INSTITUT FÜR INNOVATION UND BERATUNG AN DER EVANGELISCHEN FACHHOCHSCHULE BERLIN e.V. Mathias Schwabe Evangelische Fachhochschule Berlin Pädagogik und Zwang.

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 Präsentation transkript:

INSTITUT FÜR INNOVATION UND BERATUNG AN DER EVANGELISCHEN FACHHOCHSCHULE BERLIN e.V. Mathias Schwabe Evangelische Fachhochschule Berlin Pädagogik und Zwang II Teil 1:Vorschläge zur Begriffsbildung Teil 2: Forschungsergebnisse aus Intensiv- gruppen mit Zwangselementen

Teil 1: Vorschläge zur Begriffsbildung Definition: Zwang übt man aus, wenn man zur Durchsetzung seines Willens gegen den Willen eines Anderen Machtmittel anwendet, die das Ziel verfolgen, den Anderen physisch oder/und psychisch so zu involvieren, dass er die Durchsetzung seines Willens zumindest vorübergehend aufgibt und sich bezogen auf eigene Ziele dem fremden Willen unterordnet.

Beispiele  Eine Mutter im Supermarkt, die die Hand ihres Kindes festhält, und diesem den schon ergriffenen Schokoriegel entwindet  Ein Überfäller, der mit der Waffe in der Hand die Herausgabe der Geldbörse erzwingt  Ein Polizist, der einen Autofahrer, der zu schnell gefahren ist, mit der „Kelle“ an den Straßenrand herauswinkt

Zwang kommt also zum Einsatz  im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols  im Rahmen von Gewalt – Verbrechen, Nötigung, Raub, Vergewaltigung etc.  im Rahmen von Erziehung

Im Wort Zwang ist angelegt, dass legitime Eingriffe und illegales Handeln vernünftige Gründe und partikulare Interessen brutale und kontrollierte, Formen der Körperlichkeit sehr nahe beieinander liegen.

In beinahe jedem, auch in „guten“ Erziehungsprozessen, erleben Kinder Episoden von Zwang. Fremdzwänge sind zur Etablierung von Selbstkontrolle anfangs und immer wieder unverzichtbar. Zwangsmomente können Bildungsprozesse anstoßen. Sie können aber rasch in körperliche Gewalt oder psychische Misshandlung umschlagen.

Deswegen passt ein inneres Bild von „Zwang“, das etwa so aussieht: Gewalt Schutzauftrag Verhinderung von Selbst- und Fremdgefährdung Durchsetzung ver- nünftiger pädago- gischer Forderungen

Wie können wir unzulässige Gewalt in der Erziehung von konstruktiven Formen von Zwang unterscheiden?

Komplexe Unterscheidung I Konstruktiver, wenn auch Gewalt riskanter Versuch zu Entwicklungsimpulsen Familie und Einrichtungen: liebevoll gestaltet Gesamt- überwiegend Mögl. zur Autonomie Rahmen konflikthaft Vernünftige Gründe Begründung partikulare Interessen Kontrollierter Durchsetzungs- unkontrolliertes Agieren Körpereinsatz mittel (Körper / Worte) möglichst wenig Umsetzungs- reine Zweckorientierung Schmerzen, Demütigung anspruch

Komplexe Unterscheidung II Konstruktiver, wenn auch Gewalt riskanter Versuch zu Entwicklungsimpulsen In Einrichtungen: ausgearbeitet und fachlich kontrol- nicht vorhanden abgestimmt lierte Verfahren Geklärt, vorhanden rechtsstaatliche nicht gegeben Grundlage Externe Evaluation Beobachtung: keine regel- Ziele/Entwicklung mäßige

Unterschiede R. Stoppel Pädagogik und Zwang sind klar zu unterscheiden Zwang zur pädagogischen Grenzsetzung ist nicht legitim Erziehungs- und Aufsichtsverantwortung (Gefahrenabwehr) verfolgen unterschiedliche Ziele und sind strikt getrennt zu halten. Zwang darf nur da angewandt werden, wo eindeutig geklärte rechtsstaatliche Vorraussetzungen vorliegen Hr. Schwabe... hängen auf vielfältige, innige und subtile Weise zusammen …ist immer wieder als Mittel der Grenzsetzung erforderlich Aufsichts- und Erziehungsaufträge gehen in vielen Fällen Hand in Hand. Es kann sinnvoll sein sie zu trennen aber auch sie zu verkoppeln Zwang bedarf der fachlichen Kontrolle durch Verfahren und Evaluation. Juristisch betrachtet, wird es sich in vielen Fällen um einen Graubereich handeln

Im Kontext Sozialer Arbeit sind MitarbeiterInnen in mindestens vier Z usammenhängen aufgefordert, mit „Zwang“ fachlich „gut“ u mzugehen  Arbeit mit KlientInnen im Zwangskontext  Einsatz von einzelnen Zwangselementen in offenen Settings  Erziehung und Bildung unter der Bedingung von Freiheitsentzug: Gefängnis oder GU  Aufdecken und Anprangern von fachlich nicht sinnvollen oder rechtlich nicht abgesicherten Formen von Zwang

Zwangskontext: Der Klient wird durch richterlichen Beschluss zur Annahme einer spezifischen Hilfeform gezwungen, er muss zwar kommen A) aber was konkret bei der Durchführung der Hilfe geschieht, kann weitgehend ausgehandelt werden wie z.B. nach einer Beratungsauflage B) wird zwar vorgegeben, Pflicht zum Mitmachen besteht, aber Kontrolle bezieht sich lediglich auf einen eng begrenzten Ort wie z.B. beim gerichtlich ang. AAT-Training Abgesehen vom Zwang zur Hilfe bleibt der Klient frei.

Institutionalisierte Zwangselemente: Der Klient wird bei der Durchführung der Hilfe mit einzelnen Settingelementen konfrontiert, die mit Zwang verbunden sind. Viele davon „nur“ freiheitsbeschränkend, aber Eingriffe in Persönlichkeitsrechte, z.T. juristisch gar nicht fassbar, aber als Zwang erlebt Die Annahme der Hilfe kann mehr oder weniger (un)freiwillig erfolgt sein.

Bildung/Erziehung/Therapie unter den Bedingungen von Freiheitsentzug: Der Klient muss sich auf richterlichen Beschluss hin an einem zugewiesenen Ort aufhalten. Weite Teile seines Lebens sind den Regularien der Institution unterworfen. Dort soll er auch gebildet und erzogen werden. Beispiele: Jugendstrafanstalt, Geschlossene Unterbringung, Einweisung in Klinik nach PsychKG

Zwei oder drei dieser Formen von Zwang können auch in einer Hilfeform zusammen kommen.... sollten aber analytisch klar unterschieden werden

Teil 2: Zwangselemente in drei Intensivgruppen  „Auszeit“-Räume (2)  Stundenweise geschlossene Türen (2)  Ausstiegssichere Fenster (3)  Einschluss über Nacht mit vorangehender Leibesvisitation (1)  Verpflichtende Teilnahme an Gruppenaktivitäten (2)  Verpflichtende Teilnahme an einem Punkteprogramm, über das der Zugang zu oder das Ausscheiden aus Lebensqualitätsstufen geregelt wird (1)

Diese Praxen stellen nur einen kleinen Teil der Settingelemente dar… können aber im Erleben der Kinder alles andere überschatten…oder als „Randphänomene“ empfunden werden Daneben erleben die Kinder und Jugendlichen persönliche Gespräche mit den Bezugserziehern, freiwillige Neigungsgruppen, individuelle Therapieangebote, erlebnispädagogische Exkursionen, Elternarbeit u.v.m.

Zielgruppe Alle „jungen Menschen“ zeichnen sich durch zum Teil erhebliche Entwicklungsverzögerungen im kognitiven, emotionalen und sozialen Bereich aus, sehr oft auf Grund von Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch. Alle waren mindestens einmal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Behandlung. Alle waren bereits zweimal und mehr aus einem anderen Heim und/oder eine Pflegefamilie entlassen worden (bis 5 mal), vor allem auf Grund von „untragbarer Aggressivität“.  bei den „Spatzen“ 8 – 12 jährige Kinder  bei den „Wellenbrechern“ 12 – 15 jährige Kinder/Jugendliche  bei „Step by Step“ 14 – 17 jährige Jugendliche

Zwangserfahrungen N = 38 Unklar zu wenig biograph. Wissen Muster A: zu viel, zu oft, zu rigide Muster B: zu wenig, unklar, ohne Power Muster C: Chaotisches Hin- und Her zwisch. A und B Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 Kinder 5 Jugendliche 6 Jugendliche 4 Jugendliche 4 Jugendliche 7

Für jedes dieser Kinder und Jugendlichen wäre auch ein anderes Setting in Frage gekommen... Es gibt keine eindeutige Indikation, die ausschließlich Zwangselemente nahe legt.... Aber es gab mehr oder weniger intensive fachliche Suchbewegungen/Hilfeplanungen mit der Frage: „was kann bei diesem Kind helfen?“ Bei jedem dieser Kinder war klar, dass in anderen Settings andere Risiken und Nebenwirkungen zu erwarten sind

2. Forschungskontext „über all dem liegt ein bitterer Geschmack…“ ( Wilhelm Rotthaus) Die Geschichte der „Schwarzen Pädagogik“ (K. Rutschky) ist lang und gruselig Ehemalige berichten von entwürdigenden und traumatisierenden Erziehungspraktiken bis in die Achtziger Jahre auch in den Heimen der Diakonie Die Hilfen für diese Kinder/Jugendlichen setzten oft zu spät ein oder wurden zu Beginn in unprofessioneller Weise erbracht.

Unter dem Druck der Krankenkassen wurde die mittlere Behandlungsdauer in den Kinder- und Jugendpsychiatrien in den letzten 10 Jahren um 34 % abgesenkt. Politiker versprechen sich von der medien-wirksamen Propagierung von „Zwang in der Erziehung“ die Gunst von WählerInnen. Die Personalausstattung in Heimen bei Regel-Leistungen wurde in den letzten 10 Jahren an vielen Orten massiv gekürzt. Der Graubereich bei den nicht dokumentierten bzw. reflektierten „Zwangselementen“ dürfte noch immer viel zu groß sein. Aber: bietet sich das LJA dafür auch als Partner auf „Augenhöhe“ an?

3. Methodologische Aspekte Kleine Stichprobe N = 38 Kinder und Jugendliche Methoden-Mix  Rekonstruktion von Biographien aus Akten  Genaue Protokollierung der Zwangselemente (wer, wann wie oft etc.)  Teilnehmende Beobachtung vor Ort  Befragung von Kindern und Jugendlichen – sowohl den von Zwangselementen Betroffenen als auch den „BeobachterInnen“  Befragung von Eltern  Einschätzung der Entwicklungsverläufe durch MitarbeiterInnen, Projektberater und Eltern Formative Evaluation = regelmäßiges Einbringen der Ergebnisse in den Verlauf der Untersuchung d.h. der Gegenstand verändert sich ständig mit

4.1 Ergebnisse Auszeiträume Auszeiträume sind verletzungsarm gestaltete Räume mit von außen einsehbarem Sichtfenster oder Kamera, in die jungen Menschen gegen ihren Willen gebracht werden, die sich fremd- aggressiv oder verweigernd verhalten oder sich im Verlauf von Krisen oder pädagogischen Konflikten in Hocherregung steigern und selbst- oder fremdgefährdend agieren. Der Raum dient der Herstellung einer Situation, die Beruhigung und Nachbearbeitung des Konfliktes erlauben soll. Schaumstoffwürfel dienen dazu Wut und Erregung verletzungsarm ausagieren zu können. Überwiegend ist dabei an begleitete Auszeiten gedacht, bei denen ein Pädagoge mit in den Raum hineingeht. Nur im Ausnahmefall war an „Time-out“ gedacht d.h. Isolierung des Kindes im Auszeitraum für eine begrenzte Zeitdauer.

„Sparsame“ Nutzung der Auszeiträume Einrichtung A (N = 11)  in 43 Monaten insgesamt 22 mal bei 4 Kindern  mit Pausen dazwischen von bis zu 20 Monaten  bei zwei Kindern, die für die Nutzung angemeldet waren, fand keine Nutzung statt: es ließen sich andere Formen der Konfliktbewältigung finden Einrichtung B (N = 12)  in zwei Jahren 11 mal  bei 4 jungen Menschen  bei den beiden älteren Kindern bzw. Jugendlichen (13 und 14 Jahre) fand jeweils nur ein Versuch statt

Die begleitete Auszeit mit dem Ziel der Grenzsetzung war die häufigste Form und spielte bei 5 Kindern die zentrale Rolle  Krisenintervention spielte nur bei zwei Kindern die zentrale Rolle  Time-out nur bei einem Kind Die mittlere Verweildauer im Raum betrug ca. 25 Minuten. Fast 90 % der Nutzungen dauerten zwischen 10 und 15 Minuten.

Häufigkeit und Art der Auszeitraum-Nutzung bei den „Wellenbrechern“ Wer / wie alt ? Anzahl ins. Zeitraum mit Zwang nach Auffor- derung Anlass und Entwicklungstendenzen Tom 11 J. 10 mal über 6 Monate 6 4 aggressive Angriffe auf andere z.T. Fremdgefährdung, mittelstarke Gegenwehr, schnelle Beruhigung, äußert anschließend Einverständnis, gute Beziehung zu PädagogInnen, deutlicher Rückgang der Attacken Kevin 12 J. 3 mal über 3 Monate 3 - wegen Verweigerung von zentralen Forderungen, begl. AZ, heftige Gegenwehr, keine Einsicht, Rückgang der Verweigerung, Gruppenwechsel

Häufigkeit und Art der Auszeitraum-Nutzung bei den „Wellenbrechern“ Wer / wie alt ? Anzahl ins. Zeitraum Mit Zwang nach Auffor- derung Anlass und Entwicklungstendenzen Hans 14 J. 1 mal 1 - Grenzsetzungsversuch (begl. AZ), heftige Gegenwehr, keine Wiederholung, später KJP, Entlassung auf eigenen Wunsch Thilo 13 J. 1 mal 1 -Krisensitutation mit Hocherregung Transportweg zu lange, heftige Gegenwehr, keine Wiederholung, Suche nach anderer Form d. KB

Häufigkeit und Art der Auszeitraum-Nutzung bei den „Spatzen“ Wer / wie alt ? Anzahl insg. Zeitraum Mit Zwang nach Auffor- derung Anlass und Entwicklungstendenzen Reiner 10 J. 11 mal über 7 Monate 3 8 Aggressive Attacken auf Kinder und Erwachsene, starke Gegenwehr, hohe Erregung im Raum; Ausagieren möglich; ging zunehmend freiwillig; Gewaltproblematik stark rückgängig Klaus 9 J Einmalige Krisensituation mit Hocherregung im Zusammenhang mit der Aufdeckung von traum. Erlebnissen

Häufigkeit und Art der Auszeitraum-Nutzung bei den „Spatzen“ Wer / wie alt ? Anzahl insg. Zeitraum Mit Zwang nach Auffor- derung Anlass und Entwicklungstendenzen Susi 8 J als hoch-aggressiv angekündigt; einmalige, schnelle Begrenzung führt einerseits zu intensiver Beschämung; andererseits zum Ende der Attacken Nico 10 J. 29 Psy- chiatrie: 38 Time- out Sucht Konflikte anfangs um innere Spannungen loszuwerden, später zunehmend gerichtete Aggression mit sadistischen Impulsen. Erfahrungen mit Time-out in der Psychiatrie, Nutzungsänderung von mit zu ohne Begleitung, wechselnd intens. Gegenwehr, wenig Veränderung

Fazit:  Auszeiträume können dazu beitragen hoch aggressiv agierende Kinder wirkungsvoll zu begrenzen und damit länger „auszuhalten“, so dass Verlegungen gar nicht oder erst später erfolgen müssen.  Dies gilt insbesondere dann, wenn das Kind sich in der Gruppe wohl und sich von den PädagogInnen gemocht fühlt. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Maßnahme wirkungslos oder kommt es zu verzögerten Abbrüchen.

 Kinder bis 10/12 Jahre konnten diese Form der Begrenzung in der Regel gut annehmen. Für Jugendliche stand bei der körperlichen Überwältigung die narzisstische Kränkung im Vordergrund. Ihre heftige Gegenwehr lässt dieses Mittel als zu riskant erscheinen.  Die befragten Kindern äußerten keine Angst in Bezug auf den Auszeitraum; er wurde weiter als Spielzimmer genutzt; das gilt gleichermaßen für die gezwungenen, als auch die nur beobachtenden, nicht von Zwang betroffenen Kinder.

4.2 Ergebnisse „Punktepläne und Lebensqualitätsstufen “ Stufe 1: einfache Zimmerausstattung, Ausgang nur an der Seite von PädagogInnen, interne Beschulung, kein Zutritt zum Clubraum Stufe 2: Zimmer kann persönlich eingerichtet werden, zwei Stunden Ausgang am Tag, Zugang zum Clubraum, externe Beschulung möglich Stufe 3: ein persönliches Privileg, Zimmerschlüssel, Jokerkarte für einen freien Nachmittag, Licht-aus abends selbst gestalten, Übernachtung am Wochenende auch bei Freunden Stufe 4: Handybesitz möglich, Fernseher auf dem Zimmer, länger Ausgang, Vorbereitung einer eigenen Perspektive mit mehr Freiheiten außerhalb der Gruppe

Von allen Jugendlichen (N = 24) wurde das Punkteprogramm als ein starkes Machtmittel der PädagogInnen erlebt; aber das kann Unterschiedliches bedeuten… Bei gut einem Drittel war das Programm in der Lage, sie zu Anstrengungen zu motivieren. Sie stiegen auf und ab und erreichten innerhalb von Monaten Stufe 4 und konnten sich dort 10 Wochen halten. Bei drei von 8 wissen wir, dass der Erfolg auch nach der Entlassung mindestens 8 Monate anhielt. Diese Jugendlichen lernten das Programm für sich „benutzen“. Kontrollierter Kontrollverlust

25 % der Jugendlichen lehnte es ab, sich auf diesen Rahmen einzulassen und verschwand nach wenigen Tagen. Wer früh „abgehauen“ ist, konnte sich auch nach seiner (zwangsweisen oder freiwilligen) Rückkehr nicht mehr auf das Programm einlassen. Bei den meisten lösten die Zwangselemente das Gefühl aus: „Das tu ich mir nicht an!“

Fast ein Drittel zeigte sich zwar mehr oder weniger bereit an dem Punkteprogramm teilzunehmen, musste aber aufgrund von innerer Strukturlosigkeit, massiver Drogenabhängigkeit oder hintergründig wirkender depressiver Tendenzen als überfordert angesehen werden. Ihre inneren Möglichkeiten reichten (noch) nicht aus, um an dem Programm erfolgreich teilnehmen zu können. Für sie müssten die Anforderungen noch weiter abgesenkt bzw. individualisiert werden, damit sie in absehbarer Zeit zu Erfolgserlebnissen im Rahmen von „Aufstiegen“ kommen.

5. Fazit  Die drei Einrichtungen gingen sorgsam bei der Anwendung von Zwangselementen um. Wann für wen welche „Zwangselemente“ in Frage kommen ist klar geregelt und transparent kommuniziert  Genaue Dokumentationen und regelmäßige Reflexionen mit Externen sind unerlässlich. Befragungen der Kinder/Jugendlichen sind unbedingt beizubehalten.  Machtmissbrauch kam in einzelnen Situationen vor: er lässt sich auch nicht ein für alle Mal verhindern. Wichtiger ist eine Organisationskultur in der Machtmissbrauch schnell zur Sprache kommen kann und die jeweils unterschiedlichen Hintergründe analysiert werden können.

 Es kommt weniger auf die einzelnen Zwangselemente an  als auf ihre Einbettung in das Gesamtkonzept. Nur wenn dieses stimmig ist und von den Kindern und Jugendlichen – zumindest auch und immer wieder - als „unterstützend“ erlebt wird, können Zwangselemente fachlich Sinn machen.  als auf die konkrete Umsetzung der Zwangselemente durch konkrete Menschen. Kinder und Jugendliche spüren biographisch motivierte Unterwerfungsgelüste und sadistische Impulse von MitarbeiterInnen sehr genau

 Zwangselemente können bei dieser Zielgruppe einzelnen Individuen konstruktive Entwicklungsimpulse geben, auch wenn diese zunächst nur in einer ersten, vorläufigen Anpassung bestehen. Bei anderen bleiben sie wirkungslos, führen zu Eskalationen oder treiben sie in die Flucht. Risiken vor allem: Reaktanz mit Konflikteskalation und/oder sich Entziehen mit weiterer Kriminalisierung

 Das Wissen der JugendamtsmitarbeiterInnen um biographische Muster und Verlaufskurven reichte bei über der Hälfte der Fälle nicht aus, um eine fachlich gut begründete Entscheidung für oder gegen eine Heimgruppe mit Zwangselementen leisten zu können.  Zwangselemente besitzen eine wichtige Bedeutung für die MitarbeiterInnen: sie stellen Machtmittel zu Verfügung, die ihnen bei der Etablierung und Aufrechterhaltung eines stabilen Rahmens helfen, vermitteln das Gefühl auch in eskalierten Krisen handlungsfähig zu bleiben und beugen so auch Burn- out-Effekten vor (Vergleichsuntersuchung) ……