Gesellschaftliche Bedingungen des Aufwachsens Vorlesung Montag, 17

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Gesellschaftliche Bedingungen des Aufwachsens Vorlesung Montag, 17 Gesellschaftliche Bedingungen des Aufwachsens Vorlesung Montag, 17.15-19.00 Uhr MIS 10 1.16 L061.0292 Prof. Dr. Sascha Neumann Assoziierte Professur für Bildungsforschung Departement Erziehungswissenschaften

Vorstellung meiner Person Hinweise zur Organisation Code of Conduct I. Einführung (30.09.2013) Vorstellung meiner Person Hinweise zur Organisation Code of Conduct Modalitäten Evaluationsverfahren Inhaltliches Programm Offene Fragen

Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete II. Zur Person Biographisches Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte an der UNIFR

III. Hinweise zur Organisation Format der Vorlesung Lernziele und Thematik Verwaltung über Gestens Sprechstunde: Montags, 15-16 Uhr, Büro Regina Mundi 1.108b

Vorbereitung der Seminarsitzungen IV. Code of Conduct Anwesenheit Vorbereitung der Seminarsitzungen Aktive Mitgestaltung durch Diskussionsbeiträge/Rückfragebn «Veranstaltungsdisziplin» Führen des Lerntagebuchs

IV. Modalitäten des Evaluationsverfahrens Lerntagebuch: Anleitung unter Gestens Ein Tagebucheintrag pro Sitzung; 1-1.5 Seiten (ausgenommen: Einführung) Abschlussreflexion der Veranstaltung am Ende Abgabe des Lerntagebuchs: 13.01.2014

IV. Inhaltliches Programm 30.09. Einführung 07.10. Gesellschaft und Gesellschaftlichkeit 14.10. Theorien I: Sozialisation 21.10. Fällt aus 28.10. Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung 04.11. Allerheiligen 11.11. Theorien III: Differentielle Zeitgenossenschaft 18.11. Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend (Schweiz) 25.11. Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend (Deutschland) 02.12. Forschung II: Kindheitsforschung 09.12. Forschung II: Jugendforschung 16.12. Kindheit und Jugend in der Pädagogik

Vorbereitende Lektüre 07.10. Nassehi, A. (2008), Sechste Vorlesung: Gesellschaft In ders.: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen. Wiesbaden: VS, S. 99-121.

Gesellschaft und Gesellschaftlichkeit «Gesellschaft…ein unergründlicher Grundbegriff der Soziologie» (Jürgen Ritsert, 2000)

Einheit und Differenzierung Polykontexturalität Ordnung Einheit und Differenzierung Individuum unsichtbar Praxis Gesellschaft Ganzheit Das Soziale Zusammenhang, Totalität Wirtschaft, Politik, Staat Geschichte: Wandel; Zeitdiagnose

Vorbereitende Lektüre 14.10. und 28.10. Honig, M.-S. (2009): Sozialisation. In: S. Andresen et al. (Hrsg.): Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. Basel: Beltz, S. 788-802. Kelle, H. (2005): Kinder und Erwachsene. Die Differenzierung von Generationen als kulturelle Praxis. In: H. Hengst & H. Zeiher, H. (Hrsg.): Kindheit soziologisch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 83-108).

Theorien I: Sozialisation Struktur: Problemstellungen und Prämissen der Sozialisationstheorie Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Sozialisationstheorie und Erziehungswissenschaft Zum Weiterlesen: Literaturhinweis

Theorien I: Sozialisation Problemstellung der Sozialisationstheorie: Sozialisationstheorie als spezifische Form der Thematisierung von gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens Frage: Für welche Probleme ist Sozialisation die «Lösung»? Prämissen der Sozialisationstheorie: - Unterscheidung von Individuum und Gesellschaft bzw. Person und Umwelt - Unterscheidung von Natur und Kultur - Unterscheidung von Sein und Werden - Unterscheidung von Handeln und Struktur

Theorien I: Sozialisation Problemstellung der Sozialisationstheorie: Wie sind kollektive Bindungen trotz individueller Interessen möglich? Es geht um das Problem «sozialer Ordnung» unter dem Gesichtspunkt einer Gesellschaft, die aus Einzelnen bzw. einzelnen Teilen besteht und von diesen (mit-)gestaltet und verändert wird Abgrenzungen gegenüber: biologistischen Reifungskonzepten, intentionalistischen Konzepten von Erziehung, idealistischen Persönlichkeitstheorien Sozialisationstheorie betont das Zugleich von Individuierung und Vergesellschaftung Gesellschaftlichkeit des Aufwachsens wird als Anforderung an die individuelle Entwicklung wie auch als deren Ermöglichungsbedingung begriffen

Theorien I: Sozialisation Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Emile Durkheim (1902/03): Erziehung, Moral und Gesellschaft Wie ist soziale Ordnung unter den Bedingungen einer arbeitsteilig organisierten und sich wandelnden Gesellschaft möglich? Schlüsselfunktion des Erziehungssystems bei der moralischen «Sozialmachung» des Menschen

Theorien I: Sozialisation Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Talcott Parsons (1964): Sozialstruktur und Persönlichkeit Strukturfunktionalistische Rezeption von Durkheims Problemstellung: Gesellschaften als komplexe Systeme, die Strukturen ausbilden, in denen bestimmte Funktionen für das Gesamtsystem erfüllen Das Sozialisationsproblem ist das Problem des Erhaltens dieser Ordnung und nicht ihre Veränderung Sozialisation ist die Verinnerlichung der Werte und Normen, die den Fortbestand der Ordnung sichern

Theorien I: Sozialisation Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Ab 1960er/70er Jahre: Kritik am klassischen auf Vergesellschaftung eingestellten Sozialisationskonzept Aufhebung der Dichotomie von Individuierung und Vergesellschaftung Kann der Mensch überhaupt als ein nicht-soziales Wesen vorgestellt werden? Selbstorganisation: Hurrelmann (1983) betont die Rolle des produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts Selbstsozialisation (Zinnecker 2000) Bourdieu (1997): «Habitus» als vermittelndes Organ zwischen Struktur und Praxis Persönlichkeit bildet sich nicht gegen gesellschaftliche Einflüsse, sondern in Sozialisationsprozessen Theorie der Sozialisation muss zugleich eine Theorie Gesellschaft und der Individualentwicklung sein (Geulen 2004)

Theorien I: Sozialisation Sozialisationstheorie und Erziehungswissenschaft Abgrenzungsprobleme zwischen «Erziehung» und «Sozialisation»: Ist Erziehung ein sozialisatorischer Vorgang oder Sozialisation ein Sonderfall von Erziehung? Funktionalistische vs. intentionalistische Perspektive Sozialisationskonzept ermöglichte der Erziehungswissenschaft ab den späten 1960er Jahren die Erziehungswirklichkeit in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit zu reflektieren (Mollenhauer 1972) Sozialisationskonzept kann die Ungewissheit von Erziehung und ihrer Wirkungen thematisieren

Theorien I: Sozialisation Zum Weiterlesen: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.): Theorien der Sozialisation. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1997

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung «Alter und Geschlecht haben eine Gemeinsamkeit: Sie werden dem Körper zugeschrieben, den man immer und überall dabei hat. Beide Kategorien stehen damit immer und überall als Ressourcen zur Verfügung, um soziale Situationen zu strukturieren und soziale Ordnung hervorzubringen – entsprechend häufig und vielfältig kommen sie zum Einsatz» Kelle (2005)

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Die generationale Perspektive beschreibt die Bedingungen des Aufwachsens unter dem Gesichtspunkt der sozialen Organisation des Verhältnisses zwischen «älteren» und «jüngeren» Mitgliedern einer Gesellschaft. «Älter» oder «jünger» zu sein, ist jedoch keine Frage des biologischen Alters von Personen, sondern eine Kategorie der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, die mit Bezug auf das Lebensalter legitimiert wird.

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Zwei Dimensionen von Generationalität: - intragenerationales Verhältnis (synchrone Perspektive) - intergenerationales Verhältnis (diachrone Perspektive) Zwei Forschungsrichtungen: - pädagogisch-anthropologische Generationenforschung - Wissenssoziologische Generationenforschung

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Grundlegendes zum Generationenbegriff: - Bezeichnet die (relative) Gleichheit der Gleichaltrigen: - Thematisiert die «Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen» (Mannheim): Personen, die gleichzeitig Leben, aber nicht gleichaltrig sind - Klassische biologische Wirkungsdauer einer Generation beträgt ca. 30 Jahre - Diverse Komposita: Generationenverhältnis (Makroperspektive), Generationenbeziehungen (Mikroperspektive), Generationenkonflikt, Generationenvertrag etc.

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Grundlegendes zum Generationenbegriff: - Generationen vs. Kohorten - Generationenbegriff schliesst eine gemeinsame Bewusst- seinslage ein (Mannheim) - Generationslagerung: geteilte Erfahrungshintergründe historisch-politischer Generationen - Generationszusammenhang: ähnliche kulturelle Stile und habituelle Orientierungen Generationsgestalten (Fend) - Generationseinheit: Wir-Gefühl der Mitglieder bestimmter, beieinander liegender Alterskohorten

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Der Generationenbegriff in der Erziehungswissenschaft: - Grundkategorie pädagogischen Denkens und Handelns - F.D.E. Schleiermacher : «Was will die ältere Generation mit der Jüngeren» - Bestimmung der Aufgabe von Erziehung als Kulturvermittlung durch die «ältere» Generation - Sicherung kultureller Kontinuität durch transgenetische Vermittlungsprozesse - Binäre Codierung des erziehungswissenschaftlichen Generationenbegriffs: Anthropologisch und universell begründete Ordnung von «Älteren» und «Jüngeren» - Behandelt alle Generationenverhältnisse als pädagogische Verhältnisse

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Der wissenssoziologische Generationenbegriff: - Karl Mannheim «Das Problem der Generationen» (1928) - Konstitution historisch-politischer Generationen «nach innen» im Zentrum des Interesses: Gleichaltrige und die formative Kraft gemeinsamer Erfahrungshintergründe (Sozialisatorische Effekte von Zeitgenossenschaft) - Beispiele: Kriegs- und Nachkriegsgeneration; 68er Generation - Generationenbeziehungen sind nicht notwendig Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse - Keine ausschliesslich bewusste Steuerung der Kulturvermittlung, sondern v.a. beiläufige Tradierung des Bewährten und Gewohnten

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung Kritik: - Empirische Beobachtbarkeit von Generationalität - Mangelnde Prognosefähigkeit der Forschung - Gefahr der Naturalisierung und Ontologisierung von Altersdifferenzen bei der Erklärung von Einstellungsmustern und sozialem Handeln

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung «Generationale Ordnung» als Empirisierung und Denaturalisierung des Generationenbegriffs: - Verschiebung der Aufmerksamkeit vom «being» zum «doing» - Generationing/Doing Generetion: Wie wird die Altersdifferenz in eine soziale Ordnung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, Alten etc. verwandelt? - Die vermeintlich «natürliche» Differenz der Generationen wird eigeklammert zugunsten einer bodennahen empirischen Analyse ihrer Hervorbringung – nach innen wie nach aussen

Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung - Wie strukturiert die Altersdifferenz soziale Interaktionen im gesellschaftlichen Alltag und wie wird sie dadurch immer wieder aufs Neue bekräftigt? - Beispiele: -Schule: altershomogene Vergemeinschaftungs- formen (Klassenstufen) -Kindertagesbetreuung: Altershomogene oder altersgemischte Gruppeneinteilung -Performanz generationaler Zugehörigkeit in Jugendkulturen - Es wird zur Entstehung gebracht, was immer schon vorausgesetzt ist… - Die generationale Differenzierung ist nicht spezifisch für pädagogische Kontexte, wird aber dort in spezifischer Weise hergestellt…

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft - Hengst, Heinz (2013): Kindheit im 21. Jahrhundert. Differenzielle Zeitgenossenschaft. Weinheim u.a.: BeltzJuventa - Anknüpfung an die sogenannten «new social studies of childhood»: Kindheit wird als eigenständige Lebensphase und nicht lediglich als Phase der Vorbereitung auf das Erwachsensein betrachtet - Anknüpfung an Karl Mannheims Generationenansatz: Differenzielle Zeitgenossenschaft meint «Ungleichzeitig- keit des Gleichzeitigen» unter der Zurückweisung der Idee von generationaler Identität und Homogenität - Interaktion von Zeitgeschichte und Lebensgeschichte, wobei die Subjekte und ihre Realitätsverarbeitung immer auch durch andere Erfahrungen und Zugehörigkeiten geprägt sind.

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft - Die Basis der Zeitgenossenschaft ist das «Erfahrungslernen», d.h. informelle Prozesse der Wissensaneignung, die mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft geteilte Realitätsdeutungen mobilisieren - Im Erfahrungslernen, d.h. im Gelernten, spiegelt sich zugleich Prozesse des sozialen Wandels wider (Bsp.: Familienbilder) - Bedeutung des Erfahrungslernens nimmt im Kontext soziokultureller Freisetzungsprozesse zu: Kinder können sich in einer komplexer und dynamischer werdenden Welt nicht mehr ohne weiteres auf die Weltdeutungen Erwachsener verlassen.

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft - Konsumgesellschaft als zentraler «erfahrungsrelevanter Kontext», um die Bedingungen des Aufwachsens zu verstehen - Allgegenwärtigkeit der Konsumgesellschaft: Von ihr sind Kinder nicht in gleichem Masse ausgenommen wie von der Arbeitsgesellschaft - Identität als Problem der sozialen Zugehörigkeit: beruht in hohem Masse auf Eigenleistung und Fähigkeit zur symbolischen Selbstinszenierung - These: Konsumgesellschaft rahmt und orientiert die Aktivitäten und Lebensstile von Individuen; sie ist in diesem Sinne unhintergehbar und ein zentrales Medium sozial distinktiver Identitätsbildung - Kindheitsforschung vernachlässigt die sozialisatorische Bedeutung des konsumgesellschaftlichen Rahmens

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft -Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft formuliert eine Kritik am modernen Kindheitsmuster, dass als lebensgeschichtliche Vertikale gedacht wird und Kinder v.a. als Entwicklungswesen betrachtet: Identität als (Noch-)Nicht-Identität - «Mission der neueren Kindheitsforschung»: Aufwertung der Kindheit als eigenständige Lebensphase - Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft greift dies auf: Statt um die Formierung von Identität, geht es um die alltägliche Identitätsarbeit; hierin unterscheiden sich Kinder und Erwachsene nicht der enge Zusammenhang von Lebensphasen und Erfahrungsmodi löst sich zunehmend auf

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft - Gibt es ein kollektiv geteiltes Deutungsmuster von Kindheit unter Kindern? - Kinder unterscheiden vor allem sich selbst von Erwachsenen und nehmen ihre Interessen als übereinstimmender wahr - Bestimmen die Eigengruppe sehr oft nach Eigenschaften, die über die Medien- und Konsumgesellschaft als Skripte an sie herangetragen werden (kommerzielle Kinderkultur: Videospiele, Fernsehsender, medial präsente Sportarten, bestimmte Filmgenres) - Identifikation mit der Eigengruppe erfolgt weniger über Alter, sondern über kulturalisierte Merkmale (Lebensstile)

Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft Kritik. - das Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft stellt den Generationenansatz empirisch auf die Probe: Ob es einen Generationenzusammenhang gibt, muss also erst noch bewiesen werden - Aber es unterstellt in einer Zeitdiagnose gleichzeitig ein alle Individuen vereinnahmendes Muster der Konsumgesellschaft: Es missachtet damit die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen und belegt diese These anekdotisch, aber nicht empirisch - Inwiefern sich Kinder durch ihr «Erfahrungslernen» tatsächlich als eine besondere Gruppe auszeichnen, ist eine ebenso offene Frage wie diejenige, ob es sich überhaupt noch lohnt von Kindern zu sprechen

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Funktion -Adressaten der Kinder- und Jugendberichterstattung: Politische Entscheidungsträger, pädagogische Fachpraxis, breite Öffentlichkeit - Instrumente der wissenschaftlichen Politikberatung - Dienen der Fachpraxis als wichtige empirische Quelle für die Begründung ihrer Handlungsziele - Vielmehr: Sachstandberichte, die auf politische Empfehlungen zulaufen - Neben zentralisierten Formen der Berichterstattung gibt es auch vielfältige regionale Initiativen: Berichterstattung von Kantonen, Ländern, Städten und Gemeinden - Ziel: Etablierung einer eigenständigen Kinder- und Jugendpolitik

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Kinder- und Jugendberichte in der BR Deutschland - Lange Tradition: Erster «Jugendbericht» 1965; 14. Kinder- und Jugendbericht 2013; seit 1998 «Kinder- und Jugendbericht - Gesetzlich verankert (SGB VIII): ein Bericht pro Legislaturperiode (ca. 4- Jahres-Rhythmus) - Im Fokus: Lebenslage der junger Menschen, Leistungen und Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe - Jeder 3. Bericht ist ein Gesamtbericht über die Situation der Kinder- und Jugendhilfe - Bildung einer unabhängigen Sachverständigenkommission

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Kinder- und Jugendberichte in der BR Deutschland - Geschäftsstelle beim Deutschen Jugendinstitut München (DJI e.V.) - WissenschaftlerInnen und Vertreter der Fachpraxis (v.a. aus der Erziehungswissenschaft/Sozialpädagogik) - Stellungnahme der jeweiligen Bundesregierung als obligatorischer Bestandteil - Ergänzung durch Expertisen zu bestimmten speziellen Themen, die vertiefend erörtert werden (z.B. Jugend auf dem land, Familienbildung etc.)

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Kinder- und Jugendberichte in der BR Deutschland - Datenquellen: amtliche Statistik, empirische Studien aus Wissenschaft und Verbandsarbeit (v.a. Sekundäranalysen) - Praxiserfahrungen und –reflexionen - Formulierung von normativen Leitgedanken für die Beurteilung des Sachstands und die zukünftige Weiterentwicklung («Agenda-Setting») - Kinder- und Jugendberichte als «hybride Wissensformen»: Es handelt sich nicht um im engeren Sinne disziplinäres Wissen von Erziehungswissenschaft bzw. Kindheits-, Jugend- und Bildungsforschung - Kinder- und Jugendberichte integrieren unterschiedliche Erfahrungsquellen und Wissensformen aus Forschung, Politik und Fachpraxis

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Kinder- und Jugendberichte in der BR Deutschland - Wirkung: In Politik weniger stark als in der Fachpraxis - Starke Resonanz in Stellungnahmen und Fachtagungen von Trägern und Verbänden, bisweilen auch in der Erziehungswissenschaft - Prominentes Beispiel 8. Jugendbericht (1990): Führte zur konzeptionellen Umgestaltung des Systems der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne einer «lebensweltorientierten Sozialpädagogik (Thiersch) und der Reform des «Jugendwohlfahrtsgesetzes» zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (1991)

Forschung I: Sozialberichterstattung über Kindheit und Jugend Kinder- und Jugendberichte in der BR Deutschland: Leistungen - Unabhängige fachliche Berufungsinstanz - Orte fachlicher Selbstvergewisserung - Kinder- und Jugendbericht zeigen Forschungs- und Wissenslücken - Fachliche Impulsgeber für politische Debatten und professionelle Weiterentwicklung der Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe - Schwäche: Vermengung von normativen Positionen und wissenschaftlicher Expertise - Rezeptionshürden und mangelnde politische und pädagogische Technologisierbarkeit des Wissens

Literaturgrundlage 02. 12. 2013: Schultheis, F. /Perrig-Chiapello. P Literaturgrundlage 02.12.2013: Schultheis, F./Perrig-Chiapello. P./Egger, S. (Hg.): Kindheit und Jugend in der Schweiz. Weinheim u.a.: Beltz 2008, S. 23-49.

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Hintergründe: - NFP 52: «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel» (2003-2007) - Ungenügende Daten- und Erkenntnislage über die Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz und Kritik von NGO’s - NFP: Interface zwischen Wissenschaft und Gesellschaft; disziplinübergreifende Untersuchung gesellschaftlich relevanter Problemlagen und Ermittlung politischer Empfehlungen - Kinder- und Jugendbericht als Syntheseprodukt aus den einzelinitiativen des NFP 52 - Erste und bis dato einmalige Zusammenschau der Ergebnisse aus Kindheits- und Jugendforschung sowie der amtlichen Statistik zur Situation von Kindern und Jugendl. in der Schweiz

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Institutionelle Rahmungen von Kindheit und Jugend: - Geschichte von Kindheit und Jugend als Geschichte der zunehmenden Regulierung beider Lebensphasen - CH: Kinder- und Jugendpolitik ist ausgesprochen föderal und subsidiär strukturiert - Kinder- und Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe, die zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden aufgeteilt ist Ungenügende Daten- und Erkenntnislage über die - Jugendverbandsarbeit (SAJV) und offene Jugendarbeit (DOJ) - Bundesgesetz zur Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit (JFG) - Betreuung und Bildung in der Kindheit: traditionell Aufgabe der Familie, erhebliche regionale Disparitäten bei Angebot und Nachfrage; Nachfrageüberhangs (INFRAS 2005; 2013)

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Quantitative Verhältnisse: - Soziodemographie: Internationale Trends in westlichen Industrienationen zeigen sich auch in der Schweiz - Rund 1/3 der jungen Bevölkerung weisen einen Migrationshintergrund auf - Ca. 1/4 besitzt keinen Schweizer Pass - Sinkende Mortalitätsraten seit Mitte des 19.Jh. - Nuklearisierung der Privathaushalte, massive Zunahme von 1 und 2-Personen-Haushalten - Rückgang der Geburtenraten seit den 1960er Jahren - Wachsende Zahl von Ein-Elternhaushalten - 4/5 der Kinder und Jugendlichen erleben während ihres Aufwachsens das «Normalmodell» mit einem Paarhaushalt - Dennoch: Pluralisierung von Familienformen und – mit zunehmendem Alter Anstieg des Risikos, in einem Ein- Elternhaushalt aufzuwachsen

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Quantitative Verhältnisse: - Wichtige Trends in der Schweiz in den letzten 30 Jahren: -Bedeutungswandel der Ehe (traditionelle vs. egalitäre Arbeitsteilung, mehr Konsensualpartnerschaften) -Bedeutet: Mehr nicht-eheliche Partnerschaften mit Kindern; Rückgang der Kinderzahlen; spätere Elternschaft -Dominanz des Zwei-Personenhaushalts mit beschränkter Kinderzahl - Zusätzliche Bedingungen des Aufwachsens: markante Unterschiede in Abhängigkeit von sozialräumlichen, sozioökonomischen und soziokulturellen Faktoren - Beispiel: Bildung und sozialer Status: enger Zusammenhang; moderierende Faktoren: Geschlecht, Nationalität, Wohnort etc.

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Quantitative Verhältnisse: - Bildungsexpansion hat nicht alle Gruppen im gleichen Masse erreicht: deutliche Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern sowie zwischen einheimischen und Ausländern - Gefälle zwischen nord- und südeuropäischen Einwanderern sowie zwischen Stadt- und Landbevölkerung - Herausragender Einfluss der sozialen Herkunft: Kinder von höher gebildeten Eltern sowie Eltern in höheren Berufen haben weitaus grössere Chancen höhere Bildungsabschlüsse und einen höheren sozioprofessionellen Status zu erreichen - Grosse materielle Unterscheide trotz im internationalen Vergleich hohen Wohlstandsniveau - Betroffen von materiellen Einschränkungen sind v.a. Alleinerziehende, kinderreiche Familien, ausländische Erwerbstätige

Forschung I: Kindheit und Jugend in der Schweiz Vertiefung Kinderarmut: - 1/3 aller Schweizer Kinder lebt in einkommensschwachen Haushalten (Bezieher von sozialstaatlichen Ergänzungsleistungen) - Armutsrisiko ist unter Kindern stärker ausgeprägt als in der Erwachsenenbevölkerung: Indikator gen. Ungleichheit - Kinder erhöhen selbst das Armutsrisiko, wie sie vermehrt davon betroffen sind - Vielfältige Folgen des Aufwachsens in Armut: Beeinträchtigung der kognitiven und sozialen Entwicklung, erhöhte Gesundheitsrisiken, geringere Chancen auf eine erfolgreiche Bildungskarriere usw. - Risikofaktoren: niedrige Löhne, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, geringes Ausbildungsniveau

Literaturgrundlage 09. 12. 2013: Zeiher, H Literaturgrundlage 09.12.2013: Zeiher, H. (2009): Ambivalenzen und Widersprüche der Institutionalisierung von Kindheit. In: Honig, M.-S. (2009) (Hg.): Ordnungen der Kindheit. Problemstellungen und Perspektiven der Kindheitsforschung. Weinheim u.a., S. 103-126

Forschung II: Kindheitsforschung Problemstellungen: - (social) studies of childhood: junges internationales und interdisziplinäres Forschungsfeld (seit etwa 1990) - Interesse richtet sich auf die Eigenständigkeit von Kindheit als Gegenstand der Forschung - Abgrenzung gegenüber Entwicklungspsychologie, Sozialisationstheorie, Kulturanthropologie, Pädagogik die Kinder vorwiegend als Novizen und Kindheit als ein Status des Noch-Nicht-Erwachsenseins thematisieren» - Kritik richtet sich insbesondere an bisheriger Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema aus: bislang kaum Interesse an Kindheit und falls doch, dann vorwiegend auf Sozialisation verengt bzw. v.a. im Kontext von Schule und Familie betrachtet - Ähnliches galt für Statistik und Sozialberichterstattung: Kinder nur selten Untersuchungs- und Beobachtungseinheiten quantitativer Studien (Qvortrup)

Forschung II: Kindheitsforschung Problemstellungen: - Forderung: Kinder als soziale Gruppe betrachten wie andere soziale Gruppen auch - Dem wissenschaftlichen Emanzipationsinteresse entspricht eine politische Emanzipation: Betonung von Rechten und Perspektiven der Kinder («People in their own right») - Kindheit wird als soziokultureller Kontext des Kinderlebens «entdeckt» (Kinderkultur): Unterscheidung zw. Kinder/Kindheit - Zurückweisung des Sozialisationsbegriffs: Lässt übersehen, dass es eine eigenständige Kinderkultur gibt, die kompetente Teilhabe voraussetzt (Kinderlieder, Spiele, Riten, Reime, Witze etc.) - Kritik am «adult ideological point of view» (Mathew Speier): Die Wissenschaften vom Kind lösen das Problem des Verstehens von Kindern durch einen erwachsenenzentrierten Blick

Forschung II: Kindheitsforschung Forschungsperspektiven: - Im Mittelpunkt: Alltagsleben sowie Lebenslage und Lebensqualität von Kindern - Neben der sozialstrukturellen Position der Kinder rückt hier Akteursstatus ins Zentrum - Methodologisches Primat ethnographischer Methoden, da sie nicht nur Daten liefern, sondern auch einen methodisch reflektierten Zugang zur Erfahrungswirklichkeit der Kinder eröffnen (James 2000; Lange/Mierendorff 2009) - Studien zur Kinderkultur: interpretative Reproduktion der Erwachsenenwelt und zum secondary adjustment in Institutionen (Corsaro 1985: Friendship and Peer Cultures in the Early Years) - Studien zur Teilhabe von Kindern an der Konsum- und Medienwelt (Hengst)

Forschung II: Kindheitsforschung Forschungsperspektiven: - Studien zu Kindern in familiären Kontexten: Verhandlungen und Verantwortung im Familienleben (du Bois-Reymond 1998: Der Verhandlungshaushalt im Modernisierungprozess) - Kinderarmut aus kindlicher Perspektive (z.B. Ridge 2002: Childhood Poverty and Social Exclusion): Mangelnde Partizipationsmöglichkeiten werden als problematischer empfunden als z.B. Ernährung - Kindheit und öffentlicher Raum: Kinder reagieren auf räumliche Verinselung ihre Alltags, indem sie eigene Zeitplanungs- und Verabredungskultur entwickeln (Zeiher/Zeiher 1994: Orte und Zeiten der Kinder) - Studien zur politischen und gesellschaftlichen Partizipation von Kindern: Verhältnis von politischer Instrumentalisierung und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten von Kindern

Forschung II: Kindheitsforschung Forschungsperspektiven: - Studien zu Kindheit als sozialer Strukturkategorie und Moment generationaler Ordnung: -Wissenschaftliche Bilder vom Kind und ihre Normierung: z.B. Woodhead (1990) für Psychologie; Esser (2013) für Pädagogik und Sozialpädagogik - Kindliche Störungskategorien und Diagnostik: Kelle/Mierendorff (2013), Bühler-Niederberger (2008), Tervooren (2010) - Schuldfähigkeit: Krieken (2005) - Geschichte der Kindheit im Wohlfahrtsstaat: Mierendorff (2010)

Forschung II: Kindheitsforschung Forschungsperspektiven: Geschichte der Institutionalisierung von Kindheit - Zeiher (2009): These von der zunehmenden Institutionalisierung von Kindheit seit dem 19. Jahrhundert - Institutionalisierung von Kindheit. Gesamtheit von sozialen Prozessen, Diskursen sowie räumlichen, zeitlichen und rechtlichen Strukturen, die zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft das Leben der Kinder formen - Zwei übergreifende Kernprozesse: Scholarisation und Familialisierung - Scholarisation: Trennung von Lohnarbeit und organisiertem Lernen - Familialisierung: Trennung von Arbeitsstätte und Heimstätte; Privatisierung der Kernfamilie

Forschung II: Kindheitsforschung Forschungsperspektiven: Geschichte der Institutionalisierung von Kindheit - Kinder damit doppelt in Gesellschaft positioniert: Eingeschlossen in Familie und Bildungssystem - Parallele und antagonistische Prozesse - Erosion der klassisch-modernen Institutionalisierung: Monopol der Schule auf Lernen wird genauso herausgefordert wie Sorgearbeit nur in der Familie stattfindet - De-Familialisierung der Kindheit: Immer mehr ausser- häuslische Betreuung, verstärkte staatliche Kontrolle der Eltern - Gleichzeitigkeit von Institutionalisierung und De- Institutionalisierung: Entgrenzungen zwischen Schule und Lebenswelt der Kinder, informelle Inst. der Freizeitgestaltung

Literatur 16. 11. 2013: Krüger, H. -H. /Grunert, C Literatur 16.11.2013: Krüger, H.-H./Grunert, C. (2010): Geschichte und Perspektiven der Kindheits- und Jugendforschung. In ders.: Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung. Wiesbaden, S. 11-40.

Zum Weiterlesen: Bühler-Niederberger, D. (2011): Lebensphase Kindheit Zum Weiterlesen: Bühler-Niederberger, D. (2011): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Weinheim u.a.: Juventa Honig, M.-S. (2009) (Hg.): Ordnungen der Kindheit. Problemstellungen und Perspektiven der Kindheitsforschung. Weinheim u.a.: Juventa

Forschung II: Jugendforschung Anfänge und Konsolidierung der Jugendforschung - Ab dem 18. Jahrhundert werden Kindheit wie auch Jugend zunehmend als eigenständige Lebensphasen betrachtet; dies sind zugleich der Anfänge der wissenschaftlichen Thematisierung - J.J. Rousseau: «Emile» (1772); Forderung einer wissenschaftlichen Jugendkunde (Trapp, Niemeyer, Weiller) - Diese Linie wurde im 19. Jahrhundert zunächst nicht weiterverfolgt - Sattelzeit der Jugendforschung: spätes 18. bzw. frühes 19. Jahrhundert - Jugend wird nicht nur als eigenständige Lebensphase, sondern auch als ein gesellschaftliches und pädagogisches Problemfeld entdeckt

Forschung II: Jugendforschung Anfänge und Konsolidierung der Jugendforschung - «Nie zuvor wurde Jugend so intensiv diskutiert und erforscht wie im 20. Jahrhundert» (Sander/Vollbrecht 2000) - Hintergründe: Verjugendlichung der Gesellschaft in den 1920er Jahren, problematische Situation der proletarischen Grossstadtjugend; Aufkommen der «Jugendbewegung» - Jugendforschung entstand im Umfeld der aufsteigenden experimentellen Psychologie, der sich als Wissenschaft verselbständigenden Pädagogik sowie der Entstehung mehrerer Forschungsinstitute der Jugendkunde - Gleichzeitig entsteht die sog. «Sozialpädagogik» als Pädagogik des Jugendalters - In den 1920er Jahren: Primär qualitative Jugendforschung im Schnittfeld von Jugendpsychologie und Pädagogik, d.h. noch keine klare Trennung beider Disziplinen

Forschung II: Jugendforschung Anfänge und Konsolidierung der Jugendforschung - «Jugend» als Produkt der modernen Industriegesellschaft: Junge Menschen gab es zwar zu allen Zeiten, jedoch ist die massenhafte Erscheinung der Jugend als gesellschaftlich eingerichtete Lebensphase zum Zwecke des Lernens, der Qualifikation und Reproduktion der arbeitsteiligen Gesellschaft ein modernes Phänomen - Musgrove (1964): «Jugend» und die Dampfmaschine als wichtigste Erfindung der industriellen Moderne (Investiv- und Humankapital) - Freisetzung der Jugend aus den familiären Zusammenhängen als Beschleuniger des Industriekapitalismus - Jugendphase wird zum «pädagogischen Moratorium»: Widersprüchliche Logik der Freisetzung und Integration durch Separation

Forschung II: Jugendforschung Die «Jugend der Jugendforschung» - Jugend bezeichnet zum einen eine «Lebensphase», zum anderen eine bestimmte «soziale Gruppe» - «Jugend» als Produkt der modernen Industriegesellschaft: Junge Menschen gab es zwar zu allen Zeiten, jedoch ist die massenhafte Erscheinung der Jugend als gesellschaftlich eingerichtete Lebensphase zum Zwecke des Lernens, der Qualifikation und Reproduktion der arbeitsteiligen Gesellschaft ein modernes Phänomen - Musgrove (1964): «Jugend» und die Dampfmaschine als wichtigste Erfindung der industriellen Moderne (Investiv- und Humankapital)

Forschung II: Jugendforschung Die «Jugend der Jugendforschung» - Freisetzung der Jugend aus den familiären Zusammenhängen als Beschleuniger des Industriekapitalismus - Jugendphase wird zum «pädagogischen Moratorium»: Widersprüchliche Logik der Freisetzung und Integration durch Separation - Jugendmoratorium war jedoch eine soziale Konstruktion, welche für die meisten Jugendlichen keine Geltung hatte

Forschung II: Jugendforschung Jugendforschung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - Während die Kindheitsforschung in die Domäne der Entwicklungspsychologie überging, wurde die Jugendforschung vor allem von der Jugendsoziologie dominiert - Perspektivenwechsel auf den Gegenstand: Bedeutungsverlust der Entwicklungsdimensionen des Jugendalters zugunsten der Vergesellschaftungsprozesse in dieser Lebensphase - Vorherrschaft strukturfunktionalistischer Ansätze (Schelsky, Eisenstadt, Tenbruck) - Gerieten ab 1970er Jahre in die Kritik, weil sie die Schüler- und Studentenrevolten der späten 1960er Jahre nicht erklären konnten - Im gleichen Zeitrum: Entwicklung einer quantitativen Jugendforschung

Forschung II: Jugendforschung Jugendforschung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - Krise der Jugendforschung in den 1970er Jahren führt zu ei einer «erziehungswissenschaftlichen» und «qualitativen Wende - Beobachtung einer «Entgrenzung», «Entstandardisierung» und «Individualisierung der Jugendphase» - Veränderte Formen der sozialen Kontrolle des Jugendalters: Bedeutung der arbeitsmarktlichen Integration, und der soziokulturellen Nahwelten nimmt ab, die der Medien, der Bildungsinstitutionen und der Freizeitindustrie nimmt zu - Zwei Forschungsansätze rücken in den Vordergrund: - sozialökologische Ansätze: Kombination der dichter Beschreibung der Alltagswelten von Jugendlichen mit Daten der Sozialstatistik - biographieanalytische Ansätze: Rekonstruktion jugendliche Identitätsdeutungen im Lebensverlauf

Forschung II: Jugendforschung Jugendforschung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - zugleich: grosse repräsentative Studien (z.B. Shell- Jugendstudie) - Themen: Freizeitleben, Integration und Arbeitsmarkt, Mädchen, politische Einstellungen - Fortsetzung dieser Trends in den 1990er Jahren - Parallel dazu: Debatte um die Auflösung der Jugendphase: Gesellschaftlicher Jugendkult führt zu einer Entkopplung von sozialer Zugehörigkeit zur Jugend und Lebensalter - Macht sich in einer Verschiebung der Altersgrenzen in der Jugendforschung bemerkbar - Beobachtung einer starken Ausdifferenzierung von jugendlichen Szenen und Kulturen: Entstehung der Jugendkulturforschung, die bis heute eine Blüte erlebt - Wiederaufleben alter «neuer» Themen: Bildungsbenachteiligung, Jugendarbeitslosigkeit, Migration

Zum Weiterlesen: Dudek, Peter (1990): Jugend als Objekt der Wissenschaften. Geschichte der Jugendforschung in Deutschland und Österreich. Opladen: Westdeutscher Verlag.

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