Ursachen des Niedergangs der (deutschen) Sozialdemokratie Helmut Wiesenthal Berlin, 21.09.2006.

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Ursachen des Niedergangs der (deutschen) Sozialdemokratie
 Präsentation transkript:

Ursachen des Niedergangs der (deutschen) Sozialdemokratie Helmut Wiesenthal Berlin,

2 Sozialdemokratie = ? Sozialdemokratische Parteien definieren sich traditionell über > universale Wertorientierungen und ein > Programm von anspruchsvollen Sozialreformen.

3 4 Säulen sozialdemokratischer Politik: > stetige Wohlstandsgewinne für Arbeitnehmer > Vollbeschäftigung (auch durch Expansion des Öffentlichen Diensts) > soziale Sicherheit (Lohnersatz- u. Transfereinkommen) > speziell in D: kollektive Partizipationsrechte der Arbeitnehmer (Mitbestimmung)

4 Die Realisierung der SD-Ziele wurde in den letzten drei Jahrzehnten immer schwieriger und ist heute nahezu unmöglich – aus fünf Gründen

5 1. Grund Seit Ende der 1970er Jahre mussten SD-Regierungen den Verlust der nationalen Zinssouveränität hinnehmen (autonome Zentralbank, Internationalisierung der Finanzmärkte). Gleichzeitig erlebten sie, dass staatliche Konjunkturpolitik (zwecks Steigerung von Wachstum und Beschäftigung) durch die gewerkschaftliche Lohnpolitik (hohe Lohnforderungen) konterkariert wird.

6 2. Grund Die Integration der Produktmärkte (EU-Binnenmarkt) entwertete die traditionelle Industriepolitik zugunsten der inländischen Unternehmen. Protektionismus ist nur mehr auf EU-Ebene möglich.

7 3. Grund Der beschleunigte Strukturwandel (technologische Dynamik, Globalisierung) führt zu tendenzieller Deindustrialisierung, d.h. einem rückläufigen Anteil der Industriearbeiterschaft an der Beschäftigung und Zunahme von Angestellten-, DL- und prekären Jobs. Arbeitsplätze mit geringem Qualifikationsanspruch wandern ab und unqualifizierte Arbeitnehmer werden überproportional arbeitslos. Das ist auch das Ende der solidarischen überbetrieblichen Lohnpolitik.

8 4. Grund Europäische Währungsunion und Stabilitätspakt, hohe Kapitalmobilität und zwischenstaatlicher Steuerwettbewerb haben die nationalen finanzpolitischen Instrumente der Wachstums- und Beschäftigungsförderung entwertet. Auch einer SD-Regierung bleiben nur die Stellgrößen Senkung der Sozialausgaben, Arbeitsrechtsreform, generelle Haushaltskürzungen.

9 5. Grund Die Klientelbeziehungen der SD zur schrumpfenden Industriearbeiterschaft, den Sozialeinkommens- beziehern und Beschäftigten im öffentlichen Dienst blockieren eine notwendige institutionelle Modernsierung. Aus der zunächst konjunkturellen wird die strukturelle Wachstums- und Beschäftigungsproblematik, d.h. niedrige Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit und große Haushaltsdefizite befestigen sich als nationales Dauerproblem. [- mit tendenziell weniger problematischen Folgen im angelsächsischen und im skandinavischen Sozialstaat.]

10 Konsequenzen für die SPD und das deutsche Parteiensystem – in 5 Punkten:

11 Punkt 1 Fragmentierung des Wählerpotentials in Gruppen mit sehr unterschiedlichen (teilweise entgegengesetzten) Interessen: > Beschäftigte in modernen Wettbewerbssektoren (Zukunftsindustrien, IuK, Chemie, Finanz- und Business-DL) unterstützten institutionelle Modernisierung und Gewichtsverlagerung von Sozial- zu Bildungspolitik. > Beschäftigte in traditionellen Sektoren und im Öffentlichen Dienst sowie Renten- und Sozial- einkommensbezieher verlangen Besitzstands- sicherung und Beibehaltung traditioneller politischer Prioritäten (= Reformverzicht).

12 Punkt 2 SD-Regierungen verlieren ihr vorteilhaftes Profil. Sie müssen nolens volens dieselben oder ähnliche Strukturreformen durchführen wie konservative und liberale Konkurrenten. SD-Politik kann der eigenen Klientel nur noch symbolisch Tribut zollen. Weil die faktische Politik gegen manifeste Interessen verstösst, verliert die einst als sozial und solidarisch auftretende SD an politischer Unterstützung.

13 Punkt 3 Unter dem Druck, ein von den Konkurrenten unterscheidbares Profil anzubieten, bleiben nur die Optionen: > Ausweichen in verschärfte politische Rhetorik, > Überzeichnung der bestehenden Differenzen, > Fetischisierung der präferierten Politik- instrumente (z.B. Bürgerversicherung, Mindestlohn). Wahlerfolge werden stärker von Charisma und populistischen Strategien der Parteiführer abhängig.

14 Punkt 4 Wachsender Glaubwürdigkeitsverlust der Parteien wg. unehrlichen Wahlversprechungen und offenem Widerspruch zwischen Ankündigungen und realer Politik (vgl. Krise in Ungarn). Als Folgen: hohe Wählerfluktuation, volatile Wähler- präferenzen, starker Anreiz zum Protestwahlverhalten, Dekonzentration des Parteiensystems ("Volksparteien" mit nur 30 % Stimmenanteil). SPD hat zur Zeit nur Regierungschance als Problemverwalter in wirtschaftlich schwachen Bundesländern (Mecklbg-Vp, Brandenbg, Berlin); Ausnahme Beck in Rhld-Pf.

15 Punkt 5 Daraus resultiert eine Profiloption für kleinere Parteien: Das uneinlösbar gewordene Traditionsprogramm der SD wird zum politischen Treibgut, an dem sich Kleine bereichern können, um den Großen zu schaden. Linke und rechte Extremparteien definieren sich anhand rein nationaler Politikziele, Protektionismus, Antiglobalisierung, sozialpolitischer Nostalgie usw.

16 Alternative: Neubestimmung von Staatsfunktionen und -aufgaben als Ausbruch aus der Falle der kontinentaleuropäischen Sozialstaaten mit den typischen Handikaps der beitragsbezogenen Sozialleistungen, unterentwickelten care und service Leistungen, niedriger weiblicher Erwerbsquote und Angewiesenheit auf ein Familienmodell, das dem kulturellen Wandel widerspricht, und breiter Akzeptanz von mobilitätshemmenden Statussicherungen im Arbeits- und Sozialrecht (auch Bildungssystem).

17 ENDE ?