Der globale Alterssicherungsdiskurs Veronika Wodsak

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Allgemein Privat und Gesetzlich Leistung Pflegestufen Finanzierung
Advertisements

Das E-Portfolio – essentielles Instrument zukünftiger Wissensarbeit? 27. Community-Treffen der PWM, 23. Februar 2007 Paul Meinl GF, factline Webservices.
Finanzmanagement von Flutrisiken in Entwicklungsländern
Solidarisch und gerecht
Zukunftsfähiges Wirtschaften – Wie gelingt der ? Andrea Lindlohr MdL
Die 8 Millennium - Entwicklungs – Ziele der Vereinten Nationen: Die Bedeutung der Zivilgesellschaft Universal Peace Federation.
Unterstützung gefährdeter Gruppen Gesundheit und Wohlbefinden im Communities First-Programm Gesundheitsförderung im kommunalen Setting 11. österreichische.
Überlegungen zur künftigen Kohäsionspolitik
FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG BEI DER DEUTSCHEN HOCHSCHULE FÜR VERWALTUNGSWISSENSCHAFTEN SPEYER DEUTSCHES (C) 2008 by Gisela Färber 1 Prof.
Staatsfinanzen und Steuern aktualisiert März 2010
Philosophische Fakultät • Institut für Politikwissenschaft • Politikfeldanalyse Sozialpolitik Ckatiuscka Ribadeneira Oliver Wehner.
Christiane Erdmann Ulrich Heisig Helmut Spitzley Gute Arbeit – aber wie? Fachtagung an der Universität Oldenburg Fachtagung Gute Arbeit – aber.
Der Kapitalmarkt in der Strategie von Lissabon Ganz offensichtlich erforderlich sind Fortschritte im Bereich der Portfoliobeschränkungen für die Anlagetätigkeit.
Corporate Citizenship – Teil 1
Solidarische Alterssicherung Einführung in das Rentenmodell
Familienbild und Frauenrolle
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
BAV Kongress am Ihr Gesprächspartner:Dr. Johannes Ziegelbecker Entwicklungen in der betrieblichen Altersvorsorge auf europäischer Ebene und.
Friedrichshainer Kolloquium 8. Dezember 2009
Staatsaufgaben Wirtschaftlicher Teil
Die Politisierung europäischer Identität in der Euro-Schuldenkrise Präsentation auf der Perspektiv-Konferenz „Quo vadis Europa?“, 24. Mai 2012 Konvent.
Der Wert des Alters im demographischen Wandel
Baumgartner Silvia Langmann Gernot Lederer Manuela
Solidarisch und gerecht
Problem des Kaliningrad Gebietes nach der EU Osterweiterung Frolowa Maria Turkowa Olga Laletina Olga Frolowa Maria Turkowa Olga Laletina Olga.
„ALTERnativen – Eure Ideen für eure Rente“
Der einfache Wirtschaftskreislauf
Mehr als Beschäftigte haben ihr Votum abgegeben!
Ungleichheitsfolgen privater Alterssicherung in Europa
Die Gewerkschaften und die Krise Budapest,
Willkommen Welcome Bienvenido
Quelle Graphik: [Zugriff ]
Warum ist Vereinbarkeit ein Thema?
Hans-Joachim Fuchtel (MdB) Parlamentarischer Staatssekretär
Département de la santé, des affaires sociales et de l'énergie Service de la santé publique Departement für Gesundheit, Sozialwesen und Energie Dienststelle.
MUSEALISIERUNG VON MIGRATION Annäherung an eine Aushandlung gesellschaftlicher Praxis.
Erfolgreiche Bildungssysteme im Vergleich
Dr. Matthias Meißner Project Manager – Systems of Social Protection
GK/LK Sozialwissenschaften
Bankenaufsicht-Anforderungen an das Risikomanagement in Zeiten der Finanzkrise Jahrestagung der Erich-Gutenberg -Arbeitsgemeinschaft am und ,
Solidarisch und gerecht
Anmerkungen zur Finanzierung von staatlichen Alterssicherungssystemen
2. TEIL Was ist Sozialpolitik?
Chancen und Risiken von PPP-Projekten
Die Generationenbilanz
Von umfassender zu nachhaltiger Sicherheit?
Liselotte-Gymnasium Mannheim
Die berufliche Vorsorge der Lehrpersonen Leistungs- oder Beitragsprimat resp. kollektive oder individuelle Finanzierung?
Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die staatlichen Vorsorgeeinrichtungen Präsentation des Projekts des Staatsrats vom 3. Dezember 2008.
H.-Chr. Dees, 03. März 2003 Reform der Sozialsysteme für mehr Wachstum und Beschäftigung Beschluss der Kreisdelegiertenversammlung Hamburg-Altona 23. September.
DER KANZLER Steuerungszyklus und Personalentwicklungsinstrumente in der Zentralen Verwaltung der TU Kaiserslautern Überblick; Stand 2011 Birgit Schlicher.
Ausgestaltungsformen der Alterssicherung
ZUKUNFTSTAG NIEDERÖSTERREICH Zukunft. Bürgerbeteiligung. Neue Wege in der Kommunikation mit den Bürgern BADEN, 7. NOVEMBER 2014 Dr. Serge Embacher, Berlin.
Für einen Neuen Generationenvertrag Igm_ki/nms_dv_
Papierloses Parlament: Ein Projekt, dass das Leben der Ratsmitglieder und der Präsidenten verändert hat! Jean-Albert Ferrez, Präsident GRVS
Zur Zukunftsfestigkeit der Europäischen Sozialstaaten
Bildungspolitische Baustelle 1: Umsetzung des Weiterbildungsgesetzes WeBiG DV SVEB, Bildungspolitische Tagung 5. Mai 2015 Hotel Kreuz, Bern Dr. André Schläfli,
Landwirtschaftliche Grossbetriebe im globalen Handel
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss ● Grundsätze wirksamer und verlässlicher ● Sozialleistungssysteme (2015/SOC 520) ● Berichterstatter: Prof.
Fachstelle für Gleichstellung – Stadt Zürich, BIBLIOTALK Geschlecht: behindert. Besonderes Merkmal: Frau. Angie Hagmann, Kontaktstelle für Frauen.
GK/LK Sozialwissenschaften Informationen Klasse 9 1. Februar 2016.
Augsburg Jugend Sozialversicherungssysteme in Deutschland Ortsjugendausschuss der IG Metall Verwaltungsstelle Augsburg.
Seite 1 Schweizerischer Bankpersonalverband SBPV Altersvorsorge / Beispiel aus dem neuen CS-Modell Ziele der Altersvorsorge Beispiel CS Modell Praxisbeispiel.
DAS SCHWEIZERISCHE VORSORGEPRINZIP Drei-Säulen-Prinzip und die Finanzierung.
Soziale Arbeit in Polen – Organisation und Finanzierung, Chancen und Herausforderungen Prof. Dr. Piotr Błędowski Warsaw School of Economics (SGH) Institute.
Profi Care bAV clever für das Alter vorsorgen Unisex- bis Preisvorteil für Männer nutzen!
Technische Universität München Industrielle Beziehungen in Europa – eine neue Erfindung Dr. Michael Whittall Lehrtstul für Soziologie SS 2010.
Reform der Altersvorsorge 2020 Stand: März Inhalt 1.Die wichtigsten Herausforderungen der SchweizerInnen 2.Wirtschaftliches Umfeld 3.Herausforderungen.
SPEZIALISIERUNG: GELD- UND KONJUNKTUR Dr. Elisabeth Springler.
 Präsentation transkript:

Der globale Alterssicherungsdiskurs Veronika Wodsak Einkommenssicherung im Alter als globale Herausforderung Problemlagen und Reformmodelle zwischen Solidarität, Fürsorge und Markt Berlin 10./11. Dezember 2009

Überblick Ein globaler Alterssicherungsdiskurs? Die Weltbank im Detail Die ILO und Weltbank-Kritiker im Detail Die Krise Veronika Wodsak

Ein globaler Alterssicherungsdiskurs? Wohlfahrtsstaat als Projekt des Nationalstaates (Pfadabhängigkeit, politische Kultur) Relevanz für Entwicklungsländer? Ansprüche auf Sozialleistungen, Ressourcenmobilisierung und – verteilung nur auf nationaler Ebene durchsetzbar? Veronika Wodsak

Globaler Alterssicherungsdiskurs Öffentliche Meinung Epistemic I W Communities Normen, Resolutionen d i e s Staaten Internationale Organisationen e s n e Mandate, Nationale Interessen n Andere internationale Organisationen Veronika Wodsak

1980er Alterssicherung findet wenig Beachtung auf globaler/internationaler Ebene ILO tonangebend Vollbeschäftigungspolitik, – Informeller Sektor Fokus auf Etablierung von nationalen, staatlichen Rentensystemen bzw. Parametrische Reformen von existierenden Systemen Keine universellen Sozialtransfers ZUNEHMEND UNBELIEBT: - Niedriger Deckungsgrad der Bevölkerung (insb. öffentlicher Sektor), - Intransparente Staatssubventionen Regressive Verteilung OSTEUROPA Praktische universelle Absicherung der Bevölkerung Hohe Staatsausgaben, auch zur Finanzierung der Sozialausgaben Reformen des Wirtschaftssystems, Aufbau von Finanzmärkten Veronika Wodsak

1990er Diskussion über Reformen in Chile Ende des kalten Krieges: Reformen in Osteuropa Weltbank als neuer Akteur im Bereich der Alterssicherung Averting-Report: Alterungsprozesse als Krise, 3-Säulenmodell als Blaupause Kritik und Diskussion: Umlagefinanzierung vs. Kapitaldeckung, Leistungszusage vs. Beitragsprimat, privat vs. öffentlich verwaltete Systeme, Wirtschaft vs. Absicherung Paradigmatic reforms: Wave one: 12 countries in Latin America (1981-2004) Wave two: 15 countries in CEE (1995 – 2008) Parametric reforms: constant process in Latin America, Europe and elsewhere since the mid 1980s Veronika Wodsak

bis 2007 Veränderungen im Weltbank-Modell nicht-finanzielle beitragsdefinierte Systeme Sozialtransfers (u.a. für alte Menschen) ILO: Renten als ein Element des Social Protection Floors Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus Fokus mehr auf “Coverage”, weniger auf Leistungshöhe oder Systemdesign REASONS Official Ageing Bad governance and management Need to increase national savings/investment rate Unofficial Neoclassical economic paradigm demanded reductions of public expenditure Private profits ? Veronika Wodsak

Weltbank und ILO – Apfel und Birne!   Weltbank ILO Kerngeschäft Vergabe von Entwicklungskrediten Setzung und Verbreitung von Arbeitsstandards Operationsweise für das Kerngeschäft Projekte in Ländern Sozialdialog (auch in Ländern) Entscheidungs-mechanismus Stimmenverteilung nach Kapitaleinlage Dreiparteilich/Paritätisch Selbstverständnis Motor für (wirts.) Entwicklung Globals soziales Gewissen Charakter der Publikationen Klare Handlungs-anweisungen Kompromiss- und Konsensorientiert Simplistische Dichotomisierung: Weltbank neoliberal, ILO genuin sozial Veronika Wodsak

Weltbank 3-Säulenmodell Obligatorische, kapitaldgedeckte individuelle private Vorsorge mit festem Beitragssatz Staatliche, Steuerfinanzierte Grundrente, Universell oder nach Bedürftigkeit Freiwillge, private, kapitalgedeckte Zusats-versicherung Alterssicherung Säule 1 Säule 2 Säule 3 Veronika Wodsak

Weltbank 5-Säulenmodell Alterssicherung Staatliche, Steuer-finanzierte Grundrente, universell oder nach Bedürftigkeit Obligatorische, beitrags-finanzierte, einkommens-bezogene Absicherung, Obligatorische, private, kapitaldgedeckte individuelle Vorsorge mit festem Beitragssatz Freiwillge, private, kapitalgedeckte Zusats-versicherung Informelle Mechanismen der Alterssicherung: Familie, Eigenheim etc. Säule 2 und 3: Keine Diversifizierung Säule 0 Säule 1 Säule 2 Säule 3 Säule 4 Veronika Wodsak

ILO: C102 Soziale Sicherheit (Mindestnormen), 1952 Einkommenssicherheit im Alter Rentenalter höher als 65 bedarf Rechtfertigung Mindestens 40% Lohnersatzrate (30 Beitrags-jahre) Hinterbliebenenrente Indexierung Anspruch auf Rente gesetzlich verankert Gleicher Anspruch für Einwanderer Verantwortung liegt beim Staat Steuerfinanziert oder Beitragsfinanziert oder Mix Arbeitnehmeranteil: max. 50% des Beitrags 50% aller Arbeitnehmer oder 20% der Bevölkerung 46 Ratifizierungen Veronika Wodsak

ILO: Basic Social Protection Floor Notwendigkeit eines Instrumentes für Teile der Bevölkerung, für die 102 nicht greift Steuerfinanzierte Grundrente als Teil eines universellen Minimalpaketes sozialer Leistungen Treppenmodell: Floor + 102 zusammen: universelle Deckung, Leistungszusage, Leistungs/BeitragsÄquivalenz, nachhaltige Finanzierung, Staat/Gesellschaft in der Verantwortung Veronika Wodsak

Stimmen von Kritikern Dringlichkeit von Reformen in Frage gestellt Notwendigkeit eines paradigmatischen Wechsels abgestritten Reformierbarkeit bestehender Systeme Weltbank-Modell keine Lösung des Problems Umverteilungsmöglichkeiten, Transitionskosten, Verwaltungskosten Betonung auf die PRIMÄREN Ziele von Rentensystemen Risiko-Verteilung (Individuum – Gesellschaft) Lobbyismus der Versicherungswirtschaft Schutz vor Altersarmut und „income smoothing“ diverse Risiken: erreichen eines sehr hohen Alters, Inflationsrisiken, Zinsratenrisiken, Investitionsrisiken Veronika Wodsak

Halbzeit – 1:0 für die Weltbank Kritik als Eigentor? - Beitrag zur Stabilisierung des Multi-Pillar Modells als globale Alterssicherungs-Norm (Diskussion über Gewichtung und Ausgestaltung der Säulen) Argument der Risikodiversifizierung hat sich durchgesetzt Einführung obligatorischer, privater, kapitalgedeckter Säulen in einer Vielzahl von Ländern Veronika Wodsak

Das Rückspiel: Die Finanz- und Wirtschaftskrise

Rentensysteme in der Krise: Auswirkungen für zukünftige Rentner Veronika Wodsak

Rentensysteme in der Krise: Nationale Rentenfonds Jan – Okt 2008, OECD ISSA Umfrage unter Mitgliedern: Rücklagen umlagefinanzierter Systeme: 225 Milliarden, Einbussen in den Beitragszahlungen (Arbeitslosigkeit, Umgehung des Systems) kapitalgedeckte Rentenfonds: 5 Billiarden Durchschnitt: 25% und 5 Jahre Investmenteinkommen Veronika Wodsak

Rentensysteme in der Krise Verlust hängt von Investmentstrategien ab Regulierung und Aufsicht Life-cycle-portfolios Arbeiter, die während der Krise in Rente gehen mussten am stärksten betroffen Flexibilität – Staatshandeln Dänemark; „nur“ 3.2% - starke Diversifizierung, Risiko-Szenarien und Stress-Tests. Geeignetes Hedging Veronika Wodsak

Weltbank Krise als Beweis für die Notwendigkeit von „Multi-Pillar-Systemen“ und Risiko-Diversifizierung Verweist auf Säulen mit Leistungszusage/ garantierter Mindesrente Krisen als seltene Ereignisse (kurzfristige Massnahmen, keine strukturellen Veränderungen) Annahme einer schnellen Erholung Durchhalteparolen, Überlegenheit von Kapitalanlagen Nur wenige Betroffene Veronika Wodsak

Weltbank Empfehlungen KURZFRISTIG „Rückfall“ vermeiden Aufklärungskampagne Schrittweise oder nachträgliche Verrentung Etwaige Kompensationen für stark Betroffene vorsichtig abwägen MITTELFRISTIG Diversifizierung (3-Säulen) Besseres Riskio-Management Verbesserung von umlagefinanzierten Systemen Garantierte Grundrente Arbeitslosenkonten und -versicherung als weitere Elemente des Sozialen Sicherungssystems Veronika Wodsak

ILO Empfehlungen Leistungszusagen so weit wie möglich einhalten Nicht einseitig auf finanzielle Stabilisierungsmechanismen abstellen, auch soziale Stabilisierungsmechanismen! Es gibt keinen Autopiloten für Rentensysteme Krise kein Einzelfall, Systeme für zukünftige stärken Über innovative Mischsysteme nachdenken: Leistungsgarantien für kapitalgedeckte Systeme Shift DC => NDC Belastung der Anpassung / Kosten / Risiken kann auf die gesamte Gesellschaft verteilt werden, muss nicht alleine von den Rentnern getragen werden Veronika Wodsak

Fazit Krise => “Decline and fall of neoliberalism” ? Krise hebt Bedeutung Sozialer Sicherungssysteme hervor: automatische Stabilisatoren für die Wirtschaft Instrument der Armutsbekämpfung in Zeiten der Krise ILO und Weltbank: Wenig Änderung in ihren Positionen, Anpassung/Wiederholung/ Verstärkung der Argumente für ihre Modelle Veronika Wodsak

Danke für Ihre Aufmerksamkeit