Russische Literaturtheorie – made by Suhrkamp Konferenz „Suhrkamp und Osteuropa“, DLA Marbach, 7.-8.4.2016 Prof. Dr. Dr. Dirk Kemper, RGGU Moskau.

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 Präsentation transkript:

Russische Literaturtheorie – made by Suhrkamp Konferenz „Suhrkamp und Osteuropa“, DLA Marbach, Prof. Dr. Dr. Dirk Kemper, RGGU Moskau

made by Suhrkamp

Zwei Geschichten: Der SV als (Black-)Box Blick auf die Blackbox: Input und Output Blick in die Box: Geschichte der Akten

Drei Arbeitsphasen 1.Vorgeschichte der Übersetzung, Entstehung und Wirkung des Originals (Input) 2.Entstehungsgeschichte der Übersetzung (geöffnete Box) – Aspekt Transfer 3.Wirkungsgeschichte der Übersetzung (Output) – Aspekt Transformation

„Aufnehmendes Bedürfnis“ und „entgegenkommende Strömung“ (A. Veselovskij) Ausgangskultur (Russland: RU u. RF) Zielkultur (Deutschland etc.) Entgegenkommende Aufnehmendes Strömung in der Bedürfnis Übersetzung Entgegenkommende Strömung im Originaltext Aufnehmendes Bedürfnis

Vorgeschichte der Übersetzung Input  Ė jchenbaum, Šklovskij und Tynjanov:  1920er und 1930er Jahre: keine dt. oder internat. Übersetzungen. Statt dessen verhallende Zwischenrufe der Forschung (Zhirmunskij, A. Voznesenskij, D. Čiževs'kij)  1955: Victor Erlich: Russian Formalism / Aufnehmendes Bedürfnis in Amerika (so auch René Wellek im Vorwort): New Criticism  Reaktionen in Westdeutschland auf Erlich:  1. Setschkareff ( ): Aufnehmendes Bedürfnis: Absetzung von einem „Gebiet, das in Deutschland allzu leicht in metaphysischen Spekulationen endet“; Formalismus ohne „Metaphysik“; Šklovskij als Alternative zu Staiger und Kayser  2. Johannes Holtnusen (1960): Fokus rein slavistisch

Input  1964 bei Hanser: Ehrlich: Russischer Formanlismus; dt. v. Marlene Lohner  Rez. Hans Egon Holthusen (1964) in der FAZ: Den Formalisten sei es darum gegangen, „die Literaturwissenschaft von ihren biographischen, ideen- und kulturgeschichtlichen Wucherungen zu befreien und zur ‚Sache selbst ʻ, d. h. zum Sprachwerk als solchem vorzustoßen oder auch zuru ̈ ckzufinden“.

Im Archiv SUA  Anreger und Übersetzer der drei Schriften: Alexander Kaempfe ( )  April 1964 Gutachten für Busch „Boris Eichenbaum in der edition suhrkamp“:  „Die russischen Formalisten, die schon lange Zeit, zu den sog. ‚Geheimtips‘ gehören, sollten jetzt endlich, nach und nach, der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die gerade bei Hanser erschienene Monographie des amerikanischen Gelehrten Victor Erlich (die ich für den ‚Merkur‘ besprechen werde) gibt einen recht guten Überblick über diese Richtung der russischen Literaturwissenschaft und wird sicher die Aufmerksamkeit mancher Leser darauf lenken.“

SUA  Kaempfe plant:  1. Boris Ė jchenbaum: „reiner“ Formalist der Frühphase / „Gemessen an dem, was heute bei uns als Literaturanalyse gilt, wirken Eichenbaums Thesen wie reine Wunderdinge“  2. Viktor Šklovskij: „sollte man als Gesamtphänomen präsentieren – dazu fehlen aber vorerst die Voraussetzungen“  3. Jurij Tynjanov  4. Boris Tomaševskij: „Poetik“, die ich „ein ganzes Stück über ‚Das literarische Kunstwerk ʻ von Kayser stellen würde“

SUA  Viktor Šklovskij wurde in der westdeutschen Verlagsszene offenbar zum Hype:  Busch an Kaempfe, : „Rowohlt wird den ganzen Schklowskij herausbringen, Zug um Zug. Das ist Pech und zugleich eine Lehre.“  Kaempfe kämpft um seine weitreichenden Editionspläne: „Selbst wenn Schklowskij als absoluter Suhrkamp-Autor à la Bloch, Adorno, Benjamin gestorben sein sollte[,] muß er meines Erachtens nicht unbedingt auch für die edition sterben.“ / „Wir sollten immer daran denken, daß die edition momentan schlechthin unschlagbar und nicht einholbar ist.“

Vom Archiv zur Wissenschaftsgeschichte Output  These: Ein Suhrkamp-Produkt entsteht im Verlag; zu einem Teil der „Suhrkamp-Kultur“ wird es erst als Effekt der Rezeption  Was steuert die Rezeption? Aufnehmendes Bedürfnis und im Text erkannte entgegenkommende Strömung  Das aufnehmende Bedürfnis muss also im wissenschaftsgeschichtlich rekonstruiert, verortet werden

Output  Zu bestimmen: Situation der Germanistik respektive Literaturwissenschaft Mitte der 60er  1. Tendenz: Staiger-Heidegger-Germanistik ab 1950 (lucet/videtur bei Mörike): Überfrachtung mit metaphysischen Fundamentalannahmen  Einspruch Friedrich Sengle 1952: „ontologische[] Wendung in der Literaturwissenschaft“, deren „Sucht nach anspruchsvoller ‚Tiefe ʻ [...] auf diesem modischen Wissenschaftsgebiet wahre Orgien“ feiere.

Output  2. Tendenz nach Jost Schneider: Hugo Friedrich (Die Struktur der Modernen Lyrik. 1956), Peter Szondi (Theorie des Modernen Dramas. 1956), Gustav René Hocke (Die Welt als Labyrinth. 1957) oder Walter Höllerer (Zwischen Klassik und Moderne. 1958): Vertreter eines „konforme[n] Nonkonformismus“, erschöpften sich letztlich in einem „ins Formale entleerten Progressivismus“ (Formalismus –> Öffnung zur Moderne)  Ergebnis: Antimetaphysische Tendenz + Öffnung zur Moderne als aufnehmende Bedürfnisse erkennbar. Aber: Kaempfe hatte viel zu wenig getan, um erkennbar den russischen Formalismus an aktuelle Diskurse anschlussfähig zu machen.

Umweg über Frankreich Output  Russischer Formalismus zwar über die USA nach Deutschland vermittelt, wurde aber nicht in das deutsche Literatursystem transformiert, dort nicht nostrifiziert.  Todorov, Tzvetan (Ed.) : Théorie de la littérature. Textes des formalistes russes réunis, présentés et traduits par T.T. Préface de Roman Jakobson. Paris : Éditions du Seuil, 1965 (= Coll. Tel Quel).  –> Anschluss an die Strukturalismusdebatte  –> Aktuelle Fragestellung: Lässt sich (neben der Sprachwissenschaft) eine strukturalistische Literaturwissenschaft entwickeln?

Transformation in zweiter Runde Output  Striedter, Jurij (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. 1. Aufl. München 1971 (= Uni-Taschenbücher, 40).  A) Anschluss an die amerikanisch-französische Strukturalismus-Diskussion  B) Anschluss an das sozialgeschichtliche Paradigma der Literaturgeschichte durch die Verzeitlichung von Ė jchenbaums Begriff der „Evolution“ (Transformation)  C) Anschluss an den überbordenden „avantgardistischen Marxismus“: Die in den 20gern unterbundene Debatte zwischen Formalismus und Marxismus müsse nachgeholt werden.

Und Suhrkamp? Output  Transformationsdebatten laufen weitgehend in Suhrkamp- Medien, z.B. in Enzensbergers Kursbuch 5 von 1966 zum Thema Strukturalismus  Kontingenz! Peter Urban hatte bereits 1967 um Striedter geworben, um den Formalismus-Schwerpunkt auszubauen. Der hatte aber gerade bei Fink unterschrieben.

Zwei Geschichten: Der SV als (Black-)Box Blick auf die Blackbox: Input und Output Blick in die Box: Geschichte der Akten