Georg Hans Neuweg Johannes Kepler Universität Linz

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 Präsentation transkript:

Georg Hans Neuweg Johannes Kepler Universität Linz „Wie grau ist alle Theorie, wie grün des Lebens goldner Baum?“ LehrerInnenbildung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis Aufnahme der Teilnehmer (10 min.) IU: Vorbesprechung (Konzept, Schein, Unterlagen); Inhaltlicher Einstieg Lehrerwissen und Lehrerkönnen Verhältnisbestimmungen und ihre didaktischen Implikationen Pädagogische Akademie der Diözese Linz, 20. Jänner 2003 „Unterwegs zur Pädagogischen Hochschule?“ Tagung der Sektion LB/LBF an der PädAk des Bundes in Wien, 7. 12. 2004

Das Relevanzproblem Gang der Darstellung Integrationsmodell Phasenmodell Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Wissenschafts-orientierte LehrerInnenbildung Praxisorientierte LehrerInnenbildung Positives Spannungsverhältnis Modelle einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Szientistische LehrerInnenbildung Entwertende Übertreibung Entwertende Übertreibung Praktizistische LehrerInnenbildung 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung (I) Geringe Dissemination des Ausbildungswissens in der Praxis Unzureichende Qualität des erziehungswissenschaftlichen Technologieangebotes Lückenhaftigkeit Partielle Trivialität Normative Enthaltsamkeit (Bildungstheorie, Lehrerethos) Problem des trägen Wissens Können setzt Wissenskontextualisierung voraus Können setzt Wissensprozeduralisierung voraus Wissenskompartmentalisierung durch veränderungsresistente subjektive Theorien Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

eigene berufliche Erfahrungen 81,7 % Woran orientieren Sie pädagogische Entscheidungen, bei denen Sie nicht unter Zeitdruck stehen? Oft/fast immer eigene berufliche Erfahrungen 81,7 % Erfahrungen mit eigenen Kindern (oder Verwandte) 44,9 % Intuition 36,9 % Vorbild anderer Lehrer 29,4 % gelesene Überlegungen 27,4 % Fortbildungsveranstaltungen 21,4 % Erinnerungen an eigene Schulzeit 18,9 % Erinnerungen an zweite Ausbildungsphase 15,5 % bestimmte pädagogische Theorie 7,0 % Erinnerungen an das Studium 6,4 % 514 LehrerInnen an allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen, Befragungszeitpunkt 1992 (Terhart et al. 1994)

Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung (II) Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Geringschätzung alltagstheoretischen Substitutionswissens Handlungs- und wissenspsychologische Verkürzungen Intuitiv-improvisierendes Handeln Implizites Wissen 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Das Problem des impliziten Wissens Explikationsproblem: Implizites Wissen lässt sich nur teilweise in das Format lehrbarer Regeln überführen. Instruktionsproblem: Nicht jede beschreibende Regel ist auch eine generative Regel.

Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung (I) „Erfahrung“ ist kein didaktischer Selbstläufer. Intuitiv-improvisierendes Handeln ist nicht gleich erfolgreiches Handeln. Kein signifikanter Zusammenhang zwischen Dauer der Berufserfahrung und Unterrichtserfolg Durch Erfahrung lernt nur, wer in der Erfahrung etwas erfährt. - Reflexiver Habitus und reflexive Kompetenz erforderlich. - Erfahrungslernen setzt basale Sicherheit voraus. Implizite Regelbefolgung bedingt nicht impliziten Regelerwerb. Überschätzung der „Dignität“ der Praxis und Verzicht auf Innovationsimpulse Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung (II) Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Fehleinschätzung der Leistungsfähigkeit des erziehungswissenschaftlichen Wissensangebotes - Nichttrivialität und Kontraintuivität Wissenschaftswissen als u. U. nicht mehr bewusstes „Hintergrundwissen“ (Herrmann 1979), als „Brille“ (Dewe/Radtke 1991), „overarching theory (Schön 1983), „Denkstil“ (Fleck 1935), „knowing with“ (Broudy 1970) Handlungsleitendes Wissen versus handlungsvorbereitendes, handlungsbegründendes und handlungskorrigierendes Wissen 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Modelle einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Wissenschafts- und Praxisorientierung in „ausgehaltene Spannung“ zu setzen, kann heißen, Theorie und Praxis ... Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung (a) systematisch aufeinander zu beziehen:  Integrationsmodell (PH?) Möglichst weitgehende Parallelschaltung von Theorie- und Praxislernphasen über die gesamte Bildungsbiographie hinweg (b) klar voneinander zu trennen:  Phasenmodell (Uni?) Klare institutionelle, personelle und funktionale Auftrennung der LehrerInnenbildung in drei Phasen 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Das Integrationsmodell: Kernphilosophie „handlungssteuerndes Wissen und reflektiertes Handeln“ Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Träges Wissen Blinde Routine 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell Wissen Können  Lernen als organisiertes Wechselspiel von Einlassung auf Erfahrung, reflexiver Durchdringung von Erfahrung und Rückübersetzung in neue Erfahrung HochschullehrerInnen, die auch praktisch können, was sie theoretisch wissen BetreuungslehrerInnen und Vorbilder, die auch theoretisch wissen, was sie praktisch können

Das Integrationsmodell: Argumente In Zweiphasenkonzepte bleiben Theorien unanschaulich und Anschauungen untheoretisch. (2) Theorieverstehen und Praxisverstehen vollziehen sich dialektisch. Veränderungsprozesse setzen systematische Konfrontationen von subjektiven mit objektiven Theorien voraus, und zwar in Form - eines Bewusstmachens subjektiver Theorien anhand konkreter Praxiserfahrung, - der Modifikation dieser Theorien durch objektive Theorien und - der handelnden und übenden Rückübersetzung der gewonnenen Einsichten in neue Praxiserfahrung. Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Das Phasenmodell: Kernphilosophie Bildungs-, Begründungs-wissen Implizites Wissen Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Wissen Können „Es muss nicht alles zugleich und am ungeeigneten Ort erledigt werden.“ (Radtke 1996) 1. Phase: Vermittlung von Begründungswissen, Aufbau eines wissenschaftlichen Habitus in radikaler Distanz zur Praxis 2. Phase: Erwerb der impliziten „Handlungsgrammatik“ der Praxis  Aufbau impliziten Wissens durch Erfahrung, in Meister-Lehrling-Beziehungen und in „communities of practice“ 3. Phase: Fortbildung im Sinne der „Korrektur missglückter Sätze“ durch explizite Grammatik; Wissenschaftswissen als Angebot zur Ausdeutung und Beseitigung erlebter Handlungsprobleme 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell

Das Phasenmodell: Argumente Theorielernen erfordert eine Kultur der Distanz. Verwertungsdruck verkürzt Lernen zur intellektuellen Seite hin. Grenzen und Probleme einer szientistischen LehrerInnenbildung Irrtümer und Gefahren einer praktizistischen LehrerInnenbildung Modell einer ausbalancierten Wissenschafts- und Praxisorientierung Verunstaltung theoretischer Konzepte durch utilitaristische Verweckung. Verdrängung des Wahrheitsinteresses durch das Nützlichkeitsinteresse. Auslieferung des Curriculums an die Zufälligkeiten der Reflexionsanlässe. Beschränkung der Reflexion auf den Tellerrand der Klassenzimmererfahrung. Reflexion soll Problemwahrnehmung auch erzeugen und nicht nur auf sie warten. 3.1 Das Integrationsmodell 3.2 Das Phasenmodell Könnenserwerb erfordert eine Kultur der Einlassung. Reflexionsdruck verkürzt Lernen zur intuitiven Seite hin. Problem der Hyperreflexivität (Tausendfüßersyndrom) Gefahr der Deflexibilisierung („the case is not in the book“)