Ursprünge des deutschen Nationalmythos

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
EUROPABILDUNG FÜR ALLE
Advertisements

Jeopardy auf Deutsch! Die Germanen Das Mittelalter
Die Geschichte der deutschen Sprache
Powerpoint Jeopardy Relativpronomina Der Kaiser macht ein Fest Wenn/dannÖsterreich - Tirol Autofahren
Einführung in die Internationalen Beziehungen
Die Geschichte der Heiligen Johanna
Tenbruck: Die Religion im Maelstrom der Reflexion Einleitung: Begriffs- und Theoriebildung: Seite Grundbegriffe einer Wissenschaft: oIn der Naturwissenschaft.
Kaiser Friedrich I. Barbarossa Lehnswesen Konflikt Staufer - Welfen
Territoriale Veränderungen durch Napoleon und dadurch nötige Reformen
Ralf KüstersDagstuhl 2008/11/30 2 Ralf KüstersDagstuhl 2008/11/30 3.
Geschichte und Sozialkunde kombiniert
DEUTSCHLAND: GESCHICHTE UND ARCHITEKTUR
Von: Johanna Wagner und Svenja Jegottka
Geschichte der Religionen in Deutschland
Vortrag von Amelie Medrow
. Von Mir: Joy BERLIN.
Hallo! Ich bin der Kaiser! Was ist los? Ich lebte während des Römischen Reiches. (Nicht mit ihnen, aber Wir werden so tun)
Historischer Hintergrund
Die Jahrhunderte kommen und gehen 1812…1912…2012
Unser Thema heißt „ Die deutsche Sprache
Téma hodiny: Geschichte Deutschlands (Frühe Neuzeit – heute)
Der Dreiβigjährige Krieg ( ) und seine Folgen
Deutschland mit meinen Augen
Aufklärung ( ) „Freiheit statt Absolutismus, Gleichheit statt Ständeordnung, Erfahrung, wissenschaftliche Erkenntnis statt Vorurteil und Aberglauben,
Spaziergang durch Charlottenburg. Charlottenburg ist ein Ortsteil im Bezirk Charlottenburg- Wilmersdorf von Berlin. Der heutige Ortsteil entstand 2004.
Das Mittelalter 1000 Jahre Christenheit.
Wales.
(bitte als Bildschirmpräsentation starten)
Geschichte und Sozialkunde kombiniert
Die Verfassung des deutschen Reiches vom 16
URSACHEN DES KONFLIKTS (I)
Die Germanen.
Berlins Sehenswürdigkeiten Редкокаша Н.Л. МБОУ Калманская СОШ с.Калманка, 2011г.
Leben mit Vision III.
I. Einleitendes. „Ein Verständnis der Gegenwart gibt es nicht ohne Kenntnis der Vergangenheit der früheren Zeiten“ Leopold v. Ranke ( ).
Von Lara Weidenbach BGymT13b
DEUTSCHE GESCHICHTE.
Jacob Ludwig Karl Grimm ( )
Schlösser Deutschlands
gegenwärtige und historische Persönlichkeiten
Für eine optimale Präsentation, Drucken Sie bitte weder die Maus, noch irgendwelche Taste.
Bayern.
Einleitung der Vorlesung der deutschen Geschichte des Jahrgangs 06/07
VI. Grundzüge der deutschen Geschichte
LATEIN Die geschichtlichen Aspekte im Fach Latein
Die Geschichte Deutschlands
Überblick Die Beteiligten Datum Ort Beginn Ende Wilhelm Friedrich IV
Tomasz Białynicki-Birula, kl. IIb
Wien ist die Hauptstadt Österreichs und zugleich ein eigenes Bundesland 3.
Die Bundesrepublik Deutschland
Geschichte in fünf Der Deutsch-Französische Krieg
Die <<verspätete Nation>>
Die erste deutsche einheit: GRÜNDE UND FOLGEN
 Die Bundesrepublik Deutschland wurde 1949 in britischen, amerikanischen und französischen Besatzungszonen gegründet. Am 7. September 1949 verkündet.
Frankreich: Ein Königreich entsteht
Heinrich von Kleist (1777 – 1811)
Vermute, welches Wort der alte Mann nun nennen will!
Geschichte in fünf Der Deutsche Krieg 1866
Geschichte in fünf Der Deutsch-Dänische Krieg 1864
Geschichte in fünf Der Österreichische Erbfolgekrieg
Köln.
Otto Von Bismarck Der Weg zur nationalen Einigung Slide 1.
Das Frankenreich Geschichte der deutschsprachigen Länder PhDr.M.Polčicová, PhD.
Köln.
Mit den Franken ins Mittelalter – ein Neubeginn?
Mit den Franken ins Mittelalter – ein Neubeginn?
Begegnungen von Römern und Germanen: Konflikte, Kriege, Kooperationen
Deutsche Kaiser und Preußische Könige
 Präsentation transkript:

Ursprünge des deutschen Nationalmythos Helga Schultz

Literatur: Johannes Fried: Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994. Michael Werner: Die „Germania“, in: Etienne François und Hagen Schulze (Hg.): Deutsch Erinnerungsorte, Bd. 3, München: Beck, 2002, S. 569-586. Werner M. Doyé: Arminius, in: Ebenda, S. 587-602.

1. Die Schöpfung des Mythos

Nation und Mythos Der deutsche Nationalmythos wächst in der romantischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. Die modernen europäischen Nationen entstehen als Sieg der Volksherrschaft über das Gottesgnadentum der Könige, das heißt: Sieg des parlamentarischen Prinzips über das dynastische. Die Legitimation der Nation ist die historische Kontinuität und Einheit des Volkes, verbürgt durch sein uraltes Herkommen. Das ist nicht die Realität, sondern der Mythos der Ethnogenese.

Nationale Wissenschaften Die Konstruktion der Nationen erfolgt von oben, durch intellektuelle Eliten. In Reformation und Aufklärung setzen sie die Volkssprache und säkularisierte Volkskultur der universalistischen lateinischen Kultur entgegen. Geschichte, Sprachwissenschaft und Rechtswissenschaft entstehen als nationale Wissenschaften. In Deutschland erblüht die Germanistik.

Germanistik - Historisch Monumenta Germaniae Historica (auf Anregung des preußischen Reformers Freiherr von Stein). http://www.mgh.de/allgemein.html.

Germanistik - Linguistisch Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Titelblatt der Erstausgabe von 1854 (http://www.bbaw.de/vh/grimm/titelblatt.html).

Mythos als Staatsideologie Der Mythos wird mit der preußisch-kleindeutschen Staatsgründung von 1871 apologetisch, Rechtfertigung des Bismarck-Reiches. Konstruiert wird eine Kontinuität von den germanischen Völkern der römischen Spätzeit über die mittelalterliche Kaiserherrlichkeit bis zum Bismarck-Reich.

2. Die Germanen als mythischer Ursprung

Die „Germania“ Der deutsche Ursprungsmythos beruft sich auf die Herkunft von den Germanen. Grundlage war die „Germania“ des römischen Geschichtsschreibers Tacitus. (http://www.gottwein.de/Lat/tac/Germ01.php) Sie wurde am Ende des 15. Jahrhunderts in Italien entdeckt. Tacitus stellte darin die unverderbten rohen Sitten der Germanen der zivilisatorischen Verderbtheit Roms entgegen. Von den deutschen Humanisten wurde sie in der Auseinandersetzung mit dem Papsttum genutzt.

Germanische Ratsversammlung Relief an der Marc-Aurel-Säule zu Rom http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Germanische-ratsversammlung_1-1250x715.jpg

Arminius Der Cheruskerfürst Arminius, der römischer Bürger und Ritter war, besiegte im Jahre 9 den römischen Statthalter Varus. Seit der populären Ode Klopstocks und dem Drama „Hermannsschlacht“ von Kleist wurde er zum deutschen Nationalhelden. Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, 1875 eingeweiht. http://www.hermannsdenkmal.de/region.htm

Germanische Stämme zur Zeit des Tacitus http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Germanen_50_n._Chr.png

Völkerwanderung http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Voelkerwanderungkarte.png

3. Historischer Ursprung im Frankenreich

Mythos oder Geschichte? Johannes Fried: Die Deutschen sind nicht aus mythischem Dunkel gekommen, sondern ihr Werden vollzog sich im vollen Licht der Geschichte. Sie sind das Produkt und die Erben eines fremden Reiches, des Frankenreiches. (In : Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands Bd. 1, Berlin 1994, Einleitung).

Ursprünge im Frankenreich Römisch-germanische Synthese durch Christianisierung Christus als Himmelskönig. Rückseite eines Grabsteins aus Niederdollendorf bei Bonn, Ende 7. Jahrhundert. Rheinisches Landesmuseum Bonn.

Mythos: Translatio Imperii Die Translatio Imperii meint die Übertragung des Römischen Reiches auf die Franken. Das Frankenreich war wie das Römische multiethnisch und transnational. Ein Reich, in dem keltische, romanische und germanische Völker lebten. Aachener Dom: Für vier Jahrhunderte der höchste Kuppelbau Europas und der erste überwölbte Bau nördlich der Alpen.

Karl der Große – Deutscher, Franzose oder Europäer? Karl wird am Weihnachtstag 800 durch den römischen Papst zum Kaiser gekrönt. 1165 Heiligsprechung Karls des Großen auf Initiative Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Aachener Karlspreis seit Weihnachten 1949 pflegt den Mythos von Karl als erstem Europäer. Büste Karls des Großen im Aachener Domschatz

4. Ethnogenese

Sachsenkriege Die Karolingischen Eroberungen integrierten die germanischen Völker östlich des Rheines: Sachsen Thüringer Schwaben (Alemannen) Bayern Franken Sagenhafte Grabplatte des sächsischen Herzogs Widukind in der Stiftskirche Enger (http://www.widukind-museum-enger.de/mythset/setmyth.htm)

Das Frankenreich Karls des Großen

Ablösung des ostfränkischen Reiches Teilung unter den Enkeln Karls des Großen. Sie vereint die fünf Völker, aus denen die Deutschen werden sollten, in einem Staatswesen, dem Reich Ludwigs. Diese staatliche Gemeinschaft war in Konflikt, Konkurrenz und Konsens von langer Dauer. http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Treaty_of_Verdun.svg

Integrationsfaktor Volkssprache Die Sprachen der germanischen Völker auf dem Boden des Frankenreiches galten den Gebildeten als theodisk/diutisk, also als Sprache des Volkes im Unterschied zum Lateinischen. So wurden auch englische, normannische und gotische Sprachen bezeichnet. Im zunehmenden Kontakt mit den romanischen (welschen) und slawischen (wendischen) Nachbarn erlebten die Deutschen die Verwandtschaft ihrer Sprachen, ungeachtet der hoch-niederdeutschen Sprachgrenze.

Reichsnamen -Volksnamen Bis um die Jahrtausendwende gab es keine gemeinsame Identität der Völker im Reich, das sich das Römische nannte. Im Konflikt zwischen Papst und Kaiser bezeichneten die Italiener das Reich seit der Jahrtausendwende häufiger als „deutsch“, als Regnum teutonicum, das nicht über die Alpen ausgreifen sollte. Die Anlehnung des Volksnamens an die räuberischen Teutonen der spätrömischen Zeit meinten die Italiener verächtlich. Die deutschen Völker reagierten mit der Adaption des Sprachnamens diutisk für die gemeinsame Identität.

Ethnogenese Die Ethnogenese des deutschen Volkes erfolgte um die Jahrtausendwende durch die Integration der Franken, Sachsen, Alemannen/Schwaben und Bayern im staatlichen Rahmen des ostfränkisch-deutschen Staates, durch die Verschmelzung mit slawischer, romanischer und keltischer Bevölkerung in den Grenzgebieten durch Expansion und Assimilation, durch den immer erneuerten Konsens der Eliten über die Aufrechterhaltung des Reiches und der universalen Reichsidee. Die Multiethnizität blieb eine Konstante der deutschen Geschichte und Grundlage des föderalen Prinzips.