Das moderne Ernährungssystem

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Das moderne Ernährungssystem Produktions- und Konsumverhältnisse ab 1850

Produktions- und Konsumverhältnisse Die Entwicklung hin zur Massenkonsumgesellschaft muss im Verein mit den Produktionsumstellungen in der Landwirtschaft seit dem 18. Jahrhundert gesehen werden: die Abkehr von der Dreifelderwirtschaft eine Intensivierung der Düngung durch verstärkte Stallviehhaltung und die Möglichkeiten chemischer Düngung sowie eine fortschreitende Technisierung und damit auch in der Landwirtschaft eine Konzentration von Arbeitskräften auf wenige Gewerbeinseln.

Produktions- und Konsumverhältnisse Mit der damit verbundenen Abkehr von der Eigenversorgung nahm das Geld als Mittel der primären Nahrungsversorgung für weite Schichten der Bevölkerung eine neue Funktion an. (Spiekermann, Uwe 1994: Abschied von der Selbstversorgung; in: Politische Ökologie 35: 26-30)

DAS MODERNE ERNÄHRUNGS-SYSTEM Forcierte Produktion von cash-crops Transport von cash-crops weltweit Entwicklung von Konservierungsmethoden (trocknen, zuckern, gefrieren, biotech. Eingriff) Verteilung von Produktionsmittel bis zur Konsumware erfolgt über nationale Machtzentren, später transnationale Konzerne (TNC)

Nahrungsmittelverbrauch Bis ins 19. Jh. war die Versorgung mit Nahrungsmitteln aus dem eigenen Garten gang und gäbe. Heute überlassen mehr und mehr Menschen die Nahrungsmittelproduktion sowie die Zubereitung der Nahrung anderen. Dies führte zur Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie, dem inzwischen weltweit größten Industriezweig. In vielen entwickelten Ländern macht der Anteil verarbeiteter Lebensmittel zwischen 10 und 15 Prozent der gesamten Produktion aus. Der gesamte Nahrungsmittelumsatz, inklusive der Nahrungsproduktion, beträgt in diesen Ländern 15 bis 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Um 1950 wandten die Menschen in Mitteleuropa 50 Prozent ihres Einkommens für Nahrung auf – heute sind dies noch etwa 20 Prozent.

Etablierung des modernen Ernährungssystems 18. Jahrhundert Etablierung des modernen Ernährungssystems MacPherson, David 1812, Annales of Commerce, 4 Bd, Nicols and Son: London, 132 zitiert nach Mintz 1987, 145; MacPherson war schottischer Historiker bezieht sich auf Senkung der Teesteuer 1784 „Der Tee ist für die Mittel- und Unterschichten in der Gesellschaft zu einem ökonomischen Ersatz für Malzbier geworden, dessen Preis es ihnen erlaubt, mit ihm als einzigem Getränk ihren Bedarf zu decken ... Kurz, unser Wirtschafts- und Finanzsystem hat eine Situation geschaffen, in der Tee vom äußersten östlichen Ende der Welt und Zucker von denn westindischen Inseln, beide behaftet mit Fracht- und Versicherungskosten ...., ein billigeres Getränk ergeben als Bier.“

Zucker als Konservierungsmittel Sucrose entzieht vorhandenen Mirkoorganismen durch Dehydrierung den Nährboden 13./ 14. Jh.: schriftliche Quellen - kandierte Früchte im Mittelmeerraum bereits üblich Konfekt - confetti = farbige Süßigkeiten 15. Jh.: Konservierte Früchte --> Delikatesse des engl. Könighauses um 1750: Konfekt u. ä. erreicht Mittelschichten um 1870: Marmelade innerhalb der Arbeiterklasse neben Brot und Tee das wichtigste Nahrungsmittel

ERNÄHRUNG der ARBEITERKLASSE im 19. Jh. FAKTOREN der ERNÄHRUNG der ARBEITERKLASSE im 19. Jh. 1. Kosten 2. Zeitdruck bei der individuellen Herstellung der Mahlzeiten 3. Brennmaterial bildet Anteil an Kosten der Ernährung 4. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb der Familie: Hausfrau - Reproduktion :: Mann - Produktion Frau: Produktion + Reproduktion Mann: Produktion

Zucker Nahrungsmittel GB spätes 18. Jahrhundert CFL-Modell (Zentrum/ Rand :: Kohlenhydrate/ Würze) wird auf revolutionäre Weise verändert

Ernährungsindustrie BILLIGE HERSTELLUNG VON NAHRUNG Ziel der modernen Ernährungsindustrie = BILLIGE HERSTELLUNG VON NAHRUNG Seit den späten 1870er Jahren entstand ein neuer Typus von Nahrung Chemisch synthetisierte Geschmacksträger z.B. synthetisches Vanillin, Zimtaroma oder Sacharin Spiekermann, Uwe 2000: Verlust der Sinne? Riechen und Schmecken im Wandel; in: IAKE Mitteilungen 7 (2000) 33-39, hier 35.

Z e i t f a k t o r „Fett oder Zucker, egal in welcher Form, bildeten als Beigaben zu dem überwiegend stärkehaltigen Haupt- nahrungsmittel wichtige Bestandteile einer Mahlzeit.“ Oddy 1976, 217 zit, nach Mintz 1987, 176. „Mit Beginn des 20. Jh‘s ‚komprimierte‘ der Zucker gleichsam die Eßzeiten, indem er, wie es hieß, ‚schnelle Energie‘ lieferte.“ Mintz 1987, 178. Nahrungsmittel in Flaschen, Dosen und Packungen Kuchen Werkskantinen convenience food = Fertigkost

Änderung der Ernährungsgewohnheiten BAUERN Hafermehl (Brei) Schmalz Milch ARBEITER Brot Butter Tee Zucker Siehe Campell 1966 und Burnett 1966 in Mintz 1987, 158-160

Verfall des CFL-Modells ZUCKER CORE- LEGUMI- NOSEN- FRINGE- MODELL FRINGE-

Ernährungswissenschaften Die sich rasch entwickelnden Möglichkeiten in der Chemie und besonders ihre Anwendungen in der im ausgehenden 19. Jahrhundert entstehenden Ernährungsindustrie begründeten für die chemische Forschung das neue Aufgabenfeld der modernen Ernährungslehre.

Ernährungswissenschaften Der Diskurs über das Essen zerfiel im 19. Jahrhundert in in drei wissenschaftliche Teildisziplinen: Physiologie Nahrungsmittelkunde Diätik Heischkel-Artelt, Edith (Ed) 1976: Ernährung und Ernährungslehre im 19. Jahrhundert (= Studien zur Medizingeschichte im 19. Jahrhundert Fritz-Thyssen-Stiftung); Göttingen

Vorläufer der Ernährungswissenschaften Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden die chemischen Methoden zunächst verworfen, weil es der naturwissenschaftlichen Forschung v.a. darum ging, die neu entdeckten Phänomene wie Elektrizität und Sauerstoff auch in der organischen Lebenskraft aufzuspüren.[ Die Untersuchungen über das „Wirken der Lebenskraft“ sparte die Frage des Stoffwechsels zunächst noch aus. Der Physiologe Christoph Wilhelm Hufeland, der den Stand des medizinischen Wissens bis zum 18. Jahrhundert in seinem Werk „Die Kunst das menschliche Leben zu erhalten“ zusammenfasste, erwähnte die Phänomene Ernährung und Stoffwechsel auf nur knapp einem Dutzend Seiten.[3]

Die moderne Ernährungslehre Die analytische Naturwissenschaft hat um das Jahr 1850 in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden die Erforschung der Ernährung der Lebewesen in ihr Forschungsprogramm aufgenommen. Das Resultat war in physikalischer Hinsicht die Kalorienlehre und in der chemischen Betrachtung die Unterscheidung der Nährstoffe in Eiweiß, Fett und Kohlehydrate. Mani, Nikolaus 1976: Die wissenschaftliche Ernährungslehre im 19. Jahrhundert; in: Edith Heischkel-Artelt (Ed): Ernährung und Ernährungslehre im 19. Jahrhundert (= Studien zur Medizingeschichte im 19. Jahrhundert. Fritz-Thyssen-Stiftung); Göttingen: 22-75, hier 36.

Nahrungsmittelkunde Die Konsistenz von Nahrungsmitteln wurde unabhängig von den Stoffwechselvorgängen chemische analysiert und ihr Nährwert erfasst. Tierversuche eröffneten das neue Feld der systematischen Ernährungswissenschaft und zementierten u.a.das bereits im 18. Jahrhundert ohne wissenschaftlichen Nachweis propagierte Eiweißdogma.

Sozialer Wert der Ernährungswissenschaften „The social value attached to food, health and physical beauty has risen constantly in the second half of the twentieth century. Thus the representatives of nutritional science have become an important part of the multi-faced medical power, operating on the national and international level and influencing governmental policies as much as the use of public research funds.“ Mennell, Stephen/ Murcott, Anne/ Otterloo, Anneke H. van 1992: The Sociology of Food, Eating, Diet and Culture; London/ Newbury Park/ New Delhi, 36.

Die diagnostische Macht der Ernährung „Die Macht der Ernährung reduziert die Frage nach der Herkunft der Lebensmittel au den Ort des Supermarkts und delegiert die Sorge über den Zustand derselben an ExpertInnen, die für den jeweiligen Körper mit seinen individuellen Katastrophen zuständig gemacht werden.“ Kaller-Dietrich, Martina 2000: Zur diagnostischen Macht der Ernährung Oder: Was lässt sich aus feministischer Sicht zu den Konstruktionen der Ernährungswissenschaften zu sagen? In: Koryphäe. Medium für feministische Naturwissenschaft und Technik. 29 (2001) 32-35, hier 34.