Die Vorstellung des Nutzens und der Nutzen von Vorstellungen

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 Präsentation transkript:

Die Vorstellung des Nutzens und der Nutzen von Vorstellungen Helmut Jungermann Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft Technische Universität Berlin Dezember 2004

Grundkonzept der Entscheidungsforschung Menschen treffen Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der möglichen Konsequenzen Entscheidungsoptionen - haben Konsequenzen, die - mehr oder weniger wünschbar und - mehr oder weniger wahrscheinlich sind Der Entscheider bewertet jede Option: Er gewichtet den Nutzen, den er von einer Konsequenz erwartet, mit der Wahrscheinlichkeit, dass diese Konsequenz tatsächlich eintritt. Er wählt die Option mit dem höchsten Wert (Maximierungs-Prinzip).

Repräsentation eines Entscheidungsproblems Vierecke: Entscheidung / Optionen Kreise: Ereignisse Ellipsen: Konsequenzen kein lästiger Schirm nein Regen ? nein ja nass werden Schirm mitnehmen? lästiger Schirm nein ja Regen ? trocken bleiben ja

Repräsentation eines Entscheidungsproblems Spalten: Ereignisse Zeilen: Optionen Zellen: Konsequenzen Regen ja Regen nein Schirm ja trocken bleiben lästiger Schirm Schirm nein nass werden kein lästiger Schirm

Repräsentation eines Entscheidungsproblems Spalten: Ereignisse p: probability (Wahrscheinlichkeit) Zeilen: Optionen u: utility (Nutzen) Zellen: Konsequenzen : p : 1 - p Regen ja Regen nein u : Schirm ja u : trocken bleiben lästiger Schirm Schirm nein u : u : nass werden kein lästiger Schirm

Das Konzept „Nutzen“ (utility) Lange Zeit … wurde „Nutzen“ als Parameter zur Rekonstruktion von Wahlen, also Verhaltensdaten, verstanden: Klassische Theorien, von Neumann & Morgenstern 1947. In jüngerer Zeit … wird „Nutzen“ zunehmend psychologisch interpretiert – als Erfahrung von angenehmen oder unangenehmen Zuständen: Ausgangspunkt: Prospect Theorie, Kahneman & Tversky 1979. - eigentlich eine Wiederentdeckung … Bentham, Sidgwick, Meinong, … - aber nun mit empirischem Ansatz

Das Konzept „Vorstellung“ (imagination) Das Konzept „Vorstellung“ spielt hier eine Rolle - ist allerdings theoretisch wie empirisch völlig ungeklärt ! Wir können Erfahrungen vorhersagen : wie schlimm wird es sein?  Vorstellung als Antizipation der Outcomes, durch den der erwartete Nutzen abgeschätzt wird.  Vorstellung des Nutzens : „antizipierte“ Emotionen Wir können Erfahrungen vorwegnehmen : mir läuft das Wasser im Munde zusammen!  Vorstellung als Antizipation der Outcomes, der bereits in der Gegenwart Emotionen auslöst.  Nutzen von Vorstellungen : „antizipatorische“ Emotionen

Vorstellung des Nutzens : Kahneman (u.a.) Vorstellung als Prozess der Antizipation der Outcomes, durch den der erwartete Nutzen abgeschätzt wird: Vorstellung des Nutzens. Entscheidungen implizieren Vorstellung des Nutzens, der mit einer antizipierten Konsequenz verbunden sein dürfte - pleasure or pain, satisfaction or disappointment. Aber muss der Vorhersage-Nutzen (predicted utility) mit dem Nutzen übereinstimmen, den wir später erleben - dem Erfahrungs-Nutzen (experienced utility)? Gründe für Diskrepanzen (errors? biases? illusions? delusions?): Zum Beispiel: Effekt von Wiederholungen der Erfahrung ...

Kahneman & Snell (1992) Vpn aßen an jedem von acht aufeinander folgenden Tagen jeweils eine Portion (selbst gewähltes) Eis und hörten dazu ein Musikstück. Zu Beginn schätzten die Vpn, wie gut ihnen das Eis am 2. und am 8. Tag schmecken würde: Vorhersage-Nutzen. An jedem Tag beurteilten sie dann, wie gut es ihnen tatsächlich schmeckte: Erfahrungs-Nutzen. Mittlere Urteile: Tag 2 Tag 8 Veränderung vorhergesagt 4,31 1,19 - 3,12 tatsächlich 4,75 2,94 - 1,81 Korrelationen zwischen individuellen Urteilen: v (Tag 2) – t (Tag 2): 0,15 v (Tag 8) – t (Tag 8): - 0,14

Vorstellung des Nutzens Weitere Gründe für Vorhersagefehler:  Unsicherheit / Unbekanntheit bezüglich der Konsequenz Bsp.: Erster Segelturn ... Man weiß nicht, was es heißt, seekrank zu sein  Falsche intuitive Theorien darüber, was glücklich macht Bsp.: Frauen sind glücklich, wenn verheiratet, Männer, wenn single  Bei der Vorhersage dominieren andere Aspekte als beim Erlebnis Bsp.: Über den Wolken ..., und dann: lästige Mitreisende, mieses Essen  Späterer Einfluss von Trieben und Emotionen schwer einzuschätzen. Bsp.: Man plant safe sex … aber dann wird es doch ´unsafe´ sex

Nutzen von Vorstellungen Vorstellung als Prozess der Antizipation der Outcomes, der bereits in der Gegenwart Emotionen auslöst: Nutzen von Vorstellungen Ökonomen waren sich der Wichtigkeit der Antizipation von Lust und Leid als Faktor für wirtschaftliche Entscheidungen bewusst: Zum Beispiel: Jevons, Marshall und Pareto Dieser Nutzen der Vorstellung des Outcome ist nicht identisch mit dem Nutzen des Outcome ! Zum Beispiel: Besuch beim Zahnarzt

Nutzen von Vorstellungen : Loewenstein (u.a.) Vorstellung des Erlebens in der Zukunft erlaubt bzw. evoziert Erleben in der Gegenwart: Antizipationsnutzen Antizipationsnutzen durch ´savoring and dread´ : - Antizipation angenehmer Zustände, also positiver Erfahrung: Vorfreude, Spannung, ... (to savor: Genuss erahnen, Vorgeschmack) - Antizipation unangenehmer Zustände, also negativer Erfahrung: Angst, Bangen, ... (to dread: mit Furcht erwarten)

Nutzen von Vorstellungen : Elster & Loewenstein ´Savoring and dread´ variieren - mit der emotionalen Intensität des antizipierten Ereignisses und - mit der zeitlichen Entfernung zum antizipierten Ereignis. Bsp.: Zahnsteinentfernung vs. Wurzelbehandlung Man kann ein zukünftiges Ereignis schwer genussvoll antizipieren, das in der Gegenwart unattraktiv ist. Bsp.: Vorstellung eines Dinner, wenn man sich gerade satt gegessen hat. Die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Ereignisses spielt für die Vorstellung des Nutzens keine Rolle. Bsp.: Vorstellung der Romantik eines Rendezvous ist unabhängig von der Wahrscheinlichkeit, dass man sitzen gelassen wird.

Nutzen von Vorstellungen … ein anderer Typ In den bisher beschriebenen Situationen haben wir angenommen, dass der Entscheider die Konsequenzen seiner Wahl für grundsätzlich möglich und für entscheidungs-relevant hält. Wir haben ferner angenommen, dass der Entscheider die potentiellen Konsequenzen antizipiert und - sich den Nutzen vorstellt, den er in der Zukunft erfahren würde (Kahneman) oder - durch ihre Vorstellung Nutzen in der Gegenwart gewinnt (Loewenstein). Aber es gibt andere Situationen – Situationen in denen die Vorstellung noch eine andere Funktion hat.

Bsp. 1 – Das Bett von Brigitte Bardot Während einer Reise durch Italien … Ich wusste, dass kein Hauch von BB mehr im Zimmer war … Aber die Vorstellung evozierte angenehme Gefühle im Moment der Entscheidung und versprach angenehme Gefühle für die Nacht. Die Vorstellung erhöhte den Nutzen der Übernachtung in dem Bett und damit die Bereitschaft zur Zahlung eines höheren Preises.

Bsp. 2 – Das Arbeitszimmer von Nietzsche Touristen im Engadin fahren nach Sils Maria … Sie wissen, dass in dem Raum nichts mehr so ist wie damals …  Aber die Vorstellung schafft angenehme, fast andächtige Gefühle. Die Vorstellung erhöht den Nutzen der Besichtigung und damit die Bereitschaft zur Zahlung des Eintrittspreises.

Bsp. 3 – Das Grab mit Ausblick Manche Menschen kaufen zu Lebzeiten eine Grabstelle für sich … Sie wissen, dass sie das Meer nicht sehen werden.  Aber die Vorstellung ist schön, jetzt und immer wenn sie hinkommen. Die Vorstellung erhöht den Nutzen des Grabes und damit die Bereitschaft, mehr Geld für ein Grab mit (schönem) Ausblick auszugeben.

Bsp. 4 – Der Lottoschein Viele Menschen kaufen Lottoscheine. Viele glauben nicht wirklich, dass sie gewinnen werden. Sie kennen die extrem geringen Wahrscheinlichkeiten. Aber die Vorstellung eines Millionengewinns schafft gute Laune. You don´t buy a ticket, you buy a dream. Die Vorstellung erhöht den Nutzen des Lottoscheins und rechtfertigt, Geld für ein Spiel mit einem negativen Erwartungswert auszugeben.

Bsp. 5 – Das Begräbnis von Queen Mum / Lady Di Viele Menschen fuhren weite Strecken und warteten Stunden …  Sie wissen, dass Queen Mum den Respekt nicht entgegen nehmen kann. Aber die Vorstellung, in eine Beziehung zu Queen Mum zu treten, weckt gute Erinnerungen und gute Gefühle für einige Stunden. Die Vorstellung erhöht den Nutzen der Aktion und begründet, warum man sechs Stunden wartet, um einen Sarg zu sehen – für eine Minute.

Bsp. 6 – Das fröhliche Lamm Wir bestellen Lammbraten – und denken nicht an das Vorleben des Lammes Wir wissen, dass das Vorleben des Lammes – es blökte fröhlich auf der Wiese - irrelevant ist für Geschmack und Verzehr.  Aber die Vorstellung von Leben und Tod des Lammes ist unschön ... Nur die Abwehr der Vorstellung sichert Nutzen des Bratens für den Gast und ermöglicht ihm die Bestellung.

Vorstellungen im als-ob-Modus All dies sind zweifellos Entscheidungen. Der Entscheider investiert Geld, Zeit, Anstrengung in “etwas”, das ihm jetzt positive Erfahrungen bringt bzw. negative Erfahrungen verhindert: pos./neg. Nutzen. Der Nutzen wird durch die Vorstellung dieses “etwas” generiert – genau darin liegt die Funktion der Vorstellung. Diese Vorstellung aber ist eine Vorstellung im als-ob: ... als ob ich vom Grab aus das Meer sehen könnte, ... als ob noch ein Hauch von BB im Raume wäre, ... als ob ich eine Million gewonnen hätte.

Als-ob-Vorstellungen sind keine Erwartungen Der Entscheider weiß nämlich, ... dass er das Meer nicht sehen wird, ... dass in Nietzsches Arbeitszimmer nichts echt ist, ... dass Queen Mum seinen Respekt nicht würdigen wird.  Es ist also keine Erwartung im entscheidungstheoretischen Sinne, dass ein Zustand oder ein Ereignis mit einer Wahrscheinlichkeit p eintreten wird. Man muss allerdings so tun als-ob, sonst funktioniert es nicht, dann gibt es die schönen Gefühle nicht!

Als-ob-Vorstellungen sind robust Als-ob-Vorstellungen lässt sich der Entscheider nicht gerne rauben. Bsp.: der Freund tritt ans Grab der Statistiker spricht über Lotto Die Verteidigung ist nicht leicht. Die Gegenargumente sind “hart”. Bsp.: die Ehefrau und BB die Ausgabe für den Lottoschein Strategien der Verteidigung: - als-ob leugnen: man kann wirklich gewinnen; das Lamm war schnell tot - als-ob zugeben: ich werde das Meer nicht sehen, aber die Vorstellung gefällt mir – lass sie mir.

Als-ob-Vorstellungen sind messbar Wie sehr jemand auf seiner als-ob-Vorstellung besteht, hängt von der Höhe des Nutzens ab, den er durch sie gewinnt. Dieser Nutzen der Vorstellung ist messbar: Es ist der Preis, den jemand zu zahlen bereit ist - für ein Grab mit Blick auf Meer vs. Mülleimer, oder für ein BB-Zimmer vs. anderes Zimmer. Hypothetische Unterschiede in der Zahlungsbereitschaft – Bsp. BB: - Mann vs. Frau - Alter des Gastes - Zeitpunkt von BBs Übernachtung

Als-ob-Vorstellungen sind ökonomisch relevant Hotels und Restaurants: - Hotels: “hier hat Goethe übernachtet” - Restaurant: “hier haben Clinton und Schröder gegessen” Besichtigungen: - Häuser: Freuds Geburtshaus - Schlösser: Warschauer Stadtschloss Immobilien: Die Häuser von Filmstars Bestattungen: Gräber, Arrangements, Blumen Objekte aus dem Besitz von ...: Yacht von Göring, Kleid von Marylin

Als-ob-Vorstellungen als Werbestrategie Werbung: Bsp. Waschmittel (Weiß-heit, Ehemann) Bsp. Automobile (Models, Umgebung) Grundnutzen und Zusatznutzen Kunst der Werbung: Verkauf bzw. Preissteigerung durch Angebot bzw. Zumutung von als-ob-Vorstellungen, die Zusatznutzen versprechen und – machmal oder manchem – auch tatsächlich bringen.

Selbst wenn man weiß, dass das, was man sich vormacht, nur etwas Vorgemachtes ist, wird aus dem Vorgemachten etwas Spürbares, Fastreales. Martin Walser, Im Augenblick der Liebe.