Prof. Dr. Herbert Zech, Universität Basel Technizität im Patentrecht – Eine intra- und interdisziplinäre Analyse des Technikbegriffs Methodenfragen des Patentrechts, Symposium zum 70. Geburtstag von Theo Bodewig, Humboldt-Universität, Berlin, 2.12.2016 Prof. Dr. Herbert Zech, Universität Basel
Übersicht Meinungsstreit Auslegungsmittel Elemente des Technikbegriffs Systematik Funktion
I. Patentrechtlicher Technikbegriff § 1 I PatG, Art. 52 I EPÜ, Art. 27 I TRIPS: Erfindungen auf allen Gebieten der Technik „Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges“ (BGH, 27.03.1969, X ZB 15/67 – Rote Taube) “human intervention, to bring about a result by utilising the forces of nature” (EPA, 9.12.2010, G 2/07 – Broccoli/PLANT BIOSCIENCE )
Patentrechtlicher Technikbegriff “Bereich des menschlichen Schaffens […], wenn dieser neue Bereich sich als eine Fortentwicklung des Wissens und Könnens aus einem Bereich darstellt, welcher in der Vergangenheit bereits als Gebiet der Technik anerkannt wurde“ (Nack) “as a purposive human method of working on the physical world to produce an objectively discernible (material) result directed to advancing the industrial arts, where by “industrial arts” I mean the crafts and other activities of industry” (Pila) “Lehre zum planmäßigen Handeln zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges […]. […] auch Anweisungen, die sich ausschließlich an den menschlichen Geist richten, also allein in ihrer Abstraktheit zur Lösung eines Problems führen“ (Schrader)
Patentrechtlicher Technikbegriff: USA “anything under the sun that is made by man“ (US Supreme Court, 16.6.1980, 447 U.S. 303 – Diamond v. Chakrabarty) “The machine-or-transformation test is not the sole test for patent eligibility under § 101. The Court’s precedents establish that although the test may be a useful and important clue or investigative tool, it is not the sole test for deciding whether an invention is a patent-eligible “process” under § 101.“ (US Supreme Court, 28.6.2010, 561 U.S. 593 – Bilski v. Kappos) “(1) a newly discovered law of nature is itself unpatentable and (2) the application of that newly discovered law is also normally unpatentable if the application merely relies upon elements already known in the art” (US Supreme Court, 20.3.2012, 132 S. Ct. 1289 – Mayo v. Prometheus)
II. Relevanz der verschiedenen Auslegungsmittel Wortsinn: Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (→III.) Systematik: Verhältnis zu anderen Schutzrechten (→IV.) (Historie: Entstehung) Zweck: Ökonomische Funktion (→V.)
III. Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden
Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden = Lösen einer Aufgabe z.B. auch mathematische Algorithmen (Logik) Nicht notwendig Kausalität
Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden = in der Außenwelt Kausalität (nicht notwendig naturwissenschaftliche) Grenzfall: Lerntechnik
Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden = Ausnutzung von Naturgesetzen Nicht: sozial, ökonomisch Rote Taube
Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden Werkzeuge oder sonstige Artefakte Insbesondere Maschinen (unkörperliche Artefakte?) machine or transformation
Elemente des außerrechtlichen Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden ≠ angewandte Wissenschaft (historisch: Technik als Vorläufer) Patentrecht: auch Tüftler
IV. Systematik: Verhältnis zu anderen Schutzrechten Urheberrecht: Werk als Kommunikationsinhalt? (aber: Computerprogramme in § 2 I Nr. 1 UrhG) Gestaltungsspielraum für künstlerische Leistung (BGH, 12.05.2011, I ZR 53/10 – Seilzirkus) Designrecht: § 3 I Nr. 1 DesignG (Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen, die ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt sind) Markenrecht: § 3 II Nr. 2 MarkenG (Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist) (EuGH, 18.6.2002, C-299/99 – Philips/Remington: auch wenn andere Formen mit gleicher technischer Wirkung) Urheberrecht: BGH Seilzirkus: Werk als „Schöpfung individueller Prägung“„20] Technisch bedingt sind diejenigen Merkmale eines Gebrauchsgegenstandes, ohne die er nicht funktionieren könnte (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 2 Rn. 47). Dazu gehören sowohl Merkmale, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen, als auch Merkmale, die zwar aus technischen Gründen verwendet werden, aber frei wählbar oder austauschbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 – I ZR 124/06, GRUR 2010, 80 Rn. 27 = WRP 2010, 94 – LIKEaBIKE). Soweit die Gestaltung solcher Merkmale allein auf technischen Erfordernissen beruht, können sie einem Gebrauchsgegenstand keinen Urheberrechtsschutz verleihen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1981 – I ZR 62/79, GRUR 1982, 305, 307 – Büromöbelprogramm; Urteil vom 15. Juli 2004 – I ZR 142/01, GRUR 2004, 941, 942 = WRP 2004, 1498 – Metallbett).“ „[24] Urheberrechtsschutz für einen Gebrauchsgegenstand kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daher nur in Betracht, wenn seine Gestaltung nicht nur eine technische Lösung verkörpert, sondern einen durch eine künstlerische Leistung geschaffenen ästhetischen Gehalt aufweist (BGH, Urteil vom 27. November 1956 – I ZR 57/55, BGHZ 22, 209, 215 – Europapost; vgl. schon RGZ, Urteil vom 10. Juni 1911 – I 133/10, RGZ 76, 339, 344 – Schulfraktur). Zwar kann auch eine Gestaltung, die lediglich eine technische Lösung verkörpert, eine ästhetische Wirkung haben. Urheberrechtlich geschützt ist jedoch nur die Gestaltung, die auf einer künstlerischen Leistung beruht (vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., S. 150).“ „Bei Gebrauchsgegenständen, die bestimmten technischen Anforderungen genügen müssen und technisch bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, sind die Möglichkeiten einer künstlerisch-ästhetischen Ausformung zwar nicht ausgeschlossen, aber regelmäßig eingeschränkt (vgl. BGH, GRUR 1982, 305, 306 f. – Büromöbelprogramm).“ „[33] Die Revision geht zu Unrecht davon aus, dass nur eine Verwendung technisch zwingend notwendiger Gestaltungsmerkmale einen Urheberrechtsschutz ausschließt. Sie berücksichtigt nicht, dass – wie ausgeführt (oben Rn. 20) – eine Gestaltung auch dann keinen Urheberrechtsschutz genießt, wenn sie allein aus zwar frei wählbaren oder austauschbaren, aber technisch bedingten Merkmalen besteht und keine künstlerische Leistung erkennen lässt.„ Markenrecht: EuGH, Urteil vom 18.06.2002 – C-299/99 – Philips/Remington (1): „4. Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 89/104 ist dahin auszulegen, dass ein Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, aufgrund dieser Vorschrift nicht eintragungsfähig ist, wenn nachgewiesen wird, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale dieser Form nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind. Ferner kann durch den Nachweis, dass es andere Formen gibt, mit denen sich die gleiche technische Wirkung erzielen lässt, nicht das Eintragungshindernis oder der Grund für die Ungültigerklärung nach dieser Vorschrift ausgeräumt werden.“
Systematik: Technikbegriffe Außerrechtlich: Technikwissenschaften (Technik als Erkenntnisgegenstand) Rechtlich: Technikrecht (Technik als besonderer Regelungsgegenstand ‒ Dynamik, Komplexität, Eigengesetzlichkeit, externe Effekte) Immaterialgüterrechtlich: Technische Bedingtheit Patentrechtlich: Technische Erfindung
V. Funktion des Technizitätserfordernisses Begrenzung des patentrechtlichen Schutzes auf Erteilungsebene (neben Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit) Abgrenzung gegenüber anderen Schutzrechten (Urheberrecht: konkrete Ausgestaltung, Schutz vor Vervielfältigung) Abgrenzung gegenüber gemeinfreien Immaterialgütern (Erkenntnisse, nichttechnische Lehren) Innovationen nur geschützt ab bestimmtem Stadium (Erfindung) in bestimmten Bereichen (Technik)
Elemente des Technikbegriffs (Erkenntnis) Methode: Vorgehensweise zur Erreichung eines bestimmten Ziels Handlungsanweisung: Information über Ursache-Wirkungs-Beziehungen Einsatz von Naturkräften: naturgegebene Kausalzusammenhänge Erzeugung/Verwendung von Artefakten: körperliche/unkörperliche menschengemachte Objekte Wissenschaftliche Absicherung: Anwendung wissenschaftlicher Methoden
Offene Fragen Einheitliche oder technikspezifische Auslegung? (ähnlich Traditionstheorie; Probleme: Technikneutralität, Rechtssicherheit) Begrenzungen der Schutzwirkung als geeignetere Mittel? (z.B. Zwangslizenzen gegen Blockadeeffekte, sichern Anreiz für Grundlagenerfindungen) (Handlungsanweisung als kleinste Einheit technischer Neuerung, Spannungsverhältnis zur Beanspruchung)
Fazit Außerrechtlicher Technikbegriff als analytisches Werkzeug Auslegung nach dem klassischen Methodenkanon Dominanz des ökonomischen Zwecks Zweckmäßigkeit der Rote-Taube-Formel
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Folien veröffentlicht unter: https://ius.unibas.ch/zech-herbert/