Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens

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Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens Es geht um eine neue Methodologie, die Historizität des Wissens und der Wissenssysteme zu analysieren. Die diskursiven Regelmäßigkeiten 1. Die Einheiten des Diskurses Es geht nicht um: Tradition, Einfluß, Entwicklung / Evolution, Mentalität/ "Geist", Kontinuität des Diskurses Generelles Ziel: unausgewiesene Konstruktionen ihrer Quasi-Evidenz zu entreissen (40) Synthesen und reflexive Kategorien, wie Ordnungsprinzipien, normative Regeln, institutionalisierte Typen, Identitäten aller Art (Disziplinen, Autoren, Werke):  sie sind stets variabel & relativ.  konkretes Ziel: reine Beschreibung der diskursiven Ereignisse als Horizont für die sich dazu bildenden Einheiten (41)  Frage: Wie kommt es, dass eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle? (42)

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens Es geht nicht um die Interpretation der (soziohistorisch spezifischen) Aussagefakten, sondern die Analyse richtet sich auf die Beschreibung: ihrer Koexistenz, ihrer Abfolge, ihres wechselseitigen Funktionierens, ihrer reziproken Determinationen, ihrer korrelativen Transformation 2. Die diskursiven Transformationen Wie bestimmt man die Beziehungen zwischen Aussagen einer (?) Gruppierung? Man beschreibt “Systeme der Streuung”: "Eine Ordnung in ihrer sukzessiven Erscheinung, Korrelationen in ihrer Gleichzeitigkeit, bestimmbare Positionen in einem gemeinsamen Raum, ein reziprokes Funktionieren, verbundene und hierarchisierte Transformationen.“ Foucault gibt damit 4 “Formationsregeln” (bzw. Existenzbedingungen) für Diskurse an: Die zielen auf Gegenstände / Äußerungsmodalitäten / Begriffe / thematische Wahlen

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 3. Die Formation der Gegenstände Was sind die Oberflächen ihres Auftauchens? Instanzen der Abgrenzung? Spezifikationsraster? Eine solcherart beschriebene diskursive Formation besteht, wenn und solange sie gleichzeitig oder nacheinander sich einander ausschließende Gegenstände hervor-bringen kann, ohne dass die diskursive Formation sich selbst verändern müßte (67). Jedes Objekt existiert (nur) 1. durch ein Bündel von Beziehungen 2. diese Beziehungen sind nicht im Gegenstand präsent, sondern ihm äußerlich. 3. Sie sind diskursiv  Es geht darum zu zeigen, dass man zu einer gegebenen Zeit von bestimmten Gegenständen reden, sie benennen, sie behandeln, sie klassifizieren, sie erklären kann  Es geht nicht um eine Welt “hinter” den Dingen, ihren “eigentlichen” Sinn. Es handelt sich vielmehr um die Beschreibung der Praktiken, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 4. Die Formation der Äußerungsmodalitäten Fragen: Wer spricht? Welchen Status (welches Recht, ...) haben die Sprecher? Von wo aus wird gesprochen? Institutionelle Plätze? Welche Positionen haben die Subjekte im Diskurs? Der (z.B. klinische) Diskurs setzt zwischen einzelnen Elementen (z.B. den Status der Mediziner, den Ort den Labors, ...) ein Beziehungen her, die – auf konsistente Weise angewandt – ein System bilden. (80)  Das Bezugssystem dieser Beziehungen ist nicht das einheitsstiftende Bewußtsein, sondern die Spezifität einer diskursiven Praxis.

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 5. Die Formation der Begriffe Wie ist das Feld organisiert, in dem Aussagen auftauchen und zirkulieren? Die Analyse richtet sich auf: Die Abfolge von Aussagen(Anordnung von Aussagen verfolgen, Schemata) Ihre Koexistenz (Feld der Präsenz, Feld der Begleitumstände, Erinnerungsgebiet) Die Prozeduren der Intervention (Neubeschreibung, Methoden der Transkription, Abgrenzung, etc.)  So organisiert der Diskurs auf ‚vorbegriffliche Weise‘ die Begriffe: als eine Menge von Regeln, die regelmäßig praktiziert, eben diese Begriffe erzeugen.

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 6. Die Formation der Strategien Was sind die "Bruchpunkte" des Diskurses? Punkte der Inkompatibilität Äquivalenzbeziehungen Anknüpfungspunkte für eine Systematisierung Welches ist die "Ökonomie der diskursiven Konstellation"? Ausschluß Wahlmöglichkeiten Modifikation Welche Funktionen übt ein Diskurs in einem Feld nicht-diskursiver Praktiken aus? System und Prozesse Welches "Begehren" weckt den Diskurs?

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 7. Bemerkungen und Konsequenzen Man bleibt stets in der Dimension des Diskurses (112).  Alle Positionen des Subjekts, alle Typen der Koexistenz zwischen Aussagen, alle diskursiven Strategien sind Resultat diskursiver Beziehungen  Das Formationssystem des Diskurses besteht aus einem komplexen Bündel von Beziehungen, die als Regel bzw. durch die Regelmäßigkeit einer Praxis Subjekte, Objekte, Erkenntnisweisen ... allererst herstellen 3. Das Formationssystem ist ein offenes Konstruktionsprinzip für (weitere) Diskurse.

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens Die Aussage und das Archiv 1. Die Aussage definieren Diskurs (116): allgemeines Gebiet aller Aussagen individualisierbare Gruppe von Aussagen regulierte Praxis, die von einer bestimmten Zahl von Aussagen berichtet Aussage: ohne propositionelle Struktur auch dort, wo man keinen Satz erkennt in größerer Zahl als Sprechakte (speech acts) "Eine Aussage ist vielmehr eine ‚Existenzfunktion‘, die den Zeichen eigen ist und von der ausgehend man dann durch die Analyse oder die Anschweuung entscheiden kann, ob sie einen 'Sinn geben' oder nicht, ..." (126)

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 2. Die Aussagefunktion a. Eine Aussage existiert durch den Ort, die Bedingungen , ... die Zustände der Dinge und der Relationen, die durch die Aussage selbst ins Spiel gebracht werden (133) b. Eine Aussage unterhält mit dem Subjekt, das sie trifft, eine bestimmte Beziehung (134) Man fragt vielmehr: Welche Position kann oder muß ein Individuum einnehmen, um das Subjekt (der Autor) einer Aussage sein zu können. (139) Eine Aussage kann nicht ohne die Existenz eines assoziierten Gebiets ausgeübt werden (139). c. Aussagen können nur existieren + sind für eine Analyse nur zugänglich, als sie sich in einem Feld von Aussagen entfalten, das ihnen gestattet, aufeinander zu folgen, sich zu ordnen, zu koexistieren und im Verhältnis zueinander eine Rolle zu spielen (145) d. Eine Aussage muß eine materielle Existenz haben. Sie hat so die Eigenheit, wiederholt werden zu können, aber immer nur unter ganz strengen Bedingungen (153)  So tritt die Aussage in die "Ordnung der Infragestellung" ein. Sie wird zum Thema von Aneignung und Rivalität.

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 3. Die Beschreibung der Aussagen Was kann diese Theorie der Aussage zur Analyse diskursiver Formationen beitragen? A. Das Vokabular fixieren Diskurs = eine Menge von Aussagen, die dem gleichen Formationssystem zugehören (156) Beschreibung der gesagten Dinge Die Analyse von Aussagen “kann nur sprachlich realisierte Performanzen betreffen, weil sie sie auf der Ebene ihrer Existenz analysiert: Beschreibung der gesagten Dinge, genau insoweit sie gesagt worden sind (159). Die Positivität von Aussagen Es geht weniger um die innere Organisation und die Inhalte von Aussagen, sondern um die Bedingungen, die diese Organisation und diese Inhalte von Aussagen erforderlich/möglich machen (163).

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens B. Wie beschreibt man Aussagen? Die Analyse von Aussagen und die der diskursiven Formation werden korrelativ erstellt (169) Die Regelmäßigkeit von Aussagen und die diskursive Formation definieren einander. Diskurs = eine Menge von Aussagen, die zur selben diskursiven Formation gehören. Er ist durch und durch historisch. Diskursive Praxis = eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets in Raum und Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben (171)

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 4. Seltenheit, Äußerlichkeit, Häufung Die Aussagenanalyse betont die Seltenheitswirkung dessen, was gesagt wird. Weil die Aussagen selten sind, nimmt man sie in Totalitäten auf (bündelt sie zu Themen, institutionalisiert sie). Das Prinzip der Äußerlichkeit von Aussagen lenkt die Suche auf ihre “reine Verstreuung” (wo, wie, in Kombination mit oder Konkurrenz zu welchen weiteren Aussagen erscheinen sie?) Die Aussagenanalyse sucht nach spezifischen Häufungsformen von Aussagen, nach dem Auftauchen, der Aktivität und dem Verschwinden von Aussagen (179). Persistenz (180), Additivität (180), Rekkurrenz (181)

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens 5. Das historische Apriori und das Archiv Die Positivität einer diskursiven Formation (die Ausübungsbedingungen der Aussagefunktion) definiert ein Feld, in dem sich (möglicherweise) - formale Identitäten - thematische Kontinuitäten - Begriffsübertragungen - polemische Spiele entfalten können  das “historische Apriori” (184)

Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens Apriori = Gesamtheit der Regeln, die eine diskursive Praxis charkterisieren. Historisches Apriori = jedes Apriori hat eine spezifische Geschichte (Tempo, Aktivität, Dauer) Archiv = Die Aussagensysteme einer Zeit (inklusive der Ereignisse und der Dinge; 187 Das System der Aussagbarkeit Das System des Funktionierens Das, was die Diskurse eienr Zeit in ihrer vielfachen und verschiedenartigen Existenz differenziert und in ihrer genauen Dauer spezifiziert Praxis Allgemeines System der Formation und Transformation von Aussagen (188) Die Archäologie beschreibt den allgemeinen Hintergrund der jeweils untersuchten Diskurse. Sie beschreibt die diskursive Formation, die Positivitäten, die Aussagefelder Die Archäologie beschreibt die Diskurse als spezifische Praktiken im Element des Archivs.