Zum Wandel der Semantik von grauer Farbe zwischen Moderne und Postmoderne (Rilke, Mann, Ortheil, Modick) Levan Tsagareli, Ilia State University.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Interview mit der Tell Familie
Advertisements

Heilendes Licht für jeden Menschen
Nicht von dieser Schweiz!
Christsein – unwichtig, unwahr oder unattraktiv?
DÄMONEN Dämonen existieren nicht! Sie entstehen in unserem Kopf!
Weißt du wo der Himmel ist?
Gedanken an Kinder ohne Namen
Eine Geschichte zum nachdenken
Nur gelang es ihr nicht, dies alles in Einklang zu bringen.
LEBENSWEISHEIT.
Die tragische Geschichte von Jacqueline
ICF Zurich Logo. Serienlogo Namenseinblender STEFFEN BECK.
Der weise Alte.
Einstein trifft Picasso und geht mit ihm ins Kino
"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."
Der Farbe-an-sich-Kontrast
Kunst Beschreiben Es ist…(ein) Es gibt… Es hat… einen/keinen
Die Geschichte von den 2 Kieselsteinen Impressionen aus China
Eine Ehefrau war sehr unglücklich mit ihrem Auto und beschwerte sich dauernd bei ihrem Mann darüber. Kurz vor Weihnachten hatte Sie eine Idee. Da er.
Lied von Jonny Hill.
Existiert das Böse?.
Zum Nachdenken und Fühlen°°°.
Berühmte Geister von Deutschland.
ICF Zürich Logo 1.
Der Vorleser Part 4 Aufsatztraining.
Die Geschichte von 2 Kieselsteinen Mit Bildern aus China!
(Bastian Schulz) Beenden Kapitel 1: Ein guter Anfang Ein guter Anfang Es windete. Ich sonnte mich unter einem Baum der schönen Schatten gab. So einen.
Das Geheimnis der Liebe
Das Erlebnis einer alten Frau (ihre Perspektive) von Barrett Hamilton Schwarzfahrer (1993) von Pepe Danquart.
Vom Höchsten beschenkt!
Hören und Sprechen II Klasse:09. HÜ 1 Frau Steilmann erzählt über ihre Arbeit und Ihren Ausbildungsweg  Welche Aussagen sind richtig, welche.
In Einer kleinen stadt In einer kleinen Stadt….!!! Ein 80zig Jähriger Mann und seine junge Frau kamen ins Spital für die Geburt Ihres ersten Kindes.
Das Alter.
ELEFANTEN IN ALLEN GRÖSSEN
A T I N S.
Bearbeitet von Peter Wicki / 05-07
60 Jahre Marti Präsident des Vereins Alte Kirche Härkingen HOMMAGE AN DOMINIK RASSER © Sabina Rasser, 0041 (0) , Mobile:
fragte ich den alternden Professor für griechische Kultur und Geschichte. Das übliche Gelächter folgte und Leute standen auf, um zu gehen. Papaderos.
Momo´s Herbst Kabriolen Musik Lovland Nocturne.
Der Strafzettel Andi schaute kurz noch einmal auf sein Tacho, bevor er langsamer wurde: 79 innerhalb einer Ortschaft. Das vierte mal in gleicher Anzahl.
GURKL**BONLANDL in the alps Frauen und Männer 3 Geschichten aus dem Leben.
Zuversicht in CHRISTUS 11: Anwendung Teil 1: „halb“ voll.
Zuversicht in Christus 2: Nicht fleischlich; in der Gnade!
Advent: Die Gelegenheit...
Vergleichen Sie die direkte Rede im Text mit der indirekten Rede in der Leixoletti-Inhaltsangabe. Dann hatte ich natürlich Hunger, nicht wahr? Und ich.
Eine junge, reiche Frau hatte alles: Einen guten Ehemann, perfekte Kinder, eine gut bezahlte Arbeit, eine harmonische Familie. Die Blume Nur gelang es.
0! daß der Mensch, sagten die Dinge, die innre Musik der Natur verstände, und einen Sinn für äußere Harmonie hätte. Aber er weiß ja kaum, daß wir zusammen.
Witze weiter mit Mausklick. Herr: "Wildgänse.....Wo mögen sie hinziehen? Seufz! Bei so einem Anblick spüre ich immer eine ganz starke Sehnsucht.
Liebe Kollegen Am letzten Unti-Abschluss kam diese Illustration (der blinde Skifahrer und sein Vertrauen) so gut an, dass ich sie Euch mit Ruedis freundlicher.
Dipl. Psych. K. Rockenbauch Selbst. Abt. für Med. Psychologie und Med. Soziologie 1 Wie halte ich ein Referat ?
Die Jahrhundertwende: literarisches Panorama (S )
SCHMETTERLINGSCHMETTERLING SCHMETTERLINGSCHMETTERLING.
Liebe Kinder, jetzt musstet ihr ein bisschen auf eine Nachricht von uns warten… Aber es ist so, dass unsere Lehrerin ein Baby bekommt und uns nicht mehr.
® © Dr. Anne Katrin Matyssek Falls Sie es nicht bereits tun: Bitte hören Sie zu dieser Präsentation parallel den.
Ich wachte an einem sonnig warmen Morgen auf. Eigentlich ganz normal für diesen Sommer, doch irgendetwas veranlasste mich in den Garten zu gehen. Ich.
Sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Reihe: Die letzten Tage von Jesus auf dieser Erde (5/7) Johannes-Evangelium 20,24-29.
Tore und Türen waren verammelt, alle Fenster zugestellt; ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht, bei jedem Geräusch sprang ich auf.
Schöne Haare sind für jede Frau ein Muss. Ob nun kurz oder lang, jede Frau hat da ihre besonderen Vorlieben oder auch Styles, die zu ihr passen.
Rot rot rot sind die Rosen… Wochenrückblick vom – Entspannt starteten die Elfen die Woche mit einem sehnlichst gewünschten Ausmalbild.
Brüder Grimm Kinder- und Hausmärchen (3. Auflage, 1837) Unter dem Titel "Kinder- und Hausmärchen" veröffentlichten die Brüder Grimm ihre erste Märchensammlung.
Wer geht mit?. 4 Punkte Glaube an die Auferstehung 11.Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. 12.Petrus.
Eine Geschichte zum nachdenken
//durch den Dschungel der Bildbeschreibung und -interpretation
ERSTAUNLICHE EISBERGE
Sonne über Afrika.
München 1911 Wassily Kandinsky Franz Marc August Macke Gabriele Münter
Reiner Maria Rilke
SCHWACHE ADJEKTIVDEKLINATION
Der Regenbogen.
 Präsentation transkript:

Zum Wandel der Semantik von grauer Farbe zwischen Moderne und Postmoderne (Rilke, Mann, Ortheil, Modick) Levan Tsagareli, Ilia State University

Zur Gliederung der Vortrags Einleitung Forschungsüberblick Allgemeines zur literarischen Semantisierung von Grau Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der klassischen Moderne Exkurs: Dekonstruktion Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der Postmoderne Fazit

Einleitung Forschungshintergrund Zielsetzung: ◦ die etablierte Interpretation der grauen Farbe zu überprüfen und mit Bezug auf die Poetik des postmodernen Romans zu revidieren ◦ den Wandel der Semantik der grauen Farbe in den deutschsprachigen Kunstnarrativen des 20. Jahrhunderts zu beschreiben Forschungsgegenstand – 4 Kunstnarrative: ◦ Rainer Maria Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910), ◦ Thomas Manns Der Tod in Venedig (1911), ◦ Klaus Modicks Das Grau der Karolinen (1986), ◦ Hanns-Josef Ortheils Im Licht der Lagune (1999) Zur methodischen Vorgehensweise: textimmanente, semantische Analyse + diachroner Vergleich

Forschungsüberblick Feulner, Gabriele Mythos Künstler, Konstruktionen und Dekonstruktionen in der deutschsprachigen Prosa des 20. Jahrhunderts. Berlin: Erich Schmidt. Meuthen, Erich Eins und doppelt oder vom Anderssein des Selbst: Struktur und Tradition des deutschen Künstlerromans, Tübingen: Niemeyer (Studien zur deutschen Literatur; Bd. 159). Mosthaf, Franziska Metaphorische Intermedialität. Formen und Funktionen der Verarbeitung von Malerei im Roman. Theorie und Praxis in der englischsprachigen Erzählkunst des 19. und 20. Jahrhunderts. WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier. Müller, Dominik Vom Malen erzählen. Von Wilhelm Heinses „Ardinghello“ bis Carl Hauptmanns „Einhart der Lächler“. Göttingen: Wallstein. Zima, Peter V Der europäische Künstlerroman. Von der romantischen Utopie zur postmodernen Parodie, Tübingen u. Basel: Francke.

Allgemeines zur literarischen Semantisierung von Grau 1. Kennzeichen devitalisierender Prozesse  ◦ Symbol des Schwindens und Erlöschens des Lebens, des Leblosen, der Zerstörung und der Toten ◦ Symbol des Unheimlichen, des Grauenvollen, des Gespenstischen ◦ Symbol der Melancholie, des Vergehens 2. Der aus Schwarz und Weiß zusammengesetzte Mischton der Farbe  ◦ Symbol eines existentiellen Zwischenraums (Raum zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits) ◦ Symbol der Vermittlung, der angleichenden Gerechtigkeit ◦ Symbol der Auferstehung der Toten (im Christentum) 3. Symbol des Alters und der Weisheit Kurz 2008, Becker 1999, 107

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der klassischen Moderne 1 (Rilke) Raum (Sememe: tot, verfallen) „Das Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen in den noch nicht enthüllten Gärten. “ (722) die Angst, daß das Granit sei, worauf ich liege, grauer Granit (767) Eine perlgraue Häusergruppe (722) „Blau in schimmliches Grün, Grün in Grau und Gelb in ein altes, abgestandenes Weiß, das fault. “ (750) „die Wände waren ringsum mit tiefen, grauen Wandschränken verschalt“ (802) graue, staubige Spuren am Rande der Decken (749) eine gewisse schmierig-graue Mulde in dem Lehnstuhl (753)

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der klassischen Moderne 1 (Rilke) Figuren (Semem: alt) Christoph Detlevs große, graue Hand (717) „auf einmal war dieses Gesicht fort, und sein grauer Kopf lag auf dem Tische“ (740) die große Maske des Alten mit ihrem grauen Lächeln (741) jene graue, kleine Frau (744) sein graues, gespanntes Gesicht (754) Olfaktorisches (Semem: abgestanden) graue Kartoffeldunst ( ) grauriechende Kälte (904) Zeit (Semem: alltäglich, langweilig) an einem grauen Pariser Nachmittag (726) das Wetter hatte sich inzwischen geschlossen, trotz der Kälte, und war grau und undurchsichtig geworden. (888)

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der klassischen Moderne 2 (Mann) Figuren (Sememe: alt, bürgerlich, apollinisch) Aschenbach: ◦ einen grauen Wetterkragen ◦ stark ergrautes / graues (x2) Haar; grauhaariger Mann; der Grauhaarige ◦ Spiegelbild – „Grau“ „graues Haar bedeutet unter Umständen eine wirklichere Unwahrheit“ eine große Frau, grau-weiß gekleidet Tadzio: seine eigentümlich dämmergrauen Augen (x2), dieser dämmergraue Blick Raum (Sememe: apollinisch, vital) Der Himmel war grau; „Das Meer hatte eine blaßgrüne Färbung angenommen, die Luft schien dünner und reiner, der Strand mit seinen Hütten und Booten farbiger, obgleich der Himmel noch grau war.“ die graue und flache See - belebt von watenden Kindern

Exkurs: Dekonstruktion Dekonstruktion als ein literaturwissenschaftliches Verfahren: ◦ „Dezentrieren der zentral gesetzten thematisch- strukturellen Instanzen eines Textes aus der Perspektive dessen, was durch sie marginalisiert wird, sich aber dennoch als textkonstitutiv erweist (Dezentrierung); ◦ Auflösung binärer, hierarchischer Bedeutungsoppositionen im Text und deren Einbeziehung in einen enthierarchisierten Prozeß von Differenzen“ Zapf 2004, 22 Dekonstruktion als poetisches Prinzip

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der Postmoderne 1 (Ortheil) Farbe (Sem: Dezentrierung, Auflösung semantischer Oppositionen) Personen und Dinge „gingen über in einen Farbton, in Kälte und Wärme, in Anziehung und Abstoßung, so unmittelbar, daß ihm schließlich der Gedanke kam, auf das Sichtbare ganz zu verzichten. […] Jetzt berührte der Oberhimmel der Luft die Unterhimmel des Wassers“ (286), „unaufhörlich versuchte, solche reinen, sich von den Gegenständen entfernenden Farbtöne zu finden“ (287) „Es gab keinen Halt, keine Zentren, nichts mehr dergleichen, die Farben gebärdeten sich auf diesen Bildern ganz selbständig, wie wilde Tiere, die man zu zähmen versucht hatte und die jetzt wieder den Weg ins Freie fanden.“ (300), „Jetzt verschwanden selbst noch die leuchtenden Farben, und man sah nichts mehr als was: Flächen aus hunderterlei Grau“ (300)

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der Postmoderne 2 (Modick) Farbe (Sem: Dezentrierung, Auflösung semantischer Oppositionen) „Das Mischungsergebnis aller Komplementärfarben ist ein dunkles Grau. Das Grau ist ein Ton, in dem alles zusammenfällt.“ (60) „Die Formen steigerten sich zu immer höheren und einfacheren Verhältnissen, über Kristallerscheinungen wie in einem Schneegestöber, in dem jede einzelne Flocke unendlich vergrößert war, zu Kreis- und Kugelformen, in denen endlich auch der Gegensatz von Rand und Mitte erlosch.“ (207) „Man hat ja immer versucht […] sich die Welt schwarz-weiß vorzustellen. So abstrahierte man beispielsweise aus der Welt der Urteile die sogenannten wahren und die sogenannten falschen und baute aus diesen Abstraktionen die aristotelische Logik mit ihrer Identität, Differenz und dem ausgeschlossenen Dritten. Dies Dritte ist aber in der Kunst oft gerade das Wichtige, vielleicht das Entscheidende. Die auf dieser Logik gegründeten modernen Wissenschaften funktionieren tatsächlich, obwohl kein Urteil je vollkommen wahr oder vollkommen falsch war.“ ( )

Semantik von Grau in den deutschsprachigen Kunstnarrativen der Postmoderne 2 (Modick) Farbe (Sem: Dezentrierung, Auflösung semantischer Oppositionen) „wenn diese Trennungen wirklich durcheinander geraten, wenn sich Grauzonen einstellen. […] Da passiert nämlich folgendes: Die Trennung zwischen Gut und Böse, moralisch und unmoralisch, Recht und Unrecht löst sich auf. Im Grunde löst sich unser Weltbild auf, und zwar mit gutem Grund zu Grautönen.“ (248) „Letzte Wahrheiten, endgültige, autoritative Aussagen, selbst über Dinge, die völlig eindeutig erscheinen, werden ständig durch andere Ansichten, und häufig sogar von derselben Person in einer neuen Situation, bestritten. Widersprüchliche Wahrheiten sind hier keine Konflikte, sondern sie verhalten sich zueinander wie Komplementärfarben auf der Palette. So sind die Leute von Ponape in ihrem Denken und Tun vorzügliche Maler von Schattierungen und Nuancen. Das Denken der Europäer ist aber schwarz-weiß, das der Mikronesier zeigt alle nur möglichen Grautöne auf, die zwischen und um Schwarz und Weiß liegen – oder doch liegen könnten.“ (406)

Fazit Semantik von Grau im Kunstnarrativ der Moderne monosemantisch negativ konnotiert steht in semantischer Opposition zu: Grün (Natur) und Blau (Kunst) Verfall, Alter, Tod (=etablierte Semantik) Alltag, Bürgerliches Leben, Vitalität, Rationalität (  etablierte Semantik) Semantik von Grau im Kunstnarrativ der Postmoderne polysemantisch positiv (bzw. neutral) konnotiert steht in semantischer Opposition zu: Schwarz und Weiß (Dualistische, hierarchische Denkweise) etwas jenseits des Dualismus und der Hierarchie: Kunst (  etablierte Semantik) Harmonie (  etablierte Semantik)

Literaturverzeichnis Becker, Udo Lexikon der Symbole. – 3. Aufl. – Freiburg; Basel; Wien: Herder. Köppe, Tilmann & Simone Winko Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. Stuttgart; Weimar: Metzler. Kurz, Gerhard Grau. In Metzler Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer & Joachim Jakob. Münker, Stefan & Alexander Roesler Poststrukturalismus. Stuttgart, Weimar: Metzler. Nünning, Vera & Ansgar Nünning (Hg.) Methoden der litaratur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse. Ansätze – Grundlagen – Modellanalysen. Stuttgart; Weimar: Metzler. Zapf, Huber Dekonstruktion. In Grundbegriffe der Literaturtheorie, hg. v. Ansgar Nünning. Stuttgart; Weimar: Metzler,