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Beweismittel Art. 139 – 195 StPO.

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1 Beweismittel Art. 139 – 195 StPO

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3 Allgemeines Beweisen heisst, eine Sachverhaltshypothese bestätigen oder widerlegen. Beweise sollen der Verwirklichung der materiellen Wahrheit dienen. Gegenstand des Beweises ist der Nachweis des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des fraglichen Delikts. Die einzelnen Beweismittel (z.B. Einvernahme des Beschuldigten) werden erhoben, verwertet und gewürdigt. Es gilt die freie Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO), d.h. es gibt keine festen Beweisregeln (z.B. der Beweis ist erbracht, wenn drei Zeugen gleich aussagen oder eine Zeugenaussage ist per se besser als eine Aussage von einer Auskunftsperson). Das Urteil muss aber willkürfrei sein, d.h. objektiv nachvollziehbar, das Gericht ist verpflichtet, den Ermessenspielraum nach sachlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen. Geständnisse sind zu überprüfen!

4 Geständnis Die VI hatte freigesprochen von der Anschuldigung des Fahrens in fahrunfähigem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG) mit der Begründung, dass die durchgeführte Atemalkoholprobe wegen der 20%igen Abweichungsmöglichkeit gegenüber der Blutprobe nicht beweise, dass eine BAK von mindestens 0,50 o/oo vorlag. In der schriftlichen Anerkennung des Messergebnisses liege kein Geständnis gemäss Art. 160 StPO, weil nicht widerlegbar sei, dass der Beschuldigte das Protokoll nur kurz überflogen habe. Das BGer kassiert. Es besteht kein Anlass, vom massgeblichen Wert nochmals 20% wegen der möglichen Ungenauigkeit abzuziehen. Indem das Testergebnis ausdrücklich anerkannt wurde, nahm der Beschuldigte eine mögliche Abweichung in Kauf. Er tat es im Wissen um den vorher konsumierten Alkohol und seiner körperlichen Verfassung. Gleichzeitig vermied er das Risiko, dass die Blutprobe allenfalls einen höheren Wert ergeben hätte. Die Nichtbeachtung eines wesentlichen Beweismittels verletzt Bundesrecht (BGE 6B_186/2013 vom ).

5 In dubio pro reo Es gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ (Art. 10 Abs. 1 StPO). Der Grundsatz folgt aus Art. 6 Ziff. 2 EMRK., der Unschuldsvermutung. Als Beweislastregel besagt der Grundsatz, dass der Staatsanwalt die Schuld zu beweisen hat und nicht der Beschuldigte seine Unschuld. Das BGer prüft mit freier Kognition. Als Beweiswürdigungsregel ist im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten zu entscheiden, das BGer prüft nur auf Willkür (BGE 6B_649/2011 vom ). Das BGer hat dies wie folgt umschrieben:

6 In dubio pro reo Beweiswürdigungsregel
Der Strafrichter darf sich nicht von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 120 Ia 31 E. 2).

7 In dubio pro reo BGE 6B_344/2011 (16.09.11)
Die Vorinstanz ging von zwei Tatvarianten aus: Gezielte Schussabgabe in Richtung des Fliehenden oder Handgemenge mit unbeabsichtigtem Auslösen eines Schusses. Indem die Vorinstanz bei der Fallbeurteilung beide Varianten beibehielt, also auch die für den Beschwerdeführer ungünstigere, verletzte sie den Grundsatz in dubio pro reo (E. 2.2).

8 In dubio pro reo Der Grundsatz „in dubio pro reo“ bezieht sich als Beweiswürdigungs- und Beweislastregel allein auf die Beurteilung der Schuldfrage durch den Strafrichter. Für Streitfragen, die das Verfahren betreffen, lässt sich daraus nichts ableiten, da dieser Grundsatz für rein verfahrensrechtliche Fragen nicht anwendbar ist. Vorliegend ging es um die Frage, ob die StPO oder JStPO anzuwenden war (BGE 1B_30/2013 vom ).

9 Nemo tenetur se ipsum accusare
Niemand ist im Strafverfahren gehalten, zu seiner Belastung beizutragen. Der Beschuldigte ist nicht zur Aussage verpflichtet. Namentlich darf er nicht mit Druckmitteln zur Aussage gezwungen werden und darf sein Schweigen nicht als Indiz für seine Schuld gewertet werden (IPBPR Art. 14 Ziff. 3 lit. g; EMRK Art. 6 Ziff. 1; BGE 131 IV 36 E. 3.1). Das Gericht darf den Umstand, dass sich der Beschuldigte auf sein Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht beruft, unter gewissen Umständen jedoch in die Beweiswürdigung einbeziehen. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn sie der Beschuldigte weigert, zu seiner Entlastung erforderliche Angaben zu machen, obschon eine Erklärung angesichts der belastenden Beweiselemente vernünftigerweise erwartet werden dürfte (BGE 6B_453/2011 vom E. 1.6).

10 Nemo tenetur se ipsum accusare
Es verstösst gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK, den Steuerpflichtigen im Steuerhinterziehungsverfahren mit Busse zu zwingen, Belege über hinterzogene Beträge vorzulegen bzw. solche im Nachsteuerverfahren zwangsweise erhobenen Beweise im Hinterziehungsverfahren zu verwerten (Urteil EGMR i.S. J.B. gegen Schweiz vom , Nr /96). Kein Verwertungsverbot besteht demgegenüber bezüglich Beweismitteln, die zwar mittels Zwangsmassnahme beschafft wurden, jedoch unabhängig vom Willen des Beschuldigten existieren (EGMR i.S. Saunders gegen Grossbritannien vom , Nr /91).

11 Nemo tenetur se ipsum accusare
Die steuerpflichtige Person ist im verwaltungsrechtlichen Steuerveranlagungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet (Art. 126 DBG; Art. 42 StHG – Harmonisierungsgesetz direkte Steuern der Kantone und Gemeinden). Kommt sie trotz Mahnung ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, macht sie sich u.U. wegen Verletzung von Verfahrenspflichten strafbar (Art. 174 DBG; Art. 55 StHG). Im Steuerstrafverfahren sind demgegenüber die strafprozessualen Verfahrensgarantien zu beachten. Die Frage der Verwertbarkeit von Beweisen aus dem Steuerveranlagungsverfahren stellt sich insbesondere im Steuerhinterziehungsverfahren, das strafrechtlicher Natur ist, in der Schweiz jedoch von der Steuerveranlagungsbehörde geführt wird. Beweismittel aus einem Nachsteuerverfahren dürfen in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nur verwendet werden, wenn sie weder unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen mit Umkehr der Beweislast noch unter Androhung einer Busse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten beschafft wurden (Art. 183 Abs. 1bis DBG; BGE 2C_175/2010 vom E. 2.4).

12 Nemo tenetur se ipsum accusare
Das Verwertungsverbot gilt auch im Verfahren wegen Steuerbetrug. Informationen aus dem Nachsteuerverfahren dürfen nicht Eingang in das Steuerbetrugsverfahren finden, wenn sie im Steuerhinterziehungsverfahren nicht verwertbar sind. Aussagen des Steuerpflichtigen und von diesem eingereichte Belege sind indessen nicht generell unverwertbar, sondern nur, wenn er gemahnt und ihm eine Ermessensveranlagung oder eine Verurteilung wegen Verletzung von Verfahrenspflichten angedroht wurde (BGE 2C_632/2009 vpm E. 2.5).

13 Nemo tenetur se ipsum accusare
Eine Verpflichtung der kantonalen Steuerverwaltung, die betroffene Person auf ihr Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht hinzuweisen, ergibt sich für das Steuerhinterziehungsverfahren aus Art. 183 Abs. 1 Satz 2 DBG und Art. 57a Abs. 1 Satz 2 StHG. Die Aufklärungspflicht gilt nur im Steuerhinterziehungsverfahren, nicht jedoch im Nachsteuerverfahren. Die Verletzung dieser Bestimmung führt dazu, dass die vom Steuerpflichtigen im Nachsteuerverfahren getätigten Aussagen im Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nicht verwertet werden dürfen (BGE 6B_453/2011 vom E ).

14 Nemo tenetur se ipsum assusare
Einvernahme als Auskunftsperson durch die finma gestützt auf Art. 12 lit. c VwVG (SR ). Aussagepflicht (Art. 29 FINMAG; SR 956.1). Aussageverweigerungsrecht nur, falls man sich oder nahe Angehörige oder Verwandte der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung, einer schweren Benachteiligung der Ehre oder eines unmittelbar drohenden vermögensrechtlichen Schadens aussetzt, oder andere Gründe vorliegen, welche z.B. im Berufs- oder Amtsgeheimnis begründet sind. Vorsätzliche (FS bis 3 Jahre oder GS) oder fahrlässige (Busse bis Fr. 250‘000.-) Erteilung falscher Auskünfte strafbar. Mitwirkungspflicht an der Feststellung des Sachverhalts (Art. 13 Abs. 1 lit. c VwVG i.V.m. Art. 29 FINMAG).

15 Willkürliche Beweiswürdigung
Willkürlich ist eine Tatsachenfeststellung, wenn der Richter den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkennt, wenn er ein solches ohne ernsthafte Gründe ausser Acht lässt, obwohl es erheblich ist, und schliesslich, wenn er aus getroffenen Beweiserhebungen unhaltbare Schlüsse zieht (BGE 129 I 8 E. 2.1 mit Hinweisen; 6B 234/2011, ).

16 Allgemeines Grundsatz der Beweisfreiheit, kein numerus clausus der Beweismittel. Alle nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel sind zulässig (Art. 139 Abs. 1). Direkter Beweis: unmittelbar relevante Tatsachen (ein Zeuge hat die Tat gesehen). Indirekter Beweis mittels Indizien: (ein Zeuge erklärt, er habe dem Täter die Tatwaffe verkauft). Es ist Sache des Gerichts zu beurteilen, ob die Indizienkette schlüssig ist. 2 Arten von Beweismitteln: - Personalbeweis: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen, anderer Beschuldigten und des Beschuldigten. - Sachbeweis: Urkunden, Berichte, Gegenstände, Augenschein etc.

17 Indizienprozess Warum sollte ich meine Frau umbringen?
Der genaue Tatzeitpunkt, der Tatort und die Todesursache sind unbekannt. Letzter Kontakt Opfer mit Drittperson am Nachmittag, 3. April 2010. Die Leiche wird am 1. Mai von einem Spaziergänger beim Katzensee in Zürich Affoltern in einem Flachmoor entdeckt. Die Leiche war im hüfttiefen Wasser mit zwei Zementplatten und einer Kardanwelle aus einem Autowrack beschwert worden. Beide Teile stammten aus dem Garten des Beschuldigten Ehemannes, der allerdings frei zugänglich war. Der Fundort der Leiche ist nicht weit weg vom Wohnort des Opfers. Die getötete Ehefrau habe ihrem Onkel erzählt, sie habe sich heftig mit dem Beschuldigten gestritten. Sie plane mit einem Car in ihre Heimat nach Bosnien-Herzegowina zu reisen um dort zu scheiden. Der Beschuldigte habe sie von ihrer Reise abhalten wollen und ihr gedroht, sonst werde sie nicht mehr lebend zurückkehren. Der Beschuldigte hatte mehre aussereheliche Beziehungen.

18 Indizienprozess Warum sollte ich meine Frau umbringen?
Seine dritte Scheidung hätte auch einschneidende finanzielle Konsequenzen gehabt. Früher arbeitete er als Buschauffeur, nach der Kündigung war er Taxifahrer. Daneben besass der Beschuldigte drei Liegenschaften, die er wegen der drohenden güterrechtlichen Trennung in Gefahr sah. In einer SMS an eine mutmassliche Geliebte in Bosnien schrieb er noch vor seiner Verhaftung, seine Probleme seien durch den Todesfall gelöst worden. Der Beschuldigte gab zwar eine Vermisstenanzeige auf, er versuchte aber nie seine Ehefrau telefonisch zu erreichen (NZZ ).

19 Allgemeines Beweisbedürftigkeit: Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 2). Unerheblich: Tatsachen, die bezüglich der fraglichen Tatbestandsmerkmale nicht relevant sind. Offenkundig (notorisch), Tatsachen, die sich z.B. aus einem Lexikon ergeben oder Erfahrungsgrundsätze, z.B. Bremswegberechnung. Strafbehörde bekannt, z.B. frühere Verurteilungen. Problematisch ist die antizipierte Beweiswürdigung: Unzulässig wäre eine Abweisung eines Beweisantrags mit der Begründung, die Meinung sei bereits gebildet. In der Praxis werden regelmässig Anträge auf Obergutachten abgewiesen, wenn ein Erstgutachten als schlüssig erscheint (siehe z.B. BGE 103 IV 299).

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21 Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen
Die Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen ist Teil der Beweiswürdigung und gehört zum Aufgabenbereich des Gerichts. Eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung durch eine sachverständige Person drängt sich nur bei Vorliegen besonderer Umstände auf. Dies ist etwa der Fall, wenn schwer interpretierbare Äusserungen eines Kleinkindes zu beurteilen sind, bei Anzeichen ernsthafter geistiger Störungen, welche die Aussageehrlichkeit des Zeugen beeinträchtigen können, oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zeuge einer Beeinflussung durch Drittpersonen ausgesetzt ist (BGE 6B_663/2011 vom E. 1.4).

22 Abweisung Beweisantrag mangels Relevanz
Beweisantrag der Verteidigung in einem Verfahren wegen Betruges, die Ehefrau sei zur Schädigungs- bzw. Täuschungsabsicht als Zeugin einzuvernehmen. Ob der Beschwerdeführer mit Täuschungsvorsatz und Schädigungsabsicht handelte, beurteilt sich bei Fehlen eines Geständnisses in erster Linie anhand der relevanten Umstände. Selbst wenn die Ehefrau bestätigen sollte, dass der Beschwerdeführer keine Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht hatte, hätten diese Aussagen kaum einen anderen Stellenwert als die Parteibehauptungen des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz verfällt nicht in Willkür, wenn sie diesen Beweisantrag abweist (BGE 6B_663/2011 vom E. 1.5).

23 Beweiswürdigung bei Aussageverweigerung
Unbestritten war, dass der Beschuldigte der materielle Halter des auf den Radaraufnahmen abgebildeten Autos war. Nach der Rechtsprechung kann die Haltereigenschaft bei einem SVG-Delikt, das von einem nicht identifizierten Fahrzeuglenker begangen worden ist, ein Indiz für die Täterschaft sein. Grundsätzlich muss sich der Beschuldigte nicht selbst belasten, und er ist nicht zur Mitwirkung bei seiner Überführung verpflichtet. Gleichwohl muss sein Aussageverhalten in der Beweiswürdigung mitberücksichtigt werden, da aufgrund seiner Haltereigenschaft eine Situation vorliegt, die einer Erklärung bedarf (BGE 6B_812/2011 vom und 6B_628/2010 vom E. 2.3 mit Hinweisen). Wenn sich ein Halter auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft und die Möglichkeit ins Spiel bringt, nicht gefahren zu sein, hindert dies das Gericht nicht daran, eine Täterschaft anzunehmen, zumal vorliegend eine frappante Ähnlichkeit des Beschuldigten mit den Radarbildern bestand (markante Nase und Mundpartie).

24 Beweisverbote Beweisthemaverbote: z.B. üble Nachrede, der Beschuldigte wird unter gewissen Umständen zum Wahrheitsbeweis nicht zugelassen (Art. 173 Ziff. 3 StGB). Beweismittelverbote: z.B. Aussagen oder Telefongespräche eines Zeugen, der sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend macht. Beweismethoden- bzw. Beweiserhebungsverbote: Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen (z.B. Mittäter habe gestanden) und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können, und zwar selbst dann, wenn die betroffene Person zustimmt, z.B. Lügendetektor, BGE 6B_262/2011, , (Art. 140). Versprechungen, Innaussichtstellen gesetzlich nicht vorgesehener Vorteile. Z.B. unzulässig, wenn geständig, keine UH. Zulässig, wenn geständig, Strafbefehl möglich bzw. Reduktion Strafe (Schmid, Praxiskommentar Art. 140 N 3). Suggestivfragen/Fangfragen: Widersprechen Art. 143 Abs. 5 (klare Fragen) und sind unfair, fallen aber nicht unter den Begriff der Täuschung. Die Antworten sind grundsätzlich verwertbar, unterliegen aber einer kritischen Beweiswürdigung (BK-Häring Art. 143 N 37; Donatsch/Hansjakob/Lieber Art. 140 N 9). A.M. Goldschmid, Maurer, Sollberger, Kommentierte Textausgabe StPO, S. 123)

25 Rechtsprechung des EGMR zu Beweisverwertungsverboten
In EMRK gibt es keine explizite Regelung betreffend Beweisverwertungsverboten. Die Regelung obliegt dem nationalen Gesetzgeber. Der EGMR prüft nur, ob dem Beschuldigten insgesamt ein fairer Prozess gemacht wurde, was auch dann der Fall sein kann, wenn Beweismittel verwertet worden sind, die nach nationalem Recht prozesswidrig gewonnen worden sind (Donatsch, Schwarzenegger, Wohlers, Strafprozessrecht, S. 107 f.).

26 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (141)
Beweise, die mittels verbotener Beweiserhebungs-methoden gemäss Art. 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn die StPO einen Beweis als unverwertbar bezeichnet (Art. 141 Abs. 1). Z.B. Fehlende Belehrung bei 1. EV des Beschuldigten ( Art. 158 Abs. 2), fehlende Zeugenbelehrung (Art. 177 Abs. 1,3), Nichtgewährung Teilnahmerecht bei Beweiserhebung (Art. 147 Abs. 4), Beweise aus nicht genehmigter Zusicherung der Anonymität (Art. 150 Abs. 3), Beweise aus nicht genehmigter Überwachung (Art. 277 Abs. 2), Erklärungen von den Parteien im Hinblick auf ein abgekürztes Verfahren bei ablehnendem Entscheid (Art. 362 Abs. 4).

27 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise
Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2). Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar (Art. 141 Abs. 3).

28 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (141)
Es gibt nach StPO also 3 Hauptfälle: - Qualifizierte Gültigkeitsvorschriften verletzt nach Art oder gemäss StPO als unverwertbar bezeichnet, absolut unverwertbar. - Einfache Gültigkeitsvorschriften verletzt, grundsätzlich nicht verwertbar, es sei denn, Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. - Ordnungsvorschriften verletzt, verwertbar.

29 Unterfall qualifizierte Gültigkeitsvorschrift
An sich absolut nicht verwertbare Beweise gemäss Art. 141 Abs. 1 StPO, aber nur, wenn sich die betroffene Person darauf beruft. Verhinderung an Teilnahme aus zwingenden Gründen, Beweise gültig, wenn die betroffene Person keine Wiederholung der Beweiserhebung verlangt (stillschweigende Zustimmung). Auf die Wiederholung kann sogar verzichtet werden, wenn sie mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden wäre und dem Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (Fragerecht) auf andere Weise Rechnung getragen werden kann (Art. 147 Abs. 3 StPO). Ist dies nicht möglich, dürfen die unter Verletzung der Teilnahmerechte erhobenen Beweise nicht zulasten derjenigen Partei verwendet werden, die nicht anwesend war (Art. 147 Abs. 3 StPO).

30 Unterfall qualifizierte Gültigkeitsvorschrift
Erkennbare notwendige Verteidigung: Beweiserhebungen vor erkennbarer notwendiger Verteidigung ohne sie sind nur gültig, wenn die beschuldigte Person auf die Wiederholung ausdrücklich verzichtet (Art. 131 Abs. 3 StPO). Siehe dazu Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Auflage, RN 704).

31 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (141)
Gültigkeits- oder Ordnungsvorschrift? Es kommt auf den Schutzzweck der Norm an. Im Einzelfall ist unter Berücksichtigung des Fairnessgebots zu prüfen, ob die mit der fraglichen Beweis- oder Verfahrensregel geschützten Interessen des Beschuldigten oder anderer Verfahrensbeteiligter nur mit der Unverwertbarkeit oder Ungültigkeit der regelwidrig erlangten Beweise gewahrt werden können (Schmid, Praxiskommentar Art. 141 N 11). Bsp. Ordnungsvorschrift: Form bzw. Frist einer Vorladung nicht eingehalten (Art. 201 f.).

32 Bsp. Einfache Gültigkeitsvorschrift
Zeugenbelehrung nach Art. 177 Abs. 1 StPO: Hinweis auf Zeugnis und Wahrheitspflichten und auf Strafbarkeit falschen Zeugnisses (Schmid Praxiskommentar N 2). Hinweis Auskunftsperson auf mögliche Straffolgen einer falschen Anschuldigung, einer Irreführung der Rechtspflege und einer Begünstigung (Art. 181 Abs. 2 StPO; Schmid Praxiskommentar N 8). Hinweis Sachverständiger auf Straffolgen für wissentlich falsches Gutachten (Art. 184 Abs. 2 lit. f; Schmid Praxiskommentar N 12).

33 Einfache Gültigkeits- oder Ordnungsvorschrift?
Eine stark alkoholisierte Frau wurde morgens um 7 Uhr in einer Kontaktbar im „Chreis Cheib“ in Zürich von der Polizei angehalten. Sie konnte sich nicht ausweisen und wurde auf den Polizeiposten geführt. Bei der Untersuchung des iPhones wurden offensichtliche Freieradressen gefunden. Gestützt auf diese Daten fand die Polizei einen Zeugen, der angab, mit der Frau Sex gegen Geld gehabt zu haben. Die Durchsuchung des iPhones war nicht mehr eine zulässige Effektenkontrolle i.S.v. Art. 215 Abs. 2 lit. c und d i.V.m. Art. 250 StPO, sondern eine Durchsuchung von Aufzeichnungen i.S.v. Art. 246 StPO. Da keine „Gefahr in Verzug“ nach Art. 241 Abs. 3 StPO bestand, war das Handeln der Polizei ohne Befehl der StAw gesetzeswidrig!

34 Einfache Gültigkeits- oder Ordnungsvorschrift?
Ob im Einzelfall eine Gültigkeits- oder eine Ordnungsvorschrift vorliegt, bestimmt sich (sofern das Gesetz die Norm nicht selber als Gültigkeitsvorschrift bezeichnet) primär nach dem Schutzzweck der Norm: Hat die Verfahrensvorschrift für die Wahrung der schützenden Interessen der betreffenden Person derart erhebliche Bedeutung, dass sie ihr Ziel nur erreichen kann, wenn bei Nichtbeachtung die Verfahrenshandlung ungültig ist, liegt eine Gültigkeitsvorschrift vor (Botschaft StPO, BBl 2006 S f.).

35 Einfache Gültigkeits- oder Ordnungsvorschrift?
Das BGer kam zum Schluss, dass die fehlende Anordnung der Durchsuchung des iPhones (Art. 241 i.V.m. 246 StPO im vorliegenden Fall eine Ordnungsvorschrift darstellt. Die Voraussetzungen für die Durchsuchung des iPhones waren an sich erfüllt. Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismässig. Die Polizei beschränkte sich auf die Durchsuchung des Adressverzeichnisses. Die Polizei hatte sich nicht vorsätzlich über die Zuständigkeitsordnung des Art. 198 StPO für Zwangsmassnahmen hinweggesetzt. Die Zuständigkeit der Polizei ist nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern wäre bei Dringlichkeit der Massnahme sogar gegeben. Die Zuständigkeiten sind hier in einer gewissen Hinsicht fliessend (BGE 6B_307/2012 vom ).

36 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (141)
Schwere Straftaten gemäss Art. 141 Abs. 2? Vergehen, die mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bedroht sind (Art. 10 Abs. 3 StGB), sind keine schweren Straftaten i.S. von Art. 141 Abs. 2 (BGE 6_B 849/2010, )! Verbrechen gem. Art. 10 Abs. 2 StGB, Straftaten mit mehr als 3 Jahren bedroht (Schmid, Praxiskommentar Art. 141 N 8)? Deliktskatalog bei Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (269 Abs. 2)? Straftaten, bei denen nur Freiheitsstrafen in Frage kommen (z.B. vorsätzliche Tötung), so Donatsch/Hansjakob/Lieber Art. 141 N 21 und BK Art. 141 N 72? Nur Extremfälle (Pieth, StPO Grundriss, 1. Auflage, S. 150)?

37 Auch keine Verwertbarkeit als Indiz!
Der Schuldspruch stützte sich auf die Aussage einer Zeugin, die bei der Befragung vor dem StA und in der Appellationsverhandlung sich widersprechende Aussagen gemacht hatte. Aussagen anderer Belastungszeugen erklärte die Vorinstanz mangels Konfrontation als nicht verwertbar. Dennoch wurden solche Aussagen als Indiz herangezogen, um den Widerspruch zu klären. Das BGer erwog, dass unverwertbare Beweismittel auch nicht als Indiz verwendet werden dürfen (BGE 6B_183/2013 vom ).

38 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise
Rechtsüberholen auf Autobahn ohne Gefährdung (SVG Art. 90 Ziff. 1, Busse Fr ), Videoaufzeichnung durch die Polizei. Beschuldigter macht geltend, die Polizei habe vor der Videoaufzeichnung eine Sperrfläche überfahren, weshalb die Videoaufzeichnung rechtswidrig erlangt worden und nicht verwertbar sei (Art. 141 Abs. 2 StPO). Das BGer hält fest, dass nach den Akten die Polizeibeamten das Rechtsüberholmanöver schon beobachtet hätten, als sie die Sperrfläche überfuhren (BGE 6B_694/2011 vom ).

39 Verwertbarkeit von mangelhaften Beweismitteln
Beschuldiger handelte intensiv mit Kokain und wurde zu 7 Jahren FS verurteilt. Die Verurteilung wurde auf eine Telefonkontrolle gestützt. In den Protokollen war aber die Identität des Übersetzers nicht aufgeführt, und es war nicht ersichtlich, ob eine Belehrung nach Art. 307 StGB (falsche Übersetzung) erfolgt war. Die Vorinstanz nahm eine relative Unverwertbarkeit nach Art. 141 Abs. 2 StPO an, eine Verletzung einfacher Gültigkeitsvorschriften, und bezeichnete die Protokolle als verwertbar. Das BGer kassiert, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei und es sich somit nicht um einen Anwendungsfall von Art. 141 Abs. 2 StPO handle (BGE 6B_80/2012 vom ).

40 Verwertbarkeit von mangelhaften Beweismitteln
Der Beschuldigte war im Januar 2008 verhaftet worden. Beim Haftprüfungstermin wurde er auf sein Recht hingewiesen, einen Anwalt beizuziehen. Im Protokoll wurde vermerkt, dass ein Rechtsanwalt aufzubieten sei. An den folgenden 2 Tagen wurde er ohne Verteidiger von der Polizei einvernommen. Dabei legte er ein Geständnis ab, das er später widerrief. BGer heisst die Beschwerde gut. Das Recht auf ein faires Verfahren gem. EMRK sei verletzt worden. Dass sich der Beschuldigte auf die Einvernahmen eingelassen habe, bedeutet keinen Verzicht auf sein Verteidigungsrecht. Dies sei nur dann den Fall, wenn der Beschuldigte die polizeiliche Einvernahme trotz fehlendem Anwalt aus eigener Initiative weiterführt (BGE 6B_725/2011 vom ).

41 Fernwirkung der Beweiserhebungsverbote
Ermöglicht ein Beweis, der nach Art. 141 Abs. 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre (Art. 141 Abs. 4). Folgebeweise sind unverwertbar, wenn das ursprüngliche Beweismittel gemäss Art. 140 bzw. 141 Abs. 1 wegen Verletzung qualifizierter Gültigkeitsvorschrift unverwertbar ist. Folgebeweise sind unverwertbar, wenn eine einfache Gültigkeitsvorschrift verletzt wurde und dieses so erlangte Beweismittel conditio sine qua non für das Auffinden des Folgebeweismittels war. Folgebeweis verwertbar, wenn das Folgebeweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne die unrechtmässige Beweiserhebung erlangt worden wäre.

42 Fernwirkung der Beweiserhebungsverbote
Laut der Botschaft zur StPO wäre z.B. die Aussage eines Zeugen, der gestützt auf eine – wegen fehlender Belehrung unverwertbaren – Aussage der Beschuldigten Person gefunden werden konnte, verwertbar. Dies weil der Zeuge auch ohne die unverwertbare Aussage der beschuldigten Person hätte ausfindig gemacht werden können. Unverwertbar wäre dagegen ein Gutachten, das auf unverwertbaren Aussagen der beschuldigten Person beruht. Dies entspricht der bundesgerichtlichen Praxis vor Inkrafttreten der StPO, wonach einzig von der Unverwertbarkeit aufgrund einer Fernwirkung auszugehen ist, wenn der ursprüngliche Beweis unverzichtbare Voraussetzung des mittelbar erlangten Beweises ist (BGE 1B_179/2012 vom mit Verweis auf BGE 137 I 218 E mit Hinweis).

43 Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
Drogendealer transportiert im Feuerlöscher seines Autos Drogen. Aufgrund einer Telefonkontrolle (TK) in Slowenien wusste die Strafverfolgungsbehörde, wann ungefähr und an welcher Grenzstation er einreisen wollte. Dort wurde er kontrolliert und festgenommen. Der Verteidiger bezeichnet die TK in Slowenien als rechtswidrig und damit als Folgebeweis auch die Drogen im Feuerlöscher als nicht verwertbar. Das BGer lässt offen, ob die TK illegal war. Es lässt aber die Verwertung des Beweises zu. Es stellt auf einen hypothetischen Ermittlungsverlauf ab und lässt den Folgebeweis zu, wenn dieser zumindest mit einer grossen Wahrscheinlichkeit auch ohne den illegalen ersten Beweis erlangt worden wäre (BGE 6B_805/2011 vom ). Bei einer Grenzkontrolle sei die Wahrscheinlichkeit gross, dass man kontrolliert werde. Aufgrund der Nervosität des Drogenhändlers hätten die Zöllner das Auto durchsucht und den Stoff auch so gefunden!

44 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel
USA, „tainted fruits of the poisenous tree“: Folgebeweise sind grundsätzlich unverwertbar, nur ganz wenige Ausnahmen (siehe Pieth, StPO Grundriss S. 151). D, Fall „Gäfgen“, Kindesentführung, Verdächtigem wird von Polizei bei Einvernahme gedroht, es würden im Schmerzen zugefügt, wenn er den Aufenthaltsort des Kindes nicht nenne. Daraufhin folgt Geständnis, an bezeichnetem Ort wird Kinderleiche gefunden. Entscheid: Alle Einvernahmen bis zur HV ungültig (Fortwirkung des Beweisverbots), Leiche als Beweismittel aber zugelassen und damit Fernwirkung abgelehnt.

45 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise
Verwertbarkeit von Beweisen, die Private widerrechtlich erlangt haben: Solche Beweise sind dann verwertbar, wenn sie auch von den Strafbehörden hätten erlangt werden können und eine Abwägung der im Spiel stehenden Interessen ähnlich wie bei Art. 141 Abs. 2 StPO für eine Verwertung spricht und diese nicht wegen schwerer Grundrechtsverstösse an sich auszuschliessen ist. Ein Staat darf sich auch nicht Privater bedienen, um Beweisverbote zu umgehen (Beschluss der Beschwerdekammer in Strafsachen des OG Bern vom ). Beachte: Ob ein Beweismittel überhaupt widerrechtlich erlangt worden ist, hängt insbesondere davon ab, ob ein Rechtfertigungsgrund (Notwehr, Notstand, Wahrung berechtigter Interessen) gegeben ist!

46 Verwertbarkeit von Beweismitteln
Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, einen Mitarbeiter der Privatklägerin bestochen zu haben, damit er einen Auftrag zu übersetzten Preisen vermittelt. Der Beschuldigte wurde von der Privatklägerin zu einer Besprechung eingeladen. Darin gab er die Bestechung zu. Das Gespräch wurde mit seinem Einverständnis auf Band aufgenommen, zu Papier gebracht und vom Beschuldigten unterzeichnet. Der Beschuldigte erklärte sich aber nur einverstanden mit der Aufnahme des Gesprächs, wenn diese nicht für eine Strafanzeige gegen ihn verwendet werde, was ihm von der Privatklägerin zugesichert wurde. Die Privatklägerin reicht das Protokoll dennoch mit ihrer Strafanzeige ein.

47 Verwertbarkeit von Beweismitteln
Beweismittel sind unverwertbar, wenn der Staat selbst auf rechtmässigem Weg auf sie nicht hätte zugreifen können oder die unter Verletzung des Ordre Public erlangt worden sind (BK-Gless Art. 141 N 42 f.). Ein solches Beweisverwertungsverbot liegt nicht vor, weil kein deliktisches Verhalten gegeben ist, der Beschuldigte war mit der Aufnahme einverstanden. Weiter ist zu prüfen, ob ein Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot gem. Art. 3 Abs. 2 lit. b StPO vorliegt. Dieses gilt auch für private Verfahrensbeteiligte. Betreffend Widerhandlung gegen das UWG sind unmittelbar keine staatlichen Interessen betroffen und es handelt sich um ein Antragsdelikt. Die BK bezeichnete das Verhalten der Privatklägerin als rechtsmissbräuchlich und wies ihre Beschwerde ab (BK vom ).

48 Deliktisch erlangte Beweismittel von Privaten
Getrennt lebende Ehefrau nimmt wiederrechtlich telefonische Todesdrohungen ihres Ehemannes auf Tonband auf. Deliktisch erlangte Beweismittel von Privaten sind dann verwertbar, wenn sie auch von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ eine Abwägung der im Spiel stehenden Interessen ähnlich wie bei Art. 141 Abs. 2 StPO für eine Verwertung spricht und diese nicht wegen schwerer Grundrechtsverstösse an sich auszuschliessen ist. Die Tonbandaufnahme war verwertbar (BK 11/93 vom ). Frage: Ist die Tonbandaufnahme widerrechtlich oder bestünde nicht ein Rechtfertigungsgrund?

49 Zufallsfunde „fishing expedition“
Unter Zufallsfund nach Art. 243 StPO versteht man die bei der Durchführung von Zwangsmassnahmen allgemein und bei Durchsuchungen und Untersuchungen im Besonderen zufällig entdeckten Beweismittel, Spuren, Gegenstände oder Vermögenswerte, die mit der abzuklärenden Straftat in keinem direkten Zusammenhang stehen und den ursprünglichen Verdacht weder erhärten noch widerlegen, aber auf eine weitere Straftat hinweisen. Kein Zufallsfund liegt dagegen vor, wenn eine Spur bzw. ein Gegenstand in einem direkten Zusammenhang mit der abzuklärenden Straftat steht (BGE 139 IV 135 f. E. 2.1).

50 Zufallsfunde „fishing expedition“
Abzugrenzen sind Zufallsfunde von unzulässigen Beweisausforschungen, sogenannten „Fishing-Expeditions“. Eine solche besteht, wenn einer Zwangsmassnahme kein genügender Tatverdacht zugrunde liegt, sondern aufs Geratewohl Beweisaufnahmen getätigt werden. Aus Beweisausforschungen resultierende Ergebnisse sind nicht verwertbar (BGE 137 I 218 E ; 139 IV 136 E. 2.1).

51 Zufallsfunde „fishing expedition“
Ein Beifahrer macht bei einer Fahrt auf der Autobahn Filmaufnahmen einer Strolchenfahrt seines Kollegen, mehrfache grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG. Kurz danach verliert er die Videokamera an einem Volksfest. Die Kamera wird der Polizei abgegeben. Diese schaut die Filme an, um den Eigentümer zu ermitteln, und sieht den fraglichen Film. Der Beschuldigte gesteht, nachdem er mit dem Film konfrontiert worden war. Das BGer heisst die Beschwerde gut (6B_849/2010, ): Die Polizei hat aufs Geratewohl ohne Anfangsverdacht Daten durchsucht. Ihr Vorgehen ist mit einer „fishing expedition“ vergleichbar, d.h. einer Zwangsmassnahme liegt kein genügender dringender Tatverdacht zugrunde, sondern es werden planlos Beweisaufnahmen getätigt. Eine gesetzliche Grundlage zur Sichtung des Speichers der Kamera ohne genügenden Anfangsverdacht und ohne Einwilligung des Berechtigten besteht nicht.

52 Zufallsfund Nach der BGer Rspr ist die Verwertbarkeit unrechtmässig erlangter Beweismittel verfassungsrechtlich nicht in jedem Fall ausgeschlossen, sondern nur dem Grundsatz nach. Massgebend sind die Schwere des Delikts und die Frage, ob das Beweismittel an sich zulässig und auch auf gesetzmässigem Weg zu erlangen gewesen wäre. Es bedarf einer Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse des Beschuldigten, dass der fragliche Beweis unterbleibt (BGE 131 I 272 E. 4 S. 278 ff.; 130 I 126 E. 3.2 S. 132; vgl. auch BGE 133 IV 329 E. 4.4 S. 331).

53 Zufallsfund Ist die Rechtswidrigkeit in Bezug auf die Sichtung der Aufnahmen nicht mehr fraglich, muss geprüft werden, ob die Verwertung eines rechtswidrig erlangten Beweises vor dem Fairnessgebot standhält. Es geht vorliegend um einen Grundrechtseingriff in die Garantie des Privatlebens (Art. 13 BV, 8 EMRK). Es liegt keine schwere Straftat i.S. von Art. 141 Abs. 2 StPO vor, lediglich ein Vergehen. Insgesamt überwiegt das Interesse des Beschwerdeführers, dass der Beweis unverwertet bleibt. Stellt sich noch die Frage der Fernwirkung, da nach der Konfrontation mit dem Film ein Geständnis erfolgte. Von der Unverwertbarkeit des Folgebeweises ist auszugehen, wenn der ursprüngliche, ungültige Beweis unverzichtbare Voraussetzung des mittelbar erlangten Beweises war. Das ist hier der Fall.

54 Aufbewahrung unverwertbarer Beweise
Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet (Art. 141 Abs. 5). Die Interessenlage kann sich im Verlaufe des Verfahrens ändern, so kann sich z.B. der Beschuldigte zur Entlastung auf einen nicht absolut illegal (Art. 141 Abs. 1) erhobenen Beweis (Art. 141 Abs. 2) berufen (Schmid, Praxiskommentar Art. 141 N 2, 18).

55 Prüfung Verwertbarkeit Grundsätzlich Sache des Sachrichters
Die Frage, ob strafprozessuale Beweisverwertungsverbote vorliegen, ist grundsätzlich vom Strafrichter zu beurteilen. Im Haftprüfungsverfahren reicht es aus, wenn die Verwertbarkeit von Beweismitteln, welche den Tatverdacht begründen, nicht zum Vorherein als ausgeschlossen erscheint (BGE 1B_179/2012 vom ).

56 Verspätete Rüge von Beweisverwertungsverboten
Nach der Praxis des BGer verstösst die verspätete Rüge eines Beweisverwertungsverbots gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und führt zum Verlust des Rügerechts. Es ging um die Unverwertbarkeit von Aussagen von Zeugen vor Bestellung des amtlichen Verteidigers. Obwohl der Verteidiger davon schon vor der Anklageerhebung Kenntnis hatte, rügte er dies erst im Plädoyer vor dem Berufungsgericht. Dies sei rechtsmissbräuchlich. Komme hinzu, dass trotz Angebots des StA auf die erneute Einvernahme verzichtet worden sei, weshalb zusätzlich widersprüchliches Verhalten vorliege (BGE 6B_22/2010 vom ; 6B_997/2010 vom ; Kritik forumpoenale 3/2012 S. 163 ff.).

57 Die Einvernahme ( ) Befragung einer Person durch Strafbehörden immer in der Form der Einvernahme, die parteiöffentlich ist und protokolliert werden muss. Nur die Polizei darf im polizeilichen Ermittlungsverfahren informelle Befragungen durchführen. Beachte: Die Polizei darf im Kanton Bern keine Zeugeneinvernahmen durchführen (Art. 142 Abs. 2)! Strafbefehlsverfahren: Einvernahmen des Einsprechers nach Einsprachen gegen Übertretungen nehmen auch Mitarbeiter der Kanzlei der StAw vor. Vor jeder Einvernahme Information über den Gegenstand des Strafverfahrens und die Eigenschaft des Einzuvernehmenden sowie Belehrung über Rechte und Pflichten (Art. 143 Abs. 1). Die Fragen sind klar zu formulieren, keine Suggestivfragen (Art. 143 Abs. 5). Die Antworten sollen primär aufgrund der Erinnerung erfolgen, schriftliche Unterlagen können mit Zustimmung der Verfahrensleitung verwendet werden (Art. 143 Abs. 6). Anstelle einer Einvernahme oder zur Ergänzung kann die Strafbehörde die einzuvernehmende Person einladen, einen schriftlichen Bericht einzureichen (Art. 145)

58 Belehrungspflicht Auskunftspersonen
Die Belehrung über die Rechte und Pflichten einer einzuvernehmenden Person hat so zu erfolgen, dass diese die Bedeutung und Tragweite ihres Inhalts zumindest im Kern sprachlich und intellektuell versteht. Auskunftspersonen sind sinngemäss nach den Bestimmungen über die Einvernahme der beschuldigten Person einzuvernehmen. Demzufolge sind Auskunftspersonen insbesondere darauf hinzuweisen, welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden, gegen wen sich die Ermittlungen richten und dass sie die Aussage und Mitwirkung verweigern kann. Einvernahmen ohne diese Hinweise sind absolut unverwertbar. Vorliegend ging es um Vergewaltigung in der Ehe. Gestützt auf einen anonymen Hinweis lud die Polizei die Ehefrau als Auskunftsperson zu einer Einvernahme vor. Die Belehrung, es handle sich um ein „Sittlichkeitsdelikt“ und zudem nicht, gegen wen sich der Verdacht richtet, genügte den gesetzlichen Vorgaben nicht. Die Beschwerde wurde gutgeheissen (BK OGer BE vom ).

59 Die Einvernahme Im Haftverfahren vor dem ZMG hat der PK kein Teilnahmerecht (Art. 225). Die Parteien haben das Recht, bei Beweiserhebungen durch die StAw und die Gerichte physisch (nicht TV in einem Nebenraum) anwesend zu sein – Parteiöffentlichkeit (Art. 147 Abs. 1). Bei polizeilichen Einvernahmen im Ermittlungsverfahren (Art. 306 f.) darf die Verteidigung anwesend sein, Anwalt der ersten Stunde (Art. 147 Abs. 1, 159), d.h. andere Parteien wie der PK nicht! Führt die Polizei aber von der StA sogenannte delegierte Einvernahmen (Art. 312) durch, dürfen die Parteien anwesend sein. Das Teilnahmerecht gibt keinen Anspruch auf Verschiebung der Einvernahme (Art. 147 Abs. 2). Es wird aber nach Möglichkeit Rücksicht genommen (Art. 202 Abs. 3). Beweise, die in Verletzung des Teilnahmerechts erhoben wurden, dürfen nicht zulasten der Partei, die nicht anwesend war, verwertet werden (Art. 147 Abs. 4).

60 Die Einvernahme Die Parteien können die Wiederholung der Beweisabnahme verlangen, wenn sie aus zwingenden (z.B. Vorladung nicht erhalten, Krankheit, Verkehrsprobleme, Auslandaufenthalt etc.) Gründen verhindert waren (Art. 147 Abs. 3). Auf die Wiederholung kann verzichtet werden, wenn sie mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden wäre und rechtlichem Gehör auf andere Weise nachgekommen werden kann (Art. 147 Abs. 3). Ist eine Wiederholung nicht möglich (z.B. Zeuge gestorben), so darf Beweis nicht verwertet werden, wenn er der einzige ist oder das Fairnessgebot verletzt würde (Schmid, Praxiskommentar Art. 147 N 14). Bei der Rechtshilfe im Ausland gibt es kein Recht auf Teilnahme, sondern ein Recht, Fragen zu stellen (Art. 148). Die anwesenden Parteien haben das Recht, direkte Ergänzungsfragen zu stellen (Art. 147 Abs. 1). Die Einzuvernehmenden werden grundsätzlich getrennt einvernommen; Konfrontationen sind zulässig und oft auch erforderlich (Art. 146).

61 Einvernahmen Schutzmassnahmen (149 – 156)
Einschränkung der Parteirechte durch geeignete und verhältnismässige Massnahmen zum Schutz von Verfahrensbeteiligten wenn diese mit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schweren Nachteil bedroht wird (Art. 149 Abs. 1). Zusicherung Anonymität; Genehmigung ZMG! Ausschluss Öffentlichkeit oder Parteien Abschirmung der betroffenen Person Veränderung des Aussehens oder der Stimme Einschränkung Akteneinsicht Bei allen Schutzmassnahmen muss das rechtliche Gehör, insbesondere die Verteidigungsrechte, genügend gewahrt werden (Art. 149 Abs. 5).

62 Videobefragung Weil der Mitbeschuldigte Angst vor dem Beschwerdeführer hatte und die StAw befürchtete, der Beschwerdeführer könnte den Mitbeschuldigten durch seine Anwesenheit einschüchtern, ordnete sie die Durchführung der Einvernahme des Mitbeschuldigten in Form eines Videobefragung an. Die Videobefragung auch in Form einer Simultanübertragung und damit ohne unmittelbare Anwesenheit des Beschuldigten stellt eine Einschränkung des Teilnahmerechts gemäss Art. 147 StPO dar. Im vorliegenden Fall bestand keine konkrete Gefahr für Leib und Leben, die diesbezüglichen Angaben waren zu vage. Zudem wusste der Beschwerdeführer aufgrund der Vorhalte wer ihn belastete. Die Massnahme war demnach zur Erfüllung des Schutzzwecks untauglich. Die Beschwerde wurde gutgeheissen (BK OGer BE vom ).

63 Aussagen von anonymisierten Zeugen
Im Oktober 2001 wurde ein Mann mit einem Genickschuss in Zürich getötet. Es war eine Abrechnung unter Drogenhändlern. Die Verurteilung erfolgte zu einem bedeutenden Teil aufgrund der Aussagen eines Augenzeugen. Weil ihm schwerste Repressalien aus dem gewalttätigen Umfeld des Beschuldigten drohten, wurde die Identität des Zeugen gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger geheim gehalten. Sie konnten den Zeugen in der Gerichtsverhandlung befragen, bekamen ihn aber nicht zu Gesicht und seine Stimme wurde verzerrt. Das Zürcher Kassationsgericht hob das Urteil auf. Das BGer erlaubte die Verwendung der Zeugenaussage. Der EGMR befand, das Recht auf ein faires Verfahren sei nicht verletzt worden (EGMR 25088/07 i.S. Pesukic vs. Schweiz vom ).

64 Aussagen von anonymisierten Zeugen
Für die Anonymisierung des Zeugen bestanden ernsthafte Gründe. Problematisch sei unter dem Blickwinkel eines fairen Verfahrens zwar, dass seine Aussagen wenn auch nicht das einzige, so doch ein ausschlaggebendes Beweismittel dargestellt habe. Es seien jedoch ausreichende Massnahmen zum Ausgleich getroffen worden. So seien die Identität des Zeugen bestätigt und sein Ruf, sein Vorleben und seine Glaubwürdigkeit geprüft worden. Das Gericht habe von ihm einen persönlichen Eindruck gewinnen können. Der Anwalt habe dem Zeugen Fragen stellen und alle Mitglieder des Gerichts hätten dessen Reaktionen beobachten können.

65 Keine Decknamen von Polizisten vor Behörden
Die Sondereinheit ARGUS hatte Ende August 2011 in Baden eine Wohnung gestürmt, in der sich ein Mann mit einem Samurai-Schwert gegen die Räumung zur Wehr setzte. Es kam ein Elektroschockgerät zum Einsatz, ein Polizist gab einen Schuss ab, der aber niemanden traf. Mit Blick auf die Abklärung der Eröffnung eines Strafverfahrens verlangt die StA vom Polizeikommando die Bekanntgabe der Identität der Polizeibeamten und die Einsatzfunktion. Die StA sicherte den Betroffenen Anonymität zu. Der Polizeikdt verweigert die Bekanntgabe, weil die Polizisten an Leib und Leben gefährdet sein könnten, wenn ihre Identität bekannt werde. BGer entschied, dass die verlangten Informationen herauszugeben seien. Ob Anonymität gewährt werde, habe letztlich das ZMG zu entscheiden. Wenn das ZMG diese nicht genehmige, müssten die erhobenen Beweise aus den Akten entfernt und nach Abschluss des Verfahrens vernichtet werden (BGE 1B_68/2012 vom ).

66 Keine Anonymität für Polizisten
2 Polizisten der Sondereinheit „Argus“ der Kapo Aargau erhalten keine Anonymität zugesichert. Die Sondereinheit hatte 2009 wegen eines Ehestreits eine Wohnung gestürmt. Dabei feuerte der eine Polizist eine Elektroschockpistole auf den Ehemann ab, während der andere ihn mit zwei Schüssen aus seiner Dienstwaffe in den Bauch traf. Gegen beide Polizisten wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Sie verlangten, dass ihre Personalien dem Opfer gegenüber nicht bekanntgegeben werden dürfen. Das BGer erwog, dass es keine Hinweise gebe, dass der Ehemann gewalttätig oder gefährlich sei oder sich an den Polizisten rächen wolle. Der Mann befand sich am fraglichen Abend in einer besonderen Situation, als plötzlich mehrere Beamte in Kampfausrüstung in seiner Wohnung standen. Auch wenn er, entgegen seiner Behauptung, den Polizisten mit einem Messer gedroht haben sollte, könne nicht daraus geschlossen werden, dass er heute eine Gefahr für die Beamten darstelle (BGE 1B_49/2013 vom ).

67 Anonyme Zeugen Rspr EGMR, Aussagen anonymer Zeugen nur verwertbar, wenn diesen keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, es also nicht der einzige oder doch wesentliche Beweis ist (Praxiskommentar Schmid, Art. 149 N 7). Rspr BGer, Aussagen anonymer Zeugen zugelassen, wenn die Beschneidung der Verteidigungsrechte durch schutzwürdige Interessen gedeckt sind und sich der Beschuldigte trotzdem wirksam verteidigen konnte, das Verfahren also trotzdem fair erscheint. Die Verteidigung muss dem optisch und akustisch abgeschirmten Zeugen Fragen stellen können. Entscheidend ist weiter, dass der anonyme Zeuge durch das urteilende Gericht selbst befragt wird, indem die Identität des Zeugen bekannt war und das Gericht dessen Glaubwürdigkeit überprüfen konnte (Schmid, Praxiskommentar Art. 149 N 7).

68 Opferschutz (152) Begleitung durch Vertrauensperson
Antrag, dem Beschuldigten nicht zu begegnen; das rechtliche Gehör des Beschuldigten ist in diesen Fällen auf andere Weise zu gewähren (z.B. Abschirmung des Opfers, audiovisuelle Übertragung der Einvernahme mit unmittelbarem Fragerecht etc.). Die Verfahrensleitung kann aber auch den Antrag abweisen und eine Gegenüberstellung anordnen, wenn das rechtliche Gehör nicht anderwertig gewährt werden kann oder überwiegende Interessen des Strafverfahrens dies zwingend erfordern (Art. 152 Abs. 4). Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität kann das Opfer verlangen, von einer Person des gleichen Geschlechts einvernommen zu werden. Eine Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten darf nur angeordnet werden, wenn das rechtliche Gehör nicht auf andere Weise gewährt werden kann (Art. 153).

69 Opferschutz Bei Straftaten gegen Kinder (im Zeitpunkt der Einvernahme noch nicht 18) sollten im ganzen Strafverfahren nicht mehr als 2 Einvernahmen erfolgen (Ordnungsvorschrift). Wenn absehbar ist, dass die Einvernahme zu einer schweren psychischen Belastung führen könnte, so wird ein Spezialist beigezogen oder die Einvernahme durch eine spezialisierte Ermittlungsbeamtin durchgeführt, die Einvernahme wird mit Bild und Ton aufgezeichnet (Art. 154) Einvernahmen von Personen mit einer psychischen Störung werden auf ein Minimum beschränkt, es können Spezialistinnen beigezogen werden (Art. 155).

70 Opferschutz – Faires Verfahren
Schliessen es die berechtigten Interessen namentlich des minderjährigen Opfers aus, dass ihm der Beschuldigte Fragen stellen lässt, kann dies nicht zur Folge haben, dass der Anspruch auf ein faires Verfahren aufgegeben wird. In einem solche Fall darf auf die entsprechende Zeugenaussage nicht abgestellt und der Angeklagte gestützt darauf nicht verurteilt werden. Das strenge Erfordernis dieses Anspruchs erfährt in der Praxis eine gewisse Abschwächung. Es gilt nur in jenen Fällen uneingeschränkt, bei denen dem Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Der Beschuldigte muss in diesen Fällen in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit des Zeugnisses zu prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und infrage zu stellen. Das Konfrontationsrecht des Beschuldigten darf auch nicht umgangen werden, indem über nicht verwertbare Aussagen ein Glaubwürdigkeitsgutachten erstellt wird (BK 12 6 vom ).

71 Einvernahme (EV) des Beschuldigten (157-161)
Polizei und StA weisen den Beschuldigten zu Beginn der ersten EV in einer ihr verständlichen Sprache darauf hin dass (Art. 158): Gegen ihn ein Vorverfahren eingeleitet worden ist und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden (z.B. ... wegen Diebstahls eines Pullovers am 10. Oktober 2010 im Warenhaus Loeb); Er die Aussage und die Mitwirkung verweigern kann (und Aussagen gegen ihn verwendet werden können Miranda warning); Er berechtigt ist, eine Verteidigung zu bestellen oder gegebenenfalls eine amtliche Verteidigung zu beantragen; Er eine Übersetzerin verlangen kann. Einvernahme ohne diese Hinweise sind nicht verwertbar (Art. 157 Abs. 2; 141 Abs. 1).

72 Einvernahme Beschuldigte
Bereits im polizeilichen Ermittlungsverfahren hat der Beschuldigte das Recht, dass die Verteidigung bei der EV anwesend ist (Anwalt der ersten Stunde, Art. 159 Abs. 1). Bei polizeilichen Einvernahmen einer vorläufig festgenommen Person (Art. 217) hat diese das Recht, mit ihrer Verteidigung frei zu verkehren (Art. 159 Abs. 2). Die Geltendmachung dieser Rechte gibt keinen Anspruch auf Verschiebung der EV (Art. 159 Abs. 3).

73

74 Ablauf EV Beschuldigter
Feststellung der Identität (Art. 143) Hinweise und Belehrungen (Art. 143, 158) Befragung zur Sache (ein Geständnis ist zu überprüfen, Art. 160) Recht auf Ergänzungsfragen der anwesenden Parteien Befragung zu den persönlichen Verhältnissen und zum Vorleben (wenn notwendig, Art. 161)

75 EV von Zeugen ( ) Zeuge ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die zur Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson (Art. 178) ist (Art. 162). Der Geschädigte bzw. das Opfer wird als Zeuge einvernommen, wenn er bzw. es nicht Privatkläger ist und als Auskunftsperson einvernommen (Art. 178) wird (Art. 166). Wurde der Beschuldigte vorher als Zeuge einvernommen, ist die EV nicht verwertbar. Wird er freigesprochen oder wird das Verfahren eingestellt, kann er danach Zeuge sein. Zeugnisfähig ist eine Person älter als 15 und hinsichtlich des Gegenstands der EV urteilsfähig (Art. 163 Abs. 1). Zeugnispflicht jeder Person zur wahrheitsgemässen Aussage, es sei denn Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 163 Abs. 2). Zeugen vom Hörensagen (mittelbare Zeugen) zulässig.

76 Mangelhafte Belehrung ausländischer Beschuldigter
Gemäss Art. 36 Ziff. 1 lit. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom (WÜK; SR ) müssen ausländische Personen, welchen die Freiheit entzogen wird, unverzüglich darüber belehrt werden, dass sie die Unterstützung des Heimatkonsulats beanspruchen können. Dies war nicht erfolgt, weshalb die Verteidigung eines Mitbeschuldigten auf Unverwertbarkeit der Einvernahme eines Mitbeschuldigten plädierte. BGer wies die Beschwerde ab. Die Bestimmungen des WÜK dienen nicht dem Schutz des Beschwerdeführers, sondern demjenigen der ausländischen Inhaftierten (Rechtskreistheorie). Ausserdem lasse sich aus dem WÜK kein Verwertungsverbot ableiten. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Unterlassung einen Einfluss auf den Inhalt der Aussage haben könnte. Es gehe darum, dass der Ausländer durch diplomatische Hilfe nicht schlechter gestellt werde als die Bürger seines Heimatstaates (BGE 6B_690/2011 vom ).

77 EV von Zeugen Nachforschungen über persönliche Verhältnisse und Vorleben von Zeugen nur, wenn zur Abklärung der Glaubwürdigkeit notwendig. Wenn Zweifel an der Urteilsfähigkeit oder Anhaltspunkte für psychische Störungen vorliegen, kann eine ambulante Begutachtung angeordnet werden (Art. 164). Dem Zeugen kann eine zeitlich befristete Schweigepflicht über den Inhalt seiner EV auferlegt werden (Art. 165). Der Zeuge hat Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung und Spesen (Art. 167).

78 EV von Zeugen Für die EV von Zeugen gelten die allgemeinen Regeln von StPO Art Hinzu kommt die Belehrungspflicht vor jeder EV über die Zeugnis- und Wahrheitspflichten und die Strafbarkeit wegen falschen Zeugnisses gemäss Art. 307 StGB. Unterbleibt die Belehrung, so ist die Einvernahme ungültig (Art. 177 Abs. 1, 141 Abs. 2). Sobald aufgrund der Einvernahme oder den Akten ein Zeugnisverweigerungsrecht erkennbar ist, ist der Zeuge darauf aufmerksam zu machen. Unterbleibt der Hinweis und beruft sich der Zeuge nachträglich darauf, so ist die Einvernahme nicht verwertbar (Art. 177 Abs. 3; 141 Abs. 1). Bei der ersten EV wird der Zeuge über ihre Beziehung zu den Parteien und über Umstände, die für die Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein können, befragt (Art. 177 Abs. 2).

79 Zeugenbefragung durch Verteidiger/innen
3 Voraussetzungen (BGE 136 II 551, 555 f.): Kontaktaufnahme muss den Interessen der eigenen Klientschaft dienen. Die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch die Strafbehörden muss gewährleistet bleiben, weshalb die Befragung so auszugestalten ist, dass eine Beeinflussung vermieden wird. Es muss eine sachliche Notwendigkeit für die Kontaktaufnahme bestehen. Die Lehre geht noch weiter: nur ausnahmsweise, wenn zu Instruktionszwecken unerlässlich und niemals, wenn das gleiche Resultat auch über einen Antrag an die Verfahrensleitung erzielt werden kann (Fellmann, Anwaltsrecht, Bern 2010). Keine Beeinflussung (Art. 7 Standesregeln SAV). Unzulässig, wenn bereits Vorladung als Zeuge oder bereits Einvernahme erfolgt ist.

80 Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Für die Beurteilung der Frage, ob die Aussage eines Zeugen, der nicht mit dem Beschuldigten konfrontiert wurde, berücksichtigt werden kann, sind 2 Aspekte wesentlich: - Einerseits muss ein guter Grund für die nicht durchgeführte Konfrontation vorliegen. - Andererseits können selbst bei Vorliegen eines solchen Grundes die Verteidigungsrechte in einem mit den von Art. 6 EMRK gewährten Garantien unvereinbaren Umfang beschränkt sein, wenn die Verurteilung ausschliesslich oder entscheidend auf der Aussage eines solchen Zeugen basiert. EGMR Entscheid vom i.S. Garofolo c. Schweiz (Apllication no. 4380/09).

81 Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Mit der Garantie soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Aussagen von Zeugen und Auskunftspersonen dürfen i.d.R. nur nach erfolgter Konfrontation zum Nachteil des Beschuldigten verwertet werden. Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt insofern grundsätzlich ein absoluter Charakter zu.

82 Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Dieser Grundsatz erfährt in der Praxis aber eine gewisse Relativierung. Er gilt uneingeschränkt nur, wenn dem streitigen Zeugnis alleinige oder ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Auf eine Konfrontation des Beschuldigten mit den Belastungszeugen oder auf die Einräumung der Gelegenheit zur ergänzenden Befragung des Zeugen kann unter besonderen Umständen verzichtet werden, so etwa, wenn der Zeuge inzwischen verstorben ist oder trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar blieb (BGE 131 I 476 E. 2.2; 124 I 274 E. 5b; 6B_111/2011, ).

83 Verzicht auf das Konfrontationsrecht
Die Beschuldigte erlitt beim Autofahren einen epileptischen Anfall und verursachte in Langenthal einen Verkehrsunfall. In Thunstetten informierte sie ihren Ehemann, der die Kratzer am Auto mit blauer Farbe überstrich. Kurze Zeit später fuhr sie nach Aarwangen, ohne die Polizei über den Unfall zu informieren. Die Beschuldigte wurde wegen Fahrens in nicht fahrfähigem Zustand und pflichtwidrigen Verhaltens nach Verkehrsunfall, ihr Ehemann wegen versuchter Begünstigung, verurteilt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers äusserte sich einzig anlässlich ihrer polizeilichen Einvernahme zum Tathergang. Der Beschwerdeführer hatte kein Teilnahmerecht. In der Gerichtsverhandlung machte die Ehefrau vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Auch der Beschwerdeführer verweigerte die Aussage.

84 Verzicht auf das Konfrontationsrecht
Auf eine Konfrontation des Angeschuldigten mit dem Belastungszeugen oder auf die Einräumung der Gelegenheit zur ergänzenden Befragung des Zeugen kann unter besonderen Umständen verzichtet werden, u.a. dann, wenn der Zeuge berechtigterweise das Zeugnis verweigert. Die Angaben eines nicht konfrontierten Belastungszeugen sind auch dann, wenn es sich um ein Zeugnis von ausschlaggebender Bedeutung handelt verwertbar, wenn ausreichend kompensierende Faktoren gegeben sind, um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein faires Verfahren und die Überprüfung der Verlässlichkeit des Beweismittels zu gewährleisten (EMRG i.S. Al-Khawaja und Tahery gegen Grossbritannien).

85 Verzicht auf das Konfrontationsrecht
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK ist nicht verletzt, wenn die für die Verurteilung ausschlaggebenden polizeilichen Angaben eines Belastungszeugen, der im weiteren Verfahren von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, unter Beizug weiterer Beweismittel als glaubhaft erachtet werden. Die Vorinstanz hat ihren Schuldspruch nicht isoliert auf die Aussagen der Ehefrau abgestützt, sondern unter Beizug weiterer Beweismittel (telefonische Angaben des Beschwerdeführers, Fotos des Fahrzeugs, Aussagen des Polizisten (BGE 6B_75/2013 vom ).

86 Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Ein Arzt soll eine Patientin während einer osteopathischen Untersuchung unsittlich berührt haben. Die Aussage der Patientin war das einzige ausschlaggebende Beweismittel. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte den Belastungszeugen wenigstens einmal während des Verfahrens in direkter Konfrontation befragen konnte. Um sein Fragerecht wirksam ausüben zu können, muss der Beschuldigte in die Lage versetzt werden, die persönliche Glaubwürdigkeit des Zeugen zu prüfen und den Beweiswert seiner Aussagen zu hinterfragen. Im Regelfall ist das Fragerecht dem Beschuldigten und seinem Verteidiger gemeinsam einzuräumen.

87 Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Das Konfrontationsrecht des Beschuldigten wird in gewissen Konstellationen durch die Opferrechte eingeschränkt. Das Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität kann verlangen, dass eine Konfrontation gegen seinen Willen nur angeordnet wird, wenn der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann (Art. 153 Abs. 2 StPO). Dabei sind die Interessen des Opfers und der Verteidigung gegeneinander abzuwägen. Der Beschuldigte erhielt während des gesamten Verfahrens nie Gelegenheit, den Einvernahmen des Opfers wenigstens einmal direkt oder indirekt zu folgen. Er durfte auch keine Fragen unmittelbar an sie richten. Das Opfer hatte ein Arztzeugnis eingereicht, wonach ein Zusammentreffen mit dem Beschuldigten eine grosse psychische Belastung darstelle. Das BGer führt aus, es seien keine Gründe ersichtlich, die zumindest einer indirekte Konfrontation entgegenstehen. Den Opferrechten hätte z.B. mittels Videoübertragung in einen anderen Raum hinreichend Rechnung getragen werden können. Die Beschwerde wurde gutgeheissen (BGE 6B_324/2011 vom ).

88 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Während eines Besuchweekends anfangs Oktober 2003 soll es zu sexuellen Handlungen des Vaters mit seinem damals fünfjährigen Sohn gekommen sein. Die Kinderschutztruppe der Kapo Bern befragte am das mutmassliche Opfer. Am wurde der minderjährige Bruder befragt. An beiden Einvernahmen wurde die Teilnahme nicht gewährt, und es gab auch keine Gelegenheit, Ergänzungsfragen zu stellen. Die Verteidigung beantragte, die beiden Protokolle und weitere Ausführungen dazu aus den Akten zu weisen. Der GP wies den Antrag ab. Indessen erfolgte eine zweite Befragung des mutmasslichen Opfers unter Gewährung des Teilnahmerechts am 18. Juni Auch der Bruder der Opfers wurde unter Gewährung des Teilnahmerechts am ein zweites Mal befragt. Erstinstanzlich erfolgte am ein Freispruch. Die beiden Einvernahmen im Jahre 2003 durch die Polizei seien nicht verwertbar. Die zweiten Aussagen seien zu ungenau, so dass der Beweis nicht rechtsgenüglich erbracht werden könne. Die StrK des OG spricht schuldig unter Verwertung der beiden Einvernahmen aus dem Jahre Sie stellte wesentlich auf diese ersten Aussagen ab.

89 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantiere Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet.

90 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind, muss der Beschuldigte namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und infrage stellen zu können (BGE 133 I 33). Das kann entweder zum Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Belastungszeuge seine Aussage macht, oder auch in einem späteren Verfahrensstadium (BGE 131 I 476). Auf eine Konfrontation kann nur unter besonderen Umständen verzichtet werden. In solchen Fällen ist erforderlich, dass der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen kann, die Aussagen sorgfältig geprüft werden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt wird, d.h. der belastenden Aussage nicht ausschlaggebende Bedeutung zukommt bzw. sie nicht den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (BGE 131 I 476).

91 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Soweit der Konfrontationsanspruch zur Diskussion steht, werden auch die in der Voruntersuchung gegenüber der Polizei gemachten Aussagen als Zeugenaussagen betrachtet (BGE 125 I 127). Dass die StPO ein Teilnahmerecht der Parteien nur bei Beweiserhebungen nach eröffneter Untersuchung, nicht aber auch für das polizeiliche Ermittlungsverfahren vorsieht (Art. 147 Abs. 1 StPO), berührt den Konfrontationsanspruch – entgegen der Vorinstanz – nicht. In formeller Hinsicht wurde vorliegend das Teilnahme- und Konfrontationsrecht bei den zweiten Einvernahmen gewährt. Dies bedeutet aber noch nicht, dass die früheren Einvernahmen uneingeschränkt verwendet werden können. Dem Anspruch auf Wiederholung einer Beweiserhebung ist nur Genüge getan, wenn die nicht verwertbaren Beweise auf gesetzeskonforme Weise neu erhoben werden. Der Beschuldigte muss in die Lage versetzt werden, sein Fragerecht tatsächlich auszuüben und damit die Glaubhaftigkeit einer Aussage infrage stellen zu können.

92 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Dies setzt in aller Regel voraus, dass sich der Einvernommene in Anwesenheit des Beschuldigten nochmals zur Sache äussert. In diesem Fall steht nichts entgegen, im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch auf die Ergebnisse der früheren Beweiserhebung ergänzend zurückzugreifen. Denn die Frage, ob bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken eines Zeugen auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann, betrifft nicht die Verwertbarkeit, sondern die Beweiswürdigung (BGE 6B_325/2011 vom E. 2.3). Beschränkt sich die Wiederholung der Einvernahme aber im Wesentlichen auf eine formale Bestätigung der früheren Aussagen, wird es dem Beschuldigten verunmöglicht seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen.

93 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Das mutmassliche Opfer konnte sich bei der zweiten Befragung nur noch sehr vage an die Vorfälle erinnern. Anlässlich der zweiten Befragung kam es nicht von sich aus auf die Sache zu sprechen. Es konnte sich nicht mehr daran erinnern. Erst auf Vorhalt seiner früheren Aussagen und nach mehrmaligem Insistieren erfolgte eine pauschale Bestätigung. Auch die Aussagen des Bruders blieben bei der zweiten Einvernahme sehr vage. Dem Beschwerdeführer war damit verwehrt, sein Konfrontationsrecht wirksam auszuüben. Das Urteil der Vorinstanz wurde kassiert (BGE 6B_369/2013 vom ).

94 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Ein Fall von Misswirtschaft, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Betrug etc. Der Beschwerdeführer beantragte nach Eröffnung der Anklageschrift 23 Belastungszeugen einzuvernehmen. Der Beschwerdeführer verstösst nicht gegen Treu und Glauben. Ein Antrag auf Konfrontationseinvernahmen ist nach der Praxis des BGer verspätet, wenn der Antrag nicht bis zum Abschluss der erstinstanzlichen HV erfolgt, sondern der Beschwerdeführer bis dahin nach Treu und Glauben zur Antragstellung Anlass gehabt hätte (BGE 6B_573/2011 vom E. 2.6). Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt grundsätzlich ein absoluter Charakter zu. Auf eine Konfrontation des Angeklagten mit dem Belastungszeugen oder auf die Einräumung der Gelegenheit ergänzende Fragen zu stellen kann nur unter besonderen Umständen verzichtet werden (BGE a.a.O. E. 2.4).

95 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Der EGMR liess die fehlende Befragung des Belastungszeugen unbeanstandet, wenn dieser berechtigterweise das Zeugnis verweigert oder trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar blieb oder verstorben war. Erforderlich war in diesen Fällen jedoch, dass der Beschuldigte zu den belastenden Aussagen hinreichend Stellung nehmen konnte, die Aussagen sorgfältig geprüft wurden und ein Schuldspruch nicht allein darauf gestützt wurde (BGE 131 I 476 E. 2.2). Verlangt wurde zudem, dass die Behörden den Umstand nicht selbst zu vertreten hatten, dass der Angeklagte seine Rechte nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte (BGE 131 I 476 E ).

96 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Im Urteil i.S. Al-Khawaja und Tahery vs. Grossbritannien revidierte der EGMR seine bisherige Rspr insofern, als u.U. auch ein streitiges Zeugnis von ausschlaggebender Bedeutung ohne Konfrontation mit dem Belastungszeugen verwertbar sein kann, wenn ausreichende kompensierende Faktoren gegeben sind, um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein faires Verfahren und die Überprüfung der Verlässlichkeit des Beweismittels zu gewährleisten. Der EGMR betonte jedoch, dass dies nur gilt, wenn die Einschränkung des Konfrontationsrechts notwendig war, d.h. das Gericht vorgängig vernünftige Anstrengungen unternommen hat, um das Erscheinen des Zeugen vor Gericht sicherzustellen (BGE 6B_125/2012 vom E ).

97 Verletzung des Konfrontationsanspruches
Die Beantwortung von Fragen der Verteidigung an den Belastungszeugen darf nicht mittels antizipierter Beweiswürdigung als nicht notwendig erklärt werden! Dies gilt entgegen dem Hinweis in BGE 129 I 151 E. 4.3 auch, wenn das streitige Zeugnis nicht den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Unerheblich ist, dass die belastende Aussage lediglich eines von mehreren Gliedern einer Indizienkette bildet (BGE 6B_573/2011 vom E. 2.4).

98 Verletzung des Konfrontationsanspruches
In casu hatte die Vorinstanz auf eine Konfrontation mit einer Strafantragstellerin wegen Betruges verzichtet und ausschliesslich auf den in ihrem Strafantrag dargestellten Vorwürfen abgestellt. Weil damit die Arglist ungenügend abgeklärt worden war, wurde das Urteil in diesem Punkt kassiert (BGE 6B_573/2011 vom ).

99 Recht auf Zeugenbefragung
Der Anspruch auf Befragung von Zeugen ist Teil des rechtlichen Gehörs, welches seine Grundlage im Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 29 Abs. 1 und 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat. Das Recht auf die Ladung und Befragung von Entlastungszeugen ist im Gegensatz zur Befragung von Belastungszeugen relativer Natur. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn der Richter nur jene Beweisbegehren berücksichtigt, die nach seiner Würdigung entscheiderheblich sind. Die Verfassungsgarantie steht einer antizipierten Beweiswürdigung nicht entgegen (BGE 6B_595/2011 vom ).

100 Zeugnisverweigerungsrecht
Absolutes Zeugnisverweigerungsrecht erlaubt, die Aussage gänzlich zu verweigern, z.B. Ehegatten, Rechtsanwältinnen. Relatives Zeugnisverweigerungsrecht befreit von der Aussagepflicht nur bezüglich einzelner Fragen, z.B. Antwort würde den Zeugen strafrechtlich selber belasten. Es sind allenfalls nur die Antworten auf Fragen unverwertbar, die das Zeugnisverweigerungsrecht betreffen.

101 Zeugnisverweigerungsrecht
Persönliche Beziehung (Art. 168): Nahe Verwandte und Ehegatten, faktische Lebensgemeinschaft etc. Beachte: Entfällt, bei schweren Straftaten wie vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Raub, qualifizierte Freiheitsberaubung und Entführung, Geiselnahme, strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität, wenn sich die Straftat gegen eine dem Zeugen gemäss Art nahestehenden Person richtet. Bsp. Tochter hat kein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn Vater ihre Mutter tötet.

102 Zeugnisverweigerungsrecht
Eigener Schutz oder zum Schutz nahestehender Personen (Art. 169) Relatives Zeugnisverweigerungsrecht betreffend Fragen, bei derer Beantwortung der Zeuge sich selber oder eine ihm nahestehende Person der Gefahr strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Verantwortung (hier nur, wenn das Schutzinteresse das Strafverfolgungsinteresse überwiegt) oder einer Gefahr für Leib und Leben, welche nicht durch Schutzmassnahmen gem. StPO 149 ff. abgewendet werden kann, aussetzen würde. Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Integrität steht ein Zeugnisverweigerungsrecht bei Fragen zu, die ihre Intimsphäre betreffen (Art. 169 Abs. 4).

103 Zeugnisverweigerungsrecht
Amtsgeheimnis (Art. 170): Relatives Zeugnisverweigerungsrecht für Beamte, Behördenmitglieder bzw. öffentliche Angestellte, welche gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB eine amtliche Funktion ausüben und zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Aussagepflicht bzw. -recht betreffend Tatsachen, die ihnen in ihrer amtlichen Stellung bekannt wurden, nur, wenn sie von ihrer vorgesetzten Behörde zur Aussage schriftlich ermächtigt wurden (Art. 170 Abs. 2). Überwiegt das Interesse an der Wahrheitsfindung dasjenige an der Geheimhaltung, ist die vorgesetzte Behörde verpflichtet, die Ermächtigung zu erteilen (Art. 170 Abs. 3).

104 Zeugnisverweigerungsrecht
Berufsgeheimnis (Art. 171): Berufsgeheimnisträger gemäss Art. 321 StGB (Rechtsanwältinnen, Geistliche, Ärzte etc. sowie ihre Hilfspersonen) haben ein absolutes Berufsgeheimnis bezüglich auf das Wissen aus dem berufsspezifischen Bereich, nicht aber betreffend die Tätigkeit als Privatperson oder in anderer Funktion. Wenn eine Anzeigepflicht (z.B. a.o. Todesfälle, Gesundheitsgesetz Art. 28 Abs. 1, BSG ) besteht, sind sie zur Aussage verpflichtet (Art. 171 Abs. 2 lit. a). Entbindung vom Berufsgeheimnis durch Geheimnisherrn oder schriftlich durch zuständige Behörde gemäss Art. 321 Ziff. 2 StGB führt ebenfalls zur Aussagepflicht (Art. 171 Abs. 2 lit. b), sofern der Berufsgeheimnisträger nicht glaubhaft macht, das Interesse an der Geheimhaltung überwiege das Interesse an der Wahrheitsfindung (Art. 171 Abs. 3). Anwältinnen können sich auch bei Entbindung auf das Berufsgeheimnis berufen (Art. 13 BGFA, Anwaltsgesetz).

105 Zeugnisverweigerungsrecht
Strafuntersuchung gegen Mutter wegen schwerer Körperverletzung (mehrfaches Schütteltrauma mit Verdacht auf bleibende Schäden) ihres Babys. Hausdurchsuchung beim Psychiater, der die Frau behandelte, und Sicherstellung der Krankenakten. Arzt verlangt Siegelung. ZMG weist Entsiegelungsgesuch StAw ab. BGer schützt diesen Entscheid (BGE 1B_96/2013 vom ). Das ZMG hält fest, aufgrund des Zeugnisverweigerungsrechts des Arztes besteht ein Beschlagnahmeverbot. Weder sei der Arzt durch die Patientin noch von der zuständigen Behörde vom Berufsgeheimnis entbunden worden. Der Arzt unterliege auch keiner Anzeigepflicht i.S. von Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO.

106 Zeugnisverweigerungsrecht
Das BGer erwog, dass Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der Beschuldigten mit Personen, die nach Art. 170 – 173 StPO das Zeugnis verweigern können und im gleichen Zusammengang nicht selber beschuldigt sind, ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden, und des Zeitpunktes, in welchem sie geschafften worden sind, von der StAw weder eingesehen noch verwendet werden dürfen (Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO). Die Kantone bestimmen, welche Medizinalpersonen verpflichtet sind, a.o. Todesfälle den Strafbehörden zu melden (Art. 253 Abs. 4 StPO). Das Arztgeheimnis (Art. 321 StGB; 171 Abs. 1 StPO) stellt ein wichtiges Rechtsinstitut des Bundesrechts dar. Es fliesst aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf Privatsphäre (Art. 13 BV, 8 EMRK) und dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Das Berufsgeheimnis nach Art. 171 Abs. 1 StPO begründet eine Zeugnisverweigerungs-pflicht.

107 Zeugnisverweigerungsrecht
Ausnahmen vom Arztgeheimnis bedürfen einer klaren bundesrechtlichen Regelung. Kantonale Verwaltungsnormen dürfen die StPO-Regelungen nicht unterlaufen. Im vorliegenden Fall ging es nicht um eine Meldepflicht einer mutmasslichen Straftat. Die StAw hatte bereits den konkreten Tatverdacht und wollte (weitere) Beweise dazu erheben.

108 Aufforderung an Anwältin zur Aktenherausgabe
Kann sich eine Anwältin hinsichtlich der ihr von ihrer Klientschaft anvertrauten Unterlagen auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen (Art. 171 StPO), so kann sie die Herausgabe gestützt auf Art. 265 Abs. 2 lit. b StPO verweigern. Anders als bei der Beschlagnahme, bei welcher im Sinn von Art. 263 Abs. 1 lit. c und d StPO einziehbare bzw. dem Geschädigten zurückzugebende Gegenstände und Vermögenswerte in jedem Fall der Beschlagnahme unterliegen (Art. 264 Abs. 2 StPO), besteht bei der Herausgabe keine solche Pflicht. Die Staatsanwaltschaft hat die Herausgabeverfügung demzufolge zu Unrecht mit einer Strafandrohung für den Unterlassungsfall und damit mit einem indirekten Zwang versehen. Die Beschwerde gegen die Herausgabeverfügung wurde gutgeheissen (BK vom ).

109 Besserer Schutz des Anwaltsgeheimnisses
Anwälte/innen sollen sich unabhängig vom Verfahren gleichermassen auf das Anwaltsgeheimnis berufen können. Die Ausdehnung gilt somit insbesondere auch für das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Kartellgesetz, das Patentgerichtsgesetz, das Verwaltungsstrafrecht und die MStPO. Seit Anfang 2011 darf die Anwaltskorrespondenz in zivil- oder strafrechtlichen Verfahren auch dann nicht beschlagnahmt werden, wenn sie sich in den Händen von Klienten oder Dritter befindet. Der Schutz erstreckt sich auf alle Gegenstände und Unterlagen, die im Rahmen der Anwaltstätigkeit erstellt worden sind. Diese Ausdehnung des Anwaltsgeheimnisses gilt auch für das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Patentgerichtsgesetz, das Kartellgesetz, das Verwaltungsstrafrecht und das Militärstrafprozessrecht.

110 Zeugnisverweigerungsrecht
Quellenschutz für beruflich Medienschaffende eines periodisch erscheinenden Mediums (Art. 172): Relatives Zeugnisverweigerungsrecht betreffend Identität des Autors oder den Inhalt und Quellen der veröffentlichten Information. Aussagepflicht Tötungsdelikte, Verbrechen etc. (Art. 172 Abs. 2).

111 Zeugnisverweigerungsrecht
Weitere Geheimhaltungspflichten (Art. 173): Medizinische Forschung, Ehe- und Familienberatung, Schwangerschaftsberatung , Opferberatung, Fürsorgestellen für Alkohol- und Drogenabhängige etc. Absolutes Zeugnisverweigerungsrecht, sofern nicht das Interesse an der Wahrheitsfindung das Interesse an der Geheimhaltung überwiegt. Alle weiteren, in Art. 173 Abs. 1 nicht genannten gesetzlich geschützten Geheimnisträger (z.B. Treuhänder), sind zur Aussage verpflichtet. Die Verfahrensleitung kann sie von der Aussagepflicht entbinden, wenn sie glaubhaft machen, das Geheimhaltungsinteresse überwiege das Interesse an der Wahrheitsfindung (Art. 173 Abs. 2).

112 Zeugnisverweigerungsrecht
Im Vorverfahren entscheidet die einvernehmende Behörde über das Zeugnisverweigerungsrecht, nach der Anklageerhebung das Gericht (Art. 174 Abs. 1). Die Zeugin kann sofort nach der Eröffnung des Entscheids Beschwerde (Art. 393 ff.) erheben (Art. 174 Abs. 2). Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (Art. 174 Abs. 3). Das Zeugnisverweigerungsrecht ist höchstpersönlich (Urteilsfähigkeit). Das Zeugnisverweigerungsrecht kann jederzeit geltend gemacht oder ein Verzicht widerrufen werden (Art. 175 Abs. 1). Bei erst späterer Zeugnisverweigerung können die vorherigen Aussagen verwertet werden, es sei denn, der Grund für die Zeugnisverweigerung sei erst später eingetreten (Art. 175 Abs. 2). Bei unberechtigter Zeugnisverweigerung droht eine Ordnungsbusse und Kostentragung. Verweigert die Person weiterhin das Zeugnis, wird sie auf Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen, Busse) hingewiesen. Nützt auch das nichts, wird ein Strafverfahren eröffnet (Art. 176).

113 Beschwerde gegen Ablehnung Zeugnisverweigerungsrecht
Es handelt sich nicht um ein eigentliches Beschwerdeverfahren, es richtet sich aber nach dessen Regeln, wobei ein Entscheid rasch zu erfolgen hat. Der Hinweis auf die Vorstrafen des Beschuldigten sowie die Tatsache, dass er Personen mit einem einem Messer angegriffen habe, reichen nicht aus, um eine Bedrohungslage für den Zeugen und seine Familie genügend konkret darzutun. Sonst könnte immer in Fällen, bei denen dem Beschuldigten vorgeworfen wird, mit Waffen auf andere Personen losgegangen zu sein, auch eine Gefahr für den Zeugen abgeleitet werden. Das ist aber zu abstrakt. Aufgrund der fehlenden Gefahrenlage kommen keine Schutzmassnahmen in Betracht. Daras folgt, dass auch kein Zeugnisverweigerungsrecht vorliegt. Weil der Entscheid nach Art. 174 StPO kein Rechtsmittelverfahren i.e.S. ist und selber keine Kostenregelung enthält, kommt für die Kostenfolge die Grundregel von Art. 423 StPO zum Tragen, d.h. die Kosten gehen an den Kanton (BK vom ).

114 Auskunftspersonen (178-181)
Auffangkonstruktion zwischen Zeugen und beschuldigter Person. Abschliessende Aufzählung in Art. 178: Privatkläger! Kinder (im Zeitpunkt EV noch nicht 15) Eingeschränkte Urteilsfähigkeit Täter oder Teilnehmer, die (noch) nicht beschuldigt sind, deren Täterschaft oder Teilnahme aber nicht ausgeschlossen werden kann. Mitbeschuldigte Personen bei EV zu Delikten, die ihnen nicht zur Last gelegt werden. Beschuldigte in einem anderen Verfahren wegen einer Tat, die mit der abzuklärenden in Zusammenhang steht (z.B. Hehlerei, Geldwäscherei). Unternehmensvertreter sowie deren direkte Mitarbeiter nach Art. 112 StPO (Strafverfahren gegen ein Unternehmen gem. Art. 102 StGB).

115 Auskunftspersonen Die Polizei darf im Kanton Bern keine Zeugeneinvernahmen durchführen (Art. 142 Abs. 2). Sie führt EV mit Auskunftspersonen durch, die nicht als Beschuldigte in Frage kommen (Art. 179). Die Parteirechte des Beschuldigten, insbesondere das Recht auf Teilnahme eines Verteidigers (Art. 159 Abs. 1), darf durch die Auskunftsperson nicht ausgehebelt werden. Die Untersuchung ist zu eröffnen und die verdächtige Person ist als Beschuldigter einzuvernehmen, wenn hinreichender Tatverdacht besteht (Art. 309 Abs. 1 lit. a). Wurde ein Zeuge von der Polizei als Auskunftsperson einvernommen, so sind die Aussagen nur verwertbar, wenn später eine EV als Zeuge durch die StA oder das Gericht erfolgt. Die EV als Auskunftsperson erfolgt mit Ausnahme der Spezialvorschriften (Art. 178 ff.) nach den Vorschriften über die beschuldigte Person (Art. 157 ff.) und den allgemeinen Vorschriften über die EV (Art. 143 ff.).

116 Auskunftsperson Die Auskunftsperson, ausser die Privatklägerschaft, ist zur Aussage nicht verpflichtet (Art. 180 Abs. 1). Sie ist vor Beginn der EV auf das Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht aufmerksam zu machen (Art. 181 Abs. 1). Ausserdem ist sie auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung, Irreführung der Rechtspflege und Begünstigung (Art. 303 ff. StGB) hinzuweisen. Es handelt sich hier um eine Gültigkeitsvorschrift (Art. 141), unterbleibt die Belehrung, so ist die EV nicht verwertbar, es sei denn, es handle sich um ein Verbrechen (Art. 141 Abs. 2). Die Privatklägerschaft ist zur Aussage verpflichtet, es sei denn, es bestehe ein Zeugnisverweigerungsrecht. Die Auskunftsperson, ausser die Privatklägerschaft, hat keine Parteistellung.

117 Auskunftsperson EV als Auskunftsperson, Grund dazu fällt nachträglich weg, neu EV als Zeuge möglich, Aussagen verwertbar. EV als Zeuge, hätte aber als Auskunftsperson einvernommen werden müssen (z.B. kam als Täter in Frage), Aussagen als Zeuge nicht verwertbar? EV als Zeuge, nachträglich ergeben sich Gründe für EV als Auskunftsperson (z.B. Stellung als PK), Aussagen als Zeuge verwertbar. EV als Auskunftsperson, hätte als Beschuldigter einvernommen werden müssen, Aussagen als Auskunftsperson nicht verwertbar, da Belehrung gemäss Art. 158 StPO unterblieb.

118 Mangelhafte Belehrung
Ein 10-jähriger wurde im Strafverfahren gegen seine Mutter als Auskunftsperson einvernommen. Dabei wurde er auf sein Aussageverweigerungsrecht hingewiesen nach Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 158 StPO, nicht aber, dass sich das Strafverfahren gegen seine Mutter richtet. Die Belehrung über die Rechte und Pflichten muss umfassend erfolgen. Die Auskunftsperson muss die Bedeutung und Tragweite ihres Inhalts zumindest im Kern sprachlich und intellektuell verstehen. Es muss eine ausdrückliche Information erfolgen, gegen wen sich die Untersuchung richtet, in der sie befragt wird, und um was es im Verfahren geht. Ein blosser Hinweis auf Widerhandlungen gegen das StGB und AuG ist diesbezüglich ungenügend. Da dies nicht gemacht wurde, war die Aussage nicht verwertbar (Art. 158 Abs. 2 StPO). Ausserdem wurde der 10-jährige nur auf sein generelles Aussageverweigerungsrecht als Auskunftsperson hingewiesen, nicht aber auch noch auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber seiner Mutter (Art. 168 Abs. 1 lit. c StPO). Auch deshalb war die Einvernahme unverwertbar (BK vom ).

119 Sachverständige ( ) Sachverständige verfügen über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Feststellung oder Beurteilung eines Sachverhalts erforderlich sind (Art. 182). Es können nur natürliche Personen als Sachverständige beigezogen werden (Art. 183 Abs. 1). Für Sachverständige gelten die Ausstandsgründe gemäss Art. 56 StPO (Art. 183 Abs. 3). Es muss ein Gutachten angeordnet werden, wenn besondere Kenntnisse und Fähigkeiten zur Feststellung oder Beurteilung des Sachverhalts erforderlich sind (Art. 182), sonst liegt ein Verfahrensfehler vor, der mit Strafrechtsbeschwerde ans BGer gerügt werden kann (Art. 78 ff. BGG). Das StGB sieht Gutachten in bestimmten Fällen zwingend vor, so z.B. bei zweifelhafter Schuldfähigkeit (Art. 20 StGB), bei Anordnung einer Massnahme (Art. 56 Abs. 3 StGB), auch die StPO bei a.o. Todesfällen (Art. 253 Abs. 1 und 3 StPO). Den Parteien wird vor dem Gutachtensautrag Gelegenheit gegeben, sich über die Person des Sachverständigen und die Fragen zu äussern (Art. 184 Abs. 3). Verlangt die Privatklägerschaft ein Gutachten, so kann von ihr ein Kostenvorschuss verlangt werden (Art. 184 Abs. 7).

120 Sachverständige Der Sachverständige muss auf die Straffolgen eines wissentlich falschen Gutachtens (Art. 307 StGB) hingewiesen werden (Art. 184 Abs. 2 lit. f). Das ist eine Gültigkeitsvorschrift, wenn der Hinweis unterbleibt, ist das Gutachten nicht verwertbar, es sei denn, bei Verbrechen (Art. 141 Abs. 2). Die Verfahrensleitung kann den Sachverständigen zu EV beiziehen und ihn ermächtigen, selber Fragen zu stellen (Art. 185 Abs. 2). Der Sachverständige kann Personen aufbieten. Bei Nichterscheinen kann die Verfahrensleitung diese polizeilich vorführen lassen (Art. 185 Abs. 4). Der Sachverständige darf grundsätzlich keine Untersuchungshandlungen wie EV selber durchführen. Er darf aber einfache Erhebungen, die mit dem Auftrag in engem Zusammenhang stehen, durchführen. Dabei gelten aber die Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte sowie das Mitwirkungsverweigerungsrecht. Der Sachverständige muss zu Beginn der Erhebungen darauf hinweisen (Art. 185 Abs. 4,5).

121 Sachverständige Die beschuldigte Person kann stationär begutachtet werden (Art. 186). Es muss das Verhältnismässigkeitsprinzip beachtet werden, wonach sie aus ärztlichen Gründen erforderlich ist. Ist der Beschuldigte nicht in UH, so stellt die StA Antrag ans ZMG, das in einem schriftlichen Verfahren endgültig entscheidet. Ist der Fall am Gericht hängig, so entscheidet das zuständige Gericht in einem schriftlichen Verfahren endgültig.

122 Sachverständige Das Gutachten wird i.d.R. schriftlich erstattet. Die Verfahrensleitung kann anordnen, dass das Gutachten mündlich erstattet oder erläutert wird. Es sind die Vorschriften der Zeugeneinvernahme (sachverständiger Zeuge) anwendbar (Art. 187). Die Verfahrensleitung bringt den Parteien das schriftliche Gutachten z.K. und setzt Frist zur Stellungnahme (Art. 188). Die Parteien haben Anspruch auf eine mündliche Befragung des Sachverständigen (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK, Konfrontationsrecht). Das Gutachten unterliegt freier richterlicher Beweiswürdigung. Eine Abweichung muss aber stichhaltig begründet werden. Ist das Gutachten unvollständig oder unklar, weichen mehrere Sachverständige erheblich voneinander ab oder bestehen Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens, so lässt die Verfahrensleitung das Gutachten ergänzen oder verbessern oder gibt bei einem anderen Sachverständigen ein zweites Gutachten in Auftrag (Art. 189).

123 Gutachten Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung verstossen. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, wenn er seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet oder diese in sich widersprüchlich sind oder wenn die Expertise sonst an Mängeln krankt, die derart offensichtlich und auch ohne Fachwissen erkennbar sind, dass sie das Gericht nicht hätte übersehen dürfen. Ein Zweit- oder Ergänzungsgutachten ist einzuholen, wenn der gutachterliche Befund nicht genügt. Welche Art von Gutachten anzuordnen ist, ist Ermessensfrage. Ein Zweitgutachten steht im Vordergrund, wenn das Gericht ein bestehendes Gutachten für klar unzureichend und kaum verwertbar erachtet (BGE 6B_650/2011 vom E. 3.1).

124 Gutachten Das BGer kassiert, weil die Vorinstanz zum Schluss gekommen war , das forensisch-psychiatrische Gutachten sei bezüglich der Frage des Umfangs der Verminderung der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers unklar bzw. nicht nachvollziehbar. Da sich der psychiatrische Sachverständige auch über den Grad der Verminderung der Schuldfähigkeit auszuzusprechen hat, erachtete die Vorinstanz das Gutachten somit in einem wesentlichen Punkt für ungenügend. Trotzdem holte sie zu dieser wesentlichen Frage weder ein Ergänzungs- noch ein Zweitgutachten ein. Sie führte auch nicht aus, weshalb sie keine ergänzenden Beweise zur Klärung erhob. Vielmehr attestierte sie dem Beschwerdeführer alleine wegen seines massiven Kokainmissbrauchs „zu seinen Gunsten“ eine mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit. Wie sich Drogen und Medikamente auf eine bestimmte Person auswirken, ist aber der Beurteilung von Fachpersonen überlassen (BGE 6B_650/2011 vom E. 3.4). Ausserdem hatte der Gutachter eine „actio libera in causa“ gem. Art. 19 Abs. 4 StGB bejaht, weshalb die Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt sei. Das BGer kassiert auch deswegen, weil eine Rechtsfrage durch das Gericht und nicht den Sachverständigen zu beurteilen sei.

125 Gutachten Glaubhaftigkeitsgutachten: Nach der Praxis des BGer ist die Prüfung der Glaubhaftigkeit von Beweisaussagen primär Sache der Gerichte (BGE 129 I 49 E. 4, S. 57). Zu prüfen ist, ob die Aussagen verständlich, zusammenhängend und glaubwürdig sind. Ebenso ist abzuklären, ob sie mit den weiteren Beweisen in Einklang sind. Bei Auffälligkeiten in der Person kann ein Glaubwürdigkeitsgutachten als sachlich geboten erscheinen. Dem Gericht steht bei der Beantwortung der Frage, ob aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles der Beizug eines Sachverständigen zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung notwendig ist oder nicht, ein Ermessensspielraum zu. Eine starre Beweisregel, wonach bei bei streitigen Aussagen des mutmasslichen Opfers im jedem Fall ein Glaubwürdigkeitsgutachten anzuordnen wäre, widerspräche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Nach der Rspr zum Anspruch auf rechtliches Gehör ist zusätzlichen Beweisanträgen nur Folge zu leisten, falls weitere Abklärungen entscheiderheblich erscheinen und sich als sachlich geboten aufdrängen. Der Richter kann das Beweisverfahren hingegen schliessen, wenn er in willkürfreier Beweiswürdigung davon ausgehen darf, weitere Ergänzungen vermöchten am relevanten Beweisergebnis nichts Entscheidendes mehr zu ändern, antizipierte Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f.; 6B_84/2011, )

126 Sachliche Beweismittel (192-195)
Als sachliche Beweismittel gelten sämtliche Gegenstände, Örtlichkeiten, Zustände und Vorgänge, welche urteilsrelevante Aufschlüsse vermitteln (Tatwaffen, Einbruchswerkzeug, Tatspuren, Fingerabdrücke, Urkunden, Augenschein des Tatortes, Tonbandaufzeichnungen, Aktennotiz eines Eindrucks aus einer Konfrontationseinvernahme etc.). Gesetzlich geregelt sind der Augenschein (Art. 193), der Beizug von Akten (Art. 194) und die Einholung von Berichten und Auskünften (Art. 195). Die Sicherstellung der Beweisgegenstände erfolgt i.d.R. im Vorverfahren durch die Polizei oder StA wenn nötig durch Zwangsmassnahmen wie Durchsuchungen (Art. 241 ff.) oder Beschlagnahme (Art. 263 ff.).

127 Sachliche Beweismittel
Augenschein (Art. 193): Durch Polizei, StA oder Gerichte z.B. des Unfallortes ist zu dokumentieren (Protokoll, Aufzeichnungen, Fotos etc.). Die Parteien haben ein Teilnahmerecht (Art. 147). Der Augenschein muss von Dritten geduldet werden. Müssen aber nicht allgemein zugängliche Räume (Häuser, Wohnungen etc.) betreten werden, so gelten die Vorschriften über die Hausdurchsuchung (Art. 244 ff.). Beizug von Akten (Art. 194): Konflikte entscheidet innerhalb des Kantons die Beschwerdekammer, zwischen Kantonen oder dem Bund das Bundesstrafgericht (Abs. 3). Einholen von Berichten und Auskünften (Art. 195): Das Zeugnisverweigerungsrecht ist zu beachten. Ausserdem besteht keine Pflicht, einen solchen Bericht zu erstatten. Weigert sich z.B. ein Arzt trotz Entbindung vom Arztgeheimnis einen Bericht zu erstatten, ist er als Zeuge einzuvernehmen.


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