Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Grundfragen der Soziologie Sommersemester 2010 8. Veranstaltung: Bildung 11.06.2010 Horan Lee, Lehrbeauftragter.

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Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Grundfragen der Soziologie Sommersemester Veranstaltung: Bildung Horan Lee, Lehrbeauftragter Lehrstuhl für Soziologie, TU München Kontakt:

1.Was ist Bildungssoziologie? 2.Zur historischen Entwicklung des Bildungswesens 3.Soziologische Bildungsforschung Gliederung der Vorlesung zu „Bildung“

1. Was ist Bildungssoziologie? „Bildung“ – ein weites Forschungsfeld Bildung Soziologie ( oziologie.de) Sozialisations- forschung Psychologie Rechts- und Wirtschaftswissen- schaften Pädagogik Die Bildungssoziologie ist eingebettet in eine interdisziplinäre, multiperspektivische Bildungsforschung mit dominanter Pädagogik!

Forschungsmatrix des Nationalen Bildungspanels (NEPS)

 Joas, H. (2001): Lehrbuch der Soziologie.  Lehnhardt, G.: Bildung  Tippelt, R. (2002): Handbuch der Bildungsforschung.  Allmendinger, J.; Aisenbrey, S.: Soziologische Bildungsforschung, S  Becker, R. (2009): Lehrbuch der Bildungssoziologie Wichtige Hand- und Lehrbücher zur Bildungssoziologie Zentrales und übergreifendes Thema der Bildungssoziologie ist die Frage „nach den Ursprüngen der sozialen Ungleichheit und dabei nach den Gründen für die erstaunliche Persistenz dieser sozialen Ungleichheit im historischen Ablauf über die Generationen hinweg.“ (Kopp 2009, S. 16)

 Makroebene  Entstehung, Veränderung und Funktionen des Bildungssystems  Sozialstrukturelle Wirkungen des Bildungssystems (insbesondere auch auf Chancengleichheit bzw. soziale Ungleichheit)  Mikroebene  Zugang zu und Nutzen von Bildung für das Individuum  Wie wird Bildung erworben und wie wirkt sie sich auf den Einzelnen aus?  Mesoebene  Analyse von Bildungsorganisationen, z.B. Schulen oder Hochschulen, und wiederum ihrer Wirkungen auf den Einzelnen  Steuerung und Gestaltung von Bildungseinrichtungen („Educational governance“) Analyseebenen soziologischer Bildungsforschung

 Von Friedeburg, L. (1992): Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Wandel. Frankfurt/Main  Herrlitz, H.-G.; Hopf, W.; Titze, H. (2009): Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart – Eine Einführung. 5. aktualisierte Auflage, Weinheim und München  Greinert, W.-D. (1995): Das „deutsche System“ der Berufsausbildung: Geschichte, Organisation, Perspektiven. Baden-Baden  Jung, J. (2004): Georg Kerschensteiner (1854–1932) und die Arbeitsschulbewegung. In: Kaiser, A.; Pech, D. (Hg.): Geschichte und historische Konzeptionen des Sachunterrichts. Baltmannsweiler 2. Zur historischen Entwicklung des Bildungswesens

 Zur Erklärung der Besonderheiten des deutschen Bildungswesens können nach Kopp (2009) verschiedene strukturgebende Ereignisse in der Historie identifiziert werden.  Ausgehend von den gesellschaftlichen revolutionären Umwälzungen im 18. Jhdt. (Industrielle Revolution, Französische Revolution, Aufklärung), entwickelt sich die Gesellschaft von einer geburtsständisch gegliederten zu einer zunehmend berufsständisch strukturierten.  Der Staat tritt im Rahmen dieses Wandels als Bewahrer bestehender Herrschaftsstrukturen auf und macht sich dazu insbesondere das Bildungswesen zunutze. 2. Zur historischen Entwicklung des Bildungswesens

 Aus der strikten Trennung der höheren Bildung von der Volksbildung entwickelt sich das bis heute vorherrschende gegliederte Schulsystem heraus. Grundlegend ist u.a. die Befürchtung Bismarcks „ein staatsgefährdendes Proletariat Gebildeter“ heran zu züchten, während zu wenige bereit seien, Arbeit nicht nur zu beaufsichtigen, sondern selbst zu arbeiten.  Die Trennung in verschiedene Schultypen korrespondiert mit einer institutionellen Trennung der Lehrerbildung.  Auch die lange Zeit konfessionell geprägte Organisation der Bildung wirkte in Richtung getrennt gehaltener Bildungswege. 2. Zur historischen Entwicklung des Bildungswesens

 Die Industrie, als treibendes Moment zu einer allgemeinen Ausweitung des Bildungswesens, kann sich gegen Schicht-, Standes- und staatlichen Herrschaftsinteressen nicht durchsetzen.  Die erst 1920 in der Weimarer Republik geschaffene gemeinsame 4- jährige Grundschule muss als Teilerfolg einer ursprünglich viel umfassender geplanten Reform des Bildungswesens verstanden werden.  Die Chance eines prinzipiellen Neuanfangs im Bildungsbereich nach 1945 wurde versäumt. Fazit: „ Die grundlegenden Strukturen und institutionellen Regelungen auch des aktuellen deutschen Bildungssystems sind tief in den Konflikten und Gegensätzen des 18. und 19. Jahrhunderts verankert.“ (Kopp 2009, S. 37) 2. Zur historischen Entwicklung des Bildungswesens

 Der Altphilologe Georg Picht konstatiert 1964 „Die deutsche Bildungskatastrophe“. Unter dem starken Eindruck des sog. „Sputnikschock“, wird – ohne wissenschaftlich fundierte Belege – ‚Bildungsnotstand‘ mit ‚wirtschaftlichem Notstand‘ gleichgesetzt.  Der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf warnt 1965 mit dem Plädoyer „Bildung ist Bürgerrecht“ vor einem einseitig ökonomisch begründeten Ausbau des Bildungssystems und verweist auf das in der Verfassung abgesicherte soziale Grundrecht auf Bildung und die darin verbriefte Chancengleichheit. Bildungskatastrophe und Bildungsexpansion

 Damit ist einerseits der Grundstein gelegt für einen beispiellosen Ausbau des Bildungswesens, andererseits das Thema der ungleichen Bildungschancen auf die Agenda der Bildungsforschung gesetzt. Während sich Bildungsexpansion in erster Linie in quantitativer Hinsicht durch Niveaueffekte auszeichnet und (zunehmend abgeschwächt) bis heute anhält, bleiben strukturelle Veränderungen weitgehend aus.  Die Bildungssoziologie und die Thematisierung von Bildungsungleichheit ist von starken konjunkturellen Schwankungen gekennzeichnet: Nach einer intensiven, aber relativ kurzen Anfangsphase verschwindet das Thema in den 70ern fast völlig aus der Diskussion. Erst seit Mitte der 90er rückt der Zusammenhang von Bildung und sozialer Ungleichheit wieder stärker in den Fokus. Verstärkt durch den sog. „PISA-Schock“ 2001 ist die Bildungs- Debatte in Deutschland heute fast omnipräsent, was sich u.a. auch in der soziologischen Bildungsforschung niederschlägt. Bildungskatastrophe und Bildungsexpansion

3. Soziologische Bildungsforschung  Bis in die 90er Hauptschule meistbesuchter Schultyp, dann vom Gymnasium abgelöst („Niveaueffekt“)

3. Soziologische Bildungsforschung

Bildungsexpansion und Chancengleichheit

 Trotz Bildungsexpansion haben sich relativen Chancen von Arbeiterkindern, ein Studium aufzunehmen, nicht verbessert.

Bildungsexpansion und Chancengleichheit  Weitgehende Einigkeit, dass IQ-Unterschiede diese Unterschiede nicht erklären können  Mechanismen der Übersetzung von sozialer Herkunft in Bildungszugänge nicht vollständig geklärt: Schichtspezifische Erwartungen, „ökonomisches und soziales Kapital“ (Bourdieu) Quelle: Lehmann et al 1997 in Allmendinger/Aisenbrey 2002

Bildungserträge  Erklärungsansätze für den Zusammenhang von Bildung und Beschäftigung  Humankapitaltheorie: Höher gebildete Menschen sind produktiver und verdienen deshalb mehr. Individuelle Bildungsentscheidungen werden nach ökonomischen Kosten-Nutzen-Abwägungen getroffen.  Konflikttheorien: Nicht die wirklichen Fähigkeiten zählen, sondern die Signalwirkung von Bildungszertifikaten (signalling approach), Schulen und Universitäten kommt damit eine hohe Platzierungskraft zu (Allokationstheorie).  Fakten:  Deutlich höhere Einkommen und deutlich geringere Arbeitslosigkeit von Menschen mit höherer Schulbildung  Einkommen: Verhältnis 100% (ungelernt) / 123% (duale Ausbildung) 162% (FH) / 215% (Uni) (männlich, Klemm 2000 in Allmendinger /Aisenbrey 2002)  Arbeitslosenquote: 9,5% (Durchschnitt) / 24,2% (ohne Ausbildung) / 4% (Hochschulabschluss) (Allmendinger/Aisenbrey 2002)

Bildungsexpansion und Bildungserträge  Führt die Bildungsexpansion zu einer Lockerung der Verknüpfung von Bildungs- und Beschäftigungssystem und damit zu einer Stärkung der Zuweisungsfunktion der Familie?  Führt die Bildungsexpansion zu allgemeiner Überqualifikation und folgt daraus „Proletarisierung“ oder „Verdrängung“?  Empirische Untersuchungen bei Hochschulabsolventen sprechen eher für die Verdrängungsthese  Mögliche Erklärung: Allgemeines Upgrading der Berufsstruktur: Anspruchsniveau der Tätigkeiten insgesamt steigt  Gruppenspezifische Unterschiede: Frauen können ihren relativ hohen Bildungserfolg nicht in gleichem Maße in entsprechende Arbeitsmarkterfolge umsetzen

Wichtige Theorien  Wichtige Bildungsansätze und -theorien  Manpower Approach: Bedarfsansatz, Zahl der zu Bildenden wird durch Arbeitsmarktbedarf reguliert  Social demand: Bildung als Bürgerrecht  Humankapitaltheorie: Je höher das Bildungsniveau, desto höher die Produktivität (individuell und für Gesellschaften als Ganze)  Funktionalismus: Schichtung des Arbeitsmarktes entspricht Schichtung von Anlagen (Begabung, Anstrengung) und erfordert geschichtetes Bildungssystem (Davis & Moore 1945)  Konflikttheorie: Schule reproduziert die Klassenstruktur, indem sie familiären Status weitergibt (Chancengleichheit nur scheinbar) (Bourdieu)  Allokationstheorien: besuchte Schulen und Hochschulen bestimmen Status (USA)