Begriff und Geschichte Rhetorik Begriff und Geschichte
Demosthenes
Inhalt Rhetorik – Begriff Rhetorik als Wissenschaft Systeme der Rhetorik Antike Rhetorik Entwicklung der Rhetorik bis heute
Rhetorik Rhetorik ist ein zusammenfassender Begriff für die Theorie und Praxis der menschlichen Beredsamkeit in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten, ob sie in mündlicher, schriftlicher oder durch die technischen Medien (Film, Fernsehen, Internet) vermittelter Form auftritt.
Rhetorik - Begriffserklärung Griechisch für Redekunst Kunst der freien und/oder öffentlichen Rede Erforscht die Möglichkeiten und stellt die Mittel bereit zur Identifikation zwischen Redner und Zuhörer Identifikation = Herstellung einer Gemeinsamkeit ermöglicht als Basis eine subjektive Meinung allgemein zu machen (Persuasion)
Rhetorik Die Rhetorik begreift die Redefähigkeit als eine Naturanlage des Menschen (natura), die durch Kunst und Wissen (ars und doctrina) sowie durch Erfahrung und Übung (exercitatio) vervollkommnet werden kann.
Begriffsabgrenzung Praxis gegenüber Theorie Rhetorik war immer Kunstlehre und Kunstübung zugleich rhetorica' oder 'rhetorica docens' als Bezeichnung für die Theorie ('Redekunst') 'oratoria', 'eloquentia' oder 'rhetorica utens' für die Praxis ('Beredsamkeit') Heute sind die Begriffe 'Allgemeine Rhetorik' und 'Angewandte Rhetorik' geprägt
Rhetorik als Wissenschaft Erfahrungswissenschaft Beruht auf kontrollierter und empirisch nachweisbarer Beobachtung rhetorischer Sprechakte Allgemeine Rhetorik versucht die Geltung der aus ihr gewonnenen Erkenntnisse zu sichern Angewandte Rhetorik widmet sich der Ausbildung, Übung und Vervollkommnung wirkungsorientierten Sprechens und Verhaltens Nutzt System der allgemeine Rhetorik
System der Rhetorik Produktionsstadien einer Rede Redegattungen Redeteile Wirkungsweisen einer Rede Monolog und Dialog
Produktionsstadien einer Rede Fünf Schritte von der Idee bis zum Vortrag (officia oratoris bzw. rhetorices partes ): inventio (das Auffinden der Gedanken) Topik (System von Suchkategorien)
Topik Findekunst, die es erleichtern soll, auf die richtigen Gedanken zu kommen Kunst des systematischen Fragens 'heuristischer Charakter', denn sie gibt »Anweisungen zum erfolgreichen Auffinden von Argumenten« Topi = Örter, wo die Argumente zu finden sind Verschiedene Klassifizierungen z.B. nach: Quintilian (Personen- und Sachaspekte) Aristoteles (Deduktion und Induktion)
Produktionsstadien einer Rede Fünf Schritte von der Idee bis zum Vortrag (officia oratoris bzw. rhetorices partes ): inventio (das Auffinden der Gedanken) Topik (System von Suchkategorien) dispositio (das Anordnen der Gedanken, Gliederung) elocutio (Einkleidung der Gedanken in Worte) Tropen Figuren Dreistillehre memoria (Einprägen der Rede) pronuntiatio / actio (Vortrag, stimmliche, mimische und gestische Mittel)
Redegattungen Seit Aristoteles drei Redegattungen: Gerichtsrede (vergangenheitsorientiert) Beratungsrede; politische Entscheidungsrede (zukunftsorientiert) Lob- und Festrede (Publikum bleibt passiv)
Redeteile Einleitung: Der Redner versucht, das Wohlwollen des Publikums zu erlangen und seine Aufmerksamkeit sicherzustellen. Erzählung: Darauf folgt eine Schilderung des Sachverhaltes, um den es geht; bei der Gerichtsrede wird hier der Fall erzählt. Beweisführung: Der eigentlich argumentierende Teil der Rede, in dem der Redner für die Glaubwürdigkeit seiner Sache argumentiert. Kann auch die Widerlegung der gegnerischen Argumente umfassen. Redeschluss: Hier kann z.B. noch einmal an die Emotionen des Publikums appelliert werden.
Wirkungsweisen einer Rede Die Dreistillehre unterscheidet die Wirkungsweisen der Rede: docere et probare (belehren, argumentieren) (genus subtile) d.h. schlichter Stil conciliare et delectare (gewinnen, erfreuen) (genus medium) d.h. mittlerer Stil flectere et movere (rühren, bewegen) (genus sublime) d.h. hoher Stil
Monolog und Dialog Monolog: Nutzung der verschiedenen rhetorischen Figuren, Thesen, Prämissen und Argumenten Das Argument steigert die These durch eine gezielte Konklusion, mit der der Redner sein Gegenüber zu überzeugen sucht Erzeugung von Spannung im Publikum durch Anordnung der rhetorischen Elemente
Monolog und Dialog Dialog: Interaktion von besonderer Bedeutung Reaktion auf verbalen und nonverbalen Handlungen des Gegenübers Sind nonverbale und verbale Aussage unstimmig, spricht man von Inkongruenz Vor allem auf Wirkung orientiert
Entstehung der Rhetorik Rhetorik erscheint zum ersten Mal Mitte des 5. Jh. v. Chr. nach dem Sturz der Tyrannei auf Sizilien Die ersten Texte stammen von Korax und Teisias und sollten Regeln für Gerichtsreden formulieren Bald darauf kommen zwei weitere Arten hinzu: Die politische Rede und die epideiktische Rede Sophisten beginnen in der Folge Rhetorik zu lehren. Daneben befassen sie sich zusätzlich mit Grammatik, Logik, Ethik und Literaturkritik
Merkmale sophistischer Rhetorik Es existieren keine allgemeingültigen Normen (Erkenntnis aus ihren Wanderreisen) Der Mensch als Mass aller Dinge Eigennutzen steht im Vordergrund Wie etwas gesagt wird, ist wichtiger als der Inhalt Rhetorik, so meinten sie, sei die Kunst, auch über Dinge, von denen man keine Ahnung habe, überzeugender zu reden als ein Experte auf diesem Gebiet, der keine rhetorischen Fähigkeiten besässe.
Bekannte Sophisten Protagoras (484 – 415 v. Chr.), erster Sophist Gorgias von Leontinoi (480 – 380 v. Chr.), erste Sophistengeneration, einer der erfolgreichsten Rhetoren seiner Zeit, eignet sich die sizilische Rhetorik, die politische, beratende bei Korax, die gerichtliche des Teisias, an Hippias von Elis (um 470 v. Chr.), Verfasser von "Schau"-Reden, Sophist der zweiten Generation Prodikos von Keos (470 – 399 v. Chr.), Sophist der zweiten Generation, Begründer der Synonymik, der "Richtigkeit der Wörter„ Zoilos aus Amphipolis, Sophist und Homerkritiker
Merkmale philosophischer Rhetorik Vernunft als Mittel zu einem neuen, unwiderlegbaren Wertesystem Die Zuhörer sollen von der Wahrheit überzeugt werden und nicht nur vom Rhetor „überredet“. Interesse der Gemeinschaft wichtiger als Eigeninteresse
Bekannte griechische Philosophen Sokrates (470-399 v. Chr.) „Die Wahrheit haben sie eigentlich überhaupt nicht gesagt.“ „Von mir aber bekommt ihr jetzt die ganze Wahrheit zu hören, nicht, beim Zeus, mit schönrednerischen Worten…“
Bekannte griechische Philosophen Platon (427-347 v. Chr.) „Die Rhetorik ist eine Art Seelenleitung durch Worte.“
Bekannte griechische Philosophen Aristoteles (384-322) „Die Rhetorik ist das Vermögen, bei jedem Gegenstand das Überzeugende zu erkennen.“
Berühmte attische Redner Lysias (444 – 380 v. Chr.), Seine rhetorische Ausbildung erhält er bei Teisias Isokrates (436 – 338 v. Chr.), Logograph, Gründer einer Rhetorenschule, Prototyp des Humanisten Demosthenes (384 – 322 v. Chr.), berühmtester griechischer Redner, Logograph Aischines (um 200 v. Chr.), Vertreter der Athenischen Schule des Neoplatonismus
Nach dem Ende der Demokratie Bedeutung geht zurück Vor allem noch in der Verwaltung und vor Gericht im Einsatz Wird zum Bestandteil der Allgemeinbildung des Mittelstandes und zum Träger der griechischen Kultur
Rhetorik im Römischen Reich Als Rom zur Weltmacht aufsteigt, kommt es in Berührung mit der griechischen Kultur Oberschicht war des Griechischen mächtig, also bestanden keine Sprachbarrieren Trotz Widerstand konnte sich die Rhetorik in Rom durchsetzen, was ca. 100 v. Chr. zur Eröffnung der ersten lateinischen Rhetorikschule führte Bald war eine rhetorische Bildung unumgänglich für eine politische bzw. juristische Karriere in Rom
Bekanntester römischer Rhetor Cicero (106-43 v Chr.) schrieb „De oratore“ Perfektionierte die Rhetorik Konnte sophistische Ansätze mit philosophischen verbinden und so beide Vorteile nutzen. Seine Rhetorik war somit moralisch und praktisch zugleich Fordert einen „oratorus perfectus“, d.h. der Redner soll über ein möglichst breites Wissen verfügen Er selbst sah Gaius Graccus als den grössten Redner aller Zeiten an
Rhetorik in der röm. Kaiserzeit Rhetorik wurde unpolitisch Bedeutung ging zurück Themen wurden wirklichkeitsfremd, so dass einige von ihnen sogar später in mittelalterlichen Geschichtensammlungen auftauchten Die Rhetorik war eher zu der Lehre von kunstvoll geformter Prosa geworden als noch eine Lehre der wirklich praktisch anwendbaren Rede Trotzdem zahlte sich die Ausbildung aus: War anerkannter in der Verwaltung als eine Juristenausbildung
Moderne Rhetorik
Christliches Mittelalter Kritische Haltung der ersten Christen: Rhetorik verschleiert die Wahrheit Gottes Nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion muss der Glaube der breiten Masse schmackhaft gemacht werden. Bibelauslegung und Predigtlehre Bedeutung der Rhetorik in der Schulbildung nimmt ab, da es kein Betätigungsfeld gibt. (Gerichtsverfahren, politische Abhandlungen fehlen)
Renaissance (je nach Land 16. Bis 18. Jh.) Wiedergeburt der Antike. Auch die antiken Quellen der Rhetorik werden neu belebt. Cicero wird zum Ideal: Die Rede hängt von der Glaubwürdigkeit des Redners ab Beherrschung von Schul- und Universitätsbetrieb, Literatur und gesellschaftlichem Leben, Kirche und Theologie. Studium der Original-Schriften ist Pflicht Dichtung ist für Menschen gemacht und muss wirken: Auf den Geist und auf die Gefühle
Barock (17. Jahrhundert) In der Ständegesellschaft des Absolutismus herrscht Zucht und Ordnung Öffentliche Reden sind nur möglich in Form von Prunk- und Festreden, Leichenreden... Die Rhetorik zieht sich auf die Poesie zurück Der Stil der gelehrten Poeten ist üppig und prunkvoll
Aufklärung (18. Jahrhundert) Definition: Zeitalter der Ablösung der weltlichen Macht der Kirche Abkehr von der absolutistischen Staatsauffassung Die Bewegung trat für ein vernunftgemäßes Denken ein. Ein aufgeklärter Mensch ist vernünftig, mündig und sich selbst bestimmend. Naturwissenschaftlich orientierter Wahrheitsbegriff
Rhetorischer Paradigmenwechsel Rhetorik soll zur klaren Erkenntnis und Einsicht des Menschen führen Überzeugung mit sachlichen Gründen, nicht Überredung mit Gemütserregung Vom Redner wird Transparenz und Deutlichkeit verlangt Kritik dann, wenn Rhetorik als Quelle von Irrtümern und Dunkelheit angesehen wird (Descartes 1569 – 1650)
Abgelehnt wird: rhetorischer Schmuck und poetische Bildlichkeit metaphern- und figurenreiche pathetische Redeweise Übertreibung und Raffinesse Kultiviert wird: sachlicher, natürlicher, klarer Ausdruck der Gedanken In der Praxis: Entstehung einer mittleren, schlichten Stilart (genus mediocre) Neuer Zwang eines engen Regelwerks
Kritik an den starren Regeln der Rhetorik Zeit von „Sturm und Drang“: Eine junge Generation von Schriftstellern richtet sich gegen Autorität und Tradition im politischen Leben. (Goethe) Bedürfnis nach individuellem, subjektivem Ausdruck Reden sollen überzeugend wirken, weil sie aus dem Inneren der Seele fliessen, und nicht, weil eine Technik angewandt wurde. Überwindung der Vernunftherrschaft und eine Entfesslung der Gefühle und der Fantasie
Weitere Tendenzen der Rhetorik Nationalisierung der europäischen Kultur: Entwicklung einer muttersprachlichen Rhetorik in vielen Ländern Briefkunst als eigenständige rhetorische Gattung Wissen und Erkenntnis über den engen Kreis der Gelehrten hinaus verbreiten und ein bürgerliches Publikum bilden Erstes Parlament in England: Hochburg der politischen Rhetorik
Einfluss der Französischen Revolution (1789 – 1799) Mit dem Untergang des „Ancien Régime“ geht auch die Rhetorik als Wissenschaft und Weltbild unter Gewinnt teilweise neue politische Dimension als politische Beredsamkeit Entwicklung einer kritischen bürgerlichen Publizistik Revolutionäre gesellschaftskritische Schriften verbreiten sich über Europa
Romantik (1795 bis 1848) Definition: Der Romantiker geht aus von einer Spaltung der Welt in Vernunft und Gefühl. Sehnsucht nach der Zusammenführung von Gegensätzen zu einem harmonischen Ganzen. Das Ziel der romantischen „enthusiastischen“ Rhetorik ist emotionale Wirkung: Bezauberung, Beeinflussung des Willens, Gefühlserschütterung, Rührung... „Die Freiheit durch Rhetorik und das sollte wohl die einzige Bestimmung der Rhetorik sein“ (Schlegel) Die Rhetorik verkommt zu einem praktischen Hilfsmittel
Von der Wissenschaft zur Praxis Entstehung des mündlichen Gerichtsverfahrens: Juristische Beredsamkeit Rhetorik verliert ihren wissenschaftlichen Einfluss, Lehrstühle verschwinden Die Predigt wird zu einem gesellschaftlich-geselligen Ereignis Ausschaltung aus der akademischen Ausbildung fördert die Entstehung einer manipulierbaren Öffentlichkeit.
3. Reich Gemäss der „Psychologie der Massen“ (Gustave le Bon 1895) lässt sich die Masse willig lenken, weil die Vernunft in der Anonymität verschwindet. Die Masse ist für die Logik nicht empfänglich Behauptungen lassen sich durch schlüssige Beweise nicht belegen, sondern nur durch ständiges Wiederholen. Theorie-Reste übernimmt man aus der Vergangenheit, soweit sie für die politische Propaganda und Manipulation der Massen verwertbar scheinen.
Merkmale der Sprache Hitlers und Goebbels Superlativsucht und Übertreibungen Euphemismen (beschönigende, verhüllende oder verschleiernde Darstellung) Wendungen, die der religiösen Sphäre entlehnt wurden Erzeugung eines „Wir“-Gefühls (Freund-Feind-Schema) Verallgemeinerungen und Verknüpfung von Dingen, die nur oberflächlich etwas miteinander zu tun haben.
Neue rhetorische Theorien aus den USA Werbung und Propaganda machen die Manipulation sichtbar Der Aufstieg totalitärer Staaten in Europa Entwicklung der Rundfunk-Kommunikation in den 20er Jahren Zunehmende Demokratisierung und das damit verbundene Mitspracherecht der Bürger Entwicklung der modernen Psychologie
Akademische Bedeutung Die Vielfalt der Rhetorik-Theorien wird unübersichtlich Psychologische, soziologische oder linguistische Erkenntnisse fliessen ein Im deutschen Raum eher unterentwickelt Populär-Rhetorik (Verkäuferschulung...) Reduktion (5-Punkte-Formel) Einprägsame Sätze und Regeln (AIDA-Formel) Checklisten, Zitatensammlungen
Quellen de.wikipedia.org: „Rhetorik“ http://www.uni-tuebingen.de „Eine Einführung in die Theorie und Geschichte der Rhetorik von Gert Ueding „ www.rhetorik-homepage.de „Rhetrotik-Lehrbuch“
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