Einheit 2: Begriffsklärungen, Methoden, Ansätze

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Einheit 2: Begriffsklärungen, Methoden, Ansätze Programm für die heutige LV Kurze Rekapitulation: Flüchtlingsdefinitionen der LV-TeilnehmerInnen Unterschiedliche methodische Ansätze im Bereich Refugee Studies Beispielhafte Diskussion: Flüchtlingsregime/ Governance Diskussion Basistext Stephen Castles Ausgewählte Zugänge, den Begriff Flüchtling zu definieren Theoretische Überlegungen zu Begriffsarbeit Text für die nächste Einheit

Methodische Zugänge …. Unterschiedliche Fragestellungen erfordern unterschiedliche Zugänge Ausgewählte Ansätze Policy Analyse Input, Output, Content Analyse von Governancestrukturen, politische Soziologie, Institutionenanalyse Politische Geschichte Begriffsgeschichte (z.B. Reinhart Koselleck), Paradigmengeschichte (Cambridge School of Historical Though) Diskursanalyse (Foucault)

Exemplarisch: Flüchtlingsregime/ Governance Traditionelle IB: Flüchtlingsregime synonym mit GFK/UNHCR oder allgemeiner, den globalen (formellen) Regelungswerken in bezug auf Flucht Neuere Regimetheorien: auch informelle/ nichtsstaatliche Akteure/ Regeln Governance: umfasst alle Akteure innerhalb eines Governance-Feldes, inkl. von Flüchtlingen

Diskussion: Stephen Castles: Towards a Sociology of Forced Migration and Social Transformation Welche Formen von Zwangsmigration unterscheidet Castles? Welche unterschiedlichen Verursachungszusammenhänge von Zwangsmigration spricht Castles an? In welche Verbindung bringt Castles soziale Transformationsprozesse in den Ländern des Südens mit Prozessen von  Zwangsmigration? Inwieweit unterscheidet Castles zwischen Asyl-, Flucht- und „freiwilliger“ Migration? Welche Kritik könnte gegenüber Castles vorgebracht werden?

Wer ist ein Flüchtling? Was ist ein Flüchtlingsregime - Ausgewählte Zugänge Allgemeiner Gebrauch des Begriffs im öffentlichen Diskurs (in öffentlichen Diskursen) Völkerrechtliche Definition Selbstdefinitionen von Flüchtlingen Soziologische Definition

Allgemeiner Gebrauch des Begriffs Variiert stark je nach Kontext (historisch, politisch, geographisch) Gleichzeitig unterschiedliche Begriffsvarianten im öffentlichen Diskurs Ist stark von spezifischen, z.B. rechtlichen oder religiösen (historisch sehr wichtigen) Diskursen geprägt  Eine Untersuchung des Gebrauchs des Begriffs sagt damit meist mehr über die Gesellschaftsformationen aus, innerhalb derer der Begriff so oder so verwendet wird, als dass so eine Untersuchung erlauben würde, eine wissenschaftliche Definition zu entwerfen. Gleichzeitig ist eine kritische Analyse von Diskursen gerade für den wissenschaftlichen Kontext unerlässlich

Eine ansatzweise universelle (völkerrechtliche) Definition erst seit der Satzung des UNHCR (1950). 6. Lit A (2): Flüchtling ist... jede Person, die sich infolge von Ereignissen, die vor dem 1.1.1951 eingetreten sind, und aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Meinung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und nicht im Stande oder, infolge dieser Furcht oder aus anderen Gründen als persönlichem Belieben, nicht gewillt ist, den Schutz dieses Landes in Anspruch zu nehmen, oder jede Person, die nicht im Besitz einer Staatsangehörigkeit ist und sich außerhalb des Landes ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und die nicht im Stande oder, infolge dieser Furcht oder aus anderen Gründen als persönlichem Belieben, nicht gewillt ist, dorthin zurückzukehren.

OAU Flüchtlingskonvention (1969): ….Der Begriff Flüchtling soll außerdem auf jede Person Anwendung finden, die wegen Aggression von außen, Besetzung, Fremdherrschaft oder aufgrund von Ereignissen, welche die öffentliche Ordnung in einem Teil des Landes oder dem gesamten Land ernsthaft stören, gezwungen ist, den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zu verlassen, um an einen anderen Ort außerhalb des Landes ihrer Herkunft oder Staatsangehörigkeit Zuflucht zu suchen (...)."

Soziologische Definition Selbstdefinition: lehnen sich teilweise stark an hegemoniale (normative) Diskurse an und spiegeln somit globale Machtverhältnisse wider. Formulieren Ansprüche in bezug auf hegemoniale Diskurse, geben aber nicht unbedingt das „wirkliche“ Selbstverständnis von Personen wieder und gehen mit der Rekonstruktion der eigenen Biographie im Lichte normativer Erfordernisse einher (vgl. Debatte um die Bestrafung von falschen Angaben von Asylsuchenden“ Soziologische Definition Definition von Kategorien aufgrund gemeinsamer Charakteristika

Soziologische Konzeptualisierung von Flüchtlingen Aristide Zolberg, Astri Surhke, SergioAguayo (1989): Escape from Violence. Oxford: OUP Drei Kategorien von Flüchtlingen: Aktivisten (meist Individuen und deren Familien) „Zielscheiben“ (Targets) – Massenströme (z.B. ethnische, religiöse, politische Minderheiten) „Opfer“: „unbeabsichtigte“ Opfer generalisierter Gewalt

Dimensionen des Begriffs „Flüchtling“ Der Begriff „Flüchtling“, so wie er etwa in sozialwissenschaftlichen Texten, aber teilweise vom UNHCR und anderen relevanten Institutionen gebraucht wird, ist ein „Mischbegriff“, Er bezieht sich auf empirische, „soziologische“, vor allem aber auf normative Kriterien und verweist und ist damit in gewisser Weise konstruiert: Er macht nur Sinn, wenn von einer gewissen Art und Weise von „Staatlichkeit“, internationalem System und globalen Menschenrechtsstandards ausgegangen wird.

Letztlich ist der Begriff „Flüchtling“ ein politischer Begriff ist (wie im Grunde die meisten Konzepte, die für die Beschreibung von internationaler Migration verwendet werden). Der Begriff erhält seinen spezifischen Sinn erst durch die Geschichte seines Gebrauchs, der in der Spätmoderne jedenfalls hauptsächlich ein politischer/ völkerrechtlicher ist. Da der Begriff letztlich ein politischer bzw. juristischer ist, verweist er auf eine Nationalstaatsordnung sowie einer (oder mehrerer) damit zusammenhängender normative Ordnungen auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene.

Implikation: Weil der Begriff politisch fundiert ist, erscheint seine Interpretation im Kontext der Theoretisierung von Staatlichkeit naheliegend. „Staatlichkeit“ umfasst dabei nicht nur die „empirische“ Seite – Staatsapparate, Institutionen, staatliche Praxis, Recht usw. Empirisch existierende Staaten bzw. die Tatsache der Aufteilung der Welt in staatsförmig organisierte „Gesellschaften“ („Durchstaatlichung) zeitig umgekehrt auch normative Effekte: (bestimmte Formen von) Staatlichkeit dien(t)(en) als Modell für Minderheiten, für den Staatsbau im Falle neuer Staaten; Staatlichkeit impliziert letztlich auch eine gewisse Weltsicht.

Theoretische Überlegungen zu Begriffsarbeit "Brecht hat von Begriffen als Griffen gesprochen, mit denen Dinge und Verhältnisse in Bewegung gesetzt werden - ganz entsprechend dem Verhalten eines Handwerkers, der Werkzeuge benutzt, um das Material zu bearbeiten und ihm eine den Zwecken angemessene Gestalt zu geben. Gehen diese Griffe verloren, büßen auch die Begriffe und Worte ihre verlässliche Wirkungsweise ein.„ Oskar Negt/ Alexander Kluge, Maßverhältnisse des Politischen, Frankfurt/M, 1992, 57) Begriffe sind Konventionen. Genau wie Maßeinheiten oder Farben sind auch Begriffe das Ergebnis von Verhandlungen. Begriffe sind weder naturgegeben noch immerwährend. Ihre Bedeutung kann sich ändern. Nicht zuletzt die Neuauflagen der Lexika zeugen davon, dass Begriffe "leben". Einerseits heisst das, dass wir den Bedeutungen von Begriffen nicht "ausgeliefert" sind, sondern diese durchaus ändern können, dass es verschiedene Ansichten geben kann und dass Begriffe eine Geschichte und eine Zukunft haben. Andererseits bringt das auch Schwierigkeiten mit sich: Begriffe sind an einen Kontext gebunden, an eine Zeit und an das jeweilige Wissen dieser Zeit.

Begriffsarbeit ist damit aus verschiedenen Gründen notwendig: um Bedeutungen von Begriffen klarer hervorzuarbeiten um Begriffe zu kontextualisieren um Verbindungen zwischen einzelnen Begriffen und gesellschaftlicheren Diskursen herzustellen (z.B. Diskurse über Asyl, über Trafficking, Schlepperei, illegale Einwanderung, den „neuen Humanitarismus“ etc.) um Interessenskonstellationen hinter der spezifischen Verwendung eines Begriffes herauszuarbeiten („Claim-Making“)  „Fluchtdiskurse“, vgl. in diesem Kontext Analyse von Migrationsdiskursen in African Migrations (Stichproben Nr.8/2005) ,

Begriffs-Mapping Um Begriffe zu klären, ist es mithin sinnvoll, begrifflich bestimmte „Diskursfelder“ abzustecken: Flucht/Flüchtlinge Asyl Migration Irreguläre Migration Einwanderung/ Auswanderung Vertriebene Flüchtige (Fugitives) Etc….

Aufgabenstellung für die Einheit 3 Basistext: Kapitel 1. aus Zolberg et al. (1989): Escape from Violence (Oxford: OUP) [gescanntes Dokument im Intranet] HU Warum es Sinn macht, zwischen (irregulären, regulären) MigrantInnen, AsylwerberInnen und Flüchtlingen, zu unterscheiden? Diskutieren sie die Frage aus verschiedenen Blickwinkeln: sozialwissenschaftlicher Sicht: Was unterscheidet MigrantInnen, AsylwerberInnen und Flüchtlinge? Wie soziologisch relevant sind diese Unterscheidungen? Rechtfertigen sie eigene Kategorien, wenn ja, welche? Aus juristischer/ politikwissenschaftlicher Sicht: warum sind Definitionen von Flüchtlingen so selektiv? Warum werden überhaupt Unterscheidungen gemacht? Aus normativer/ ethischer Sicht: welche normativen Grundsätze stehen zur Debatte, wenn es um die Ausweitung/ Einschränkung der Definition von Flüchtling geht?