Nico Stehr Wissenspolitik. Die Überwachung des Wissens

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Migration von Feldbussen zu PROFINET
Advertisements

Einführung in die VWL.
Wie kommt diese Ergebnisentwicklung zustande?
1 LInternet au service des PME Paris (France), 8-9 février 1999 Workshop 1 Wie kann die Internet-Nachfrage stimuliert werden? Ergebnisse des Workshops.
Meinungsumfrage Seite 1 TNS Infratest November 2009 Image und Akzeptanz Nov 2009 Globalbeurteilung (überwiegend) positiv nach Zielgruppen TNS Infratest-
Projektumfeld Gesellschaftliche Strömungen Strukturen/ Gliederung
{ Am Ende das Buch? Über die Schwierigkeiten der Geisteswissenschaften im Umgang mit Open Access.
1. Wir können es: Der gesellschaftliche Reichtum ist vorhanden
Wirtschaftsethik als Ordnungsethik Teil I
Barbara Wörndl Hochschule Merseburg (FH)
(Ron Rivest, Adi Shamit, Leonard Adleman , 1977)
Pflegekammer -Selbstverwaltung der Pflege
Rechtliche Anforderungen an unternehmerische Hochschultätigkeit Dr
Antibiotika – Einnahme
Mathematische Grundlagen und Rechnen mit algebraischen Zahlen
Arbeitsgruppe Interkulturelles Lernen Berlin – DNK Fachtagung 5 Fragen – 15 Thesen als Versuch einer Antwort Dr. Hendrik Otten, IKAB e.V.
Akzeptierende Jugendarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen
Kapitel 1: Eine Einführung Kapitel 1 Einführung Einleitung
Wirtschaft Technologie Umwelt Vorstand Wilfried Kurtzke Konjunktur: Aufschwung ohne breite Grundlage Einkommen, Nachfrage, Arbeitsplätze Kollektive Arbeitszeitverkürzung.
EuropaRAThaus Erklärung Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger „Wir einigen keine Staaten, wir verbinden Menschen“ (Jean Monnet) Anlässlich.
SOLAR IMPULSE Wegweisender Impuls für Dübendorf. Ungeahnte Möglichkeiten! Was Bertrand Piccard und seine Crew in Dübendorf leisten ist gleich in zweierlei.
Gentechnik: Rechtliche Grundlagen und politisches Umfeld
Controller Leitbild 2002  2013.
Aktualitätsbezug Galileo Galilei
Dr. Alexander Peukert Abteilung Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht Im Schatten.
Social Media Handbuch Theorien, Methoden, Modelle und Praxis Daniel Michelis | Thomas Schildhauer [Hrsg.] 2. aktualisierte und erweiterte Auflage 2012.
Sabine Maasen HS 08 Wissen, Wissenschaft, Wissensgesellschaft
Moin. Ich benutze PPT 2002 und möchte drei Bilder nacheinander 1
Industriebeziehungen und Sozialdialog in der EMCEF Balatongyörök
Präsentation #3 Die 4 Dinge die wir tun.
Anspruchsmerkmale und technische Äquivalente
Peter Wehling: Wissen und Nichtwissen
Individual-, Organisations- Professionsethik
Statistiken eine Präsentation von Anja, Tatjana und Laura.
Freiheit und Verantwortung – wie gehen wir Tabler damit um?
Im Fach Religion geht es um …
1 Luc Triangle, Vorsitzender der kleinen Arbeitsgruppe des EMB- Ausschusses für Unternehmenspolitik EMB-Handbuch über die UMSTRUKTURIERUNG TRANSNATIONALER.
Bedeutung der Gentechnik in der Landwirtschaft
Was möchten wir heute tun?
Einheit 6 Die Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK.
Thesen Nachhaltige und gerechte Rohstoffpolitik NRW`s
lich Willkommen in der Landesberufschule Laa an der Thaya!!
2. Alterskonferenz Biel 5. November M I G R A L T O Ein partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft der älteren Migrationsbevölkerung in Schweizer.
Chancen nutzen – Risiken bekämpfen Für eine umfassende und kohärente Migrationspolitik.
Tabus in der Forschung: Gibt es noch verbotenes Wissen?
Abschließende Statements und Schlusswort 1 Öffentlich geförderter Beschäftigungssektor - Programm der Linken in Halle bearbeitet durch den.
zum Innovationsstandort
Sabine Maasen Die Öffentlichkeit der Wissenschaft – Die Wissenschaft der Öffentlichkeit Forum Wissenschaftsjournalismus, Wien, 14. Juni 2007.
Die DaimlerChrysler AG
ZENTRUM FÜR GRENZÜBERSCHREITENDE ZUSAMMENARBEIT Vorschlag für ein grenzüberschreitendes Projekt Statistisches Amt Zielona Góra.
Breitband: Basis der Digitalisierung
Advocacy Coalitions Carina Greil und Alena Lauchs.
Swiss Nano-Cube Lerchenfeldstrasse 5, 9014 St.Gallen Tel. +41 (0) , Bildungsplattform zur Mikro-
Vom graphischen Differenzieren
Kompetenzzentrum für Befragungen Trigon Entwicklungberatung
Parteienlandschaft Deutschland
Vorbereitung einer Reflexion der Testdurchführung
Einführung in die Politik1 WPFWS 2008 Recht, Politik & Organisation.
Die programmatische Entwicklung der SPÖ seit 1978.
Konflikte zwischen Generationen
Stakeholder-Management
Wiederholungsfragen Folie 2-7:
Radikaler Konstruktivismus
Wir lassen die REformation neu aufleben!
KIT – Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft INSTITUT FÜR INFORMATIONS- UND WIRTSCHAFTSRECHT.
EINFÜHRUNG UND VERBREITUNG VON ELECTRONIC COMMERCE WO STEHT DIE SCHWEIZ HEUTE IM INTERNATIONALEN VERGLEICH ? Dr. Najib Harabi und Frank Hespeler, 20. Juni.
Inhaltsverzeichnis: 1.Natur der Aktiengesellschaft 2.Bedeutung 3.Europäische Aktiengesellschaft 4.Geschichte 5.Gründung von Aktiengesellschaften.
Lieferanten - Risikoanalyse Kennen Sie die bestehenden Risiken Ihres Lieferanten-Netzwerks? Bestehende, nicht identifizierte, Lieferantenrisiken stellen.
Modul 3 E-Government – Rechtliches
 Präsentation transkript:

Nico Stehr Wissenspolitik. Die Überwachung des Wissens Sabine Maasen HS 08 Wissen, Wissenschaft, Wissensgesellschaft

Wissenspolitik in modernen Gesellschaften Frage: Welche Perspektiven gibt es für eine Regulierung des rapide wachsenden Wissens? Die aktuelle internationale Debatte über die Steuerung und Überwachung des Wissens zeigt die Entwicklung eines neuen Politikfeldes an: Die Ära der Wissenspolitik kommt. Sie soll die Folgen des rapide wachsenden Wissens regulieren, während die konventionelle Wissenspolitik sich um die Steuerung der Wissensproduktion kümmert. Ihr Ziel: die Anwendung und weitere Wissensentwicklung zu beschränken, in bestimmte Bahnen zu lenken oder sogar zu verbieten.

Eskalation der Regulierungen Anlass und Auslöser solcher Maßnahmen ist die Antizipation gedachter Folgen bestimmter Erkenntnisse. Regulierungen sind formeller und informeller Art: Reguliert wird durch moralischen Druck, die Gründung von Überwachungs- und Prüfinstitutionen, den Verweis auf herrschende Wertvorstellungen, gesetzliche Beschränkungen in der Verbreitung von Wissen und nicht zuletzt durch Verbote. Regulierungsforderung werden aller Voraussicht nach intensiver: Forderungen sozialer Bewegungen und politischer Parteien, speziell betroffener Personengruppen, bedeutender Institutionen (zum Beispiel den Kirchen) dringende Appelle Einzelner, Bisher sind Zahl und Reichweite institutionalisierter Standards zur Überwachung des Wissens klein. Es gibt zum Beispiel nur wenige Rechtsvorschriften, die sich mit der Erhaltung der Natur des Menschen befassen.

Regulierung angesichts von Anwendung Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in technische Anwendungen übergehen, tritt Kontrolle in Form von politischer Regulierung auf den Plan. Diese Art von Steuerung hat bereits ein erhebliches Ausmaß angenommen. Beispiel: In allen modernen Gesellschaften finden wir heute etwa komplexe Vorschriften und umfangreiche Organisationen, die sich mit der Registratur, der Zulassung, dem Testen und der Überwachung von pharmazeutischen Produkten befassen.

Grenzen der Regulierbarkeit Die Gesetzgebung in Wissensgesellschaften wird sich zunehmend mit der Frage der rechtlichen Kontrolle der Entwicklung und der Verwendung des Wissens befassen. Beide Bereiche überlappen sich im Fall von wissensbasierten Unternehmen, die ihre Forschungsergebnisse in Produkten materialisieren und auf den Weltmarkt bringen: Hier geht es gleichzeitig um wissenschaftliche und unternehmerische Freiheit. Wissenschaftliche Erkenntnis ist nicht frei von Interpretationsspielräumen. Diese Freiräume kann man aus der Sicht der Wissenschaft als Voraussetzung für das Wachstum wissenschaftlichen Wissens sehen. Aus der Perspektive der externen Regulierung von Wissen sind diese Eigenschaften gravierende Hindernisse. Denn sie erschweren die genaue Definition dessen, was den Kontrollen unterworfen werden soll.

Hindernisse der Regulierung Die wichtigsten Hindernisse bei der Kontrolle von wissenschaftlicher Forschung dürften allerdings Umfang und Organisation des modernen Wissenschaftsbetriebes sowie dessen kompetitive Ausrichtung und internationale Verknüpfung sein.

Vorteil durch strengere Regulierung des Wissens? Die Chancen zur Wissensüberwachung hängen, wie der Konflikt zwischen den USA und anderen Ländern um die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch produzierte Nahrungsmittel zeigt, entscheidend von den wirtschaftlichen Konjunkturen, aber auch von den innenpolitischen Konstellationen der einzelnen Länder ab. Es könnte durchaus sein, dass sich ein Land mit anspruchsvollen Standards gegen andere durchsetzen wird.

Risiken der Regulierung Wissenschaft braucht das Vertrauen der Gesellschaft. Das kann sie nur bekommen, wenn sie ihre Anwendungen auf sichere und allgemein akzeptierte Bereiche beschränkt. Es kann also sein, dass die gesellschaftliche Wertschätzung umstrittener Forschungsbereiche und damit Geldfluss und Anerkennung abnehmen. Dies ist aber nur dann wahrscheinlich, wenn die fragliche Forschung entweder keine Resultate zeitigt oder aber Gefahrenpotenziale offenbart, die man nicht auf sich nehmen möchte.

Wissenschaft zwischen Kontroverse & Regulierung Dazwischen spielen sich die wissenschaftlichen Kontroversen ab, in denen neben kognitiven Fragen ständig Anwendungsbezüge, Akzeptanzprobleme und Risikoeinschätzungen mitbehandelt werden. Die Wissenspolitik muss sich diesen Fragen ebenfalls stellen, hat aber gleichzeitig die öffentliche Meinung zu berücksichtigen, Forschungsprioritäten zu setzen und die Koordination auf internationaler Ebene zu leisten.

Reflexiv-moderne Gesellschaften als „Nichtwissens-Gesellschaften“ „Ueberall da, wo es sich um öffentlich begründungspflichtige, möglicherweise äusserst konsequenzenreiche Entscheidungen handelt, wie Z.B. über den Einsatz riskanter Technologien, können... Keine ... stabilen und legitimen Lösungen etabliert werden. Denn bei Entscheidungen auf der Basis von Nichtwissen ... Oder von uneindeutigem Wissen ...müssen normative Kriterien herangezogen werden ... Diese normativen Kriterien können selbst wiederum langfristig rechtlich-institutionell verankert oder jeweils unmittelbar durch partizipative und andere Verfahren entschieden werden. Jedoch lassen sich auf diesem Wege keine Gewissheiten mehr organisieren, sondern bestenfalls noch „Quasi-Gewissheiten“ - Gewissheiten mit einem Zeitindex“ (s. 230)

Zum Wandel der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Wissensordnung Hierarchische Wissensordnung der ersten Moderne berief sich auf Wissenschaft. Diese wiederum prämiert Leitdisziplinen und Zulieferdisziplinen. Zweite Moderne: Verteilte Wissensordnung, die auf pluridisziplinärer (und ausserwissenschaftlicher) Problemkonstitution beruhen. Damit steigen die Chancen für Risikothematisierungen Wissenschaft wird als kontrovers und vorläufig wahrgenommen Andere Wissensformen finden Eingang Ungewissheit und Nichtwissen werden expliziter thematisiert