Jung, dynamisch, Nichtwähler? Der Einfluß von Lebensalter und Kohortenzugehörigkeit auf die Wahlbereitschaft Kai Arzheimer, Institut für Politikwissenschaft
Jugend und Politik „In vielen Gesprächen mit jungen Menschen ... wird die mangelnde Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im öffentlichen Leben von der jungen Generation wie folgt begründet: Die Schalthebel der Macht seien mit zuvielen alten Politikern besetzt [und] ... die gegenwärtige Parteienpolitik habe noch nicht den der Jugend gemäßen Stil gefunden“ Ernst Hessenauer 1961 [1957]
Wahlbeteiligung Jugend vs. mittleres Alter Quelle: Repräsentative Wahlstatistik (Jesse 1987, 2003)
Jugend und Politik (2) „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Aristoteles
Fragestellung In welchem Umfang wird die Wahlbereitschaft durch Alters- und Kohorteneffekte beeinflußt? Welches ist die inhaltliche Bedeutung dieser Effekte?
Warum sollte es zu Alters- / Kohorteneffekten kommen? motivierende Faktoren instrumentelle Motive expressive Motive evaluative / normative Überlegungen habituelle Verhaltensmuster erleichternde Faktoren reduzieren Kosten der Wahlbeteiligung beide Faktorenbündel werden von Alter und Kohortenzugehörigkeit beeinflußt
Einfluß: Lebensalter politisches Interesse steigt mit zunehmendem Lebensalter, um dann wieder abzusinken
Politisches Interesse und Lebensalter Quelle: ALLBUS 80-02 (non-parametrische Glättung, bw=0,8)
Einfluß: Lebensalter politisches Interesse steigt mit zunehmendem Lebensalter, um dann wieder abzusinken Ähnliches Muster bei Integration in das unmittelbare soziale Umfeld (erfaßt über Einpersonenhaushalt)
Soziale Integration und Lebensalter Quelle: ALLBUS 80-02 (non-parametrische Glättung, bw=0,8)
Einfluß: Lebensalter politisches Interesse steigt mit zunehmendem Lebensalter, um dann wieder abzusinken Ähnliches Muster bei Integration in das unmittelbare soziale Umfeld (erfaßt über Einpersonenhaushalt) Habitualisierung (Herausbildung Parteiidentifikation)
Einfluß: Kohortenzugehörigkeit Kompositionseffekte vor allem formale Bildung evtl. Parteibindungen Sozialisationseffekte Postmaterialismus Pflicht- und Akzeptanzwerte, Wahlnorm
Theoretische Erwartungen negativer Alterseffekt (soziale Integration, politisches Interesse) positiver Generationeneffekt (formale Bildung) negativer Generationeneffekt (Werte und Normen) Abschwächung / Veränderung durch Kontrollvariablen
Analysestrategie
Analysestrategie
Datenbasis/Operationalisierung (westdeutsche) ALLBUS-Daten, 1980-2002 ca. 32.000 Fälle, 13 Erhebungswellen (ZA Nr. 1795, 3700) deckt Zeitraum seit Beginn der jüngsten Verdrossenheitsdebatte ab Verzicht auf Ostdeutschland wg. Länge der Zeitreihe Wahlbeteiligung: Sonntagsfrage Nach Abzug von „weiß nicht“, „nicht wahlberechtigt“ etc. ca. 25.000 Fälle Anteil der Nichtwähler unterschätzt (ca. 7%) vermutlich nicht repräsentativ für alle Nichtwähler
Modell 1 Reines APK-Modell Problem: Perfekte Multikollinearität Restriktionen für Effekte (z.B. Periodeneffekte auf null setzen)
Wahlbeteiligung / Wahlbeteiligungsabsicht
Modell 1 Reines APK-Modell Problem: Perfekte Multikollinearität Restriktionen für Effekte (z.B. Periodeneffekte auf null setzen) Modellierung des Periodeneffektes durch Wahljahr Institutseffekte Kohorten eigentlich interessant: Sozialisationserfahrung relativ große Geburtskohorten in Anlehnung an Fogt, älteste Kohorte als Referenz Alter eigentlich interessant: persönliche / politische Erfahrungen kategorisiert: 18-24, 25-29, 30-34, 35-39 (Referenz), 70++
Modell 2 Modell 1 ergänzt durch politisches Interesse Normen und Werte (Inglehart, dreistufig) soziale Integration (Einpersonenhaushalt) formale Bildung (dreistufig) Geschlecht (als zusätzliche Kontrolle) keine Indikatoren für PI habitualisiertes Wahlverhalten
Ergebnisse (1) Periodeneffekte signifikante für Wahljahr, Getas, Infas (Referenz: Infratest) geringe substantielle Bedeutung (1) Periode GETAS 0,240** (0,080) IPSOS 0,115 (0,073) INFAS 0,336** (0,090) Wahljahr 0,283** (0,058)
Ergebnisse (1) Wahljahr Institut nein ja Infratest 94 95 IPSOS 96 GETAS INFAS (zwischen 1935 und 1945, zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 45 und 49 Jahre alt)
Ergebnisse (1) Periodeneffekte Alterseffekte signifikante für Wahljahr, Getas, Infas (Referenz: Infratest) geringe substantielle Bedeutung Alterseffekte keine signifikanten Effekte für die drei jüngsten Altersgruppen deutlicher Rückgang ab 50
Ergebnisse (1) Periodeneffekte Alterseffekte Kohorteneffekte signifikante für Wahljahr, Getas, Infas (Referenz: Infratest) geringe substantielle Bedeutung Alterseffekte keine signifikanten Effekte für die drei jüngsten Altersgruppen deutlicher Rückgang ab 50 Kohorteneffekte jüngere Generationen weniger wahlfreudig Effekt bereits bei den zwischen 1935-45 geborenen nachweisbar Tiefpunkt: „Generation Golf“
Ergebnisse (1) Lebensalter Geburtsjahr 40-45 50-54 65-69 70+ 1922-1934 96 94 92 89 1946-1953 93 90 87 82 1965-1975 86 80 74 67 1976- 85 (mehr als ein Jahr vor der nächsten BTW von Infratest befragt)
Ergebnisse (2) männl. Geschlecht: schwach negativ Einpersonenhaushalt: deutlich negativ Hohe formale Bildung: vergleichbar stark positiver Effekt Postmaterialismus: keine signifikanten Effekte Politisches Interesse: stärkster Effekt
Einpersonenhaushalt Ergebnisse (2) Einpersonenhaushalt politisches Interesse nein ja 1 64 54 2 77 69 3 87 82 4 93 90 5 96 94 männlich, niedriger Bildungsabschluß, 30 bis 34 Jahre, zwischen 1965 und 1975 geboren, Mischtypen zu mehr als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl von Infratest befragt
Ergebnisse (2) männl. Geschlecht: schwach negativ Einpersonenhaushalt: deutlich negativ Hohe formale Bildung: vergleichbar stark positiver Effekt Postmaterialismus: keine signifikanten Effekte Politisches Interesse: stärkster Effekt Perioden- und Alterseffekte bleiben stabil Kohorteneffekte verstärken sich noch
Fazit Niedriges Lebensalter hat per se keinen negativen Einfluß auf Wahlbeteiligung Entscheidend ist Zugehörigkeit zu jüngeren Kohorten Muster bleibt auch unter Kontrolle von Geschlecht, Bildung, Postmaterialismus und sozialer Integration erhalten Hinweis auf einen generationalen Wandel der Wahlteilnahme, der unabhängig vom Postmaterialismus ist