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Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit

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Präsentation zum Thema: "Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit"—  Präsentation transkript:

1 Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit
Modul 2: Quellen und Entwicklungen – Das Christentum in seiner Geschichte Christentum und Kultur Hintergrund: Raffael – Collage aus dem Fresken-Programm der Stanza della Segnatura (Segnatura Gratiae et Iustitiae), ursprünglich Bibliothek und Studierzimmer des Papstes Julius II. Der Papst, der allgemein als Inbegriff eines machtbesessenen Renaissance-Fürsten kritisiert wird, kann auch, vor dem Hintergrund einer dialogisch – interkulturellen Neuorientierung, als Auftraggeber einer faszinierenden Vision betrachtet werden, als Schöpfer der „Julianischen Kultursynthese“: Das auf vier Wände verteilte Programm der Stanza della Segnatura habe ich in eine Collage zusammengefaßt: der Parnass (Apoll), la disputa del sacramento (Christus), die Schule von Athen (Plato und Aristoteles) Die soziale Akzeptanz des Christentums Universität Duisburg-Essen, Winter-Semester 2006/07

2 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur
Übersicht Zwischen Kultursynthese und Kulturkritik Religionskritik: gebildete Skepsis und Materialismus Vernunft, Geschichte, Glaube ad 1) Humanistische Kultursynthese von Antike und Christentum einerseits, reformatorische Kritik an jeglicher Verschmelzung von Philosophie und Theologie andererseits, …. ad 2) Die Trennung von Philosophie und Wissenschaft von der Theologie, von Offenbarungstheologie und Natürlicher Theologie führt schließlich dazu, dass der neue, immer selbstbewußtere philosophisch-wissenschaftliche Geist sich kritisch gegen Theologie wendet, um sie schließlich als Apologie des Aberglaubens zu geißeln. ad 3) Christentum und historische Kritik Mehrheitlich hat sich allerdings nicht die schroffe Ablehnung jeglicher Religion durchgesetzt, wohl aber die Lösung der „wahren Religion“ von einem dogmatisch eng geführten Christentum. „Wahre Religion“ im Sinne der Aufklärung ist in allen Religionen zu finden, nicht jedoch in den widervernünftigen Dogmen der etablierten christlichen Kirche. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

3 1.1 Ficino: Philosophie, die heilige Gottesgabe
O ihr Männer, Bürger des himmlischen Vaterlandes und Bewohner der Erde, lasst uns doch, wenn wir können, endlich die Philosophie, die heilige Gottesgabe, aus den Händen der Gottlosigkeit befreien! Wir können aber, wenn wir wollen. Lasst uns die heilige Religion nach Kräften aus den Händen der verdammenswerten Unwissenheit erlösen! Ich ermahne und bitte daher alle: die Philosophen, dass sie die Religion tiefer erfassen oder berühren, die Priester aber, dass sie sich ... den Studien der echten Weisheit widmen Basis der Julianischen Kultursynthese ist der Florentiner Platonismus (Akademie von Florenz). Der Platonismus wurde neu belebt durch die Kontakte mit Byzanz auf dem Konzil von Ferrara/Florenz, das die (allerdings gescheiterte) Union Rom-Byzanz angesichts der türkischen Bedrohung verabschiedet hat. Hauptvertreter: Marsilio Ficino und Pico della Mirandola (De hominis dignitate). Ihr Ideal: die Synthese von Philosophie und Religion. > … Die Philosophie, die echte Weisheit stiftet, ist in erster Linie Platonische Philosophie, im Gegensatz zum alles ordnenden und einteilenden Aristotelismus. (Marsilio Ficino, De religione christiana (1474) , - KTGQ 2, 223) Marsilio Ficino, De religione christiana (1474) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

4 1.2 Ficino: Religionspluralismus
Vielleicht bringt sogar eine solche Verschiedenheit [der Riten der Anbetung], da Gott sie so angeordnet hat, im Universum eine wunderbare Schönheit hervor. Dem Allerhöchsten geht es mehr darum, dass man ihn in aller Wahrheit verehrt, als durch diese oder jene Geste ... Er will lieber irgendwie angebetet werden, selbst ungeschickt, aber menschlich, als dass er durch die Wirkung des Hochmuts keinen Kult empfängt. interkulturelles Lernen, interreligiöser Dialog ist nicht erst eine Entdeckung unserer Tage. Vor über 500 Jahren hat ihn der Florentiner Platonismus propagiert, allerdings auf einer viel klareren und eindrücklicheren Weise als bei den heutigen modischen Opportunisten ein frühes Zeugnis einer solchen multikulturellen Religionsphilosophie, die die traditionellen Gegensätze: gläubig / ungläubig, christlich / heidnisch weit hinter sich läßt, findet sich gleichfalls in dieser Schrift. > Marsilius Ficinus, De religione christiana (1474) , IV KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

5 1.3 die Stanza della Segnatura, 1509-1511
ursprünglich Bibliothek Papst Julius II., 8 x 6 m Thema: die vier Fakultäten: Theologie, Philosophie, Jurisprudenz, Poesie (statt Medizin); es wird variiert zur Symphonie von Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit die Disputa del Sacramento die Wahrheit der Offenbarung Die Schule von Athen die Wahrheit der Vernunft der Parnass der Lobpreis der Schönen die Jurisprudenz der Lobpreis des Guten Der Maler und sein Auftraggeber Raffael, Selbstbildnis, 1509, Florenz, Galleria degli Uffizi. darunter: Raffael, Bild Julius II., 1511/12, National Gallery, London > Ursprünglich: Bibliothek von Julius II., später Tribunal: Signatura Gratiae (daher der heutige Name) > Thema … KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

6 1.3.1 La disputa del SS. Sacramento
Trinität Gott Vater Maria Johannes d.T. Christus Petrus, Adam, Johannes, David, Laurentius Stephanus, Moses, Jakobus, Abraham. Paulus vier Evangelien Die Wahrheit der christlichen Offenbarungsreligion wird in Form einer großen Disputation über das göttliche Geheimnis dargestellt. > Trinität, Gottvater, Christus (Wundmale), Hlg. Geist (filioque) > Das Thema selbst im Mittelpunkt: die Hostie > die Offenbarungsquelle: die vier Evangelien > der wissenschaftliche Beirat: > > die Disputanden: > > als Zuhörer: > [A-OBERER TEIL 1.Gottvater 2.Christus 3.Engel 4.Maria 5.Johannes der Täufer B-MITTELTEIL 6.Petrus 7.Adam 8.Johannes der Evangelist 9.David 10.Laurentius 11.Jeremias 12.Engel mit Evangelien 13.Der heilige Geist 14.Judas, der Makkabäer 15.Stephanus 16.Mose 17.Jakobus 18.Abraham 19.Paulus C-UNTERER TEIL 20.Beato Angelico 21.Bramante 22.Francesco Maria Della Rovere 23.Gregor d. Gr. (Julius II.) 24.Hieronymus 25.Ambrosius 26.Augustinus 27.Thomas von Aquin 28.Innozenz III. 29.Bonaventura 30.Sixtus IV. 31.Dante 32.Girolamo Savonarola] Heiliger Geist Hostie Hieronymus Grogor d.Gr. (Julius II.) Ambrosius Augustin Thomas Innozenz III. Bonaventura Sixtus IV., Dante, Savonarola Beato Angelico Bramante Franc. Maria d.R. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

7 1.3.2 die Schule von Athen – Scuola di Atene
Architektur des begonnen Neubaus von St. Peter (Bramante) als Weisheitstempel. links: Apoll rechts: Minerva (Schutzgöttin der künstler und Lehrer) Platon Aristoteles Sokrates Die Schule von Athen > im Mittelpunkt: 1. Platon (Leonardo da Vinci) - mit "Timaios " weist zum Himmel 2. Aristoteles - mit "Nikomachischer Ethik" weist in die Horizontale [der zwischenmenschl. Beziehungen]. >3. Sokrates Auf den Stufen 14. Diogenes mit blauem Gewand. > vorne links: Epikur, dann Pythagoras liest die Harmonielehre, vorne Mitte Heraklit nachdenklich mit den Zügen von Michelangelo > Rechts: Euklid (Bramante) erklärt eine geometr. Figur. Ptolemaeus mit Erdglobus, Zoroaster/Zaratustra (Pietro Bembo?) mit Spärenkugel (Himmelsglobus) > 12. Francesco Maria Della Rovere [des weiteren: 4. Xenophon 5. Aischinos (oder Alkibiades) 6. Alkibiades (oder Alexander) 7. Zeno 9. Federico Gonzaga 10. Averroes Raffael 19. Sodoma] Zoroaster Epikur Diogenes Pythagoras Heraklit Ptolemäus Euklid Francesco Maria della Rovere KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

8 1.3.3 Parnaso (Parnaß) Apollo Homer Ariost Boccaccio die Musen Dante
Petrarca Terpsichore Calliope Ovid Apollo Mit der Darstellung des Berges Parnaß, dem Sitz Apolls und der Musen, feiert Raffael in der Stanza della Segnatura die Poesie als eine geistige Beschäftigung, die den Menschen dem Göttlichen nahe zubringen vermag. > 1. Apoll (Anführer der Musen, Musagetes) > 2. Kalliope (Epos, Elegie) 3.Terpsichore (Tanz) [4. Erato (Liebeslied) 5. Polihymnia (Pantomime, ernstes Lied, Tanz) 6. Melpomene (Tragödie) 7. Urania (Astronomie) 8. Thalia (Komödie) 9. Klio (Geschichte) 10. Euterpe (Musik, Lyrik)] > Von den griechischen und lateinischen Dichtern nenne ich noch: > 13. Homer > 28. Horaz (der bedeutendste Schriftsteller des Augusteischen Zeitalters) und 26. Ovid > Dante und 17. Petrarca >21. Ariost (Dichter am Hofe der Este in Ferrara) und 22. Boccaccio Horaz die griechische Dichter die lateinischen Dichter KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

9 1.3.4 das Recht als Schutz des Guten
Kugheit Tapferkeit Mäßigung IVS SVVM VNICVIQUE TRIBUIT Nach der Weisheit, der Wahrheit und der Schönheit, nun zur Tugend > im Kreissegment: Fortitudo (Tapferkeit), >Prudentia (Klugheit), >Temperantia (Mäßigung) >links unten: Kaiser Justinian nimmt das Zivilrecht (Corpus Iuris civilis oder auch codex Iustiniani genannt) entgegen (gemalt von Lorenzo Lotti) >rechts unten: Gregor IX, nimmt die Dekretalen (Kanonisches Recht) entgegen - Gregor IX. mit den Zügen von Julius II. dargestellt; unter den Kardinälen Giovanni de‘ Medici (künftig Leo X.) und Alessandro Farnese (künftig Paul III.). >im Rundfresko in der Decke: die Iustitia als vierte Kardinaltugend: >auf den von Putten gehaltenen Tafeln: IVS SUUM / VNICVIQUE TRIBVIT KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

10 1.3.5 die Kultursynthese der Stanza della Segnatura
Apoll – Christus – Plato und Aristoteles Das Wahre, Gute und Schöne ergänzen einander und führen in der Verschmelzung von antikem und christlichem Denken zur letzten Wahrheit und zum höchsten Gut. Schließlich noch einmal die Kollage des Titelbildes > Christus als Zentrum der christlichen Offenbarungswahrheit > Apoll als Anführer der Musen, der Personifikationen des Schönen > Platon und Aristoteles als Erzväter der philosophischen Wahrheit, der metaphysischen Erkenntnis wie der Erkenntnis des Diesseitigen >alle streben nach dem summum bonum, nach dem höchsten Gut KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

11 1.4 Luthers Absage an Aristoteles und an die Philosophie
Es ist ein Irrtum zu sagen: ohne Aristoteles könne man nicht Theologe werden.² Im Gegenteil, man wird kein Theologe, es sei denn, man werde es ohne Aristoteles.³ «Ein Theologe, der nicht logisch verfährt, ist ein abscheulicher Häretiker» – ist eine abscheuliche und häretische Redensart.4 Kurz, der ganze Aristoteles ist hinsichtlich der Theologie wie Finsternis zum Licht.5 Einl. Nördlich der Alpen weiß man nichts von einer Kultursynthese. Julius II. ist Inbegriff eines Renaissance-Papstes, der wie ein weltlicher Fürst Hof hält und Kriege führt („Blutsäufer Julius“, Luther, Adelsschrift, die Erasmus zugeschriebene Satire: Julius ante portam). Kurz vor der Publikation der 95 Thesen hielt Luther eine Disputation über das Verhältnis von Theologie und Philosophie ab. > … Populär ist die Redeweise von der „vernunfft des teuffels hure“ geworden, mit der Luther Plausibilitätsargumente in der Theologie zurückweist, „was fraw hulde, die naturliche vernunfft“ uns lehrt (Wider die himmlischen Propheten, 1525, WA 18,164,24-26): 1) Disputatio contra scholasticam theologiam (1517) 2) 43. Error est dicere: sine Aristotele non fit theologus. ... 3) 44.Immo theologus non fit nisi id fiat sine Aristotele. 4) 45. „Theologus non logicus est monstrosus haereticus, Est monstosa et haeretica oratio. 5) 50. Breviter, Totus Aristoteles ad theologiam est tenebrae ad lucem. 6) 18. Diligere deum super omnia naturaliter Est terminus fictus, sicut Chimära 7) 34. Breviter, Nec rectum dictamen habet natura nec bonam voluntatem. Auf natürliche Weise Gott über alle Dinge zu lieben, ist eine Fiktion, ein Luftgespinst. Kurz, die Natur hat weder ein richtige Urteil noch einen guten Willen Thesen gegen die Scholastische Philosophie, 1517 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

12 1.5 Luther: die Untauglichkeit der Philosophie für die Religion
Inn tzeyttlichen dingen und die den menschen angehen, da ist der mensch vornunfftig gnug, da darff er keyniß andern liechts denn der vornunfft. Darumb leret auch gott ynn der schrifft nit, wie man hewßer bawen, kleyder machen, heyratten, kriegen, schiffen oder dergleychen thun soll, das sie geschehen; denn da ist das natürlich liecht gnugsam tzu.¹ Aber ynn gottlichen dingen, das ist: ynn den, die gott angehen, das man alßo thue, das es gott angenehm sey und damit selig werde, da ist die natur doch stock star unnd gar blind, das sie nitt mag eyn harbreytt antzeygen, wilch dieselbigen dinge sind. Vormessen ist sie gnug, das sie drauff fellet und plumbt eynhynn, wie eyn blind pferd, aber alles, was sie orttert und schleust [=schließt], das ist ßo gewiß falsch unnd yrrig, alßo gott lebt. Kirchenpostille 1522, Epistel am Tage der heilgen drei Könige, Jes. 60, 1-6, WA 10 I/1, 531 > Statt Kultursynthese, Kulturscheidung, Zwei-Reiche-Lehre Martin Luther, Kirchenpostille (1522) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

13 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur
Übersicht zwischen Kultursynthese und Kulturkritik Religionskritik: gebildete Skepsis und Materialismus Vernunft, Geschichte, Glaube ad 2) die negativen Folgen der reformatorischen Engführung des christlichen Glaubens, die Ablösung der Offenbarungstheologie von der Philosophie (Luthers ‚Negative Theologie‘ eines „deus absconditus“ in: De servo arbitio) geht in der Folgezeit eine „unheilige Allianz“ ein mit der zunehmenden Säkularisierung von Philosophie und Wissenschaft. Die Trennung der Philosophie und der Wissenschaften von der Theologie führt schließlich dazu, dass der neue, immer selbstbewußtere philosophisch-wissenschaftliche Geist der Aufklärung sich kritisch gegen die Theologie wendet, um sie als Apologie des Aberglaubens zu geißeln . KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

14 2.1 Pierre Charron und die libertinage érudit
Pierre Charron, , zunächst Jurist, dann Theologe; Leiter der Stiftsschule in Bordeaux, mit Michel de Montaigne befreun-det, Generalvikar in Cahors und Domherr in der Gascogne De la sagesse (Über die Weisheit), 1601 die menschliche Weisheit ist eine rationale Weisheit. Sie ist gegründet auf die Kritik der Vorurteile und auf die Kritik bloßer Autorität. Sie ist zu unterscheiden von der Weisheit der Religion. Eine Ethik, die auf der Religion gegründet ist, führt zur Intoleranz und zum Fanatismus. Das Buch wurde 1605 auf den Index gesetzt. Es wurde eine Art Manifest des libertinage érudit (gelehrte Freigeisterei). Angesichts der blutigen Religionskriege in der zweiten Hälfte des 16. Jh. in Frankreich wird von den späthumanistischen Intellektuellen die antike Skepsis wieder entdeckt. neben Montaigne Hauptvertreter der Skepsis, die im Verlauf des 17. Jh. zum Bekenntnis aller fortgeschrittenen Geister wurde, zumindest in Westeuropa. Folie > sein Hauptwerk: Der Sammelbegriff für diese Strömung: Libertinage érudit – gelehrte Freigeisterei KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

15 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur
2.2 Blaise Pascal, Pensées Die libertinage érudit hat im 17. Jh. eine großartige, allerdings völlig unkonventionelle Apologie des Christentums provoziert: Die Pensées von Blaise Pascal. Aus der bei seinem frühen Tod hinterlassene umfangreiche Aphorismus- und Essayssammlung sollte eine Apologie des Christentums entstehen, die auch von Skeptikern und Freigeistern, von Wissenschaftlern und Gebildeten ernst genommen werden sollte. > Die erste Ausgabe ist sieben Jahre nach seinem Tod erschienen. Das Portraitmedaillon zitiert: Ps 106:42 videbunt recti et laetabuntur et omnis iniquitas oppilabit os suum (verstopfen, ‚zum Schweigen gebracht‘) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

16 2.2.1 Pascal – die Idee der verschiedenen Ordnungen
Der unendliche Abstand zwischen Körper und Geist dient als Bild für den unendlich unendlicheren Abstand zwischen Geist und caritas, denn diese ist übernatürlich. Alle Pracht irdischer Größe hat keinerlei Glanz für jene Leute, die ihr Leben geistigen Dingen widmen. Die Größe der Menschen, die sich geistigen Dingen widmen, ist den Königen, den Reichen und den Feldherrn, allen diesen Großen dieser Welt unsichtbar. Die Größe der Weisheit, die nur etwas gilt, wenn sie von Gott kommt, ist für solche, die sich mit irdischen oder mit geistigen Dingen befassen, unsichtbar. Dies sind drei wesenhaft verschiedene Ordnungen. Zentrales argumentative Elemente, um die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche einander zuzuordnen bilden metaphorische Anleihen bei Mathematik und Geometrie. Linie, Fläche, Raum und deren Zuordnung sind das Modell für die Zuordnung von Materiellem, Geistigem und Spirituellem. > … (frz. Originaltext: La distance infinie des corps aux esprits figure la distance infiniment plus infinie des esprits à la charité, car elle est surnaturelle. Tout l’éclat des grandeurs n’a point de lustre pour les gens qui sont dans les recherches de l’esprit. La grandeur des gens d’esprit est invisible aux rois, aux riches, aux capitaines, à tous ces gens de chair. La grandeur de la sagesse [offensichtlich wird sagesse und charité synonym verwand], qui n’est nulle sinon de Dieu, est invisible aux charnels et aux gens d’esprit. Ce sont trois ordres différents de genre.) Pensées, postum 1670, Fragment 308 (Lafuma), 793 (Brunschvicg) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

17 2.2.2 Pascal - die Idee der verschiedenen Ordnungen, Zusammenfassung
Alle Körper, das Himmelsgewölbe, die Sterne, die Erde und ihre Reiche wiegen nicht den geringsten der Geister auf; denn der Geist erkennt dies alles und sich selbst, und die Körper nichts. Alle Körper zusammen und alle Geister zusammen und alle ihre Werke wiegen nicht die geringste Regung der caritas auf. Sie gehört zu einer unendlich viel höheren Ordnung. Aus allen Körpern zusammen kann man nicht einen kleinen Gedanken hervorbringen. Das ist unmöglich und gehört zu einer anderen Ordnung. Aus allen Körpern und Geistern kann man keine Regung wahrer caritas gewinnen, das ist unmöglich und gehört zu einer anderen, übernatürlichen Ordnung. Zusammenfassung am Ende des Fragments heißt es: > … (frz. Original: Tous les corps, le firmament, les étoiles, la terre et ses royaumes, ne valent pas le moindre des esprits; car il connaît tout cela, et soi; et les corps, rien. Tous les corps ensemble, et tous les esprits ensemble, et toutes leurs productions, ne valent pas le moindre mouvement de charité. Cela est d’un ordre infiniment plus élevé. De tous les corps ensemble, on ne saurait en faire réussir une petite pensée: cela est impossible, et d’un autre ordre. De tous les corps et esprits on n’en saurait tirer un mouvement de vraie charité, cela est impossible, et d’un autre ordre, surnaturel.) ebd. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

18 2.3 De tribus impostoribus¹- Von den drei Betrügern
Unter den Freigeistern kam gegen Ende des 17. Jh. der Topos von den drei Betrügern aus der Zeit der Kreuzzüge erneut zur Geltung. > … > … Die Betrugshypothese entstand im 10. Jahrhundert im Bereich des Islams und drang von hier, wahrscheinlich im Gefolge der Kreuzzüge, nach Europa vor. Auf ihr basiert als Gleichnis für die drei Religionen, jene Erzählung von den drei einander zum Verwechseln ähnlichen Ringen, welche über Giovanni Boccaccio Jahrhunderte später in G.E. Lessings Drama Nathan der Weise eingegangen ist. Es waren Friedrich II. und sein Kanzler Petrus von Vinea ( ), die als erste vom Papst Gregor IX. der Autorenschaft des blasphemischen Buches beschuldigt wurden. Damit begann eine einzigartige, Jahrhunderte dauernde Suche nach einem Buche, das wohl nie existiert hat. Als Autoren wurden fast alle berühmten Freidenker, Humanisten und Materialisten des 16. und 17. Jahrhunderts genannt. 1719 und 1753 tauchten in Deutschland zwei Bücher dieses Titels auf, die jedoch bald als geistige Produkte des frühen 18. Jahrhunderts erkannt wurden. Letztere dieser Schriften geht auf ein Manuskript: De imposturis religionum breve compendium (Kleines Handbuch religiöser Betrügereien) zurück, das von einem Hamburger Juristen namens Johannes Joachim Müller ( ) in Anlehnung an die Betrugshypothese verfasst wurde. --- 1) von lat. imponere, impostum: hineinlegen, auf etw. setzen, auch: jmdm. etwas aufheften, -aufbinden (einen Bären aufbinden), etwas weismachen, d. i. jmd. hinters Licht führen, hintergehen, Typisch für die zunehmende Entfremdung von Wissenschaft und Religion ist die Erneuerung des alten Topos von den drei Betrügern: Moses – Jesus - Mohamed Schlagwort für die so genannte Betrugshypothese, nach der Moses, Jesus und Mohammed mit ihren Religionsstiftungen nicht im göttlichen Auftrag, sondern aus selbstsüchtigen betrügerischen Motiven heraus gehandelt hätten Titel eines Buches, das eben diesen Betrug aufgedeckt haben soll; seit Friedrich II. (13. Jh.) wurde Freigeistern immer wieder unterstellt, Autor einer solchen Schrift zu sein. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

19 2.4 Holbach (Paul Henri Dietrich, baron d'Holbach)
Sie [die Priester] sind heuchlerisch, weil die meisten von ihnen zuviel Verstand besitzen, um an die Hirngespinste zu glauben, die sie den anderen erzählen. … Wenn sie heuchlerisch und arglistig sind, so sind sie sehr gefährlich; wenn sie dumm und in gutem Glauben fanatisch sind, so sind sie nicht weniger zu fürchten. … Das [die Kleriker] sind die Staatsbürger, die durch das Vorurteil am reichsten belohnt ..., denen die Fürsten ihr Vertrauen schenken, die sie als die Stützen ihrer Macht ansehen ... Für die radikalen Vertreter der Aufklärung waren das Ancien Régime und die Religion (in der Form der römisch-katholischen Kirche) zwei Unrechtssysteme, die sich gegenseitig stützten. Beide respektieren nicht die Würde des | von Natur aus freien Menschen. Daher der Kampfaufruf Voltaires: „écrasez l‘infâme“ (Vernichtet die Schändliche); allerdings ist bei Voltaire damit nicht die Religion überhaupt, sondern die römische Kirche als ideologische Stütze eines Unrechtssystems gemeint. Wie die Ketzern einst von der etablierten Kirche nicht nur der Abweichung bezeichtigt, sondern auch moralisch disqualifiziert wurden, so wird diese Waffe der moralischen Diskrimierung von den Freigeistern nun gegen die Kirche selbst gewendet: Priester sind Betrüger: > … KTGQ 4/1, 108 Paul Thiry d' Holbach, Briefe an Eugénie (1770) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

20 2.5 Lamettrie: L‘homme machine, Leiden 1748
Der Mensch ist eine sich steuernde Maschine, deren Empfindungen vielfältigen Einflüssen ausgesetzt sind. Das Denken ist lediglich Resultat bestimmter organischer Prozesse. Die Einbildungskraft des Menschen war erst nach der Benennung der Dinge in der Lage, Vorstellungen und Ideen hervorzubringen. Jede apriorische Erkenntnis ist unmöglich und metaphysische Spekulationen sind sinnlos. Allein die Beobachtung der Organe bzw. die mit ihnen gemachten Erfahrungen vermitteln dem Menschen Aufschlüsse über sich und seine Umwelt. Frieden für das menschliche Zusammenleben wird es erst dann geben, wenn die von »diesem Gift [der Religion] infizierte Natur wieder ihre Rechte und ihre Reinheit zurückgewinnt«. Unter Rückgriff auf Linné und Descartes überträgt Julien Offray de LaMettrie die mechanistische Theorie auch auf den Menschen: Um den Menschen zu verstehen, muss man ihn als Maschine verstehen. Davon ausgehend formuliert er einen konsequenten Materialismus: >… LaMettrie ist das atheistische Gegenstück zum theistischen Rousseau (Emile, Bekenntnis des sovoyardischen Vikars; Thema: Dogma und Bekenntnis, Kap. 3: Natürliche Religion und Offenbarunsreligion). Wie Rousseau träumt LaMettrie von einer reinen Natur, die von der Zivilisation entstellt worden ist. ‚Zurück zur Natur‘, und ein harmonisches und friedliches Zusammenleben der Menschen wird sich wie von selbst einstellen. Julien Offray de LaMettrie KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

21 2.6 die Vergleichgültigung des Christentums vor der bürgerlichen Moral
„Auf den Trümmern des Evangeliums Christi erhebt sich ein Evangelium menschlicher Rechtschaffenheit, in das man alle Pflichten der Vernunft und der Religion einbezieht. Man unternimmt es, aus dem christlichen Volke ein Volk von Philosophen zu machen. Das Allgemeinwohl, die guten gesellschaftlichen Sitten, die Ordnung, der Frieden innerhalb der Gemeinschaft: das ist es, worauf man alle Tugenden einschränkt. Man kennt keine anderen, man will keine anderen Gesetze, keine anderen Grundsätze, keine anderen Regeln für das sittliche Verhalten kennen. Man setzt seine Ehre daran, dem Titel eines Christen zu entsagen; man tut sich aber etwas darauf zu Gute, den Ehrennamen eines ehrlichen Menschen zu verdienen und mit Würden zu tragen.“ Die Frage nach der kulturellen Akzeptanz des Christentums entschied sich letztlich aber gar nicht auf der Ebene intellektueller Diskussion oder – wenn man so will – intellektueller und kultureller Moden (dessen, was im kulturellen Treiben gerade „in“ ist), sondern auf der Ebene des bürgerlichen Alltags. Es ist das große Verdienst von Bernhard Groethuysen, diesem Phänomen auf der Grundlage von Predigtanalysen nachgegangen zu sein. Aus der Sicht eines Geistlichen sieht die Entwicklung so aus: Père Charles Frey de Neuville, zitiert nach: Bernhard Groethuysen, Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich, Bd. II (1930). Nachdr. Hildesheim/New York 1973, S. 208f. --- Charles Frey de Neuville, Sermons, 1776, S. 226 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

22 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur
Übersicht zwischen Kultursynthese und Kulturkritik Religionskritik: gebildete Skepsis und Materialismus Vernunft, Geschichte, Glaube ad 3) Christentum und historische Kritik Mehrheitlich hat sich allerdings nicht die schroffe Ablehnung jeglicher Religion durchgesetzt, wohl aber die Lösung der „wahren Religion“ von einem dogmatisch eng geführten Christentum. „Wahre Religion“ im Sinne der Aufklärung ist in allen Religionen zu finden, nicht jedoch in den widervernünftigen Dogmen der christlichen Kirche. Dazu drei prominente Vertreter der Aufklärung: Voltaire – der „Fürst“ der Aufklärung, Reimarus – der bescheidene Hamburger Professor, Lessing – Theaterliebhaber und Bibliothekar. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

23 3.1 Voltaire: die Verfremdung von Jesus durch die Kirche
Warum ihn [Jesus] beklagen, sagt man1? – Er hat eine blutige Sekte gegründet, die mehr Blutvergiesen verursacht hat als die grausamsten Völkerkriege. Nein, ich wage zu behaupten, ..., dass Jesus niemals daran gedacht hat, diese Sekte [sc. die christliche Kirche] zu stiften. Das Christentum, wie es seit der Zeit Konstantins² geworden ist, ist von Jesus weiter entfernt als von Zoroaster³. Jesus ist der Vorwand für unsere phantastischen Lehren, für unsere Verfolgungen, für unsere Religionsverbrechen geworden; er ist nicht ihr Urheber Typisch für die gemäßigte Religionskritik ist die Trennung von Jesus und seiner kirchlichen Dogmatisierung. Jesus als Tugendlehrer wird anerkannt und verehrt, die christologische Dogmatisierung als Aberglauben verworfen >… 1) Die Kritiker des Christentums 2) Anspielung auf die Privilegierung des Christentums unter dem römischen Kaiser Konstantin, mit dem die Ketzerverfolgung innerhalb des Christentums begonnen hatte. 3) griech. für Zarathustra, altiranischer Religionsstifter im 6. Jh. vor Christus, Verkünder eines ethisch ausgerichteten Dualismus (Parsismus). --- Ein weiteres Zitat aus dem gleichen Werk: => Dieu et les hommes, 1769 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

24 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur
3.2 François Marie Arouet, gen. Voltaire, 1694–1778: Jesus, kein Christ Ich schmeichele mir zu beweisen, dass Jesus kein Christ war, dass er im Gegenteil mit Abscheu unser Christentum, wie Rom es gemacht hat, verdammt haben würde. Folie Jesus ist Tugendlehrer, kein Religionsstifter Dieu et les hommes, 1769 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

25 3.3 Reimarus, Hermann Samuel, 1694-1768, der Betrug der Jünger
»Apologie oder Schutzschrift für die wahren Verehrer Gottes« (entstanden vor 1747) in Auszügen von G. E. Lessing veröffentlicht (»Wolfenbütteler Frag-mente«) Zum ersten Mal im Druck erschienen 1972 Während in Westeuropa die Kirchen- und Religionskritik Hochkonjunktur hatte, war in Deutschland die Einstellung vorherrschend, dass Vernunft und Christentum, auch das kirchlich geprägte Christentum, sehr wohl neben- und miteinander existieren können. Wer jedoch die Diskussion im westeuropäischen Ausland verfolgte, zog die Harmonie, die der theologische Rationalismus verbreitete in Zweifel. Die schärfste Kirchen- und Christentumskritik, die in Deutschland formuliert wurde, blieb allerdings in einer Gelehrten-Schublade verschlossen, bis der Querdenker der deutschen Aufklärung: Gotthold Ephraim Lessing sich des Manuskriptes annahm. > … --- Wir zitieren im folgenden aus den Auszügen, die Lessing in seiner Zeitschrift veröffentlicht hat. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

26 3.3.1 Reimarus – das Fragment über die Auferstehung
Und ich bin gewiß versichert, wenn heutigen Tages vor Gericht über eine Sache vier Zeugen besonders abgehört würden und ihre Aussage wäre in allen Umständen so weit voneinander unterschieden als unserer vier Evangelisten ihre: es würde wenigstens der Schluß herauskommen, daß auf dergleichen variierenden Zeugen Aussage nichts zu bauen sei. Hier kommt es auf die Wahrheit der Auferstehung Jesu an und so fern diese aus der bloßen Aussage von Zeugen sollte beurteilt werden, so wäre in ihrem Zeugnis ... keine Glaubwürdigkeit Das am meisten provozierende Fragment, das Lessing veröffentlicht hat, war die Kritik des Reimarus am kirchlichen Auferstehungsglauben. Es war auch die letzte Veröffentlichung. Weitere Veröffentlichungen wurden Lessing untersagt. > … Der Wahrheitsbegriff, der hier unterstellt wird, ist die historische, juristische glaubwürdige Wahrheit, nicht die innere Wahrheit von Literatur und Kunst und eben der Religion. A Auf dieser Differenz wird Lessing insistieren; doch zunächst ein weiteres Zitat. Hermann Samuel Reimarus, Apologie oder Schutzschrift (1777) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

27 3.3.2 Reimarus – Fragment über die Auferstehung (2)
Hätte er sich doch nur ein einziges Mal nach seiner Auferstehung im Tempel vor dem Volk und vor dem Hohen Rat zu Jerusalem sichtbar, hörbar, tastbar gemacht: so konnte es nicht fehlen, die ganze jüdische Nation hätte an ihn geglaubt und wären so viel tausend Seelen mit so vielen Millionen Seelen der nachkommenden, jetzt so verhärteten und verstockten Juden aus ihrem Verderben gerettet worden. … Es ist eine Torheit, über den Unglauben der Menschen zu klagen [bei einer solchen verpaßten historischen Chance] Die Argumentation von Reimarus ist weitgehend psychologisch – und nicht ganz frei von Spott über die Anmaßungen einer Erlösungsreligion. Die Plausibilität der Argumentation beruht weitgehend auf lebensweltlicher Klugheit. Auferstehungsgeschichte wird zu einer zweckgerichteten Lüge der Jünger, die ihre Predigttätigkeit weiter pflegen wollen, um nicht zu ihrer einfachen Fischerexistenz nicht zurück kehren zu müssen. --- Warum hat Lessing diesen starken Tobak publiziert, warum hat er das Manuskript aus der Schublade hervorgeholt, in der der bescheidene Professor es verborgen hatte? Die starke Dosis des Reimarus in der Bestreitung der Wahrheiten einer Offenbarungsreligion war Lessing gerade recht, um die – seiner Meinung nach - verderbliche Bindung des Christentums an Dogma und Tradition zu zerschlagen. Der Geist des Christentums, so ist Lessings Botschaft, ist nur dort lebendig, wo man sich nach christlichen Grundsätzen zu leben entschlossen hat - nicht in der Verpflichtung auf Dogmen und Bekenntnisse. Diese Position Lessings können wir an mehreren Schriften festmachen. ebd. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

28 3.4.0 Gotthold Ephraim Lessing – Geist versus Buchstabe
Kurz: der Buchstabe ist nicht der Geist; und die Bibel ist nicht die Religion. Folglich sind Einwürfe gegen den Buchstaben und gegen die Bibel nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und die Religion. Denn die Bibel enthält offenbar mehr als zur Religion Gehöriges: und es ist bloße Hypothes, dass sie in diesem mehrern gleich unfehlbar sein müsse. Auch war die Religion ehe eine Bibel war. Das Christentum war, ehe Evangelisten .. geschrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der erste von ihnen schrieb; und eine sehr beträchtliche, ehe der ganze Kanon zustande kam. Es mag also von diesen Schriften noch so viel abhängen: so kann doch unmöglich die ganze Wahrheit der Religion auf ihnen beruhen Zunächst eine Rückerinnerung an die Vorlesung: Theologie oder die wiss. Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben Um die zu schlicht geratene Gleichsetzung von Vernunft und Offenbarung, zu der das Jh. der Aufklärung in der Nachfolge des englischen Deismus neigte, zu hinterfragen, veröffentlichte Lessing Auszüge aus einer radikal deistischen Schrift eines Hamburger Orientalisten. Im Gegensatz zur harmonistischen Sicht von Toland und Locke sieht Reimarus keine Möglichkeit, die Bibel in der vorliegenden Form mit der Vernunft in Übereinstimmung zu bringen. Die ursprüngliche schlichte Tugendreligion des Jesus von Nazareth sei von den Jüngern aus zweifelhaften Motiven verfälscht worden. Diese Fälschung anzuprangern, um die ursprüngliche Wahrheit wieder ans Licht zu bringen, war das Ziel der Schrift, die in der Schublade verschlossen blieb. Lessing will mit den von ihm publizierten Auszüge aus dieser radikalen Schrift einen Denkprozess in Gang setzen, der zu einer differenzierteren Zuordnung von Vernunft und christlichem Glauben führen soll. Als Hilfestellung, diesen Denkprozess in die richtigen Bahnen zu leiten, hat er der Publikation einen Kommentar beigegeben: die Gegensätze des Herausgebers. > Zitat ... > Test … Die Aufgabe der Exegese wäre demnach, den Geist der Religion (modern: kerygma) herauszuarbeiten, den die historische Hülle eines oft widervernünftigen Buchstabens birgt. --- ad 3: Wunder, Dämonen; ad 4: die Einsicht, dass man von Ungereimtheiten in der Bibel nicht auf die Unwahrheit der Religion schließen kann (Literaur/Geschichtsschreibung); ad 5: Orthodoxie, Fundamentlismus Verbalinspiration Gegen-Sätze des Herausgebers (1777) - Textsorte? (Rede, Gebet, Bekenntnis, Abhandlung, Kommentar, Ordnung) - Wer kommt als Verfasser in Frage? - Beispiele für biblische Inhalte, die nicht den „Geist“ und die „Religion“ des Christentums ausmachen: - Was soll mit der Differenzierung von Geist und Buchstabe, bzw. Religion und Bibel erreicht werden? - Wer identifiziert hingegen Bibel mit Religion?

29 3.4.1 Lessing, historische und religiöse Wahrheit
weder Wahrheit noch Irrtum der Religion beweisbar Was verbindet mich denn dazu [zur Verkündigung Jesu]? Nichts, als diese Lehre selbst, die vor 18hundert Jahren allerdings so neu, ... daß nichts geringeres als Wunder ... erfordert wurden, um die Menge darauf aufmerksam zu machen.- Die Menge aber auf etwas aufmerksam machen heißt, dem gesunden Menschenverstand auf die Spur helfen.- Auf die kam er .. und was er auf dieser Spur .. aufgejaget, das, das sind die Früchte..- Was kümmert es mich, ob die Sage falsch oder wahr ist: die Früchte sind trefflich Die Wahrheit einer Religion ist ihre Motivationskraft. Ich nun zitiere aus einer kleinen Schrift Lessings, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Wolfenbütteler Fragmentenstreit entstanden ist. Ähnlich wie die Qualität der Literatur (Dramen, Romane, Gedichte etc.) nicht davon abhängt, wie exakt die Facts und die historischen Zusammenhänge wiedergegeben werden, sondern wie stimmig die Charaktere der handelnden Personen und wie überzeugend die Botschaft der literarischen Geschichte gezeichnet sind, so auch in der Religion. >historisch / existentiell >Die Wahrheit einer Religion ist ihre Motivationskraft. Dieser Einsicht will Lessing zum Durchbruch verhelfen. Um das Mißverständnis zu beseitigen, man könne die Wahrheit einer Religion in Sätzen und Fakten finden, dazu ist ihm die harte Kritik des Reimarus ein sehr taugliches Mittel. Gotthold Ephraim Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

30 3.4.2 Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts - Vorbemerkung
Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht lieber weiter nichts, als den Gang erblicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein entwickeln können, und noch ferner entwickeln soll; als über eine derselben entweder lächeln, oder zürnen? Diesen unsern Hohn, diesen unsern Unwillen, verdiene in der besten Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bei allem im Spiele: nur bei unsern Irrtümern nicht? Was nun tun mit der Überlieferung? In den Papierkorb? – Dafür haben Voltaire und sein königlicher Freund, Friedrich der Große, plädiert. Lessing hat eine genialere Idee: die Interpretation der Überlieferung als pädagogisches Handbuch Gottes. Das ist das Programm seiner Erziehungsschrift. > > … spöttischer Seitenhieb auf die Theodizee von Leibniz: ‚die beste aller Welten‘: Anspielung darauf, dass das, was wir als Unglück und Unrecht erleben, im Gesamtplan Gottes durchaus eine weise Stufe zur Entfaltung des guten Endzwecks war. > … - Eine Art Theodizee mit Kredit auf die Zukunft Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) , Vorbericht KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur

31 3.4.3 Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, 1780, §§ 1.4
1. Was die Erziehung bei den einzelnen Menschen ist, ist die Offenbarung bei dem ganzen Menschengeschlechte. 4. Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte; sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also gibt auch die Offenbarung dem Menschen-geschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde, sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten Dinge nur früher Gotthold Ephraim Lessing, Gemälde von Anton Graff, 1770, Museum für Hamburgische Geschichte In 90 §§ entfaltet nun Lessing die Programmatik seiner Geschichtsphilosophie. Die methodischen Voraussetzungen werden gleich zu Beginn entfaltet: > Offenbarung: die didaktische Methode Gottes, die heilige Schrift: sein Handbuch Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) , §§ 1.4 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Christentum und Kultur


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