X X X = Treffer
Adaptive Response 1 Gy X X X X 1 Gy 0,005 Gy X X
Adaptive Response (Beispiel) Aberrationen/1000 Zellen 100 1 Gy 0,05+1 Gy Kontrolle 0,05 Gy
Apoptose Apoptose = „Unauffälliges“ Sterben von Zellen auf Grund eines zelleigenen Selbstzerstörungs-Programms „Abschreckungsfolie“
Bystander-Effekt X X Medium-transfer X X X X X X X
Bystander-Effekt: Transformation und Apoptose Dosis Transformation Bystander-Effekt Apoptose (in den vom Bystander- Effekt betroffenen Zellen) Falls Apoptose genau die Zellen betrifft, die zusätzlich transformiert sind, dann gilt weiterhin die lineare Extrapolation. Tumorrisiko
Bystander-Effekt und Adaptive Response 10% der Zellen getroffen 0,1 Gy+ 10% der Zellen getroffen Zhou, Randers-Pehrson, Hall, Hei 2001
Genetische Prädisposition
Genomische Instabilität
Rolle der Immunabwehr!? „spontan“: nach Strahlung (ohne gesteigerten Einfluss der Immunabwehr): zusätzliche durch Strahlung induzierte Tumorzelle nach Strahlung (mit gesteigertem Einfluss der Immunabwehr): durch gesteigerte Immunabwehr zerstörte Tumorzelle Normalzelle Tumorzelle tote Tumorzelle
Bedeutung der DNA-Reparatur Allein durch die Hintergrund-strahlenexposition wird pro Jahr im Mittel ein Schaden an der DNA in jeder Zelle unseres Körpers hervorgerufen!
Röntgenstrahlen schädigen Erbgut mehr als gedacht Meldung vom 1. April 2003 Homburg/Saar - Eine Röntgenaufnahme beim Zahnarzt oder im Krankenhaus schädigt das Erbgut stärker als bisher vermutet, schreiben die Homburger Forscher Kai Rothkamm und Markus Löbrich im amerikanischen Fachmagazin "PNAS". Kein Aprilscherz
Nachweis von DNA-Doppelstrang-brüchen über Histonphosphorylierung Histone
-H2AX-Foci (Foto: Dr. Andrea Kinner)
DSB-Reparatur nach niedrigen Strahlendosen ! Quelle: Rothkamm, Löbrich | PNAS | April 29, 2003 | vol. 100 | 5057-5062 Hintergrund Wichtig: Zum Schluss anmerken, dass es Hinweise gibt, dass die Zellen mit noch vorhandenen Foci nach einigen Tagen in die Apoptose gehen.
CT und -H2AX Dosis: ca. 20 mSv (Quelle: Löbrich et al.; PNAS 102 (2005) 8984-8989)
Warum es manchmal sinnvoll sein kann, nicht zu reparieren! Fehlerhafte Reparatur Tumor Apoptose Zellneubildung
Eine eindringliche Warnung: Man hüte sich davor, einen Mechanismus isoliert zu betrachten und daraus Strahlenrisiken abzuleiten!
Was wir wissen: Deterministische Effekte kommen im niedrigen Dosisbereich (bis etwa 500 mSv) nicht vor. Dosen oberhalb von 100 mSv (Erwachsene) bzw. 10 mSv (Fetus) führen nachweislich zu einer Erhöhung des Tumorrisikos. Rein epidemiologische Analysen werden nicht zu wesentlich mehr Erkenntnissen führen. Dosen im Bereich einiger mSv können Doppelstrangbrüche und chromosomale Aberrationen auslösen.
Was wir nicht wissen: Wie hoch ist das Tumorrisiko unterhalb von etwa 100 mSv (Erwachsene) bzw. 10 mSv (Fetus)? Welche Bedeutung hat der Nachweis, dass Dosen im Bereich einiger mSv chromosomale Aberrationen auslösen? Zu welchem Ergebnis führt die Summe aller bekannten molekularen Mechanismen? Kennen wir bereits alle relevanten molekularen Mechanismen?
Was wir vor allem nicht wissen: Wir wissen nicht, wer einen Tumor nach Strahlenexposition entwickeln wird!