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Politische Ethik Prof. Dr. Elke Mack Erfurt, SS 2018 1.

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1 Politische Ethik Prof. Dr. Elke Mack Erfurt, SS 2018 1

2 Vorbemerkungen Grundlage: Vertrauen in das politische System ist die zentrale Bedingung für funktionierendes Staatswesen, insbesondere bei rechtsstaatlichen Demokratien und deren Zusammenschlüssen (EU) Problem: Politikverdrossenheit (geringe Wahlbeteili- gung, mangelndes Interesse an Organisationen und Parteien) und drohende Mehrheiten für Antisystem- und Protestparteien Verantwortung gegenüber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Politik als wichtige Funktion, Vorteile von Verfassungen als Garanten der Rechte von Menschen reflektieren! 2

3 Vorbemerkungen Auch in Kirche ist angewiesen auf das Vertrauen der Gläubigen (auch hier enormer Vertrauensschwund in der westlichen Welt) Analogie: Vertrauensschwund gegenüber Institutionen, auch gegenüber der Demokratie, in säkularer Welt Deshalb politische Ethik auch im Interesse der Christlichen Sozialethik im Sinne einer Verantwortung für stabile Institutionen, gute Politik, Frieden, Wohlergehen, Gerechtigkeit für die Menschen 3

4 Mensch = ‘zoon politikon’
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Aristoteles ( v.Chr.) Mensch = ‘zoon politikon’ Gesamter Bereich des menschlichen Handelns = Politik (Ökonomie, praktische Philosophie, Politik) Politik wichtigste aller Wissenschaften (Aristoteles: Pol b 14) Weites und integratives Politikverständnis = symptomatisch für die antike Welt Staat und Gesellschaft; Religion und Politik = nicht sichtbar getrennt 4

5 (nicht funktional, rational, sondern numinos)
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Antike: Numinose Begründung von Politik im Rahmen einer einheitlichen metaphysischen Welt (nicht funktional, rational, sondern numinos) Beispiel: Sokrates (400 v. Chr.) Anklage, weil er nicht an Götter der Polis glaube und weil er die Jugend verderbe, Verurteilung zum Tod Dann Prozess mystischer Dechiffrierung: Klassischer Beleg: Jesus Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ 5

6 Dann Prozess mystischer Dechiffrierung:
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Antike: Numinose Begründung von Politik im Rahmen einer einheitlichen metaphysischen Welt (nicht funktional, rational, sondern numinos, mysthisch, göttlich) Beispiel: Sokrates (400 v. Chr.) Anklage, weil er nicht an Götter der Polis glaube und weil er die Jugend verderbe, Verurteilung zum Tod Beispiel: Tod Jesu, Verurteilung durch Rom auf Geheiß der jüdischen Hohenpriester wegen Gottesanmaßung („Sohn Gottes“ Joh. 19,7 und „Gotteslästerung“ (Selbstbezeichnung als Messias) Mt 26,65 Dann Prozess mystischer Dechiffrierung: Monotheoísmus Ägypten und Judentum: Unterscheidung göttliche Gewalt und weltliche Fremdherrschaft Klassischer Beleg: Jesus Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ 6

7 Mittelalter: Investiturstreit 11. Jahrhundert
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Mittelalter: Investiturstreit 11. Jahrhundert Papstwahldekret 1059, Verbot der Laien- investitur + Revolte gegen Papst Gregor VII (mit deut. Bischöfen) Reaktion: Bann des Königs 1076; Gang Heinrichs IV. nach Canossa 1077 Wormser Konkordat 1122 bringt Kompromiss (freie Bischofswahl in An- wesenheit von König oder Beauftragten) Beginn der Trennung von Kirche und Staat; Entsakralisierung des politischen Amtes 7

8 Vom Mittelalter zur Neuzeit:
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Vom Mittelalter zur Neuzeit: Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Macht schafft Voraussetzung für spätere Gewaltenteilung und Säkularisierung von politischer Macht in der Aufklärung (wesentlicher Fortschritt und Freiheitsprozess) Beginn der Autonomie der Religion gegenüber staatlicher Herrschaft und umgekehrt Demystifizierung von Staat und Regentschaft in der westlichen, christianisierten Welt (weder Staatskirchentum noch Theokratie, sondern wechselseitige Autonomie von Religion und Politik) 8

9 Prozesse des Auseinandertretens von Kultursachbereichen:
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Prozesse des Auseinandertretens von Kultursachbereichen: nicht nur Religion und Politik Wissenschaft: Gründung der Universitäten 11./12. Jh., Trennung der Wissenschaft von Staat, Religion und Gesellschaft Kunst: Spätrenaissance, Trennung von Kunst und Technik, Ästhetik und funktionaler Logik (entstehende Naturwissenschaften) 9

10 (entstehende Naturwissenschaften)
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Kunst: Spätrenaissance, Trennung von Kunst und Technik, Ästhetik und funktionaler Logik (entstehende Naturwissenschaften) Wirtschaft: MA Natural- und Subsistenzwirtschaft, nur Primärbedürfnisse gedeckt, Änderung mit Beginn der Industrialisierung Ende 18. Jh.; Beginn der Wirtschaftswissenschaften (Adam Smith), Trennung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft Medien: 20. Jh. Radio, Film, Fernsehen, Computer, Internet; Pressefreiheit, Trennung von Politik; z.Z Digitale Welt im Umbruch 10

11 Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte
Diversifizierung der praktisch-wissenschaftlichen Aufgabenstellung (Kultursachbereiche, Systeme) und Spezifizierung der Erkenntnisprozesse (Systemlogiken, Rationalitätstypen) Prozesse der funktionalen Ausdifferenzierung von Kultursachbereichen, die durch unterschiedliche Systemlogiken bestimmt sind und eine Reduktion der Gesamtkomplexität vollziehen. Folge: Der säkulare Staat bildet sich vor allem mit der Aufklärung heraus, so dass Politik ebenso wie Religion zu einem Subsystem unter vielen werden; dennoch insgesamt: kultureller Fortschritt, positiv 11

12 Kirche und Staat + Religion und Politik
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Kirche und Staat + Religion und Politik sind unterschiedliche Systemlogiken zum Vorteil beider: Einerseits: Kirche und Glaube dürfen nicht übergriffig auf menschliche Freiheit sein und Gewalt anwenden oder Staat weltanschaulich dominieren (Leid in K.-Geschichte oft genug) Andererseits: Politik muss unterschiedliche Weltanschauungen tolerieren und insofern säkular sein Dennoch Wechselwirkungen: Gemeinwohlverpflichtung und Menschenwürdeverpflichtung von Politik Ethischer Ansporn von christlicher Kirche, Politik gerecht mitzugestalten 12

13 Durch historische Trennung von Religion und Politik:
Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte Durch historische Trennung von Religion und Politik: Boden für Gewaltenteilung und Aufklärung geschaffen Normatives Projekt der westlichen Wertegemeinschaft vor dem Hintergrund einer gemeinsamen christlichen Geschichte Langsamer Prozess der Herausbildung einer politischen Moral und einer humanen Zivilreligion (Menschenrechte und –würde, Autonomie und Freiheit) mit Rückfällen in die Barbarei (NS) Westliche Zivilisation nicht nur Ergebnis der Aufklärung, sondern untrennbar mit Christentum verbunden, weil der 13

14 Einführung: 1. Zur Kulturgeschichte
Projekt christlicher Humanisierung konnte in vielen Bereichen in der Politik in säkularisierter Form durch die Demokratisierung von Staaten umgesetzt werden: Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung, Achtung vor den Menschen, Menschrechtsethik, Legitimation des Staates von unten durch Volkssouveränität in Demokratie Heute ist die entscheidende Frage, ob sich das Projekt der Humanität in Form von Menschenrechtsethik in friedlichen demokratischen Rechtsstaaten durchsetzen wird. Oder werden autoritäre Staatsformen, Diktaturen oder eine gar eine nationalistische Renaissance erfolgreicher sein? 14

15 Einführung: 2. Begriffliche Klärung
2.1 Politik Was ist Politik heute? Praxis, die auf die Gestaltung institutioneller Regeln im Staat bezogen ist Regeln, die das Zusammenleben von Menschen als Angehörige einer Gesellschaft, als Bürger/innen, betreffen Regelung öffentlicher und bürgerlicher Angelegenheiten mit allgemeiner Reichweite Vorsicht: Noch keine Korrelation zur Demokratie, wertfreier funktionalistischer Begriff 15

16 Einführung: 2. Begriffliche Klärung
2.1 Politik Definition: Handlungen, die auf die Ordnung und Koordination des Verhalten von Bürger/innen in einer Gesellschaft bezogen sind und die primär die Regeln und Institutionen dieses Miteinanders festlegen sowie die Repräsentation der Bürger/innen und Bürger nach innen und außen hin übernehmen. 16

17 Macht ist das Medium der Politik
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.2 Macht (1) Was ist Macht? Gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeit; nicht nur im Staat, auch in Gesellschaften; verbunden mit bestimmten Interessen (zu qualifizieren), legitim oder illegitim, rechtmäßig oder unrechtmäßig Wenn die Möglichkeit besteht, eine allgemeine Regel normativ verbindlich festzulegen, dann politische Macht Macht ist das Medium der Politik Politische Macht ist moralisch ambivalent (“Potestas se habet ad bonum et ad malum” (Thomas von Aquin, S.th. I-II 2,4)) 17

18 Einführung: 2. Begriffliche Klärung
2.2 Macht (2) Primäres Wirkungsfeld der Politik ist der Staat und die Gesellschaft, hier eigentliche Reichweite ihrer Macht und Machtbegrenzung gegenüber dem Privaten Aber Politik und Machtausübung auch in gesellschaftlichen Teilbereichen: Hochschule, Kirche, Unternehmen…. Zivilgesellschaftliche Organisation der Gesellschaft vollzieht sich auch im Medium der Macht, ist dritte Größe neben Privatem und Staat 18

19 Was sind Institutionen?
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen Was sind Institutionen? Die Politikwissenschaft, die Soziologie und die Ökonomie gehen davon aus, “dass Politikprobleme im Kern als Institutionenprobleme aufzufassen sind” (Pies 1993), also als Probleme der Gestaltung institutioneller Regelungen, die dann das Verhalten der Bürger als Bürger steuern und regulieren sollen. Hauptunterscheidung: Rahmenbedingungen (Politik setzt Spielregeln) und Einzel-Handlungen (BürgerInnen und Organisationen machen Spielzüge) 19

20 a. philosophische Definition
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen a. philosophische Definition "Gewachsene Institutionen sind doppelgesichtig. Sie besitzen einerseits den Charakter interessensbestimmter Verhaltensregelmäßigkeiten, die aus Verhaltensdispo- sitionen erwachsen. Zum anderen werden diese Regelmäßigkeiten von Individuen auch als verbindliche Standards oder Regeln beziehungsweise Normen im engeren Sinne vorgestellt." (Kliemt Hartmut). 20

21 Institutionen sind Normen, die Interaktionen von
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen b. ökonomisch Institutionen sind Normen, die Interaktionen von Menschen koordinieren und regulieren. Der Extremfall einer Institution ist die einzelne Norm. Institutionen bestehen aber normalerweise in mehreren aufeinander bezogenen Normen, da zur Regelung komplexer Sachverhalte eine einzige Norm nicht ausreicht. (Peter Weise) Institutionen sind deshalb die Rahmenbedingungen für Interaktionen 21

22 Normen sind verbindliche Regeln der Interaktion
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen c. ethisch Definition: In der Sozialethik geht es um die Begründung und Implementation von Normen, Institutionen und sozialen Systemen mit dem Ziel der größeren Humanisierung von Gesellschaft Normen, Institutionen und soziale Systeme sind also primäre Objekte der Sozialethik Normen sind verbindliche Regeln der Interaktion und des Verhaltens in einem gesellschaftlichen Kontext 22

23 2.3 Institutionen c. ethisch
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen c. ethisch (2) Politische Institutionen stellen die gesellschaftliche Formulierung von Rahmenbedingungen dar, die auf Dauer angelegt sind (Ehe, Finanzhoheit des Staates, Recht, Sprachregeln) (3) Soziale Systeme sind die komplexeste Form normativer Regeln, die über Institutionen hinausgehen und zumeist durch Organisationen unterstützt werden. (Unternehmen, Behörden, Kirchen, Staaten und Corporate Actors der Zivilgesellschaft) 23

24 Geistesgeschichtliche Voraussetzungen Aufklärung im 18. Jahrhundert
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.3 Institutionen Geistesgeschichtliche Voraussetzungen Aufklärung im 18. Jahrhundert Wende zum Subjekt: Verantwortung nicht nur vor Regeln, sondern für Regeln Würdestatus der menschlichen Person wird verbunden mit Rechten Begründung von Menschenrechten und darauf folgend politischen Verfassungen, die diese festschreiben Demokratische Rechtsstaaten, die rechtsethischen Kriterien unterliegen 24

25 Warum Politische Ethik?
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.4 Ethik des Politischen Warum Politische Ethik? „Überall wo die bestehenden Verhältnisse für Forderungen einer universalistischen Moral der pure Hohn sind, verwandeln sich moralische Fragen in Fragen der politischen Ethik.“ Jürgen Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt 1991, 27. Also ist politische Ethik nicht nur eine Frage der Reichweite und Allgemeinheit, sondern eine Frage der Tiefe, der Gradualität und des Schwergewichtes hinsichtlich der Verletzbarkeit von menschlichen Personen (Missbrauch, Menschenrechtverletzungen, Krieg, Unterdrückung, Hunger…) 25 25

26 Einführung: 2. Begriffliche Klärung
2.4 Ethik des Politischen Politik ist immer auch „moralisch relevante“ Praxis, weil sie erhebliche Reichweite hat und Auswirkungen auf menschliches Leben besitzt Ethische Reflexion, ob politische Regeln, Maßnahmen und Institutionen das Wohl aller betroffenen Personen fördern Geeignete Mittelbestimmung wichtig, um ethische Zwecke im Rahmen des Politischen umzusetzen (auch kontraintuitiv) 26 26

27 Elemente ethischer Reflexion:
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.4 Ethik des Politischen Elemente ethischer Reflexion: Teleologisches Vorgehen, da oft kontraintuitives Handeln erforderlich Verantwortungsethik versus Gesinnungsethik (Weber) Aufgabe der politischen Ethik: Beurteilung der moralischen Qualität der gesamten politischen Ordnung, ihrer Teilbereiche, Subsysteme und kollektiven Akteure Die an den Folgen orientierte Verantwortung für Strukturen und für eine am Wohl aller Betroffenen orientierten Rechtsordnung ist unser primäres Beurteilungsobjekt in der politischen Ethik. 27 27

28 Hierzu: Beurteilung von Ziel und Mitteln
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.4 Ethik des Politischen Die Ethik des Politischen ist die Reflexion der Handlungen von allgemeiner Reichweite und der Institutionen einer Teil- oder Weltgesellschaft (bzw. -gemeinschaft). Sie orientiert sich an den zu erwartenden Folgen für das Wohl aller betroffenen Personen. Hierzu: Beurteilung von Ziel und Mitteln der Politik 28 28

29 2.5 Christliche Ethik des Politischen
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.5 Christliche Ethik des Politischen Positionsverschiebung der christlichen Ethik analog zur veränderten Position der Kirche in der Welt und zu ihrer eigenen Veränderung (pluriform). Christentum hat in der Post-Moderne und in industria-lisierten Gesellschaften eine veränderte gesellschaftliche Bedeutung (vorwiegend sozial und als Religionsanbieter). „Faktum des Pluralismus“ der Humanismen und „Individualisierung“ der Konzeptionen des guten Lebens bei gleichzeitiger weltanschaulichen Neutralität moderner demokratischer Rechtsstaaten.

30 Einführung: 2. Begriffliche Klärung
2.5 Christliche Ethik des Politischen Wie kann eine christliche Ethik angesichts des Pluralismus überhaupt noch einen Beitrag leisten? "Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Vorausset-zungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis das er um der Freiheit willen eingegangen ist.“ Ernst Wolfgang Böckenförde, 1976, „Staat Gesellschaft Freiheit“ S.60 Deshalb: Die Chance für die christliche politische Ethik durch Beteiligung am politischen Diskurs sinnvoll als Stimme unter vielen.

31 Hermeneutik des Christentums:
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.5 Christliche Ethik des Politischen Hermeneutik des Christentums: Legitimes wissenschaftlich-normatives Vorverständnis des politischen Handelns, das durch christliche Grundoptionen geprägt ist: z.B. Sozial sein ist gut, Gerechtigkeit ist zu erstreben, Gemeinwohl ist wichtig, die Schwachen sind zu fördern, Frieden ist zu erhalten, die Würde des einzelnen Menschen zu schützen, ist das oberste Ziel eines Staatswesens; menschliches Leben in all seinen Formen ist zu sichern (hier aber oft schon Kontroversen, z.B. Gentechnik, Abtreibung……)

32 2.5 Christliche Ethik des Politischen
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.5 Christliche Ethik des Politischen Unsere Methode muss sich ändern: In säkularen Gesellschaften keine Autoritätsargumente oder logisch verbindlich-naturrechtlichen Argumente sondern Sieg des besseren Argumentes in einer normativen Übereinkunft aller dazu gewisse Korrekturoffenheit der christlichen politischen Ethik erforderlich Nur, wenn christliche Ethik auch rational für Andersgläubige nachvollziehbar und damit vernünftig, kann sie auch als Impulsgeber für eine universale politische Ethik in pluralistischen Gesellschaften und säkularen Rechtsstaaten dienen (Beispiel: islamische Konflikte).

33 2.5 Christliche Ethik des Politischen
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.5 Christliche Ethik des Politischen Das Christentum kann im politischen Diskus, nicht durch die Analyse empirischer Fakten, aber sehr wohl durch die weltanschauliche Sinngebung und Einordnung einen konstruktiven Beitrag leisten. Primäre Aufgabe christlicher Ethik ist es: Sinn-, Erfahrungs- und Verstehenshorizonte erschließen (z.B. Beginn und Ende des Lebens) und wahrhafte Humanität aufzeigen!

34 2.5 Christliche Ethik des Politischen
Einführung: 2. Begriffliche Klärung 2.5 Christliche Ethik des Politischen Christlicher Proprium ist die Gerechtigkeitsorientierung, das Liebesgebot und die Option für die Armen! Vergleiche Leben und Wirken Jesu im NT und die KSL: „Die gesellschaftliche Ordnung und ihre Entwicklung müssen sich dauernd am Wohl der Personen orientieren.“(Gaudium et Spes 26) Also ist unsere Aufgabe zu sehen, welche Gruppen keine Interessensvertretung haben und wem es wirklich schlecht geht! Wer sind die Armen nicht nur im materiellen Sinne? Welche Individuen und Gruppen sind systemisch benachteiligt und haben keine Lobby?

35 Politische Ethik zwischen dem ethischen Anspruch von Gut und Gerecht
Kapitel 1 Politische Ethik zwischen dem ethischen Anspruch von Gut und Gerecht

36 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant Grundfrage: Muss Politik dafür sorgen, dass ein Gemeinwesen gerecht ist, oder muss sie dafür sorgen, dass alle Menschen ein gutes Leben habe? Hierzu müssen wir zunächst klären, was ein gutes Leben ist und was gerecht ist. Blick in die Ethikgeschichte: Hier wird fast immer eine Verbindung von gutem Leben mit dem Einhalten von Tugenden gesehen. Gerechtigkeit wird historisch mit Rechtsethik gleichgesetzt. Vgl. Naturrechtsdiskussion der christlichen Ethik im Jahrhundert als Vorläufer der Ethik Kants (Ulpian, Grotius, Pfuffendorf, Leibnitz, Thomasius)

37 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant Rechtspflichten: Das, was wir unseren Mitmenschen aufgrund ihrer Würde und ihrer unveräußerlichen Rechte als menschliche Personen schulden Verbote der direkten und indirekten Schädigung anderer Strikte Verbindlichkeit, kategorische Geltung (Tötungsverbot) Das „Recht der Menschen“ (Menschenrechte) Eine Handlung ist nach Kant dann recht, wenn "nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann." Kant, Immanuel, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Frankfurt, 9/1991, A 33, vgl. A 48-52, B 33, 34.

38 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant Tugendpflichten… Ausdruck der inneren Freiheit des Menschen, der Zwecke für sich selbst und gegenüber anderen setzen kann aus Pflicht, nicht nur pflichtgemäß weite Verbindlichkeit 2 Zwecke: eigene Vollkommenheit fremde Glückseligkeit Rechtmäßigkeit ist die conditio sine qua non der Tugend Logische Priorität des Rechten vor dem Guten

39 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant Tugendpflichten… Beispiele für klassische und moderne Tugenden: Tapferkeit, Mäßigung, Freigebigkeit, Gastfreundschaft, Seelengröße, Sanftmut, Wahrhaftigkeit, Verständnis, Mitleid, Rücksichtnahme Beispiels für moderne Tugenden: Einfühlungsvermögen, (vom anderen her denken und fühlen, die Empfindungen, Grenzen, Nöte anderer antizipieren und respektieren), Aufmerksamkeit gegenüber anderen, Kooperationsfähigkeit, Interaktions- und Teamfähigkeit, Kompromissfähigkeit, Gleichrangige Abstimmungsfähigkeit

40 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.1 Rechts- und Tugendlehre bei Kant Tugendpflichten… Keine unmittelbar korrespondierenden Inhaber von Rechten auf der anderen Seite, Tugenden werden freiwillig ausgeübt Liebesgebot klassisches Beispiel: „Die Liebe fängt da an, wo die Gerechtigkeit aufhört bzw. erfüllt ist“ (Korff) Setzen moralische Motivation voraus (Absicht, Einsicht, Willentlichkeit) Basis für Ethik des guten Lebens

41 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung Nach Diskreditierung der Pflicht wird die Verantwortung zur moralischen Kategorie politischer Ethik Begriff spielt im 20. Jahrhundert prominente Rolle Im Christentum schon lange Gewissensmoral: Rechenschaft geben über das gute und Böse, das wir im irdischen Leben getan haben vor Gott (2 Kor. 5, 10) Ablösung der Pflichtbegriffs durch freiheitliche Handlung, Rechtfertigung des einzelnen vor weltlichen Instanzen, reicht über starre Pflicht hinaus Verantwortung bleibt eine Zurechenbarkeitskategorie (analog Kant Pflichtenlehre), aber individuell entscheidbar verantwortlich heißt: responsorisch in adäquater Form (responsum mittelhochd., antworten auf..)

42 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung Verantwortungstypen: Verusrsacherv., Treuhänderv., Hüterv., soziale V., (kosmo-)politische V. Problem der Verantwortung für Träger: Oft politische Probleme so komplex, dass einzelner Verantwortung nicht alleine ausüben kann, so dass keine direkte Zuschreibung möglich struktureller, politischer Wandel erforderlich (Institutionen als Zwischenglied) Hauptaspekt politischer Ethik, weil Verantwortung vor den Menschen in Gesellschaften Verantwortung setzt bewusstes, an Gründen orientiertes Handeln mit moralischem Anspruch voraus Verantwortung heißt subjektiv, reflektiertes Handeln in Zuständigkeit der Person für ein moralisches Problem

43 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung Das Gemeinwohl „Die Gutheit eines jeden Teil hängt immer ab vom Entsprechungs- verhältnis zu seinem Ganzen, […] Da nun jeder Mensch Teil eines bür- gerlichen Gemeinwesens ist, kann der Mensch unmöglich gut sein, wenn er nicht dem Gemeingut gerecht wird.“ (Thomas STh I-II, q.92 a.1. ad 3.) Def. Wechselseitiges Verantwortungsverhältnis von einzelnem zur Gemeinschaft Das Gemeinwohl will ausdrücken, dass das kollektive Interesse nicht nur die Summe von Einzelinteressen ist, sondern ein übergeordnetes öffentliches Gut existiert. Problem: Begriff kann aber auch in totalitären Regimen zu pol. Zwecken instrumentalisiert werden (Nationalsoz.) Heute ist das Wohl aller Menschen das Ziel des Gemein- wohls, die Verantwortung gilt damit primär den Subjekten

44 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.2 Von der Pflicht zur Verantwortung Definition Vat. II GS 25 gemäß Mater et Magistra: „Das Gemeinwohl aber begreift in sich die Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den Einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen gestatten:“ Grund für Gemeinwohlbegriff: Menschen alleine nicht in der Lage, durch individuelle Verantwortungsübernahme, alles das zu leisten, was zu einem guten Leben führt. Deshalb kollektive Anstrengung und politischer Zusammenschluss notwendig. Heute: Gemeinwohlbegriff zu halten, wenn dynamisch, induktiv, demokratisch durch alle Betroffenen zustimmungs- fähig, global, komplementär zu Rechtsansprüchen von Menschen, Dienstcharakter für je größere Gerechtigkeit

45 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik Rezeption von Aristoteles: Gerechtigkeit ist die vorzüglichste Tugend, weil man sie nicht nur für sich selbst ausübt, sondern sie gegenüber anderen ausgeübt werden kann. Generelle Aussage: „Suum cuique“ Unterscheidet zwischen Tugendbegriff und gesellschaftlichem Strukturbegriff (Doppelbegriff) Gerecht ist, „was in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und ihre Bestandteile hervorbringt und erhält“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, a). Analogie: Gerechtigkeit als politische Aufgaben - Rechtspflichten bei Kant

46 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik Rezeption von Kant: Entscheidender Wandel Gerechtigkeit nicht mehr primär nur eine Tugend, sondern eine "Konstitution der gesellschaftlichen Ordnung in einem bürgerlichen Zustand„ (Metaphysik der Sitten AB 73). Gerechtigkeit wird zu einer normativen Aufgabe für die Gesellschaft in Bezug auf deren Ordnungs- bzw. Institutionensysteme und damit zu einer Rechtspflicht der Gesellschaft, ihren Mitgliedern gegenüber Strenger Begründungsanspruch Wende zu universaler ethischer Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen im Hinblick auf Gerechtigkeit

47 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik
Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht 1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik Zweiteilung der Ethik: Ethik des guten Lebens (moraltheologische Dimension) und Ethik der Gerechtigkeit (sozialethische Dimension) Unterscheidung hinsichtlich Methode, Ethischer Bestimmtheit, Reichweite, Begründung Moderner Gerechtigkeitsbegriff: Weniger Pflichten-, als Rechtsethik, Theorien des Rechts Gerechtigkeit wird zu einer Aufgaben der Gesellschaft in Bezug auf deren Ordnungs- bzw. Institutionensysteme Wende zu universaler ethischer Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen mit erheblicher Reichweite Intersubjektive Verbindlich- und Zumutbarkeit erforderlich 47

48 Kap. 1: Zwischen dem Anspruch von Gut und Gerecht
1.3 Gerechtigkeit als Grundlage der christlichen politischen Ethik Sozialethik unterscheidet sich von der Individualethik in folgenden Punkten: Rechts- und Gerechtigkeitsethik, nicht Tugendethik Stärker formale als materiale Ethik Normative Ethik, die nicht individuell abwägbar Thema: Intersubjektive Normen, nicht Sittlichkeit und Moral einzelner, ihre Werte oder Haltungen Strukturenethik und Institutionenethik Theorien des Gerechten, nicht Theorien des Guten Insofern ist politische Ethik ein Thema der Sozialethik

49 Entwicklungslinien moderner politischer Ethik
Kapitel 2 Entwicklungslinien moderner politischer Ethik

50 Moderne ist Epoche seit Aufklärung in Europa (Ende 17. Jh.)
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik Einordnung: Die Moderne Moderne ist Epoche seit Aufklärung in Europa (Ende 17. Jh.) Liberalisierung und Pluralisierung der Lebenswelten Subjektzentrierung, Individualisierung, Emanzipation einzelner Vernunftzentrierung und Vernunftkritik (Rationalisierung) Sieg des Rechts, der Demokratie und der Menschenrechte Säkularisierung und Heterogenisierung von Weltanschau- ungen und Religionen (Entmythologisierung und Öffnung) Kulturoptimismus: technische Innovationen, Zunahme von Rationalität, Befreiung des Menschen, Sieg des Rechts, der Demokratie, der Ökologie und der Gerechtigkeitsmoral …) Annahme der Möglichkeit der politisch-institutionellen + gesellschaftlichen Korrektur von moralischen Dilemmata der Menschheit im Rahmen eines Fortschrittsparadigmas

51 Infragestellung durch Postmoderne (Lyotard, Derrida, Barthes):
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik Einordnung: Die Postmoderne Infragestellung durch Postmoderne (Lyotard, Derrida, Barthes): Das Ende der großen Meta-Erzählungen (Aufklärung, Idealis- mus, Historismus) (F. Lyotar, Das postmoderne Wissen, 1979) Vorwurf des Scheiterns der Moderne, aufgrund ihrer totali- tären Erklärungswelten (jeweils ein Prinzip: Vernunft, Gott …) Abkehr von objektivistischer Sicht auf Welt Bruch mit Fortschrittsmythos, Anfrage an die vermeintliche Allmacht von Menschen („Gottesanmaßung“ Maria Widl) Alternative: Stehenlassen, Bejahen von Heterogenem, Diffe- renten, Vielfalt, Kontingenz, Pluralem, Emotionalem Konsequenz: Keine universalen Wahrheitsansprüche möglich Theoretische Konzepte: Dekonstruktivismus, Poststruk- turalismus, ethischer Relativismus

52 Einordnung: Späte Moderne
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik Einordnung: Späte Moderne Mittelposition der christlichen Sozialethik: Viele richtige Anfragen und Beobachtungen durch die Theorie der Postmoderne (Einheitlichkeit leicht totalitär) Aber Bejahung der späten Moderne bei gleichzeitiger Kritik an zu starkem Fortschrittsglauben Klarer Widerspruch zur postmoderne These, dass keine Einheit, Universalität, Normativität mehr möglich seien Versuch einen ethischen Ansatz zu entwickeln, der ordnend, vermittelnd und systematisch das den Menschen Gemeinsame rekonstruiert Aufzeigen, wie scheinbar widersprüchliche Komplexität systematisiert werden kann Zielsetzung: Pluralismusfähige christliche Ethik im Rahmen fortschreitender Modernisierung

53 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit Individualisierungsthese: Übergang von der Zwangs- zur Wahlsinngebung, Eigenwohl, Identitätsfindung, ICH zentral (bsp. Selfi-kultur, Selbstoptimierung, Vereinzelung…) Pluralisierungsthese: Pluralität, Koexistenz individueller Wertpräferenzen, vielfältiges gutes Leben (68-er Befreiung, Sexualleben offener, Möglichkeit von: Alleinleben, Scheidung, Zusammenleben ohne Ehe, offene Homosexualität, aber auch Abkoppelung von Wahrheitsausrichtung: Fakenews) Säkularisierungsthese)Verlust metaphysischer und religiöser Gewissheiten (Atheismus, A-Religiosität, Antikirchlichkeit…) positiv: Befreiungsprozess; negativ: Gefahr, dass keine Schnitt- menge, keine Übereinkünfte über das Gute (tragische Beziehungen); Gefahr, dass keine moralische Reflexion (Bsp. Sittlichkeit); Gefahr, dass das Gute nicht mehr rational zugänglich und kein Politikum mehr; Gefahr, dass Wahrheitssuche und Religion obsolet werden….

54 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit Sozialethische Gegenposition zum Relativismus: Das Gute ist individuell entscheidbar, aber im Kern nicht relativ geworden! Universale Verallgemeinerbarkeit in der Ethik bei unverzichtbaren Rechtsgütern (z.B. Leben, Wohlstand, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Freiheit….) muss beibehalten werden, da immer auch defektierende Wertpräferenzen diese bedrohen. Pluralismusbejahende und bescheidenere Ethik (kein Essentialismus, keine materiale Wertelehre mehr): Statt Tugend und Pflicht heute eher offene Begriffe: Fairness, Kooperations-, Verständigungsbereitschaft, Konsenskultur, + Ethische Theorien des Guten werden formaler gefasst; kein materialer Universalismus in der Tugendethik mehr (Bsp. Lebensglück nur mit Kindern, Frau und Mutterideal...)

55 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit Grundunterscheidung: 1. Universalisierbare Normen, die Rechtsgüter schützen Beispielfall, wo die Grenze zum Recht liegt: Abtreibung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Unterdrückung, Missachtung, Selbstkasteiung, Selbstmord, Beschneidung von Genitalien, Prostitution, Betrug, Mord, Körperverletzung,… 2. Evaluativer Bereich der Ethik des guten Lebens Beispiele für freie Lebenswelten: Persönlicher Umgang, Lebensziele, Wahl der Weltan- schauung/Religion, Tugendhaftigkeit, Gestaltung von Beziehungen, Partnerwahl, Sexuelle Selbstbestimmung, lebenslange Treue o. Promiskuität…

56 Je umfassender und materialer, um so schwieriger zu verallgemeinern!
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit Drei ethische Ebenen unterscheiden: Normtheorie Tugendtheorie Theologische Hermeneutik Je umfassender und materialer, um so schwieriger zu verallgemeinern! – 56 –

57 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.1 Privatisierung der lebensweltlichen Sittlichkeit Drei ethische Ansprüche und Methoden unterscheiden: Moderne normative Ethik Moralische Richtigkeit Klassisches Natur- recht Moralische Wahrheit Theologische Existential- moral Individuell Gutes Objektivistische Wesensreflexion Universale Begründung Personale Verantwortung Grade abnehmender Geltungsansprüche in der Ethik erfordern fundamentalethische Differenzierungen in der Methode – 57 –

58 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik Erstes Kriterium: Der Konsens Prozess der Ethik hin zum faktischen Konsensparadigma Kantisches Universalisierbarkeitsprinzip wird gewendet zum Prinzip der diskursiven gesellschaftlichen Übereinkunft und hypothetischen Zustimmungsfähigkeit von Normen durch alle potentiell Betroffenen Moderne Ethik: hypothetischer Konsens maßgeblich Konzentration auf formales, auf rechtmäßiges (nicht so sehr materiale Fokussierung) Ursprung: Philosophische Vertragstheorien

59 Tieferer Grund für das Konsenserfordernis in der modernen Ethik:
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik Tieferer Grund für das Konsenserfordernis in der modernen Ethik: Die Garantie von Anerkennungs-, Verfahrens- und Beteiligungsgerechtigkeit für alle Betroffenen Beispielhaft ist die Ethik von Jürgen Habermas

60 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik 2.2.1 Die Diskursethik von Jürgen Habermas Theorie des Kommunikativen Handelns (1988) Erläuterungen zur Diskursethik (1991) Glauben und Wissen (2001) Ausgangspunkt: Normative Ethik, aber keine naturrechtliche Festlegung über das Verallgemeinerbare mehr, die durch ontologische Abstraktion oder Ableitung aus einer verallgemeinerbaren Natur gefunden würde. sondern: Kommunikation im Diskurs als grundlegendes Prinzip der Normierung der kategorische Imperativ wird damit interpersonal und kommunikativ eingeholt. gegen ethischen Relativismus immer noch eine ‘kognitivistische Ethik’ behauptet normative Richtigkeit von moralischen Aussagen richtet sich gegen ethischen Monologismus/ Paternalismus – 60 –

61 2.2.1 Die Diskursethik von Jürgen Habermas
Der Diskurs soll einen universalistischen Standpunkt über die verbale Kommunikation im Face to Face Kontakt herstellen Nicht mehr nur der eigene Vernunftgebrauch ist zentral, sondern vielmehr der öffentliche Vernunftgebrauch als interpersonale Instanz der kommunikativen Übereinkunft Dies erfordert eine „Ideale Sprechsituation“, einen machtfreien Diskurs und gleichberechtigte Teilhabe Ein Konsens über Regeln und Normen soll hergestellt werden Die Voraussetzungen für diesen Diskurs hat Jürgen Habermas herausgearbeitet Die Anerkennung des „Universalisierungsgrundsatzes“ (U) ist notwendig: Ein universeller Rollentausch hat zu erfolgen, so dass die Folgen einer Norm, die sich für einen jeden einzelnen ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden können. Dann gilt noch der „diskursethische Grundsatz“ (G): „Nur die Normen dürfen Geltung beanspruchen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden!“ entspricht dem Konsensparadigma moderner Ethik – 61 –

62 2.2.1 Die Diskursethik von Jürgen Habermas
Damit die Zustimmung erfolgen kann sind verschiedene Leitgedanken notwendig: 1. Alle Beteiligte müssen eine bestimmte Grundhaltung, nämlich das kommunikative Ethos, mitbringen Das heißt, dass jeder uneingeschränkt zu seinen Argumenten stehen muss Es darf keine Scheinargumente geben Es gilt der zwanglose Zwang des besseren Argumentes. Das schließt rein strategisches Handeln und Vorgehen aus. Jeder hat zwar das Recht auf eigene Interessen, jedoch müssen Handlungspläne einvernehmlich koordiniert werden. Es gilt als klare Grenze eigeninteressierten Vorgehens: die intersubjektve Anerkennung von Geltungsansprüchen in argumentativer Konsensfindung. – 62 –

63 2.2.1 Die Diskursethik von Jürgen Habermas
2. Alle Beteiligte müssen ein Interesse an legitimem Handeln mitbringen: Das heißt nicht, dass sie altruistisch sein müssen, aber zumindest nicht destruktiv egoistisch. Auch ein Gewinnziel kann legitim sein, wenn Marktwirtschaft in einem vorgängigen gesellschaftlichen oder politischen Diskurs als Wirtschaftsform anerkannt wurde. 3. Es muss ein advokatorischer Diskurs geführt werden, wenn Diskursvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Da gilt für zukünftige Generationen (z.B. bei ökologischen Fragen) Das gilt auch für nationale Politikentscheidungen, die weltweite Folgen haben (z.B. Agrarsubventionen in der EU) Insbesondere globale Diskurse sind hier das Problem und erfordern einen hypothetischen Diskurs im Interesse aller Betroffener, wenn dieser selbst nicht möglich ist. (z.B. WTO wäre mögliches Forum) – 63 –

64 2.2.1 Vorteile und Grenzen der Diskursethik
Unverzichtbares Ideal der Ethikbegründung in der heutigen Zeit Die Diskursethik lenkt den Blick auf die Notwendigkeit, dass ein ethisches Universalisierungsprinzip durch konsensorientierte Kommunikationsprozesse in die Praxis umgesetzt werden kann Aber: Institutionelle Voraussetzungen eines idealen Diskurses sind schwer zu erfüllen, besonders in der Politik. Zusatzproblem, dass konsensuelle Abstimmung immer sehr lang dauert (time lag) Problem, dass machtfreie Kommunikation und Diskurse kaum in der Realität, vor allem auf Märkten, aber auch in Politik kaum möglich sind Problem, dass aus räumlichen und finanziellen Gründen unter Umständen nicht alle Betroffenen erreicht werden können. Dennoch: Diskursethik heute Standard der Moralfindung. Es gibt kaum ein Alternative, die besser wäre. – 64 –

65 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik Zweites Kriterium: Die Institutionalisierbarkeit Strukturelle Wende in der Moderne: Institutionalisierung von Moral in Strukturen, Institutionen, politische und soziale Systeme und Rechtsordnungen. "Der primäre aber nicht der ausschließliche Ort der Moral in einer modernen Gesellschaft ist die politische und wirtschaftliche Rahmenordnung.“ (Karl Homann) Hauptaufgabe: Reflexion der ethischen Gestaltungsverantwortung vor und für Normen im Sinne je größerer Gerechtigkeit

66 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.2 Universalisierbare Gerechtigkeitsethik 2.2.2 Die Gerechtigkeitstheorie bei John Rawls Eine Theorie der Gerechtigkeit 1971 Politischer Liberalismus 1993 Gerechtigkeit als Fairness 2001 Ziel: Politische Gerechtigkeit, d.h. eine Gerechtigkeitskonzeption für eine demokratische Gesellschaft unter modernen Bedingungen (nicht mehr!) d.h. Rawls hat eine institutionenethische Ausrichtung seiner Theorie und die Fokussierung auf „das Politische“ – 66 –

67 2.2.2 Gerechtigkeit im Rahmen einer Institutionentheorie
Definition von Gesellschaft: „Ein Unternehmen der wechselseitigen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“ (Rawls, 1979, 105, 420f) Seine Reflexionsobjekt ist die Grundstruktur eines Verfassungsstaates bei gleichzeitiger Freiheit der Individuen auf freien Märkten Definition von sozialer Gerechtigkeit: „Die Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen“ (Rawls, 1979, 19) Sie wird durch eine Ursprungssituation gewährleistet dadurch, dass jeder und jede repräsentiert ist und sich selbst versorgen und sozial absichern will. Die Folge sind gerechte Institutionen. entspricht der institutionenethischen Ausrichtung moderner Ethik – 67 –

68 2.2.2 Drei formale Gerechtigkeitsdimensionen bei Rawls
Soziale Gerechtigkeit (siehe letzte Seite) Anerkennungsgerechtigkeit: Zwang zur gleichrangigen Anerkennung als Voraussetzung des Vertragsschlusses; Kompatibilität mit Moralklima einer modernen Gesellschaft Verfahrensgerechtigkeit: durch strategisches Informationsdefizit, Vorzeitigkeit und Abstraktion von weltanschauungsfragen sowie Gleichrangigkeit der Beteiligten und Betroffenen – 68 –

69 2.2.2 Gerechtigkeitstheorie als Gesellschaftsvertragstheorie
Mittel: Neutraler Urzustand, in dem alle gleichrangigen Personen hinter dem Schleier des Nichtwissens ihre Wahl über die Zukunft treffen (Veil of Ignorance, VI-Test) Ziel: Einigung über die institutionellen Regelungen im Rahmen einer ursprünglichen Vertragssituation D.h. Rekonstruktion einer neutralen ethischen Ausgangsposition durch Schleier des Nichtwissens (Veil of Ignorance), ist ein Urzustand, in dem vernünftige und rationale Parteien, die ihre spätere Position in der Gesellschaft nicht kennen, gerechte Prinzipien im Konsens festlegen. Ergebnis: Jeder wird nur denjenigen Normen zustimmen, die für ihn oder sie und damit alle späteren Betroffenen akzeptabel sind – 69 –

70 2.2.2 Gerechtigkeit durch hypothetische formale Neutralität
„Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (1971) Urzustand und „veil of ignorance“ ermöglichen eine Wahl unter allgemeinen Gesichtspunkten (neutraler Standpunkt), die aus eigenem Interesse für jeden gerecht sein müssen, denn jeder rechnet mit worst case scenario (Risikoaversion) Ein strategisches Informationsdefizit bei gleichzeitiger sozialer Abhängigkeit verhindert eine parteiische, weltanschaulich geprägte Wahl und eine diskriminierende Verteilung. – 70 –

71 2.2.2 Zwei Materiale Gerechtigkeitsprinzipien
Gerechtigkeitsprinzipien in lexikalischer Ordnung Erstes Gerechtigkeitsprinzip: „Jede Person hat einen gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit dem selben System von Freiheiten für alle anderen vereinbar ist.“ (offenes System der gleichen Grundfreiheiten für alle) – 71 –

72 2.2.2 Zwei Materiale Gerechtigkeitsprinzipien
Zweites Gerechtigkeitsprinzip/Differenzprinzip: „Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offen stehen, Sie müssen den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen“ Quelle: Rawls (2003) Gerechtigkeit als Fairness, Frankfurt, S. 78 d.h. Rechtfertigung von Ungleichheiten nur bei größtmöglichem Vorteil der am meisten Benachteiligten – Option für die Armen d.h. keine egalitäre Endzustandsgleichheit, sondern kriteriengeleitete Offenheit – 72 –

73 2.2.2 Zwei Materiale Gerechtigkeitsprinzipien
Differenzprinzip (zweiter Teil des zweiten Prinzips): – 73 –

74 2.2.2 Gerechtigkeitstheoretische Begründung für Normen
Regeln sind begründet, wenn sie in einem neutralen Verfahren für alle Beteiligten konsensfähig und damit gerecht sind. Soziale Gerechtigkeit wird strukturell und institutionell im Sinne allgemeiner Handlungsregeln und Institutionen garantiert (Strukturelle Verallgemeinerung) Gerechtigkeit als Fairness liegt im Verfahren einer fairen Konsensfindung, nicht primär bei einer bestimmten Endzustandsgerechtigkeit (Formalisierung und Offenheit) Eine sublime Option für die Armen macht Ungleichheiten stark rechtfertigungsbedürftig und verlangt ihre Änderung Hypothetischer, nicht faktischer Konsens ist erforderlich (sonst Machtungleichgewichte und Manifestierung des Status Quo) Empfehlung nicht nur an die Politik, sondern an uns alle: Machen wir uns diese hypothetische Konsensfindung zur alltäglichen Praxis! – 74 –

75 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten Praktische Gründe: Formale Gerechtigkeitsgrundsätze sind eher konsensfähig als inhaltliche Güter. Eine auf konsensfähigen Rechten basierende Ethik kann universale Gültigkeit von Normen begründen, eine partikuläre Ethik des Guten nicht. Das entspricht einer „Neuorientierung mittlerer Stufe“ (Otfried Höffe) (Beispiel: Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in D als rechtswidrig, aber nicht strafbar)

76 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten Systematisch-logische Gründe: "Gegen das Recht geschieht nichts Gutes.“ (Wolfgang Kersting) Eine durch eine Rahmenordnung abgesicherte Gerechtigkeitsethik setzt Individuen frei, eine Ethik des guten Lebens zu entwickeln. Bsp. Wenn ein Land korrupt oder durch Klientelpolitik regiert wird, kann es keine Gerechtigkeit für die Outsider geben.

77 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.3 Die Priorität des Rechten vor dem Guten Regel: Wo Konzeptionen des Guten im Widerspruch zu Normen der Gerechtigkeit stehen, die auf der Basis der konsensuellen Übereinkunft in demokratischen Abstimmungsprozessen gefunden wurden, gebührt letzteren der Vorrang. Dennoch: Das Gerechte ist systematisch nicht unabhängig vom Guten, sondern auf vernünftige, gleichgerichtete Konzeptionen des Guten angewiesen

78 Exkurs: Kommunitarismus versus Liberalismus
Es gibt eine Grundentscheidung in der politischen Philosophie, nämlich die zwischen Liberalismus und Kommunitarismus Kommunitarismus/Konservatismus (communitas=Gemeinschaft) ist eine politische Philosophie, die politische Verantwortung primär gegenüber der eigenen kulturellen und nationalen Tradition sieht und die Identitätsfindung sowie Wertorientierung in der eigenen Gemeinschaft bzw. Familie betont – im Gegensetz zur universalen Ausrichtung auf die Welt oder die Menschheit (Beginn mit Ed. Burke, heute: M. Walzer, B. Barber, Ch. Taylor, M. Sandel und A. Etzioni). Analogien zu Nationalismus, Republikanismus Liberalismus (liberal = frei) ist eine politische Philosophie, die ihre grund-sätzliche Verantwortung vor der Freiheit aller Individuen der Weltgesellschaft sieht. Sie ist gegen Totalitarismus jeder Art gerichtet, grundsätzlich universal und kosmopolitisch (seit Mitte 17. Jh., John Locke, Tradition der Aufklärung, Kosmopolitismus, dann Rawls mit politischem Liberalismus)

79 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik 2.4.1 Entmoralisierungsthese für die Politik? Die individuelle Entscheidbarkeit persönlicher Moral bedeutet noch nicht, dass moralische Ansprüche an die Politik verschwinden. Vielmehr deutet es auf die Ausdifferenzierung verschiedener Moralebenen hin. Dem entspricht die erhöhte Nachfrage nach Gerechtigkeitsethik in der Politik (empirische Gerechtigkeitsforschung).

80 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik 2.4.2 Politische Ethik in demokratischen Rechtsstaaten ist in mehreren Bereichen nachweisbar: bei der Ausübung staatlicher Macht durch die Rechtferti- gung vor BürgerInnen, die durch Verfassung geschützt (insbesondere Minderheiten und in Würde Bedrohten). bei der Neubegründung von Rechtsnormen vor allen Teilen der Gesellschaft angesichts fortschreitender Moderni- sierungsschübe (Internet, Globalisierung, Biowissen- schaften, techn. Innovationen, Mobilität und Migration…) bei der Ausrichtung von Politik auf die ganze Welt und ihre ethischen Probleme (Kernübel: Nationalismus mit Gewaltbereitschaft, Totalitarismus mit Diktaturanspruch, Imperialismus)

81 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.4 Systematische Zuordnung zu rechtsstaatlicher Politik 2.4.3 Systematische Ansatzpunkte für die politische Ethik auf 3 Ebenen: Konzeptionen des guten Lebens und individuelle Moral als Grundlage gesellschaftlicher Interaktionen (nicht beeinflussen, aber berücksichtigen, z.B. Liberalisierung) Die Gerechtigkeitsethik ist der primäre Ansatzpunkt der politischen Ethik (hier Universalisierung und hypothetischer Konsens)  Umfassende Theorien des Guten dienen der Grundlage demokrat. Rechtsstaaten, weil sie eine Informations- und Motivationsbasis für Engagement in Ges. und Staat bieten. Sie werden vermittelt durch Religion, Theologie und andere Weltanschauungen.

82 2.5 Der Ort theologischer Ethik vor der Normbegründung
Kap. 2: Entwicklungslinien moderner politischer Ethik 2.5 Der Ort theologischer Ethik vor der Normbegründung Theologische Ethik ist auch für postsäkulare, postmoderne Gesellschaften eine geeignete Fundierung: Theologie als Ressource der Sinn- und Identitätsstiftung Theologie als Möglichkeit der Letztbegründung von Moral Theologische Erhärtung und Klärung von Rechtsnormen Theologie motiviert zu je größerer Gerechtigkeit im Sinne der Armen und im Sinne aller Betroffener Christentum ist modernitätsfähig und als Religion offen für gesellschaftliche Diskurse, damit geeignet als weltanschau-liche Grundlage für konsensuelle und institutionenethische Normbegründung (rechte Mitte zwischen konservativer Werteorientierung und liberale Öffnung auf alle Menschen hin)

83 Der moderne Staat und die Demokratie in der
Kapitel 3 Der moderne Staat und die Demokratie in der ethischen Reflexion

84 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Staatstheorie in Antike: Idee der Demokratie seit griechischer Antike da, aber noch keine Demokratie im modernen Sinne existent (auch nicht in Griechenland) Aristoteles: Republikaner, Demokratie als Pöbelherrschaft, Republik relativ beste Staatsform (ständisch, nur Herrschaft der Vernünftigen) Herodot: Idee der  = Volksherrschaft, Souverän ist das Volk; Volk delegiert Macht an Politik, die den Staat verwalte und gestaltet - reale griechische Demokratie hiervon krass abweichend Protagoras, Epikur, Cicero, Ulpian, Justinian I.: „Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet“ (römisches Recht) Staatstheorie im Mittelalter: wenig demokratische Präferenzen! Thomas von Aquin: Aristokratie mit Königtum (Fürstenherrschaft); Priesterherrschaft Ideales Königtum, Fürsten-, Feudalherrschaft von Gottes Gnaden mit Billigung der Kirche, kaum demokratische Elemente und Ideen, Staatsauffassung eher hierarchisch (in Analogie zur Kirche)

85 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Renaissance ( Jh.): Langsame Sympathie für Volk Martin Luther : Demokratie, wo viele regieren, wie in … Erfurt Thomas Morus : Utopie eines Idealstaates Thommaso Campanella (Cita del Sol) Johannes Althusius (deutscher Jurist): königliche Legitimität davon abhängig, inwieweit Recht des Volkes gewahrt ( ) Ganz langsamer Prozess zur demokratischen Idee: Die Legitimität kehrt sich um! (von unten nach oben, von allen zu den wenigen Repräsentanten) Erklärung: In Antike und MA stark hierarchisch und ständisch organisierte Gesellschaften, keine Beteiligung von allen Menschen sowohl bei Wahlen als auch in politischen Ämtern denkbar, keine Rechte für Sklaven, gering Gebildete, Frauen, Ausländer……; starke christliche Prägung mit hierarchischen Vorstellungen der Legitimation von oben

86 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Vordenker Thomas Hobbes ( ): Hauptwerk Leviathan (1651) Bild aus AT: vgl. Jes 27,1 + Hiob 40,25 Vorstellung eines Naturzustand als „Krieg aller gegen alle“, „homo homini lupus“, „live is solitary nasty and poor“. Deshalb Verzicht auf das individuelle Recht, sich selbst Recht zu verschaffen, wenn alle anderen das auch tun; Es wird folglich aus Eigeninteresse ein Staatsvertrag mit Rechtsstaatsprinzip und Gewaltmonopol geschlossen Dies ist die erste Idee einer Volkssouveränität (dennoch Gefahr der Gewaltenkonzentration, Bild Leviathan, bei Hobbes noch nicht gelöst). Hobbes bis heute noch Ideal für Idee einer globalen demokratischen Ordnung (Analogie für die Auf- und Abgabe nationalstaatlicher Rechte, EU, internationale Ordnung u. neuer globaler Gesellschaftsvertrags).

87 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Langsame Wende durch modernes Staatsverständnis der Aufklärung im Jhd.: Erste praktische Umsetzung demokratischer Elemente, weil Abkehr von ständischer Gesellschaftsstruktur eingeleitet, Bürgerbeteiligung erwünscht: 1. Erste Bill of Rights (Gesetz, das grundlegende Bürgerrechte gewährt England: 1689 (Rechte des englischen Parlaments) USA: 1789 (Erste zehn Verfassungszusätze (amendments) 2. Franz. Revolution 1789: Mit Menschenrechtserklärung; vor allem wird Wert der Gleichheit aller zum ersten Mal anerkannt Demokratie war eine Idee, die sich erst sehr langsam durchsetzt (z.B. Menschenrechte der Franz. Revol. nur für Männer und Bürger) Westliche Realisierungsgeschichte der Demokratie sehr langsam und zeitverzögert.

88 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung (1) John Locke ( ): Two Treatises of Government Prägung durch Descartes Vernunftorientierung: cogito ergo sum Mensch wird mit Rechtsanspruch auf Freiheit und Gleichheit geboren, Streben nach Glück ist natürliches Recht des Menschen (aufgeklärt-rationales Natur- und Vertragsrecht) Staatswerdung durch ursprünglichen Gesellschaftsvertrag Überwindung des Naturzustandes aus Eigeninteresse der Menschen (Überwindung der Selbstjustiz und der Unsicherheit) Staat ist Werk vernunftmäßige Übereinkunft, treuhänderische Übertragung von politischer Macht, die in drei Gewalten geteilt ist Grundlage für moderne Staatstheorie und demokratische Rechtsstaaten Schöpfungstheologie (jedoch eher Deist)

89 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung (2) Charles-Louis de Montesquieu ( ): Über den Geist der Gesetze (1748) Vertreter der Gewaltenteilung: gesetzgebendes gewähltes Parlament, vollziehende gewählte Regierung, rechtssprechende unabhängige Gerichte (Grund: Verhinderung von Machtmiss-brauch) Auch vertragliche Übereinkunft in Naturzustand auf der Basis vernünftiger Naturgesetze wegen Wunsch nach Frieden Wandelbarkeit des Naturrechtes gefordert und Trennung von geistlicher und weltlicher Macht Gesetze sollen kulturspezifischen Freiheitsgraden entsprechen Christentum liefert Völkerrecht und hat zivilisierende Wirkung (dadurch Gnade und Milde) Wegen liberaler Theologie persönliche Probleme mit Kirche

90 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung (3) Jean-Jacques Rousseau ( ): Contrat Social (1762) Hauptvertreter der Volkssouveränität Annahme natürliche Gleichheit der Menschen Vertrag zwischen Volk und gewählten Vertretern, Ergebnis politischer Körper = Staat Unterscheidung von volunté de tous (Gesamtwille, Partikularinteressen) + volunté général (Gemeinwille) geht von allgemeinen Willensbildungsprozessen aus (von David Hume Idee, dass politische Macht nur auf Dauer, wenn sie auf öffentliche Meinung hört) aber extremer Kulturpessimismus Übergang von Staatstheorie zur Demokratietheorie, da für ihn die einzige moderne Staatsform, die noch begründbar ist

91 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung (4) David Hume ( ): erst durch Austausch gegensätzlicher Interessen lässt sich ein Staat machen; politische Willensbildung, öffentliche Meinung relevant für Machterhalt der politischen Führung (5) Alexis de Tocqueville ( ): amerikanisch liberale, aber gute Demokratietheorie, sieht schon die Gefahr der Tyrannei der Mehrheit, Zielkonflikt zw. Freiheit + Gleichheit (Gesellschaftstheorie) (6) John Stuart Mill ( ): positiv, wenn alle vertreten; qualifizierte Repräsentativregierung

92 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Moderne: Im 19. Jahrhundert demokratische Revolutionen und Reformbewegungen ohne durchschlagenden Erfolg (z.B in Deutschland) Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Demokratie wird zum politisch integralen Grundlagenbegriff Demokratie wird zur dominanten nationalstaatlichen Staats- und Regierungsform und verbreitet sich global (vor allem seit 1989) Demokratie wird anerkannt als beste Staatsform in der Politischen Wissenschaft, wenn sie mit Rechtsstaatlichkeit, Good Governance und einer freiheitlich, partizipativen Volkssouveränität verknüpft ist.

93 Exkurs: Unterscheidung der Staatsformen
Republik bezeichnet eine Staatsform, in der nicht das Staatsoberhaupt dynastisch festgelegt wird, sondern vom Volk legitimiert wird (z.B. auch China). Demokratie bezeichnet eine Staatsform, in der die tatsächliche Staatsgewalt vom Volk ausgeht (Volkssouveränität). Allerdings kann das Staatsoberhaupt auch ein Monarch sein (konstitutionelle Monarchie). Insofern braucht man beide Komponenten! Deshalb: Bundesrepublik Deutschland in der Form einer parlamentarischen Demokratie Mögliche Kombinationen: Demokratie + Republik (D), Dem. aber konstitutionelle Monarchie (UK), keine Demokratie, aber Republik (Ch); keine Demokratie und keine Republik (Saudi-Arabien, alte Monarchien, Vatikan)

94 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Politikwissenschaftliche Forschung: Demokratietheorien Beteiligungszentrierte Theorie + deliberative D. (Habermas) Theorie der sozialen Demokratie (Sozialstaatsidee, am geringsten in angelsächsischen D., am weitesten Skandinavien) Komplexe Demokratietheorie (Dilemmata der D. über Grenzen hinaus, Denationalisierung, kosmopolitische, globale Weltr.(Höffe)) Konsensusdemokratie (gesell. Konsens Kern der D., nicht Mehrheitsprinzip; A. Lijphard 84,08) Direktdemokratie (Bürgerbeteiligung im Einzelfall, nicht nur Delegation der Macht an Vertreter durch Wahlen, aber Gefahr der Demagogie oder kurzfristigen Interessensmaximierung) Demokratie und ihre soziokulturellen Voraussetzungen (christl. Religion (79 v. 88), ethnische Homogenität, Basiskonsens Werte, Sozialkapital, sozioökon. Zusammenhang: je wirtschaftl. erfolgreich, um so geringer Chance der Diktatur)

95 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Kulturalistische Demokratieforschung: Ethnisch und religiös homogene Staaten eher Demokratien. Überlebenschancen von Demokratien hängen von der Integration von Einwanderern in der Generation ab. Religiöse Spannungen und Übergriffe bedrohen Demokratien Gewiss. Gemeinschaftssinn muss vorhanden sein + bleiben Bürgerschaftliche Traditionen erhöhen Stabilität (Putnam, Sozialkapitaltheorie; Höffe, Humanvermögen, Rechtskapital, Kulturkapital…) Zusammenhang von religiöser Zusammensetzung und Freiheitsgrad der Demokratie: 79 von 88 freien Demokratien sind mehrheitlich christlich (freedom house ranking) Sozioökonomische These: je wirtschaftlich erfolgreicher ein Land und je gleicher die Verteilung in einem Land, um so geringer ist die Chance auf eine Diktatur (4000$)

96 Funktionserfordernisse der modernen Demokratie:
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Funktionserfordernisse der modernen Demokratie: Aufteilung der staatlichen Gewalten und Machtstreuung Garantie individueller Freiheit durch Rechtsansprüche Fehlen größerer Antisystemparteien und Fehlen von Radikalisierungen in der Bevölkerung Völkerrechtliche Unabhängigkeit, Rechtsfrieden und Frieden mit Nachbarn Barrieren gegen Einparteiendominanz in der Verfassung Regelmäßige Regierungswechsel mit wechselndem Establishment Wirtschaftlicher Wohlstand, mit geringer Inflation und wenig Arbeitslosigkeit (hohes Beschäftigungsniveau) Hohe soziale Gleichheit !!! Hohes Niveau von Bildung, medizin. Versorgung und Infrastruktur Sozialstaat mit Minimalabsicherung und zufriedenstellendem Existenzminimum

97 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung Demokratie in Deutschland seit 1949 und 1989: parlamentarische + repräsentative rechtsstaatliche Demokratie; stark föderale Organisation von der Basis her: Gemeinden und Städte (G.-, Stadträte), Länder (Landtage), Bund (Bundestag, Bundesrat) Demokratie im internationalen Vergleich: D. erfüllt Gütemerkmale im internationalen Vergleich: Nur 36 Demokratien sind als qualitativ sehr gut eingestuft (Freedom House Index: überwiegend EU, fast alle christlich) Heute aufbrechen des alten „statism“, der strikten nationalstaatlichen Organisation nötig, da globale Probleme Nationalstaat überfordern Deshalb: Transnationale demokratische Zusammenschlüsse von Staaten, z.B. in der EU einzigartig (befriedend und positiv); aber auch Probleme der Transnationalität durch sich relativierende nationalstaatl. Souveränität (bsp. Demokratiedefizite EU, Frage der gemeinsamen Identität…)

98 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.1 Geschichte des Demokratiebegriffs und terminologische Klärung

99 3.2 Kirchliche Sozialverkündigung und Demokratie I
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.2 Kirchliche Sozialverkündigung und Demokratie I Langsame Akzeptanz der Demokratie: Weihnachts-Rundfunkbotschaft, Pius XII.1944 (Vorbote) Apostol. Schreiben ‘Octogesima adveniens’, Paul VI. 1971 Solicitudo rei socialis (55) Johannes Paul II 1987: demokrat. Prozess solle sich ausdenken auf Osteuropa Centesimus annos, Johannes Paul II 1991: Demokratie als berechtigte Ordnung (47) Benedikt XVI. « Werte in Zeiten des Umbruchs », Deus est Caritas, 2005 (mittlere Position anerkannt: z.B. Habermas) Positive Haltung der Kirche zur Demokratie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Aber an die ethische Bedingung einer „wahren Demokratie“ geknüpft, d.h. Bürgerrechte, Rechtsstaat, keine Menschen-rechtsverletzungen, Achtung der Würde aller Personen

100 3.2 Kirchliche Sozialverkündigung und Demokratie I
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.2 Kirchliche Sozialverkündigung und Demokratie I Früher: Kirchliche Distanz, weil zwei Problemkreise: Kirche als Hüterin der Wahrheit versus demokratisches Vertrauen in Abstimmung von unten oder von allen Ursprung der Staatsgewalt aus Gott versus alle Gewalt geht vom Volke aus (Designations-, statt Delegationstheorie und societas- perfecta- Lehre) Generelle Schlussfolgerung: Keine politische Alternative zur Demokratie, auch in allen gesellschaftlichen Teilgruppierungen als Struktur- und Kommunikationsform sinnvoll (auch Kirche); Noch nie waren die Chancen für D. global betrachtet so gut, aber Demokratiedilemma: Denationalisierung erforderlich, trans-, supranationale demokratische Zusammenschlüsse notwendig, weg von „statism“, hin zur Idee der Kosmopolitischen Demokratie

101 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.1 Der liberale Demokratiebegriff von James Buchanan “The Limits of Liberty. Between Anarchy and Leviathan” 1975 (Die Grenzen der Freiheit 1985) Philosophisches Vorbild: Thomas Hobbes Hauptwerke: Leviathan Naturzustand Krieg aller gegen alle, deshalb Vertrag notwendig. Hobbes bereitet Boden für Demokratietheorie ist aber noch kein Demokrat, bleibt beim Leviathan stehen.

102 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.1 Der liberale Demokratiebegriff von James Buchanan Vermeidung des Dilemmas eines unkontrollierbaren Staates Hypothese: Mehr Freiheiten durch sinnvolle Freiheitsbeschränkungen, d.h. selbstauferlegte Regeln Geschichte von Robinson Cruso und Freitag auf der Insel Ergebnis: 1. Ein für alle nützlicher Gesellschaftsvertrag (Vertragstheorie): (Nutzen auf Netto - Einkommenszuwächse bezogen) 2. Demokratie als Kooperationsvertrag, als Ergebnis eines Konsenses aller Gesellschaftsmitglieder. (Nicht durch Mehrheit bestimmt, moderne Demokratietheorie) 3. Dünne ethische Voraussetzung: Gleichrangigkeit der Mitbestimmung und Vetorecht; aber krasse Verteilungsungleichheit möglich

103 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.1 Der liberale Demokratiebegriff von James Buchanan Der Ertrag der Selbstbindung bei Robinson und Freitag

104 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.1 Der liberale Demokratiebegriff von James Buchanan Buchanan meint, dass sich Menschen trotz Besitzungleichheit aufgrund der mangelnden Sicherheit auf einen Gesellschaftsvertrag einigen: 1. Stufe: Verfassungsvertrag (Einstimmigkeit) 2. Stufe: parlamentarische Demokratie in freier Marktwirtschaft (Mehrheitsprinzip) Idee: Menschen setzten sich selbst aus eigenem Interesse Freiheitsbeschränkungen, um neue Freiheiten zu erhalten. Demokratieprinzip bei Buchanan: Der faktische Konsens aller in einer freiwilligen Übereinkunft im Gesellschaftsvertrag

105 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.1 Der liberale Demokratiebegriff von James Buchanan Kritik Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages aus dem Ausgangs- punkt der Ungleichheit heraus führt zu Gesellschaftsvertrag mit extrem ungleichen Verteilungswirkungen und stark unterschiedlichen gesellschaftlichen Chancen (weit weg von Beteiligungsgerechtigkeit oder Chancengleichheit). Eine Zustimmung des Stärkeren zum Gesellschaftsvertrag ist nur bei kontraproduktiven Verteilungskämpfen im Naturzustand anzunehmen (oft erst erreicht, wenn gesellschaftlicher Friede völlig gefähdet). Möglichkeit eines Sklavenvertrages bei krassen Machtdiver- genzen, da die normativen Voraussetzungen stark reduziert

106 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas Literatur: Faktizität und Geltung (1992) + Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt (1996) Die Demokratiekonzepte sind bei Habermas selbst in der Entwicklung Es ist bei ihm von drei Stufen in seinen Schriften auszugehen: (a) basisdemokratisch (b) öffentlichkeitszentriert (c) parlamentarisch-deliberativ

107 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas a. Früher Habermas basisdemokratisch (70er): Rationalisierung von Herrschaft, Ideal: herrschaftsfrei Emanzipation aller vernünftigen Bürgerinnen und Bürger Gleichmäßig gestreutes Eigentum Interventionistischer Wohlfahrtsstaat Entspricht der Idee eines demokratischen Sozialismus Von dieser Demokratietheorie hat sich Habermas dann wohl auch aufgrund seiner Erfahrungen in der Zeit der 68er Revolteund druch die Erfahrung der Leistungsfähigkeit eines real existierenden Sozialismus auf deutschen Boden abgesetzt.

108 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas b. Mittlerer Habermas öffentlichkeitszentriert (80er): Systemische Eigenständigkeit von Politik und Wirtschaft (autonome gesellschaftlichen Teilsysteme): Direkte Intervention oder zentrale Planung ist kontraproduktiv oder unterdrückend (Beispiele DDR oder VRCh) Kontrollinstrument: Politische Öffentlichkeit mit chancengerechter Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger Politisch-öffentlicher Diskurs vernünftiger Subjekte ist der Legitimationsprozess demokratischer Machtausübung Demokratie als gesellschaftliche Kraft, die das politische System kontrolliert

109 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas b. Öffentlichkeitszentrierte Demokratiekonzeption Folge: Institutionalisierung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung (auch unterhalb von Parteien) Ziel: Begrenzung politischer Macht durchdemokratische Eindämmung kolonialisierender Übergriffe durch Staat und Wirtschaft (Bsp.) und Sensibilisierung des politischen Systems für öffentliche Kritik Demokratie: in diesem Sinne ist eine partizipative gesellschaftliche Diskurspraxis (z.B. auch soziale Bewegungen), die den Rechtsstaat beeinflussen, ihn jedoch nicht ersetzt, sondern als Partner benötigen.

110 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas c. Später Habermas parlamentarisch, deliberativ (90er – heute): Ausgangspunkt: an Basis entstehen Gestaltungsbedürfnisse (soziale Probleme) diese werden in der politischen Öffentlichkeit diskutiert Konstruktive Vorschläge passieren dann die Schleusen demokratischer und rechtsstaatlicher Verfahren (Parlamente und Gerichte) Parlamente sollen eine kommunikative Diskursgemeinschaft abbilden und stellvertretend gesamtgesellschaftliche Meinungsbildung abbilden und rekonstruieren. Lösungsansätze werden dann bindenden Lösungsstrukturen zugeführt und zu legitimer demokratischer Macht

111 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas Deliberative Demokratie durch plurale Diskurse im Parlament: Nach einer Prozedur der Beratung werden im rechtsstaatlichen System auf der Basis allgemeiner Prinzipien (Verfassung) Gesetze etabliert (= Prüf-„Filter des Verfahrens einer demokratischen Meinungs- und Willensbildung“) keine direkte Macht der Öffentlichkeit mehr, sondern parlamentarischer Prozess zwischengeschaltet, der diskursethischen Kriterien genügen muss (auf keinen Fall nur Mehrheitsentscheide!!!!, eher konsensuale Einigung Idee) Deliberative Demokratie: Mitte zwischen liberalem und republikanischem Verständnis Demokratie bleibt auf sozialintegrative Kräfte der Lebenswelt der Menschen angewiesen: Religion und Solidarität

112 Habermas ist für moderne politische Ethik unverzichtbar
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.2 Deliberative Demokratie bei Jürgen Habermas Zusammenfassung und Kritik an Habermas: zweistufiges Gesellschaftskonzept (Lebenswelt und System) ist weiterführend allerdings dichotomische Trennung von System und Lebenswelt kritisierbar: Rationale Reflexion von Lebenswelt und Weltanschauung ist möglich (wissenschaftl.Theologie) deliberatives Demokratiekonzept ist wichtiger ein Baustein einer sozialethischen Demokratietheorie Habermas ist für moderne politische Ethik unverzichtbar

113 Formales Gerechtigkeitsprinzip:
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.3 Gerechtigkeitstheoretisch fundierte Demokratie bei John Rawls Formales Gerechtigkeitsprinzip: Der „hypothetische Konsens“ über institutionelle Regelungen im Rahmen eines Gesellschaftsvertrags zur Festlegung der grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien von Demokratien (zumeist Verfassungsprinzipien)

114 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.3 Gerechtigkeitstheoretisch fundierte Demokratie bei John Rawls „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (1971) Formales Begründungskriterium für moralische Normen: Regeln sind begründet, wenn sie für alle Beteiligten konsensfähig und damit gerecht sind. Soziale Gerechtigkeit strukturell und institutionell im Sinne allgemeiner Handlungsregeln und Institutionen (Strukturelle Verallgemeinerung) Gerechtigkeit als Fairness liegt im Verfahren einer fairen Konsensfindung, nicht primär bei einer bestimmten Endzu-standsgerechtigkeit (Formalisierung) Hypothetischer, nicht faktischer Konsens!

115 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.3 Gerechtigkeitstheoretisch fundierte Demokratie bei John Rawls Konzept „Politischer Liberalismus“ (1993) „Faktum des vernünftigen Pluralismus“: verschiedene vernünftige umfassende Theorien des Guten „Überlappender Konsens“ hinsichtlich öffentlicher Gerechtigkeitskonzeption möglich (nicht über das Gute) Einigung über Wahrheit von Geltungsansprüchen müßig Unterscheidung von pluralistischer Gesellschaft und weltanschaulicher Gemeinschaft (bei letzteren „umfassende Theorie des Guten“ möglich) „Bürden vernünftiger Urteile“ (6) erklären Divergenzen und Meinungsverschiedenheiten

116 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.3 Bausteine eines ethischen Demokratiekonzeptes 3.3.3 Gerechtigkeitstheoretisch fundierte Demokratie bei John Rawls „Politischer Liberalismus“ (1993) Lösung: Liberalität und Toleranz Theorie des „Politischen Liberalismus“, die eine Pluralität vernünftiger Theorien des Guten zulässt und dennoch eine Einigung bezüglich politischer Gerechtigkeit erlaubt Keine umfassende Lehre sei als politische Konzeption für eine konstitutionelle Ordnung geeignet, aber als weltanschauliche Grundlage Übergreifender Konsens über Gerechtigkeit möglich: Dies lässt eine Pluralität vernünftiger, aber konträrer Lehren mit den jeweils zu ihnen gehörigen Konzeptionen des Guten zu.

117 3.4 Sozialethischer Demokratiebegriff
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.4 Sozialethischer Demokratiebegriff Positive Bausteine (deliberative und gerechtigkeitstheoretische) lassen sich aus ethischer Debatte rezipieren Unterscheide theologische Ebene und öffentlicher Diskurs: Auf ersterer dürfen über sinnvolle Lebensformen und christliche Ideen eines guten Lebens Aussagen getroffen werden (z.B. Tugenden, Erfahrungswerte, schriftkonformes Leben…..) Auf der zweiten müssen ethisch-politische Beiträge pluralismus-fähig und vor Andersdenkenden öffentl. zu rechtfertigen sein; deshalb für Religion werben, nicht paternalistisch offensiv sein im sinne eines offenen Dialogs (GS 91) Zielsetzung einer pluralismusfähigen christlichen politischen Ethik: Konsenssuche mit Andersdenkenden; Demokratischer Diskurs und Kompromiss nicht als Abfall von der Hochmoral sehen, sondern als demokratische Praxis der politischen Normfindung

118 3.4 Sozialethischer Demokratiebegriff
Kap. 3: Demokratie in der ethischen Reflexion 3.4 Sozialethischer Demokratiebegriff Pluralitätskonforme Ethik des Gerechten suchen Demokratische und rechtsstaatliche Politik möglich machen Demokratietheoretisch fundierte politische Gerechtigkeits-konzeptionen vorschlagen und dafür argumentieren Christliche Hermeneutik der Liebe plausibilisieren Die Schwachen identifizieren (!) und für sie genauso wie mit ihnen kämpfen Ethische Dilemmata abwägen und Menschen auf allen Seiten ernst nehmen (z.B. Migration)

119 Resümee: Theologisch ist es wichtig zu erkennen, dass sich der
Unbedingtheitsanspruch des Moralischen in moder-nen Demokratien und pluralistischen offenen Gesell-schaften zu einem ethischen Imperativ des Gerechten eingeengt hat, den es auf globaler Ebene aus christlicher Perspektive politisch diskursiv zu verteidigen gilt.

120 und viel Erfolg bei der Prüfung...
Vielen Dank für Ihr Interesse und viel Erfolg bei der Prüfung... wünscht Elke Mack


Herunterladen ppt "Politische Ethik Prof. Dr. Elke Mack Erfurt, SS 2018 1."

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